Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Pfiel als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Halm-Forsthuber, über die Revision der T E, zuletzt in W, vertreten durch Dr.in Julia Ecker, Rechtsanwältin in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12. August 2016, Zl. W154 2132102- 1/10E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),
I) den Beschluss gefasst:
Die Revision wird, soweit sie sich gegen Spruchpunkt A.V. des angefochtenen Erkenntnisses richtet, zurückgewiesen.
II) zu Recht erkannt:
Im Übrigen wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Die Revisionswerberin, eine Staatsangehörige Nigerias, reiste am 26. April 2015 nach Österreich ein und beantragte die Gewährung von internationalem Schutz. Ein Abgleich ihrer Fingerabdrücke ergab, dass sie bereits in Italien einen Asylantrag gestellt hatte und dort am 25. November 2014 erkennungsdienstlich behandelt worden war. Am 27. April 2015 wurde ein Wiederaufnahmeersuchen an Italien gestellt, dem dieser Staat am 6. Mai 2015 zustimmte.
Der Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 30. Juni 2015 gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 zurückgewiesen und für seine Prüfung Italien für zuständig erklärt. Gemäß § 61 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) wurde gegen die Revisionswerberin die Außerlandesbringung angeordnet und gemäß § 61 Abs. 2 FPG ihre Abschiebung nach Italien für zulässig erklärt.
Die Revisionswerberin war zwischenzeitig jedoch bereits unbekannten Aufenthalts, weshalb das BFA am 8. Juli 2015 einen Festnahmeauftrag erließ.
2 Am 28. März 2016 versuchte die Revisionswerberin, unter Verwendung einer Alias-Identität von Österreich nach Deutschland zu reisen, was ihr jedoch verweigert wurde. Sie wurde in Vollziehung des erwähnten Festnahmeauftrages angehalten und - nach Verhängung der Schubhaft - am 14. April 2016 nach Italien abgeschoben.
3 Nach ihrer unrechtmäßigen Wiedereinreise in das Bundesgebiet ordnete das BFA mit - am selben Tag in Vollzug gesetztem - Mandatsbescheid vom 20. Juli 2016 über die Revisionswerberin, die am selben Tag einen weiteren Antrag auf Gewährung von internationalen Schutz stellte, gemäß Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin III-VO und § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zur Sicherung dieses Verfahrens im Hinblick auf die Erlassung einer Anordnung zur Außerlandesbringung an. Zur Begründung verwies das BFA auf die bisherigen Reisebewegungen der Revisionswerberin zwischen Italien und Deutschland, das bereits erfolgte Untertauchen, das Fehlen nennenswerter Integrationsmerkmale wie etwa eines Wohnsitzes in Österreich sowie von Einkommen und Vermögen. Insgesamt bestehe keinerlei Grund zur Annahme, dass sich die Revisionswerberin einem Verfahren auf freiem Fuß stellen werde, zumal sie trotz rechtskräftiger Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich illegal in das Bundesgebiet eingereist sei. Mit der Anwendung gelinderer Mittel gemäß § 77 FPG könne nicht das Auslangen gefunden werden, weil sich die Revisionswerberin auch bisher nicht an die gesetzlichen Bestimmungen gehalten habe und auf Grund ihres bisherigen Verhaltens sowie der Lebenssituation ein beträchtliches Risiko des Untertauchens bestehe. Auf Grund des guten Gesundheitszustandes sei auch von Haftfähigkeit auszugehen.
4 Die Revisionswerberin wurde vom 20. Juli bis zum 12. September 2016 (Entlassung unter Anwendung gelinderer Mittel) in Schubhaft angehalten.
5 Am 9. August 2016 hatte die Revisionswerberin gegen diesen Schubhaftbescheid vom 20. Juli 2016 sowie ihre fortdauernde Anhaltung in Schubhaft Beschwerde eingebracht. Darin verwies sie darauf, dass sie - anders als bei der noch im Jahr 2015 gegebenen Sachlage - schwanger und daher als besonders vulnerable Person im Sinn des Urteiles des EGMR vom 4. November 2014, Bsw. 29.217/12 (Tarakhel) zu betrachten sei. Eine Abschiebung nach Italien käme somit höchstens nach individueller Zusicherung dieses Staates (im Sinn der ihrer Situation entsprechenden Erfordernisse einer Unterbringung) in Betracht, die allerdings weder vorliege noch zu erwarten sei. Sie sei neuerlich nach Österreich eingereist, um hier einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz zu stellen. Auf Grund eines solchen Antrages hätte sie Anspruch auf Grundversorgung. Es sei nicht zu erwarten, dass sie sich der Grundversorgung entziehen würde, zumal diese auch angemessene medizinische Versorgung umfasse, die für eine schwangere Frau (im Juli 2016 bereits im 5. Monat) besonders wesentlich sei. Für die Verhängung von Schubhaft fehle der Sicherungsbedarf, diese erscheine unverhältnismäßig und rechtswidrig. Das BFA habe sich auch nicht einmal mit der Frage befasst, ob angesichts ihrer fortgeschrittenen Schwangerschaft ein allfälliger Sicherungszweck auch durch Anwendung eines gelinderen Mittels erreichbar gewesen wäre. Überdies wäre ihr rechtzeitig und amtswegig ein Rechtsberater beizugeben gewesen.
6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 12. August 2016 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) diese Beschwerde gemäß Art. 28 Dublin III-VO iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG als unbegründet ab (Spruchpunkt A.I.). Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm Art. 28 Abs. 2 Dublin III-VO und § 76 Abs. 2 Z 2 FPG stellte es weiter fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen (Spruchpunkt A.II.). Außerdem verhielt das BVwG die Revisionswerberin gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG zum Aufwandersatz (Spruchpunkt A.III.) und wies ihren Antrag auf Kostenersatz nach der genannten Gesetzesstelle ab (Spruchpunkt A.IV.). Den Antrag, der Revisionswerberin unentgeltlich einen Verfahrenshelfer beizugeben, wies es gemäß § 40 Abs. 5 VwGVG als unzulässig zurück (Spruchpunkt A.V.). Schließlich erklärte das BVwG die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für zulässig (Spruchpunkt B.).
7 Begründend stellte das BVwG (nach Wiedergabe der in Rz 1 bis 3 beschriebenen unstrittigen Tatsachen) fest, die Revisionswerberin habe am 20. Juli 2016 in Österreich einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz gestellt, über den bislang nicht entschieden worden sei. Das neuerliche Konsultationsverfahren mit Italien sei bereits im Gange, es ende am 24. August 2016. Das Ende des zu sichernden Verfahrens verbunden mit der Außerlandesbringung der Revisionswerberin werde vom BFA mit Ende August 2016 prognostiziert. Für die Überstellung nach Italien liege noch kein konkreter Termin vor. Die rechtzeitige Außerlandesbringung innerhalb der "gesetzlichen" Überstellungsfrist erscheine "möglich und auch wahrscheinlich".
Die Revisionswerberin sei "im 5. Monat schwanger". Im gesamten Verfahren fänden sich keine Hinweise auf gesundheitliche Beschwerden; die Revisionswerberin sei haftfähig.
8 Unter Berücksichtigung der wiederholten illegalen Einreise nach Österreich, des Untertauchens nach Stellung des ersten Asylantrages, des Versuchs, unter falschem Namen nach Deutschland weiterzureisen, sowie des Fehlens einer Unterkunft, familiärer Bindungen, hinreichender finanzieller Mittel zur Sicherung des Lebensunterhaltes und einer legalen Erwerbstätigkeit sei zu erwarten, dass die Revisionswerberin eine Entlassung dazu benützen würde, um wieder unterzutauchen und den Aufenthalt im Verborgenen fortzusetzen bzw. sich der Abschiebung zu entziehen. Es liege daher erhebliche Fluchtgefahr vor. Da das Erfordernis, die Effektivität der Abschiebung zu sichern, auf der Hand liege, bedürfe die Nichtanwendung gelinderer Mittel keiner weitergehenden Begründung. Insgesamt sei das Vorliegen der für die Anordnung und Fortsetzung der Schubhaft erforderlichen Voraussetzungen zu bejahen.
Von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung habe Abstand genommen werden können, weil "der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint".
Da die Revisionswerberin einen Bevollmächtigten mit ihrer rechtsfreundlichen Vertretung im Verfahren, einschließlich dem Rechtsmittelverfahren, betraut habe und dieser auch eingeschritten sei, sei ein Verfahrenshelfer "iSd § 40 Abs. 5 VwGVG" nicht beizugeben gewesen.
Zum Ausspruch nach § 25a Abs. 1 VwGG führte das BVwG - im Gegensatz zum Spruch seines Erkenntnisses - aus, dass keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen gewesen seien, sodass die Revision nicht zuzulassen sei.
9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (nach dessen klarem Spruch: zugelassene und somit ordentliche) Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage (Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet) in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
10 Die Revisionswerberin hat in ihrer Beschwerde an das BVwG (wie schon in der der Schubhaftverhängung vorangehenden Einvernahme) ihre Schwangerschaft (nach ihrem Vorbringen im August 2016 - also im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses - entgegen dessen Feststellungen im 6. Monat) thematisiert. Der Schubhaftbescheid vom 20. Juli 2016 ging darauf nicht näher ein. Auch das BVwG hat dazu keine ausreichenden Feststellungen getroffen und weder die aktuelle (gesundheitliche) Situation der Revisionswerberin geprüft noch sich mit den Fragen der Wahrscheinlichkeit eines Untertauchens trotz fortgeschrittener Schwangerschaft bzw. der Notwendigkeit und Möglichkeit einer Individualzusage nach den Grundsätzen des zitierten Urteils des EGMR vom 4. November 2014 befasst.
11 Diesen Unterlassungen kann Relevanz für den Ausgang des Verfahrens zukommen. Etwa kann die Schwangerschaft, selbst wenn daraus keine Haftunfähigkeit resultiert, im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zur Unzulässigkeit von Schubhaft führen (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom 19. April 2012, 2011/21/0123, und vom 3. September 2015, Ro 2015/21/0012, mwN).
Ebenso könnte eine Wohnmöglichkeit (etwa im Rahmen der Grundversorgung) eine andere Beurteilung nahelegen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Oktober 2016, Ra 2016/21/0243).
12 Die die Zulässigkeit der Schubhaft feststellenden Spruchpunkte A.I. und A.II. des angefochtenen Erkenntnisses sowie die darauf aufbauenden Kostenentscheidungen (Spruchpunkte A.III. und A.IV.) waren somit schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
13 In der Revision weiters thematisierte Fragen der Verfahrenshilfe (Spruchpunkt A.V. des angefochtenen Erkenntnisses) wurden dagegen bereits mit hg. Erkenntnis vom 23. Februar 2017, Ra 2016/21/0152, Rz 15 bis 26, dahingehend beantwortet, dass auf Basis des FrÄG 2015 ein ausreichender Komplementärmechanismus existiert.
Die Revision war insoweit (betreffend Spruchpunkt A.V. des angefochtenen Erkenntnisses) daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
14 Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1, 3 und 5 VwGG abgesehen werden.
15 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere § 50 VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 29. Juni 2017
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