Rückverweise
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. in Sporrer und den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision des K in R, vertreten durch Mag. Markus Kobler, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Imbergstraße 26, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark vom 3. November 2020, LVwG 30.9 2819/2019-12, betreffend Übertretung der StVO (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Liezen), zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang der Spruchpunkte I. und III. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Steiermark hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom 11. Oktober 2019 wurde der Revisionswerber mit Spruchpunkt 1. schuldig erkannt, er sei am 14. Mai 2019 um 21:35 Uhr an einem näher bezeichneten Ort mit einem dem Kennzeichen nach bestimmten PKW mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang gestanden und habe an der Sachverhaltsfeststellung nicht mitgewirkt, weil er es durch Verlassen der Unfallstelle unmöglich gemacht habe, seine körperliche und geistige Verfassung zum Unfallzeitpunkt festzustellen. Mit Spruchpunkt 2. dieses Straferkenntnisses wurde der Revisionswerber schuldig erkannt, mit diesem näher konkretisierten Verkehrsunfall mit Sachschaden in ursächlichem Zusammenhang gestanden zu sein und nicht ohne unnötigen Aufschub die nächste Polizeidienststelle verständigt zu haben, obwohl er und die Person, in deren Vermögen der Schaden eingetreten sei, einander Namen und Anschrift nicht nachgewiesen hätten. Der Revisionswerber habe dadurch 1. § 4 Abs. 1 lit. c StVO und 2. § 4 Abs. 5 StVO verletzt, weshalb über ihn zu Spruchpunkt 1. gemäß § 99 Abs. 2 lit. a StVO eine Geldstrafe in Höhe von € 250, (Ersatzfreiheitsstrafe 5 Tage und 2 Stunden) und zu Spruchpunkt 2. gemäß § 99 Abs. 3 lit. b StVO eine Geldstrafe in Höhe von € 200, (Ersatzfreiheitsstrafe 3 Tage und 20 Stunden) verhängt sowie ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens in Höhe von € 45, festgesetzt wurden.
2 Die gegen dieses Straferkenntnis erhobene Beschwerde wies das Landesverwaltungsgericht Steiermark (LVwG) mit dem vorliegenden Erkenntnis hinsichtlich Spruchpunkt 1. des Straferkenntnisses als unbegründet ab (Spruchpunkt I.); hinsichtlich Spruchpunkt 2. des Straferkenntnisses gab das LVwG der Beschwerde Folge, behob das angefochtene Straferkenntnis in diesem Umfang und stellte das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 VStG iVm. § 38 VwGVG ein (Spruchpunkt II.). Zu Spruchpunkt 1. verpflichtete das LVwG den Revisionswerber zur Zahlung eines Beitrages zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens in Höhe von € 50, (Spruchpunkt III.). Weiters sprach das LVwG zu Spruchpunkt 1. aus, eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof sei nach Art. 133 Abs. 4 B VG unzulässig; zu Spruchpunkt 2. sei eine Revision wegen Verletzung in Rechten gemäß § 25a Abs. 4 VwGG nicht zulässig.
3 Das LVwG stellte fest, dass der Revisionswerber am Tatort zur Tatzeit mit seinem BMW aus ungeklärter Ursache von der Straße abgekommen und mit der in der angrenzenden Wiese stehenden Scheune des R kollidiert sei. Durch diese Kollision sei der PKW des Revisionswerbers erheblich beschädigt worden, sodass er fahrunfähig gewesen sei. Am Stadl des R seien Beschädigungen in Form von Holzabsplitterungen erfolgt; mehrere Dachziegel seien heruntergefallen, wozu es eine Lichtbilddokumentation gebe. Der Revisionswerber sei von der BMW Notrufzentrale kontaktiert worden; er habe über die Sprechanlage telefoniert und mitgeteilt, dass er keine Hilfe benötige, weil er nicht verletzt sei. Ohne die Polizei zu verständigen habe er seine Mutter angerufen, die seinen Onkel kontaktiert habe, der den verunfallten PKW mit dem Traktor abgeholt habe. Sein Vater habe ihn zu seiner Wohnadresse gebracht. Die BMW Notrufzentrale habe in der Folge die Bezirksleitstelle Liezen verständigt und diese die zuständige Polizeiinspektion. Bei Eintreffen der Beamten an der Unfallstelle sei der PKW bereits abgeschleppt und der Revisionswerber nicht mehr vor Ort gewesen. Aufgrund der erheblichen Unfallspuren sei eine Fahndung nach dem Lenker herausgegeben worden, der Revisionswerber sei jedoch unauffindbar geblieben. Der Revisionswerber und der Geschädigte seien miteinander bekannt. Der Revisionswerber habe den Geschädigten in der Nacht nicht mehr telefonisch erreicht, ihm jedoch eine Nachricht bezüglich des Unfalles geschrieben. Die Scheune des R sei vom Revisionswerber und einer zweiten Person wieder in den alten Zustand versetzt worden.
4 Das LVwG erläuterte seine Beweiswürdigung und führte rechtlich aus, der Revisionswerber habe die Unfallstelle verlassen und sei „während der gesamten Nachtstunden nicht erreichbar oder auffindbar“ gewesen, sodass er ein Mitwirken an der Sachverhaltsfeststellung des von ihm verursachten Unfalles, bei dem ein wenn auch nicht erheblicher Sachschaden entstanden sei, vereitelt habe. Zur Klärung der körperlichen Verfassung des Revisionswerbers hätten die ermittelnden Beamten versucht, den Aufenthaltsort des Revisionswerbers zu eruieren. § 4 Abs. 1 lit. c StVO beinhalte auch die Verpflichtung, das Eintreffen der Organe der öffentlichen Sicherheit abzuwarten, um Feststellungen zur Person des beteiligten Fahrzeuglenkers, insbesondere seines geistigen und körperlichen Zustandes zum Zeitpunkt des Lenkens, treffen zu können. Der Revisionswerber habe daher die Übertretung zu Spruchpunkt 1. des angefochtenen Straferkenntnisses zu verantworten. Weiters erläuterte das LVwG, dass der erforderliche Nachweis gemäß § 4 Abs. 5 StVO „als erbracht angesehen“ werden könne und „nachweislich“ auch nie die Absicht bestanden habe, durch Unterlassen eines Identitätsnachweises eine Schadensabwicklung zu verhindern. Es habe daher im Hinblick auf die zweite angelastete Übertretung keine Tatbestandsmäßigkeit bestanden. Zuletzt erläuterte das LVwG seine Strafbemessung zu Spruchpunkt 1. des Straferkenntnisses.
5 Gegen Spruchpunkt I. dieses Erkenntnisses richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision mit dem Antrag, das angefochtene Erkenntnis in diesem Umfang wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften unter Kostenzuspruch aufzuheben.
6 Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.
7 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
8 Die Revision erweist sich mit ihrem Vorbringen, das LVwG sei hinsichtlich seines Spruchpunktes I. von näher bezeichneter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Mitwirkungspflicht bei Verkehrsunfällen gemäß § 4 Abs. 1 lit. c StVO abgewichen, als zulässig und begründet.
9 Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung betont, kann die in § 4 Abs. 1 lit. c StVO normierte Verpflichtung sinnvoll nur dann bestehen, wenn es überhaupt zu einer amtlichen Aufnahme des Tatbestandes kommt oder zu kommen hat (vgl. VwGH 30.1.2019, Ra 2018/02/0311, mwN).
10 Dies trifft immer dann zu, wenn es sich um einen Unfall handelt, bezüglich dessen eine Verständigungspflicht im Sinn des § 4 Abs. 2 StVO besteht; darüber hinaus aber auch, wenn ein am Unfall Beteiligter das Einschreiten eines Organs des öffentlichen Sicherheitsdienstes verlangt oder wenn ein am Unfallort etwa zufällig anwesendes Sicherheitsorgan aus eigenem Antrieb eine Tatbestandsaufnahme vornimmt oder deren Vornahme veranlasst. Liegt aber unbestritten ein Verkehrsunfall vor, bei dem niemand verletzt wurde und Sachschaden nur am Kraftfahrzeug des Beschuldigten selbst eingetreten ist, besteht keine Mitwirkungspflicht im Sinn des § 4 Abs. 1 lit. c StVO (vgl. VwGH 20.4.2001, 99/02/0176, mwN).
11 Zu einer amtlichen Aufnahme des Tatbestandes hat es auch dann zu kommen, wenn ein Identitätsnachweis nicht erfolgte und eine Verständigungspflicht nach § 4 Abs. 5 StVO gegeben ist (vgl. VwGH 29.10.2019, Ra 2019/02/0062, mwN; vgl. hiezu auch VwGH 15.5.1990, 89/02/0164, wonach die nach einem Verkehrsunfall mit Sachschaden, bei dem kein Identitätsnachweis erfolgte, bestehende Verständigungspflicht nach § 4 Abs. 5 StVO die Mitwirkungspflicht nach § 4 Abs. 1 lit. c StVO nach sich zieht).
12 Das LVwG stellte im vorliegenden Fall fest, dass infolge eines Verkehrsunfalles ein Sachschaden im Vermögen einer vom Revisionswerber verschiedenen Person entstanden sei, welche vom Revisionswerber zeitnah vom Verkehrsunfall und des Eintritts eines Schadens verständigt worden sei, sodass keine Tatbestandsmäßigkeit des § 4 Abs. 5 StVO vorgelegen habe. Überdies ist nicht ersichtlich, dass eine am Unfall beteiligte Person das Einschreiten eines Organes des öffentlichen Sicherheitsdienstes verlangt oder ein am Unfallort zufällig anwesendes Organ aus eigenem Antrieb eine Tatbestandsaufnahme vorgenommen hätte.
13 Da den Feststellungen des LVwG nicht entnommen werden kann, dass eine Verpflichtung zu einer amtlichen Aufnahme des Unfalles bestanden hat bzw.eine solche im oben dargestellten Sinn tatsächlich vorgenommen wurde, war auch eine Mitwirkungspflicht im Sinne des § 4 Abs. 1 lit. c StVO, die der Revisionswerber verletzt haben könnte, nicht gegeben (vgl. zum gegenteiligen Fall erneut VwGH 29.10.2019, Ra 2019/02/0062, mwN).
14 Indem das LVwG dies verkannte und den Revisionswerber wegen der Übertretung des § 4 Abs. 1 lit. c StVO bestrafte, belastete es das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, weshalb dieses im Umfang seines Spruchpunktes I. und des damit in einem untrennbaren Zusammenhang stehenden Ausspruches über den Kostenbeitrag zum Beschwerdeverfahren (Spruchpunkt III.) gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war (vgl. VwGH 1.3.2021, Ra 2020/02/0301, mwN).
15 Lediglich der Vollständigkeit halber sei angeführt, dass der Revisionswerber auch mit seinem Vorbringen, das angefochtene Erkenntnis enthalte keine Ausführungen zu seinem Verschulden an der angelasteten Verwaltungsübertretung, im Recht wäre.
16 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 29. April 2021