Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kleiser sowie die Hofrätinnen Mag. Rehak und Mag. Bayer als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des Stadtsenates der Landeshauptstadt Graz gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark vom 24. Oktober 2022, LVwG 50.34 1211/2022-10, betreffend eine baurechtliche Angelegenheit (mitbeteiligte Partei: T F, vertreten durch Mag. Dr. Franz Benda, Rechtsanwalt in Graz; weitere Partei: Steiermärkische Landesregierung), zu Recht erkannt:
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1 Mit Eingabe vom 1. November 2021 beantragten die Eigentümer des Grundstückes Nr. X der KG S. die Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes der Nutzung des unmittelbar angrenzenden Grundstückes Nr. Y der mitbeteiligten Partei und die Untersagung der Hühnerhaltung. Diesem Antrag wurde mit Bescheid der revisionswerbenden Partei vom 21. Dezember 2021 gemäß § 41 Abs. 6 Steiermärkische Baugesetz (Stmk. BauG) stattgegeben und der mitbeteiligten Partei die Unterlassung der vorschriftswidrigen Nutzung des auf dem gegenständlichen Grundstück an der südlichen Grundgrenze errichteten Nebengebäudes (Gartenhütte) und des daran angeschlossenen mittels eines Gitterzaunes hergestellten Geheges mit einer Fläche von rund 100 m² zu Zwecken der Nutztierhaltung aufgetragen; weiters wurden der mitbeteiligten Partei Kommissionsgebühren für die durchgeführte Erhebung vor Ort vorgeschrieben.
2Mit dem angefochtenen Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark (Verwaltungsgericht) wurde dieser Bescheid aufgrund der dagegen erhobenen Beschwerde der mitbeteiligten Partei gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die revisionswerbende Partei zurückverwiesen. Gleichzeitig wurde ausgesprochen, dass gegen diesen Beschluss eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B VG unzulässig sei.
3 Begründend führte das Verwaltungsgericht nach Darstellung des Verfahrensganges und von Rechtsvorschriften im Wesentlichen aus, für die Erlassung eines baupolizeilichen Auftrages gemäß § 41 Abs. 6 Stmk. BauG komme es nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes darauf an, dass geltend gemachte Nachbarrechte tatsächlich verletzt seien. Die belangte Behörde habe aber dem Antrag mit der Begründung stattgegeben und die Nutzungsuntersagung ausgesprochen, dass die Hühnerhaltung im „Reinen Wohngebiet“ dem § 30 Abs. 1 Z 1 Steiermärkisches Raumordnungsgesetz 2010 (StROG) widerspreche, ohne zu prüfen, ob eine wie von den Antragstellern behauptet erhebliche Belästigung durch Lärm, Geruch und Staub tatsächlich gegeben sei und damit die Nachbarn tatsächlich in einem geltend gemachten Nachbarrecht nach § 26 Abs. 1 Stmk. BauG verletzt seien. Die rechtliche Beurteilung der revisionswerbenden Partei, wonach die Nutztierhaltung im „Reinen Wohngebiet“ widmungswidrig sei, reiche für eine Prüfung, ob die geltend gemachten Nachbarrechte tatsächlich verletzt würden, nicht aus. Die für ein baupolizeiliches Auftragsverfahren im Sinn des § 41 Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 6 Stmk. BauG erforderlichen Feststellungen fehlten zur Gänze. Da die revisionswerbende Partei Ermittlungen im Hinblick auf die geltend gemachten subjektiv-öffentlichen Rechte der Nachbarn zur Gänze unterlassen bzw. ein diesbezügliches Ermittlungsverfahren gar nicht stattgefunden habe, stehe der entscheidungswesentliche Sachverhalt nicht fest. Da im Revisionsfall allenfalls ein luftreinhaltetechnischer Sachverständiger und ein schalltechnischer Sachverständiger (in eventu auch ein humanmedizinischer Sachverständiger) beizuziehen wären, könne das Verwaltungsgericht die entsprechenden Ermittlungen weder rascher noch kostengünstiger durchführen.
4 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Revision mit dem Antrag, diesen wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, in eventu eine Sachentscheidung zu treffen.
5 Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung, in welcher sie beantragte, der Revision keine Folge zu leisten und der revisionswerbenden Partei den Ersatz ihrer Kosten aufzuerlegen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
6 Die Revision erweist sich bereits angesichts des aufgezeigten Abweichens des Verwaltungsgerichtes von näher bezeichneter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen für die Erlassung eines baupolizeilichen Auftrages nach § 41 Abs. 6 Stmk. BauG als zulässig.
7§ 28 VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 in der Fassung BGBl. I Nr. 138/2017, lautet auszugsweise:
„ Erkenntnisse und Beschlüsse
Erkenntnisse
§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
...“
8Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kann ein Beschluss des Verwaltungsgerichtes, mit welchem dieses den verwaltungsbehördlichen Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverwiesen hat, eine Rechtsverletzung dadurch bewirken, dass das Verwaltungsgericht entweder von der Regelung des § 28 Abs. 3 VwGVG zu Unrecht Gebrauch gemacht und keine Sachentscheidung getroffen hat oder von einer für die betroffene Partei nachteiligen, jedoch für das weitere Verfahren bindenden unrichtigen Rechtsansicht ausgegangen ist (vgl. etwa VwGH 19.11.2024, Ra 2022/05/0101, mwN).
9 Die revisionswerbende Partei bekämpft die die Aufhebung tragende Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts, wonach allein der Umstand, dass die Hühnerhaltung im „Reinen Wohngebiet“ dem § 30 Abs. 1 Z 1 StROG widerspreche, für die Erlassung eines baupolizeilichen Auftrages nach § 41 Abs. 6 Stmk. BauG nicht ausreiche, sondern vielmehr zu prüfen sei, ob eine wie von den Antragstellern behauptet erhebliche Belästigung durch Lärm, Geruch und Staub tatsächlich gegeben sei und damit die Nachbarn tatsächlich in einem geltend gemachten Nachbarrecht nach § 26 Abs. 1 Stmk. BauG verletzt seien. Sie bringt dazu im Wesentlichen vor, das Verwaltungsgericht habe übersehen, dass eine Hühnerhaltung im Reinen Wohngebiet absolut unzulässig sei. Es bestehe keine Notwendigkeit und auch kein rechtlicher Raum, das Ausmaß und die konkrete Form der Rechtsverletzung zu ermitteln, da in diesem Fall feststehe, dass eine Verletzung von Rechten der antragstellenden Nachbarn betreffend den Immissionsschutz durch die Nutzung eingetreten sei. § 30 Abs. 1 Z 1 StROG wolle gerade auch aus Gründen des Nachbarschaftsschutzes derartige Nutzungen verbieten. Werde eine solche Nutzung initiiert, werde das Nachbarrecht der Antragsteller gemäß § 26 Abs. 1 Z 1 Stmk. BauG verletzt, weil sie einen Anspruch darauf haben, dass eine Nutzung widmungskonform sei, wenn die entsprechende Regelung wie hier dem Nachbarn einen Immissionsschutz verleihe. Die gegenständliche Hühnerhaltung sei widmungswidrig und ein Nachbar habe von einer solchen Nutzung herrührende Immissionen in keinster Weise hinzunehmen; davor schütze ihn sein subjektives Abwehrrecht nach § 26 Abs. 1 Z 1 Stmk. BauG. Ein Ermittlungsmangel der revisionswerbenden Partei liege somit nicht vor.
Mit diesem Vorbringen zeigt die revisionswerbende Partei eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Beschlusses auf.
10 Gemäß § 41 Abs. 6 Stmk. BauG in der hier anzuwendenden Stammfassung LGBl. Nr. 59/1995, steht den Nachbarn das Recht auf Erlassung eines baupolizeilichen Auftrages zu, wenn die Bauarbeiten, die baulichen Anlagen oder sonstigen Maßnahmen im Sinne der Abs. 1, 3 und 4 ihre Rechte (§ 26 Abs. 1) verletzen. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt hat, kommt es nach der zu dieser Bestimmung ergangenen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes dabei auf eine tatsächliche Verletzung von Nachbarrechten gemäß § 26 Abs. 1 Stmk. BauG an (vgl. etwa VwGH 8.9.2014, 2011/06/0185, mwN).
11 Nach § 26 Abs. 1 Z 1 Stmk. BauG, LGBl. Nr. 59/1995 in der Fassung LGBl. Nr. 49/2010, kann der Nachbar gegen die Erteilung der Baubewilligung Einwendungen erheben, wenn diese sich auf Bauvorschriften beziehen, die nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch dem Interesse der Nachbarn dienen (subjektiv öffentlich rechtliche Einwendungen), wobei dies unter anderem Bestimmungen über die Übereinstimmung des Vorhabens mit dem Flächenwidmungsplan und einem Bebauungsplan sind, soweit damit ein Immissionsschutz verbunden ist.
12 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gewährt die Widmung einer Liegenschaft als reines Wohngebiet einen Immissionsschutz (vgl. zur inhaltlich vergleichbaren Bestimmung des § 23 Abs. 5 lit. a StROG 1974 etwa VwGH 31.3.2016, 2013/06/0124, oder VwGH 28.11.1991, 91/06/0030, jeweils mwN); insoweit besteht somit ein Recht des Nachbarn auf Einhaltung der Widmung. Eine tatsächliche Verletzung des dem Nachbarn gemäß § 26 Abs. 1 Z 1 Stmk. BauG gewährten subjektiv öffentlichen Rechtes liegt demgemäß vor, wenn die Widmung des Baugrundstückes soweit diese ihm einen Immissionsschutz gewährt nicht eingehalten wird; diesfalls steht ihm bereits aufgrund der Widmungswidrigkeit gemäß § 41 Abs. 6 Stmk. BauG in Verbindung mit § 26 Abs. 1 Z 1 Stmk. BauG ein Anspruch auf Erlassung eines entsprechenden baupolizeilichen Auftrages zu. Feststellungen dazu, ob eine erhebliche Belästigung des Nachbarn durch Lärm, Geruch oder Staub tatsächlich gegeben ist, sind entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtes im vorliegenden Zusammenhang hingegen anders als im Fall der Geltendmachung einer Verletzung in seinem Recht auf Schutz vor unzumutbaren Immissionen (vgl. § 26 Abs. 1 Z 5 Stmk. BauG) nicht erforderlich.
13Indem das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Entscheidung nach § 28 Abs. 3 VwGVG der revisionswerbenden Partei eine unrichtige Rechtsansicht überbunden hat, hat es seine Entscheidung mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet (vgl. wiederum VwGH 19.11.2024, Ra 2022/05/0101, mwN).
Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 25. Juni 2025
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