Rückverweise
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofräte Dr. Pfiel und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Eraslan, über die Revision des D T, vertreten durch Dr. Silvia Vinkovits, Rechtsanwältin in 1080 Wien, Friedrich Schmidtplatz 4/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 8. Juli 2020, G314 2232572 1/2E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines befristeten Einreiseverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),
1. zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird insoweit, als damit die gegen den zugrunde liegenden Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29. Mai 2020 erhobene Beschwerde auch hinsichtlich Spruchpunkt VI. dieses Bescheides (Verhängung eines befristeten Einreiseverbotes) abgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
2. den Beschluss gefasst:
Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
1 Mit Bescheid vom 29. Mai 2020 sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) aus, dass dem Revisionswerber, einem 1982 geborenen, im Februar 2020 eingereisten bosnisch herzegowinischen Staatsangehörigen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (von Amts wegen) nicht erteilt werde (Spruchpunkt I.). Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG erließ das BFA eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 1 Z 1 FPG und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Bosnien und Herzegowina zulässig sei (Spruchpunkte II. und III.). Gemäß § 55 Abs. 4 FPG räumte das BFA keine Frist für die Ausreise ein und erkannte einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA VG ab (Spruchpunkte IV. und V.). Schließlich erließ das BFA gegen den Revisionswerber gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 und 7 FPG ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VI.). Dies wurde im Wesentlichen mit dem aus dem Ausüben einer unerlaubten Beschäftigung folgenden unrechtmäßigen Aufenthalt des Revisionswerbers in Österreich, der Betretung bei dieser Beschäftigung am 11. März 2020 (§ 53 Abs. 2 Z 7 FPG) und seiner Mittellosigkeit (§ 53 Abs. 2 Z 6 FPG) begründet.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 8. Juli 2020 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass die Rückkehrentscheidung aufgrund der am 11. Juni 2020 erfolgten Ausreise des Revisionswerbers nunmehr auf § 52 Abs. 1 Z 2 FPG und das Einreiseverbot ausschließlich auf § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 7 FPG gestützt werde. Unter einem sprach das BVwG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
3 In seiner Begründung legte das BVwG das Vorbringen des Revisionswerbers in der Beschwerde den Feststellungen zugrunde und ging davon aus, der Revisionswerber sei am 15. Februar 2020 nach Österreich eingereist, um innerhalb des zulässigen visumfreien Aufenthalts von 90 Tagen eine serbische Staatsangehörige zu heiraten, in deren Wohnung er mit Wohnsitzmeldung erst ab 12. März 2020 Unterkunft genommen habe. Am 11. März 2020 sei der Revisionswerber, dem weder ein Aufenthaltstitel noch eine arbeitsmarktrechtliche Bewilligung erteilt worden sei, im Rahmen einer behördlichen Kontrolle in einer Kfz Reparaturwerkstatt bei Arbeiten an einem Fahrzeug angetroffen worden. Der Revisionswerber habe mit dem Geschäftsführer der Werkstatt zwei Probearbeitstage vereinbart, um seine Kenntnisse und Fertigkeiten im Hinblick auf eine beabsichtigte Vollzeitbeschäftigung als Kfz-Mechaniker für den Fall unter Beweis zu stellen, dass er einen entsprechenden Aufenthaltstitel und eine arbeitsmarktbehördliche Bewilligung erhalte. Vor seiner Rückkehr nach Bosnien und Herzegowina habe der Revisionswerber schließlich am 6. Juni 2020 seine nunmehrige Ehefrau standesamtlich geheiratet. Letztere wohne seit 2017 in Wien, verfüge über einen bis 7. Februar 2023 gültigen Aufenthaltstitel „Rot Weiß Rot Karte plus“ und verdiene aufgrund von Kurzarbeit im Rahmen einer unselbständigen Erwerbstätigkeit seit April 2020 rund 1.200 € netto monatlich; zuvor habe sie rund 1.400 € verdient.
4 Rechtlich nahm das BVwG an, der Revisionswerber habe ausreichende finanzielle Mittel für den Aufenthalt in Österreich nachgewiesen, weshalb der Einreiseverbotstatbestand nach § 53 Abs. 2 Z 6 FPG nicht erfüllt sei. Das Einreiseverbot sei daher ausschließlich auf § 53 Abs. 2 Z 7 FPG zu stützen, weil der Revisionswerber eine Beschäftigung ausgeübt habe, die er nach dem AuslBG nicht hätte ausüben dürfen, wobei eine vom Revisionswerber in der Beschwerde bestrittene vorsätzliche Vorgangsweise keine Voraussetzung für eine Beschäftigung entgegen den Bestimmungen des AuslBG darstelle. Demzufolge habe er auch die Bedingungen des visumfreien Aufenthaltes, der nicht zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit berechtige, nicht eingehalten. Damit habe sich der Revisionswerber bereits ab 11. März 2020 nicht mehr rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten. Zudem habe der Revisionswerber die nach der Visumpflicht Verordnung (Verordnung [EU] 2018/1806) zulässige visumfreie Aufenthaltsdauer von 90 Tagen überschritten und melderechtliche Vorschriften missachtet, weshalb aufgrund der wiederholten Verstöße gegen österreichische Rechtsvorschriften von einer „signifikanten“ Wiederholungsgefahr auszugehen sei. Das öffentliche Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Bestimmungen und der Verhinderung von „Schwarzarbeit“ überwiege somit das private und familiäre Interesse des Revisionswerbers, zumal sein Familienleben mit seiner nunmehrigen Ehefrau in einem Zeitpunkt entstanden sei, in dem sich die Eheleute des unsicheren Aufenthaltsstatus des Revisionswerbers bewusst gewesen seien.
5 Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe unterbleiben können, weil der Sachverhalt aufgrund der Aktenlage geklärt habe werden können und auch bei einem positiven Eindruck vom Revisionswerber in einer Verhandlung keine andere Entscheidung möglich wäre.
6 Über die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet erwogen:
7 Was die Rückkehrentscheidung anbelangt, hält der Revisionswerber der Beurteilung des BVwG hinsichtlich der Unrechtmäßigkeit des Aufenthaltes im Bundesgebiet nur entgegen, er habe der Ausreiseverpflichtung wegen der COVID 19 Pandemie aus faktischen Gründen nicht nachkommen können, weil mangels direkter Flug und Fernreisebusverbindungen nach Serbien eine Rückreise erst Mitte Juni 2020 möglich gewesen sei. Dabei lässt der Revisionswerber jedoch außer Acht, dass sein Aufenthalt bereits aufgrund der (unbestritten: nicht unentgeltlichen) Probebeschäftigung in der Kfz Reparaturwerkstatt nicht mehr rechtmäßig war.
8 Der im Besitz eines biometrischen Reisepasses nach Österreich eingereiste Revisionswerber war zwar als Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina für einen Aufenthalt, der 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen nicht überschreitet, von der Visumpflicht befreit (siehe Art. 4 Abs. 1 in Verbindung mit der Liste in Anhang II Punkt 1. der Visumpflichtverordnung). Nach Art. 6 Abs. 3 der genannten Verordnung können die Mitgliedstaaten jedoch für Personen, die während ihres Aufenthalts einer Erwerbstätigkeit nachgehen, Ausnahmen von der Befreiung von der Visumpflicht nach Art. 4 vorsehen. Von dieser Ermächtigung wurde in Österreich insofern Gebrauch gemacht, als die Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit durch einen Drittstaatsangehörigen nach § 3 Abs. 1 und 2 AuslBG von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen grundsätzlich die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung oder eines für diese Beschäftigung gültigen Aufenthaltstitels erfordert. Selbst die Aufnahme einer bloß vorübergehenden unselbständigen Erwerbstätigkeit iSd § 2 Abs. 4 Z 17 FPG setzt neben (hier ebenfalls nicht gegebenen arbeitsmarktrechtlichen Bedingungen) die vorherige Erteilung eines Visums voraus. Demnach bestehen gegen die Annahme des BVwG, der (zunächst rechtmäßig eingereiste und aufhältige) Revisionswerber habe iSd § 31 Abs. 1 Z 1 FPG die Bedingungen des visumfreien Aufenthalts durch Aufnahme einer unselbständigen Beschäftigung am 11. März 2020 überschritten und dadurch sei sein weiterer Aufenthalt als unrechtmäßig zu qualifizieren, keine Bedenken (vgl. in diesem Sinn schon ähnlich VwGH 13.12.2012, 2012/21/0037).
9 Angesichts dessen fehlt dem Zulässigkeitsvorbringen in der Revision, soweit damit die Unrechtmäßigkeit des Aufenthalts bestritten wird, die fallbezogene Relevanz, wobei es unschädlich ist, dass die Rückkehrentscheidung vom BFA nicht auf § 52 Abs. 4 Z 1a FPG, wonach gegen einen rechtmäßig aufhältigen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen ist, wenn nachträglich (u.a.) eine Voraussetzung gemäß § 31 Abs. 1 FPG wegfällt, die für die erlaubte visumfreie Einreise oder den rechtmäßigen Aufenthalt erforderlich ist, gestützt worden war.
10 Die Revision war daher, soweit sie sich gegen die Bestätigung der Erlassung einer Rückkehrentscheidung und die damit verbundenen, schon in der Beschwerde nicht konkret bekämpften Nebenaussprüche richtet, gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.
11 Im Hinblick auf das in der Revision wie auch schon in der Beschwerde erkennbar in erster Linie bekämpfte Einreiseverbot ist voranzustellen, dass das BVwG nicht davon ausging, dem Revisionswerber könne als Ehemann einer aufenthaltsberechtigten serbischen Staatsangehörigen ein Aufenthaltstitel nach den Bestimmungen des NAG nicht erteilt werden. Darauf wäre bei der Erstellung einer Gefährdungsprognose Bedacht zu nehmen gewesen, weil dabei nicht nur auf früheres Fehlverhalten und auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der Erlassung der Entscheidung, sondern auch auf allfällige diesbezügliche Änderungen in einer zukunftsorientierten Betrachtungsweise abzustellen ist (vgl. in diesem Sinn etwa VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0282, Rn. 16, mwN).
12 Dies hat das BVwG jedoch im vorliegenden Fall unterlassen. Der Revisionswerber hatte mit seiner Beschwerde eine Einstellungszusage für eine Vollzeitbeschäftigung in der Kfz Reparaturwerkstatt, in der er die in Rede stehende Probearbeit verrichtete, vorgelegt. Unter der hypothetischen Annahme der Erteilung des vom Revisionswerber für einen weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet angestrebten Aufenthaltstitels, der die Ausübung einer unselbständigen Tätigkeit gestattet, wäre dieser Umstand einzubeziehen gewesen. Damit würde sich aber die Problematik der Beschäftigung entgegen den Bestimmungen des AuslBG künftig nicht mehr stellen und die für die Annahme einer Gefährdung erforderliche Wiederholungsgefahr mag auch formal der Tatbestand des § 53 Abs. 2 Z 7 FPG erfüllt sein entscheidend relativieren. Dies gilt im Übrigen auch für den vom BVwG zur Begründung des Einreiseverbotes zusätzlich und erstmals herangezogenen Aspekt der Überschreitung der zulässigen Dauer des visumfreien Aufenthaltes und der (ohnehin nur geringfügigen) Missachtung melderechtlicher Vorschriften.
13 Die maßgebliche Relativierung der unterstellten Gefährdungsannahme wäre auch bei der Interessenabwägung nach § 9 BFA VG zu berücksichtigen und dem mit dem Einreiseverbot verbundenen Eingriff in das Familienleben gegenüberzustellen gewesen. Soweit das BVwG in diesem Zusammenhang das Familienleben des Revisionswerbers in seinem Gewicht als gemindert erachtete, weil es im Bewusstsein des unsicheren Aufenthaltsstatus des Revisionswerbers entstanden sei, lässt es im Übrigen außer Acht, dass der Revisionswerber nach den Feststellungen des BVwG in das Bundesgebiet eingereist war, um seine nunmehrige Ehefrau bereits im April 2020 zu heiraten, und dass die Eheschließung wegen behördlicher Maßnahmen gegen die Verbreitung von COVID 19 verschoben werden musste.
14 Damit lag in der vorliegenden Konstellation aber auch kein „eindeutiger Fall“ vor. Die Annahme des BVwG, der Sachverhalt sei im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA VG geklärt, und auch bei einem positiven persönlichen Eindruck vom Revisionswerber wäre keine Herabsetzung der Dauer des Einreiseverbotes oder dessen Entfall möglich gewesen, war daher nicht gerechtfertigt, sodass die Unterlassung der in der Beschwerde ausdrücklich beantragten Durchführung einer Beschwerdeverhandlung rechtswidrig war (vgl. zur Verhandlungspflicht bei der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen etwa VwGH 22.2.2022, Ra 2020/21/0390, Rn. 10, mwN).
15 Diese Überlegungen werden in der Revision der Sache nach zutreffend geltend gemacht, weshalb sich die Revision entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG teilweise als zulässig und insoweit auch als berechtigt erweist.
16 In Bezug auf die vom BVwG bestätigte Verhängung eines Einreiseverbotes war das angefochtene Erkenntnis daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
17 Im fortzusetzenden Verfahren wird im Übrigen darauf Bedacht zu nehmen sein, dass die mit zwei Jahren bemessene Dauer des Einreiseverbotes ausgehend von der Ausreise des Mitbeteiligten am 6. Juni 2020 nunmehr bereits zur Gänze abgelaufen wäre und sich somit auch von daher die Frage der aktuell noch gegebenen Notwendigkeit eines Einreiseverbotes gegen den Revisionswerber stellt.
18 Diese Entscheidung war gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG von einem Dreiersenat, dessen Entscheidungsbefugnis sich für die Revisionszurückweisung aus § 12 Abs. 1 Z 1 lit. a VwGG ergibt, zu treffen.
19 Der Kostenzuspruch beruht auf den §§ 47 ff VwGG, insbesondere auch auf § 50 VwGG, in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 23. Juni 2022