Stattgabe der Anfechtung der Wahl des Gemeinderats der Marktgemeinde Kematen an der Ybbs mangels Glaubhaftmachung der Identität der jeweiligen Antragsteller bei 19 Wahlkartenanträgen; Möglichkeit der Beeinflussung des Wahlergebnisses durch eine geänderte Zuordnung der 19 Stimmen
I. Der Anfechtung wird stattgegeben. Das Verfahren zur Wahl des Gemeinderates der Marktgemeinde Kematen an der Ybbs vom 26. Jänner 2025 wird insoweit aufgehoben, als es der Veröffentlichung der Wahlvorschläge nachfolgt.
II. Kosten werden nicht zugesprochen.
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Anfechtung und Vorverfahren
1. Am 26. Jänner 2025 fanden die durch Verordnung der Niederösterreichischen Landesregierung vom 5. März 2024, LGBl 23/2024, ausgeschriebenen Gemeinderatswahlen für alle Gemeinden Niederösterreichs mit Ausnahme der Marktgemeinde Pernersdorf, der Marktgemeinde Vösendorf und der Städte mit eigenem Statut statt, darunter auch die Wahl des Gemeinderates der Marktgemeinde Kematen an der Ybbs.
2. In der Marktgemeinde Kematen an der Ybbs lagen dieser Wahl Wahlvorschläge der Wählergruppen "Team BGM Juliana Günther (ÖVP)" sowie "SPÖ Team Matthias Fischböck (SPÖ)" zugrunde.
3. Laut Kundmachung der Gemeindewahlbehörde der Marktgemeinde Kematen an der Ybbs vom 26. Jänner 2025 wurden von den 1.519 abgegebenen Stimmen 45 als ungültig gewertet. Von den 1.474 als gültig gewerteten Stimmen entfielen
823 Stimmen auf die Wählergruppe "Team BGM Juliana Günther (ÖVP)" und
651 Stimmen auf die Wählergruppe "SPÖ Team Matthias Fischböck (SPÖ)".
4. Die Gemeinderatsmandate wurden auf der Grundlage dieses Ergebnisses wie folgt zugewiesen:
"Team BGM Juliana Günther (ÖVP)": 12 Mandate
"SPÖ Team Matthias Fischböck (SPÖ)": 9 Mandate
5. Mit Beschwerde der anfechtungswerbenden Partei an die Landes-Hauptwahlbehörde wurde beantragt, das Wahlverfahren der Gemeinderatswahl der Marktgemeinde Kematen an der Ybbs vom 26. Jänner 2025 insoweit aufzuheben und für "nicht" (gemeint wohl: "nichtig") zu erklären, als es der Veröffentlichung der Wahlvorschläge nachfolgt. Die Landes-Hauptwahlbehörde gab dieser Beschwerde mit Bescheid vom 10. März 2025, dem zustellungsbevollmächtigten Vertreter der anfechtungswerbenden Partei am 13. März 2025 zugestellt, nicht statt.
6. Mit ihrer am 7. April 2025 eingebrachten, auf Art141 B VG gestützten Anfechtung begehrt die anfechtungswerbende Partei die Nichtigerklärung und Aufhebung des "gesamte[n] Wahlverfahren[s] der Gemeinderatswahl der Marktgemeinde Kematen an der Ybbs vom 26.01.2025 zur Gänze". In eventu wird ua beantragt, der Verfassungsgerichtshof möge "das Wahlverfahren der Gemeinderatswahl der Marktgemeinde Kematen an der Ybbs vom 26.01.2025 insofern, als es der Veröffentlichung der Wahlvorschläge nachfolgt aufheben und für nichtig erklären". Darüber hinaus wird Kostenersatz begehrt.
Die anfechtungswerbende Partei führt dazu begründend (auszugsweise) Folgendes aus:
"2. Zu den einzelnen Verstößen
Vorbemerkung
Die strengen Formvorschriften zur Ausstellung von Wahlkarten sollen vor der Stimmabgabe durch unberechtigte Personen schützen und die persönliche Vornahme des Wahlaktes gewährleisten. Sie sollen Missbräuche und Manipulationen der Wahl und des Ergebnisses verhindern. Gerade bei der Wahl mit Wahlkarten sind strengste Anforderungen an die Einhaltung der gesetzlichen Regeln zu stellen, da die Wahlkartenwahl – im Gegensatz zur persönlichen Stimmabgabe vor der Wahlkommission – zwangsläufig mit einer größeren Gefahr des Missbrauchs und der Manipulation verbunden ist. Missbrauch und Manipulation können hier bei der Ausstellung der Wahlkarte, bei der Stimmabgabe mittels Wahlkarte oder der Rückleitung der ausgefüllten Wahlkarte an die Gemeindewahlbehörde geschehen.
Das Wahlrecht ist neben den Menschenrechten ein kerndemokratisches Recht und ein Grundpfeiler der Demokratie. Es verdient daher besonderen Schutz. Nicht rechtskonform durchgeführte Wahlen erschüttern letztendlich das gesamte demokratische System. Gerade im äußerst sensiblen Bereich von Wahlkartenausstellungen sind daher höchste Ansprüche an die Gesetzeskonformität der Abläufe zu stellen. Andernfalls läuft man Gefahr, dass Wahlkartenstimmen zu 'Stimmen zweiter Klasse' werden und die amtliche Wahlkartenausgabe, so wie es hier der Fall war, in die Hände politischer Wahlwerber fällt.
2.1. Aktives Anbieten von Wahlkarten
Gemäß §38 Abs1 NÖ GRWO haben Wahlberechtigte, die sich voraussichtlich am Wahltag innerhalb des Gemeindegebietes in einem anderen Wahlsprengel als dem ihrer Eintragung in das Wählerverzeichnis aufhalten werden und deshalb ihr Wahlrecht dort nicht ausüben können, Anspruch auf Ausstellung einer Wahlkarte.
Ferner haben gemäß §38 Abs3 NÖ GRWO auch jene Wahlberechtigte Anspruch auf Ausstellung einer Wahlkarte (Briefwahlkarte), die am Wahltag voraussichtlich verhindert sein werden, ihre Stimme vor der zuständigen Wahlbehörde abzugeben, etwa wegen Ortsabwesenheit, aus gesundheitlichen Gründen oder wegen Aufenthalts im Ausland und die ihr Wahlrecht im Wege der Briefwahl ausüben wollen.
Gemäß §39 Abs1 NÖ GRWO ist die Ausstellung der Wahlkarte bei der Gemeinde bis spätestens am vierten Tag vor dem Wahltag schriftlich oder spätestens am zweiten Tag vor dem Wahltag, bis 12.00 Uhr, mündlich zu beantragen. Eine telefonische Beantragung ist nicht zulässig. Ebenfalls bis zum letztgenannten Zeitpunkt kann ein schriftlicher Antrag gestellt werden, wenn eine persönliche Übergabe der Wahlkarte an eine vom Antragsteller bevollmächtigte Person möglich ist. Der mündliche Antrag ist persönlich bei der Gemeinde zu stellen; die Identität ist durch ein Dokument glaubhaft zu machen, sofern der Antragsteller nicht amtsbekannt ist. Beim schriftlichen Antrag ist die Identität entweder
- durch Angabe der Passnummer oder
- falls eine Wahlinformation gemäß §28 Abs3 eine Buchstaben/Ziffernkombination enthält, durch Anführung derselben oder
- durch Anschluss einer Kopie des Reisepasses oder der Kopie einer Urkunde bzw amtlichen Bescheinigung gemäß §41 Abs3 oder
- im Fall einer elektronischen Einbringung auch durch eine qualifizierte elektronische Signatur glaubhaft zu machen. Die Gemeinde ist ermächtigt, die Passnummer im Weg einer Passbehörde und Lichtbildausweise oder andere Urkunden im Weg der für die Ausstellung dieser Dokumente zuständigen Behörde zu überprüfen.
Sofern die technischen Voraussetzungen gegeben sind, ist die Gemeinde auch ermächtigt, die Passnummer selbständig anhand der zentralen Evidenz gemäß §22b Passgesetz 1992, BGBl Nr 839/1992 in der Fassung BGBl I Nr 169/2020, zu überprüfen.
Das aktive Anbieten von Wahlkarten widerspricht dem Wortlaut des §39 Abs1 NÖ GRWO sowie dem Grundsatz der freien und gleichen Wahl. Nach §39 Abs1 NÖ GRWO ist die Ausstellung der Wahlkarte mündlichen – vor der Gemeinde – oder schriftlich zu beantragen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes – vor dem Hintergrund der aus dem demokratischen Grundprinzip der Bundesverfassung abzuleitenden notwendigen Eindeutigkeit wahlrechtlicher Regelungen (VfSlg 17.141/2004, 19.847/2014) – sind Formalvorschriften der Wahlordnungen strikt nach ihrem Wortlaut auszulegen, soll nicht der Willkür Tür und Tor geöffnet werden. Die Wahlbehörden sind durch die Formalvorschriften der Wahlordnungen streng gebunden (zB VfSlg 1904/1950, 6750/1972, 8848/1980, 15.375/1998, 17.141/2004, 19.734/2013, 19.847/2014, 20.019/2015).
Die Formulierung 'beantragen' bedeutet laut Duden, die Gewährung bzw die Durchführung von etwas verlangen […]. Tatsächlich hat Frau [C] bzw nach ihren eigenen Angaben auch die Bürgermeistern selbst den Wahlberechtigten ein Angebot unterbreitet, – ohne Angabe von Gründen – eine Wahlkarte auszustellen. Die Wahlberechtigten mussten die Ausstellung der Wahlkarte daher nicht wie vom Gesetz vorgesehen beantragen, sondern mussten sie einem solchen – vom Hilfsorgan der Gemeinde und Mitglied einer Wahlpartei bzw von der Bürgermeisterin selbst – unterbreiteten Angebot lediglich noch zustimmen. Dies ist ein Verstoß gegen §39 Abs1 NÖ GRWO, welcher gemäß ständiger Judikatur strikt nach dessen Wortlaut auszulegen ist.
Die ÖVP hat durch ihr Vorgehen, das Wahlgesetz ausgehebelt. An die Stelle der amtlichen Wahlkartenausgabe trat eine beliebige Verteilung von Wahlkarten durch die – gemeindebedienstete – ÖVP-Wahlwerberin.
Gerade durch das aktive Anbieten der Wahlkarten der Gemeindebediensteten und Wahlwerberin wurde jedoch der Willkür Tür und Tor geöffnet. Eine Wahlpartei kann so gezielt ihre Wählerschaft mobilisieren. Insbesondere aufgrund des regelmäßigen Kontaktes durch Essen auf Rädern ist es für Frau [C] einfach gewesen, diesen 'Service' jenen Wähler:innen anzubieten, die als ÖVP Nahe wahrgenommen wurden oder die dem Drängen zur Stimmabgabe nicht standhalten konnten. Dadurch würde ÖVP Wählern der Abstimmungsprozess im Vergleich zu anderen Parteien deutlich erleichtert, was eine höhere Wahlbeteiligung von ÖVP-Wählern zur Folge hat und so auf das Wahlergebnis von Einfluss gewesen sein konnte.
Die Landes-Hauptwahlbehörde ist auf diese bereits in der Beschwerde vorgebrachten Rechtswidrigkeit in ihrem Bescheid nicht eingegangen. Sie begründete Ihre Entscheidung – wie weiter unten ausgeführt wird – damit, dass auf die weiteren in diesem Zusammenhang vorgebrachten Rechtsverstöße nicht weiter eingegangen zu werden braucht, da diese bereits in den rechtswidrigen 15 Wahlkartenanträgen berücksichtigt sind und damit nicht ein weiteres Mal gewichtet werden können.
Da dem Anfechtungswerber mangels Akteneinsicht eine konkrete Benennung von Fehlern in der Entscheidung der Landes-Hauptwahlbehörde nicht möglich ist, können etwaige Mängel lediglich auf Basis des vorliegenden Bescheids gerügt werden, ohne Kenntnis des zugrunde liegenden Ermittlungsverfahrens zu haben. Es erscheint jedoch nicht plausibel und ist in der Entscheidung der Landes-Hauptwahlbehörde auch nicht ausreichend begründet, dass lediglich 15 Wahlkarten aktiv angeboten worden sein sollen. Jedenfalls fehlen in Bezug auf diesen wesentlichen Beschwerdepunkt jegliche Sachverhaltsfeststellungen.
Die Landes-Hauptwahlbehörde hält lediglich in ihren Erwägungen fest, dass §39 NÖ GRWO 1994 es nicht verbiete, Wahlkarten durch Gemeindeorgane anzubieten, im Sinne eines Hinweises auf die mögliche Antragstellung. Angesichts dieser Erwägung ist es doch überraschend, dass keine Feststellungen zur konkreten Antragstellung erfolgt sind. Insbesondere, da beide von der BH Amstetten vernommenen Zeuginnen angegeben haben, dass ihnen die Wahlkarten aktiv angeboten wurden und dies gerade nicht im Sinne eines Hinweises auf die mögliche Antragstellung. Vielmehr mussten diese Personen lediglich zustimmen, mittels Wahlkarte wählen zu wollen und wurde bereits darauf die Wahlkarten überbracht.
2.2. Keine Verhinderungsgründe geltend gemacht
Nach §38 NO GRWO müsste jedenfalls ein entsprechender Verhinderungsgrund geltend gemacht werden, um überhaupt Anspruch auf eine Wahlkarte zu haben. Keine der Wahlberechtigten, welchen von Frau [C] aktiv eine Wahlkarte angeboten wurde, hat jedoch einen solchen gesetzlichen Verhinderungsgrund für die Ausstellung einer Wahlkarte geltend gemacht. Vielmehr teilten alle Wähler:innen – mit welchen der Anfechtungswerber gesprochen hatte – übereinstimmend mit, die Möglichkeit der Wahl per Wahlkarte sei deshalb wahrgenommen worden, weil ihnen diese Möglichkeit aktiv angeboten wurde und sie dies als praktisch erachtet hätten.
Die von Frau [C] im Zuge Ihrer Tätigkeit von Essen auf Rädern bzw von der Bürgermeisterin im Zuge ihrer Hausbesuche aktiv angebotenen Wahlkarten widerspricht daher der NÖ GRWO, welche besagt, dass lediglich dann ein Anspruch auf Ausstellung einer Wahlkarte besteht, wenn ein gesetzlicher Verhinderungsgrund vorliegt, weshalb am Wahltag nicht persönlich gewählt werden kann.
2.3. Antragstellung entsprechen nicht §39 der NÖ GRWO
Gemäß §39 Abs1 NÖ GRWO 1994 sind Wahlkarten bis spätestens am vierten Tag vor dem Wahltag schriftlich oder spätestens am zweiten Tag vor dem Wahltag, bis 12:00 Uhr, mündlich zu beantragen. Der mündliche Antrag ist persönlich bei der Gemeinde zu stellen; die Identität ist durch ein Dokument glaubhaft zu machen, sofern der Antragsteller nicht amtsbekannt ist.
§39 Abs1 NÖ GRWO 1994 ist derart auszulegen, dass ein mündlicher Antrag auf Ausstellung einer Wahlkarte beim zur Entscheidung über diesen Antrag zuständigen Gemeindeamt gestellt werden muss (vgl VfGH vom 15.12.2010; WI 5/10). Ein mündlicher Antrag im Zuge von Hausbesuchen einer für eine Wahlpartei kandidierenden Gemeindebediensteten oder der Bürgermeisterin genügt diesen Anforderungen nicht und ist ein klarer Verstoß gegen die Wahlvorschrift.
Weiters haben derartige mündliche Anträge, welche ausschließlich persönlich bei der Gemeinde zu stellen sind, entsprechend dokumentiert zu werden, um ihn auf seine Zulässigkeit überprüfen zu können. Auch derartige Dokumentationen dieser mündlichen Anträge fehlen bzw konnten dem Anfechtungswerber von der Gemeinde auf Anfrage nicht vorgelegt werden.
Nachdem zahlreiche Zeugen versichert haben, keine schriftlichen Anträge zur Ausstellung einer Wahlkarte gestellt zu haben, war es für den Anfechtungswerber durchaus überraschend, dass die Landes-Hauptwahlbehörde festgestellt hat, dass sämtliche Wahlkartenanträge vorhanden sind und lediglich bei 19 der Anträge die Identitätsnachweise gefehlt hätten. Insbesondere seien sämtliche Wahlkarten der 11 an der 4. Straße lebenden Personen vorhanden.
Die Zeuginnen [A] und [B], welche auf Ersuchen der Landes-Hauptwahlbehörde von der BH Amstetten als Zeuginnen vernommen wurden, haben ausgesagt, dass von ihnen kein schriftlicher Antrag gestellt wurde. Zudem haben die beiden Zeugen auch angegeben, dass die ihnen vorgehaltenen schriftlichen Anträge nicht von ihnen unterzeichnet wurden.
Auch hierzu sind die Feststellungen im Bescheid der Landes-Hauptwahlbehörde mangelhaft geblieben. Es wurde lediglich darauf verwiesen, dass sich die Wahlkartenanträge der beiden Zeuginnen bei den 15 Wahlkartenanträgen finden, auf welchen die Identitätsnachweise fehlten. Feststellungen zu den Angaben der Zeuginnen, dass die Unterschriften auf den Anträgen nicht von ihnen stammen, fehlen hingegen gänzlich.
Den Umstand, dass sämtlich Wahlkartenanträge vorhanden sind, obgleich zahlreiche Wahlkartenwähler bestätigt haben, dass von ihnen ein derartiger Antrag nicht gestellt wurde, kann sich der Anfechtungswerber lediglich damit erklären, dass die Anträge nicht von den Wahlberechtigten selbst ausgefüllt wurden. Dies würde sich auch mit den Aussagen der Zeuginnen decken, welche vor der BH Amstetten ausgesagt haben, dass die Unterschriften nicht von ihnen stammen. Angesichts einer derartigen Kenntnis, wäre die Landes-Hauptwahlbehörde jedenfalls verpflichtet gewesen, auch sämtliche anderen Wahlkartenanträge auf deren Richtigkeit zu überprüfen und insbesondere jene der Personen aus der 4. Straße, bei welchen es konkrete Verdachtsmomente gab, dass diese Anträge nicht rechtmäßig gestellt wurden. Allein der Verweis darauf, dass bei den Anträgen dieser Personen der Identitätsnachweis in Form der Personalausweisnummer vorhanden sei, genügt nicht.
2.4. Über Anträge hat nicht die Bürgermeisterin entschieden
Bereits in der Beschwerde wurde ausgeführt, dass nicht davon auszugehen ist, dass tatsächlich die dafür zuständige Bürgermeisterin als Vertreterin der Gemeinde über sämtliche Wahlanträge entschieden hat. Da Frau [C] von sich aus die Wahlkarten aktiv angeboten hat, ist vielmehr davon auszugehen, dass Frau [C] eigenständig darüber entschieden hat.
2.5. Verstoß gegen §39 Abs4 NÖ GRWO
Gemäß §39 Abs4 NÖ GRWO gilt für die Ausfolgung oder Übermittlung beantragter Wahlkarten unteranderem folgendes:
1. Anläßlich der persönlichen Übernahme der Wahlkarte hat der Antragsteller eine Übernahmebestätigung zu unterschreiben. Ist er hiezu nicht in der Lage, ist hierüber ein Aktenvermerk aufzunehmen.
3. Sonstigen schriftlich legitimierten Personen dürfen neben der allenfalls eigenen Wahlkarte je Wahl nicht mehr als zwei Wahlkarten gegen Übernahmebestätigung ausgefolgt werden.
6. Ungeachtet der Bestimmung in Z4 können Wahlunterlagen an den Antragsteller auch durch Boten nachweislich zugestellt werden.
8. Als Boten jener Gemeinde, welche die Wahlkarte im Sinne der Z6 und 7 ausstellt, können nur Gemeindebedienstete derselben Gemeinde, nicht jedoch Organe der Gemeinde (Mitglieder des Gemeinderates oder des Gemeindevorstandes oder der Bürgermeister), agieren. Die sofortige Mitnahme einer durch einen Boten überbrachten und zur Stimmabgabe mittels Briefwahl verwendeten Wahlkarte durch diesen ist unzulässig.
Der oben beschriebene Zustell- und Wahlablauf entspricht aus mehreren Gründen nicht der Wahlordnung und ist als klarer Verstoß derselben anzusehen.
Die Übernahme der Wahlkarten ist durch Übernahmebestätigungen zu belegen. Ob diese Bestätigungen vorliegen kann mangels Akteneinsicht nicht angegeben werden, Feststellungen hierzu fehlen.
In der Beschwerde wurde zudem bereits bemängelt, dass für den Anfechtungswerber nicht nachvollziehbar ist, in welcher Funktion Frau [C] tätig wurde. Sofern sie die Wahlkarten iSd §39 Abs4 Z3 NÖ GRWO als schriftlich legitimierte Person zugestellt hat, hätten nicht mehr als zwei Wahlkarten gegen Übernahmebestätigung ausgefolgt werden dürfen. Weiters ist unter legitimierte Person lediglich eine solche zu verstehen, welche eine Vollmacht entsprechend nachweisen kann. Dies bedeutet, Frau [C] hätte die entsprechenden schriftlichen Vollmachten vorlegen müssen, welche jedoch nicht existieren.
Sollte Frau [C] die Zustellungen hingegen als Bote iSd §39 Abs4 Z6 NÖ GRWO durchgeführt haben, wäre es gemäß §39 Abs4 Z8 NÖ GRWO ausdrücklich untersagt gewesen, die Wahlkarten sofort wieder mitzunehmen.
In jedem Fall wurde gegen §39 Abs4 NÖ GRWO verstoßen.
2.6. Unzureichende Dokumentation
Weiters wurde nicht dokumentiert, wie viele der Wahlkarten persönlich am Gemeindeamt abgeholt wurden, wie viele per Post übermittelt wurden und wie viele von Frau [C] oder anderen Gemeindebediensteten bzw Wahlwerbern – in welcher Funktion auch immer – überbracht wurden.
Obgleich dieser Mangel im Wahlverfahren bereits mit Beschwerde gegenüber der Landes-Hauptwahlbehörde geltend gemacht wurde, enthält der Bescheid keinerlei Feststellungen, ob die Dokumentation nachvollziehbar und vollständig gemacht wurde.
Lediglich in den Erwägungen des Bescheids der Landes-Hauptwahlbehörde wird angemerkt, dass §39 Abs4 Z8 NÖ GRWO nur Organen der Gemeinde die Überbringung von Wahlkarten – als Bote – verbietet, nicht jedoch Wahlwerbern. Daraus schließt der Anfechtungswerber, dass Frau [C] wohl als Botin iSd §39 Abs4 Z6 tätig wurde. In diesem Fall verkennt die Landes-Hauptwahlbehörde jedoch, dass der Anfechtungswerber nicht bemängelt hat, dass die Wahlkarten generell von Frau [C] überbracht wurden, sondern, dass diese die Wahlkarten überbracht und unmittelbar wieder mitgenommen hat. Dies wäre auch dann ausdrücklich untersagt, wenn man das rechtswidrige Vorgehen zwischen der Übergabe und der Mitnahme der Wahlkarten unberücksichtigt lassen würde.
Dies haben die Zeuginnen [A] und [B] sowohl in ihren eidesstaatlichen Erklärungen bestätigt und – soweit dies dem Anfechtungswerber mangels Akteneinsicht bekannt ist – auch vor der BH Amstetten ausgesagt. Weshalb der Bescheid der Landes-Hauptwahlbehörde auf diesen Vorwurf nicht eingeht, erschließt sich dem Anfechtungswerber jedoch nicht.
Generell fehlt im Bescheid der Landes-Hauptwahlbehörde, inwieweit dem Wahlakt die nachvollziehbare Dokumentation, insbesondere im Zusammenhang mit dem Wählvorgang der Wahlkartenwähler, zu entnehmen ist. Mangels Akteneinsicht hat der Anfechtungswerber keine Möglichkeit, die Nachvollziehbarkeit dieser notwendigen und vorgeschriebenen Dokumentation zu überprüfen, da ihm keine Akteneinsicht gewährt wurde.
2.7. Identitätsfeststellung fehlt
In der Beschwerde wurde weiters bemängelt, dass angesichts der fehlenden schriftlichen Wahlkartenanträge auch die Identitätsfeststellung fehlen. Bei mündlichen Anträgen hätte die durchgeführte Identitätsfeststellung dokumentiert werden müssen. Die Landes-Hauptwahlbehörde ist auf diesen Punkt zwar eingegangen, jedoch lediglich unzureichend.
2.8. Verstoß gegen das geheime und freie Wahlrecht bzw gegen §39 Abs5 NÖ GRWO 1994
Gemäß Art117 Abs2 B VG finden Wahlen zum Gemeinderat auf Grund des gleichen, unmittelbaren, geheimen und persönlichen Verhältniswahlrechts aller Staatsbürger statt. Allgemein legt Abs2 für die Wahl des Gemeinderats die Prinzipien fest, die auch für die Wahl des Nationalrats (Art26 B VG) gelten.
Zwar wurde die Briefwahl mit der Einführung des Art26 Abs6 B VG verfassungsrechtlich abgesichert, dennoch bleiben die vom Verfassungsgerichtshof entwickelten Grundsätze zum verfassungsrechtlich garantierten Prinzip der freien und geheimen Wahl – insbesondere im Zusammenhang mit der Briefwahl – weiterhin uneingeschränkt zu beachten.
Geheim in der Bedeutung des Art26 Abs1 B VG ist ein Wahlrecht nur dann, wenn der Wähler seine Stimme derart abzugeben vermag, dass niemand, weder die Behörde noch sonst jemand, erkennen kann, wen er gewählt hat. Der VfGH nahm bereits in seinem Erk. VfSlg 3843/1960 den Standpunkt ein, von einer ‚freien‘ und ‚geheimen‘ Wahl könne nur gesprochen werden, wenn der Wähler die unbedingte Sicherheit empfinde, dass eine Feststellung (Beobachtung), welche Partei er wähle (oder ob er einen leeren Stimmzettel abgebe), unmöglich sei. Nur der unbeobachtete Wähler vermöge sein Wahlrecht frei und ohne Hemmung auszuüben. Des weiteren führte der VfGH in seinem Erk. VfSlg 10.217/1984 aus, das Prinzip des geheimen Wahlrechtes müsse dem Wähler Gewissheit geben, dass Dritten unbekannt bleibe, wie gewählt worden sei. Die geheime Wahl soll den Wähler also nicht bloß vor unerwünschter Einflussnahme auf seine Willensbildung im Zug des Wahlvorgangs bewahren, sie soll ihm auch die Sorge und Furcht nehmen, dass er wegen seiner Stimmabgabe in bestimmter Richtung Vorwürfen und Nachteilen welcher Art immer ausgesetzt sei. Nur ein derartiges, schon in beiden zitierten Erk. des VfGH zum Ausdruck kommendes Verständnis des im B VG geprägten Begriffs der ‚geheimen‘ Wahl wird dem überlieferten Sinn und Zweck dieses fundamentalen Wahlprinzips gerecht. Nämlich der wirksamen Sicherung der Unabhängigkeit und Freiheit der in der Wahl gelegenen politischen Meinungsäußerung des Bundesvolks (Holzinger/Holzinger in Korinek/Holoubek/Bezemek/Fuchs/Martin/Zellenberg (Hrsg), österreichisches Bundesverfassungsrecht (13. Lfg 2017) zu Artikel 26 B VG Rz 52).
Frei iSd Art26 Abs1 B VG ist ein Wahlrecht zum einen dann, wenn die reale Möglichkeit besteht, zwischen echten Alternativen entscheiden zu können und zum anderen ergibt sich daraus das Gebot, das Wahlverfahren so zu organisieren, dass der Wähler seinen wahren Willen unerforscht äußern und seine Entscheidung ohne Zwang und ohne unzulässige Beeinflussung, sei es von staatlicher oder von dritter Seite, insbesondere seitens der Parteien, treffen kann (Holzinger/Holzinger in Korinek/Holoubek/Bezemek/Fuchs/Martin/Zellenberg (Hrsg), Österreichisches Bundesverfassungsrecht (13. Lfg 2017) zu Artikel 26 B VG Rz 65).
Bereits in der Beschwerde wurde vorgebracht, dass Frau [C], welche auch persönlich bei der Wahlpartei Liste Bürgermeister Juliana Günther ÖVP zur Wahl gestanden ist, bei mehreren Wahlvorgängen anwesend war und damit – zumindest indirekt – Druck auf die Wähler:innen ausgeübt wurde. Damit wurden Verstöße gegen die verfassungsrechtlich gesicherten Rechte der freien und geheimen Wahl verletzt.
Durch persönliche Gespräche mit betroffenen Wähler:innen hat sich dieser Vorwurf noch erhärtet, weshalb ein ergänzendes Vorbringen an die Landes-Hauptwahlbehörde eingebracht wurde. Demnach war Frau [C] bei – zumindest einigen Wähler:innen – nicht nur dabei, sondern hat diese mit Nachdruck aufgefordert, die Stimme – für die Bürgermeisterin Juliane Günther und sie selbst als Vorzugsstimme – abzugeben. Dies ist sogar soweit gegangen, dass ein/e Wähler:in, der/die anonym bleiben will, ausdrücklich gesagt hat, er/sie möchte die SPÖ wählen schlussendlich jedoch dem Druck der anwesenden Wahlwerberin nachgegeben und die ÖVP gewählt hat.
Das war ein eklatanter Verstoß gegen den Wahlgrundsatz der freien und geheimen Wahl. Gerade aufgrund eines solchen Verstoßes gegen derart wichtige Wahlgrundsätze war der Anfechtungswerber völlig überrascht, dass die Landes-Hauptwahlbehörde zu diesen Vorwürfen, welche von den Zeuginnen bestätigt wurde keinerlei Feststellungen getroffen hat. Auch in der Begründung fehlt jegliches Eingehen auf die Vorwürfe, woraus der Anfechtungswerber schließt, dass die Landes-Hauptwahlbehörde derartige Verstöße gegen Wahlgrundsätze mit einem Verweis dass sämtliche weiteren Rechtsverstöße bereits in den rechtswidrigen 15 Wahlkartenanträgen enthalten sind, unkommentiert hinnimmt.
In §39 Abs5 NÖ GRWO ist zudem ausdrücklich normiert, dass das Wahlrecht persönlich, unbeobachtet und unbeeinflusst ausgeübt werden muss. Das genannte Vorgehen ist ein klarer Verstoß gegen diese gesetzliche Bestimmung, die Missbrauch und Manipulation vermeiden möchte.
Das geschilderte Verhalten dürfte – wie verschiedene Rückmeldungen vermuten lassen – nicht als bloße Ausnahmeerscheinung zu qualifizieren sein. Auch wenn dies für die gegenständliche Wahlanfechtung keine unmittelbare Relevanz hat, hält der Anfechtungswerber fest, dass selbst ein ehemaliger Gemeinderatsmandatar der ÖVP, der mit den betroffenen Personen zusammengearbeitet hat, im Rahmen einer öffentlichen Facebook-Diskussion zu den bekannt gewordenen Vorwürfen sinngemäß äußerte, er halte ein derartiges Verhalten durch die Genannten für durchaus vorstellbar. Sollte nunmehr auch der Verfassungsgerichtshof die Rechtsansicht der Landes-Hauptwahlbehörde teilen und die aufgezeigten Unregelmäßigkeiten als unerheblich einstufen oder unkommentiert lassen, würde dies aus Sicht des Anfechtungswerbers ein fatales Signal darstellen und den betreffenden Personen de facto einen 'Freibrief' für vergleichbares Verhalten bei künftigen Wahlen erteilen.
[…]
Demokratischen Wahlen liegt die Überlegung zugrunde, dass die politische Macht der obersten Funktionsträger des Staates begrenzt werden soll. Auch in einer stabilen Demokratie sichert die genaue Einhaltung der Wahlvorschriften das Vertrauen der Bürger in die Gesetzmäßigkeit der Wahlen und damit in eines der Fundamente des Staates (vgl VfGH vom 01.07.2016 zu WI6/2016).
Nun setzt eine geheime Wahl voraus, dass niemand, weder die Behörde noch sonst jemand, erkennen kann, wen der Wähler gewählt hat (VfGH 16. März 1985 G18/85): Das Prinzip des geheimen Wahlrechts muss dem Wähler Gewissheit geben, dass Dritten unbekannt bleibt, wie gewählt wurde (VfSlg 10217/1984).
Bei der hier vorgesehenen und eingehaltenen Prozedur war die Geheimhaltung der Wahlentscheidung aller Abstimmenden nicht gewährleistet. Jedem Wahlberechtigten, der an 'geheimen' Wahlen teilnimmt, muss jedwede Angst vor möglichen Repressalien unbedingt erspart bleiben, soll dem Sinn und Zweck des fundamentalen Prinzips des geheimen Wahlrechts uneingeschränkt entsprochen werden. Die Landes-Hauptwahlbehörde negiert diesen Grundsatz und die Bedeutung des Wahlgeheimnisses vollkommen und geht in ihrem Bescheid mit keinem Wort darauf ein.
2.9. Allgemeines
Wie bereits mehrfach ausgeführt, war es dem Anfechtungswerber mangels gewährter Akteneinsicht nicht möglich, vollständige Kenntnis über Art und Umfang der von der Landes-Hauptwahlbehörde durchgeführten Ermittlungen zu erlangen. Aufgrund zahlreicher Zeugenaussagen ist dem Anfechtungswerber jedoch bekannt, dass von mehreren Wahlberechtigten keinerlei Wahlkartenanträge unterfertigt wurden. Da der Bescheid der Landes-Hauptwahlbehörde zu entnehmen ist, dass sich entsprechende Anträge dennoch im Wahlakt befinden, kann daraus nur der Schluss gezogen werden, dass sich dort Unterschriften finden, welche nicht von den jeweiligen Wähler:innen stammen.
Vor diesem Hintergrund wird der Antrag gestellt, die Echtheit der Unterschriften auf den Wahlkartenanträgen jener Wahlberechtigten, die an der 4. Straße sowie der 1. Straße 28a. (jeweils betreubares Wohnen) wohnhaft sind – insbesondere auch jener der Zeuginnen [A] und [B] – durch Einholung eines graphologischen Sachverständigengutachtens überprüfen zu lassen.
Die graphologische Überprüfung der Unterschriften auf den Wahlkartenanträgen der oben genannten Wahlberechtigten durch einen Sachverständigen hätte bereits im Rahmen des Ermittlungsverfahrens der Landes-Hauptwahlbehörde erfolgen müssen. Die Aussagen der Zeuginnen [A] und [B] begründen nämlich den konkreten Verdacht, dass Wahlkartenanträge ohne Wissen und Willen der betroffenen Personen ausgefüllt und unterzeichnet worden sein könnten.
Angesichts dieser Verdachtsmomente wäre es geboten gewesen, dem Vorbringen des Anfechtungswerbers – wonach insbesondere von den Bewohner:innen der 4. Straße keine Wahlkartenanträge gestellt wurden – näher nachzugehen, anstatt sich auf eine bloße formale Akteneinsicht in die vorhandenen Anträge zu beschränken. Eine inhaltliche Überprüfung im Sinne einer Echtheitsprüfung der Unterschriften wurde jedoch unterlassen.
Wäre im Rahmen eines derartigen Prüfschritts eine unrechtmäßige Ausstellung von Wahlkarten festgestellt worden, hätte dies – auch nach der eigenen Rechtsauffassung der Landes-Hauptwahlbehörde– die Aufhebung der Wahl rechtfertigen müssen. Da in diesem Fall mehr als 19 Wahlkarten potenziell betroffen gewesen wären, hätte dies Einfluss auf das Wahlergebnis haben können. Diese Zweifel hätten durch ein graphologisches Sachverständigengutachten ausgeräumt werden können.
Mittlerweile wurden zudem von weiteren Zeug:innen vergleichbare Vorgänge auch für die 28a. Straße (betreubares Wohnen) berichtet, weshalb sich der Verdacht einer systematischen Vorgangsweise weiter erhärtet.
Die Abläufe im Zusammenhang mit den Wahlkarten haben möglicherweise auch eine strafrechtliche Relevanz. Kriminalpolizeiliche Ermittlungen wurden von Seite der Landes-Hauptwahlbehörde nicht eingeleitet, da sie ein Vorgehen gemäß §78 StPO nicht für notwendig erachtet hatte.
Durch die Verweigerung der Einsicht in den Wahlakt, war der Anfechtungswerber daran gehindert, weitere Gesetzwidrigkeiten im Zusammenhang mit der Wahl nachzuweisen.
3. Mangelhafte Entscheidung der Landes-Hauptwahlbehörde
3.1. Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltsfeststellung
Der Anfechtungswerber hat bereits in seiner Beschwerde an die Landesverwaltungsbehörde die hier bemängelten Verstöße aufgezeigt.
Einzig auf den Beschwerdepunkt der mangelnden Identitätsfeststellung ist die Landes-Hauptwahlbehörde eingegangen und hat in diesem Zusammenhang auch Verstöße festgestellt.
Es wurden jedoch keinerlei Feststellung hinsichtlich des eingangs vorgebrachten Sachverhaltes insbesondere im Zusammenhang mit dem rechtswidrigen Vorgehen von Frau [C] getroffen.
Mangels entsprechender Sachverhaltsfeststellungen wäre es der Landes-Hauptwahlbehörde von vornherein nicht möglich gewesen, etwaige Verstöße – etwa gegen §39 Abs4 Z8 NÖ GWO – rechtlich zutreffend zu beurteilen. Die pauschale Begründung, wonach mit den festgestellten Mängeln bei der Identitätsfeststellung auf den Wahlkartenanträgen sämtliche vorgebrachten Rechtsverletzungen abgegolten seien, entbehrt jeglicher nachvollziehbaren Grundlage. Eine Auseinandersetzung mit den konkret behaupteten Verstößen, insbesondere in Bezug auf das aktive Anbieten und unzulässige Ausfüllen der Wahlkartenanträge durch Dritte, ist im angefochtenen Bescheid nicht ansatzweise ersichtlich.
3.2. Sekundäre Feststellungsmängel
Die Landes-Hauptwahlbehörde geht irrigerweise von der unrichtigen Rechtsmeinung aus, eine Rechtswidrigkeit im Wahlverfahren müsse zwingend von Einfluss auf das Wahlergebnis sein können, um einer Wahlanfechtung stattgeben zu können.
Die Landes-Hauptwahlbehörde ist daher zu der Entscheidung gelangt, dass aufgrund von 15 nicht den Bestimmungen der NÖ GRWO entsprechenden Wahlkartenanträgen eine zu geringe Anzahl von Rechtswidrigkeiten gegeben war, um eine Mandatsverschiebung zu erreichen, weshalb der Beschwerde nicht stattgegeben wurde.
Der Verfassungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung Fallgruppen von Rechtswidrigkeiten identifiziert, bei denen die Mandatsrelevanz nicht im Vordergrund steht. Dies betrifft insbesondere jene Fälle, in denen Bestimmungen der Wahlordnung verletzt wurden, die dem Schutz vor Manipulationen und Missbrauch dienen. In solchen Konstellationen ist das Kriterium der Einflussnahme auf das Wahlergebnis bereits dann erfüllt, wenn die Rechtswidrigkeit abstrakt geeignet ist, das Wahlergebnis zu verfälschen – ein konkreter Nachweis einer tatsächlich erfolgten Manipulation ist nicht erforderlich (vgl VfSlg 15.375/1998; VfGH 1.12.2010, W I-3/10-11; VfGH 15.12.2010, W I-5/10; Urban in Eberhard/Fuchs/Kneihs/Vašek [Hrsg], VfGG [2019] §70, Rz 8).
Wie in Punkt IV. ausgeführt wird, sind insbesondere die Vorschriften im Zusammenhang mit der Stimmenabgabe mittels Wahlkarten solche Vorschriften, welche Manipulation und Missbrauch verhindern sollen. Das Erfordernis der Erheblichkeit wird in diesen Fällen jedenfalls als gegeben anerkannt.
Die Landes-Hauptwahlbehörde ist aufgrund einer rechtlich unzutreffenden Beurteilung fälschlicherweise davon ausgegangen, dass die behauptete Rechtswidrigkeit im Zusammenhang mit 15 Wahlkarten nicht ausreiche, um der Wahlanfechtung stattzugeben. Infolge dieser Fehleinschätzung hat sie es unterlassen, entscheidungsrelevante Feststellungen zu sämtlichen vom Anfechtungswerber vorgebrachten Rechtsverstößen – mit Ausnahme der fehlenden Identitätsnachweise auf den Wahlkartenanträgen – zu treffen.
3.3. Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften
1. Unbegründete Verweigerung der Akteneinsicht:
Dem Anfechtungswerber wurde die von ihm beantragte Akteneinsicht verweigert, es war ihm daher nicht möglich, auf im Akt befindliche Neuerungen zu reagieren. Insbesondere kann der Anfechtungswerber weder zu der Stellungnahme der Bürgermeisterin, noch zu den Aussagen der Zeuginnen Stellung nehmen.
Hätte der Anfechtungswerber die Möglichkeit gehabt, auf die sich aus dem Akt ergebenden Neuerungen zu reagieren, hätten ein Beweisantrag dahingehend gestellt werden können, dass die Personen aus der 4. Straße als Zeuge vernommen werden bzw ein grafologisches Gutachten eingeholt werden möge.
2. Nichtaufnahme notwendiger Beweise:
Der Anfechtungswerber hat vorgebracht, dass Bewohner der 4. Straße keine Wahlkartenanträge unterzeichnet haben. Die Landes-Hauptwahlbehörde hat jedoch feststellt, dass sämtliche Wahlkartenanträge der 11 Personen der 4. Straße vorhanden sind und ist zu unterstellen, dass diese auch unterschrieben sind, anderenfalls die Landes-Hauptwahlbehörde ohnedies zu einem anderen Ergebnis hätte kommen müssen. Da sich aus den Zeugenaussagen der Zeuginnen [A] und [B] jedoch bereits ergibt, dass Wahlkartenanträge offenbar nicht von den jeweiligen Wähler:innen unterschrieben wurden, hätte die Landes-Hauptwahlbehörde jedenfalls Beweise in Form von Zeugenaussagen bzw eines grafologischen Gutachtens einholen müssen.
Wären die entsprechenden Beweise aufgenommen worden, die aufgrund des berechtigten Verdachts auf Rechtswidrigkeiten im Zusammenhang mit der Wahlkartenausstellung der Personen der 4. Straße dringend geboten gewesen wäre, wäre die Landes-Hauptwahlbehörde zu dem Ergebnis gekommen, dass deutlich mehr als die festgestellten 15 Wahlkarten von Rechtswidrigkeiten betroffen waren. Der Beschwerde wäre in diesem Fall stattgegeben worden.
3. Nichtüberprüfung von relevanten Einwendungen:
Der Anfechtungswerber hat in seiner Beschwerde diverse Einwendungen im Zusammenhang mit der Wahl am 26.01.2025 im Kematen an der Ybbs aufgezeigt. Die Landes-Hauptwahlbehörde ist auf diese Einwendungen jedoch inhaltlich nicht eingegangen, sondern führte in ihren Erwägungen lediglich aus, dass auf die übrigen vorgebrachten Rechtsverstöße nicht eingegangen zu werden brauche, da diese bereits in den festgestellten 15 Rechtswidrigkeiten im Zusammenhang mit den fehlenden Identitätsfeststellungen berücksichtigt.
Wäre die Landes-Hauptwahlbehörde sämtlichen Einwendungen nachgegangen, wäre sie zu dem Ergebnis gelangt, dass ausreichend Rechtswidrigkeiten vorgelegen sind, um der Beschwerde stattzugeben.
V. Einfluss der Rechtswidrigkeit auf das Wahlergebnis
Die Landes-Hauptwalbehörde hat bei 19 Wahlkartenanträgen das Fehlen der Identitätsfeststellung festgestellt. Lediglich bei 15 davon hat sie jedoch einen rechtswidrigen Vorgang daraus abgeleitet.
Nicht berücksichtigt wurden die Wahlkartenanträge, die rechtswidrigerweise aktiv angeboten und ohne Angabe von Gründen ausgestellt bzw welche – nach der Kenntnis des Anfechtungswerbers – nicht von den Wähler:innen selbst unterschrieben wurden. Auch wurde nicht berücksichtigt, dass die Wahlkarten von einer Botin überbracht und anschließend sofort wieder mitgenommen wurden. Wäre die Landes-Hauptwahlbehörde ihrer Verpflichtung zur amtswegigen Aufklärung des Sachverhalts nachgekommen, hätte sie deutlich über die bereits festgestellten 15 Wahlkarten als rechtswidrig ausgestellt erachtet. Es sind daher deutlich über 19 Wahlkarten rechtswidrig ausgestellt worden, was auch eine Mandatsverschiebung zur Folge gehabt haben könnte.
Zudem wird auf obige Ausführungen verwiesen, nach welchen der VfGH in diversen Entscheidungen Gruppen von Rechtswidrigkeiten benannt hat, bei denen die Mandatsauswirkung keine vorrangige Rolle spielt. Dies ist unter anderem dann der Fall, wenn Vorschriften der Wahlordnung verletzt wurden, die Manipulation und Missbräuche ausschließen sollen. In diesen Fällen ist dem Erfordernis des Einflusses der Rechtswidrigkeiten auf das Wahlergebnis jedenfalls entsprochen, ohne dass es des Nachweises einer konkreten – das Wahlergebnis tatsächlich verändernden – Manipulation bedürfte.
Wie sich in den letzten Jahren – insbesondere aufgrund mehrere VfGH-Urteile – gezeigt hat, ist das Wählen mittels Wahlkarten besonders missbrauchs- und manipulationsanfällig. In diesem Zusammenhang hat der VfGH mehrfach entschieden, dass die Bestimmungen hinsichtlich der Ausgabe von Briefwahlkarten ausgesprochen streng zu handhaben sind (vgl insbesondere VfSlg 19.246/2010, 19.278/2010; VfGH 23.11.2015, WI3/2015; 23.11.2015, WI4/2015). Die Vorschriften sind daher zweifellos solche Vorschrift der Wahlordnung, die die Möglichkeit von Manipulationen und Missbräuchen im Wahlverfahren ausschließen wollen.
Die strengen Formalvorschriften zur Ausstellung einer Wahlkarte einerseits und die genaue Regelung des Wahlvorganges mittels Wahlkarte stellen einen Kompromiss zwischen zwei Interessenslagen dar.
Einerseits soll die Ausübung des Wahlrechtes für am Wahltag verhinderte Personen ermöglicht werden, andererseits kollidiert diese mit der Pflicht seitens der staatlichen Institutionen, dafür Sorge zu tragen, dass das verfassungsrechtlich garantierte Prinzip der geheimen und freien Wahl nicht verletzt wird. Die geheime Stimmabgabe, ohne Furcht vor negativen Konsequenzen stellt ein fundamentales Prinzip der demokratischen Strukturen dar.
Darüber hinaus sollen die strengen Formvorschriften zum Erhalt einer Wahlkarte auch vor der Stimmabgabe von unberechtigten Personen schützen und die persönliche Vornahme des Wahlaktes gewährleisten.
Diese strengen Formvorschriften wollen somit jeden einzelnen Wahlberechtigten vor Leichtfertigkeit bei der Stimmabgabe schützen und die Verhinderung von Missbräuchen und Manipulationen der Wahl und dessen Ergebnis[ses] bewirken. Somit ist - entgegen der Ansicht der Landes-Hauptwahlbehörde- der Nachweis nicht erforderlich, dass das Wahlergebnis im Konkreten beeinflusst wurde bzw werden hätte können.
In zahlreichen Fällen hat der Verfassungsgerichtshof bis in jüngste Zeit Wahlen wegen des Vorliegens derartiger Rechtswidrigkeiten aufgehoben, ohne dass es darauf ankam, dass ein Missbrauch nachgewiesen wurde oder auch nur wahrscheinlich war; schon gar nicht musste die festgestellte Gesetzwidrigkeit zu einer tatsächlichen Verfälschung des Wahlergebnisses in einem Ausmaß führen, das auf das Ergebnis der Wahl von Einfluss war (vgl etwa […]).
In vorliegendem Fall ist es aber sogar zu Missbräuchen im Zusammenhang mit Wahlkarten gekommen und wurde dies von der Landes-Hauptwahlbehörde – in dem einem von ihr geprüften Punkt – auch festgestellt. Wie oben bereits ausgeführt, wurden jedoch auch diverse andere Vorschriften der Wahlordnung nicht eingehalten, welche die Möglichkeit von Manipulationen und Missbräuchen im Wahlverfahren ausschließen wollen. In diesem Fall ist – wie ausgeführt – der Einflusses der Rechtswidrigkeiten auf das Wahlergebnis jedenfalls zu bejahen."
Darüber hinaus bringt die Anfechtungswerberin vor, es sei ihr verwehrt gewesen, Einsicht in den Akt des Verfahrens vor der Landes-Hauptwahlbehörde zu nehmen. Ein derartiger Ausschluss der Akteneinsicht widerspreche jedoch dem in Art6 EMRK verankerten Recht auf ein faires Verfahren, insbesondere dem daraus abgeleiteten Grundsatz der Waffengleichheit. Dieser Grundsatz umfasse unter anderem das Recht auf Akteneinsicht, um der Partei eine effektive Wahrnehmung ihrer Verfahrensrechte zu ermöglichen. Es werde daher angeregt, die einschlägigen Bestimmungen der NÖ GRWO 1994, welche ein verpflichtendes verwaltungsbehördliches Vorverfahren vorsehen würden, ohne gleichzeitig die Möglichkeit zur Akteneinsicht zu eröffnen, als verfassungswidrig aufzuheben.
7. Die Landes-Hauptwahlbehörde legte den Wahlakt vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie beantragt, der Anfechtung keine Folge zu geben. Begründend verweist die Landes-Hauptwahlbehörde auf die Ausführungen in ihrem Bescheid vom 10. März 2025 und führt insbesondere Folgendes aus:
"3.1. Ad. IV.2.1. 'Aktives Anbieten von Wahlkarten'
Die Anfechtungswerberin führt aus, dass Wahlkarten im Ergebnis 'antragslos' ausgestellt worden seien und nannte hier zwei Wählerinnen als Zeuginnen. Wie in den Feststellungen des Bescheides der Landes-Hauptwahlbehörde ausgeführt wurde, waren von diesen zwei Wählerinnen Wahlkartenanträge vorhanden. Eine 'antragslose' Ausstellung der Wahlkarten hatte sich somit nicht erhärtet. Dies ergab sich aus den im Wahlakt befindlichen Anträgen sowie der Einvernahme durch die BH Amstetten, in denen die Unterschrift auf den jeweiligen Wahlkartenanträgen durch die Zeuginnen bestätigt wurde. Daher konnten, nach Ansicht der Landes-Hauptwahlbehörde, weitere Ermittlungsschritte mangels Substantiierung des Vorbringens, im Sinne der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (siehe zB VfSlg 10226 oder VfSlg 13090) unterbleiben. Die Ausführungen in der Anfechtungsschrift zu 15 'antragslos' ausgestellten Wahlkarten sind nicht nachvollziehbar, da die Feststellungen ausdrücklich das Vorliegen von 15 Wahlkartenanträgen festhalten, somit eine 'antragslose' Ausstellung denkunmöglich ist.
3.2. Ad. IV.2.2. 'Keine Verhinderungsgründe geltend gemacht'
Diesem Vorbringen mangelt es, nach Ansicht der Landes-Hauptwahlbehörde, an der in Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes gebotenen Substantiierung des Vorbringens (siehe zB VfSlg 10226; VfSlg 13090; VfGH 14.11.2022, WI9/2022), da hier lediglich Mutmaßungen aufgestellt werden. So ist beispielsweise auf den Wahlkartenanträgen der beiden von der Anfechtungswerberin genannten Zeuginnen ein Verhinderungsgrund eingetragen.
3.3. Ad. IV.2.3. 'Antragstellung entsprechen nicht §39 der NÖ GRWO'
Die Feststellungen haben ergeben, dass die von der Anfechtungswerberin genannten Zeuginnen Anträge auf Ausstellung einer Wahlkarte gestellt haben. Dies ergab sich aus den im Wahlakt befindlichen Anträgen sowie der Einvernahme durch die BH Amstetten, in denen die Unterschrift auf den jeweiligen Wahlkartenanträge durch die Zeuginnen bestätigt wurde. Ebenso ergaben die Feststellungen, dass die Wahlkartenanträge der 11 Personen, welche in der 4. Straße in 3331 Kematen an der Ybbs Wahlkarten beantragt hatten, vorgelegen sind. Zweifel bezüglich der Echtheit der Unterschriften sind diesbezüglich nicht aufgetreten und fällt daher, nach Ansicht der Landes-Hauptwahlbehörde, das Vorbringen der Anfechtungswerberin unter die Aufstellung von Mutmaßungen und daher mangelnde Substantiierung des Vorbringens (siehe zB VfSlg 10226; VfSlg 13090; VfGH 14.11.2022, WI9/2022).
3.4. Ad. IV.2.4. 'Über Anträge hat nicht die Bürgermeisterin entschieden'
§39 Abs5 NÖ GRWO 1994 legt fest, dass Wahlkarten, die mittels automationsunterstützter Datenverarbeitung ausgestellt werden, anstelle der eigenhändigen Unterschrift entweder mit dem Namen des Bürgermeisters oder eines von ihm beauftragten Ausstellers (§39 Abs5 lita NÖ GRWO 1994) oder mit einer Amtssignatur (§39 Abs5 litb NÖ GRWO 1994) versehen werden können. Die Wahlkarten weisen jedenfalls eine Amtssignatur auf, womit die Voraussetzungen des §39 Abs5 litb NÖ GRWO 1994 erfüllt sind. Dieses Vorbringen stellt damit lediglich eine Behauptung dar, die, nach Ansicht der Landes-Hauptwahlbehörde, die in der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes gebotene Substantiierung nicht erfüllt (siehe zB VfSlg 10226; VfSlg 13090; VfGH 14.11.2022, WI9/2022).
3.5. Ad. IV.2.5. 'Verstoß gegen §39 Abs4 NÖ GRWO'
Bezüglich der Zustellung und Mitnahme der Wahlkarten liegen widerstreitende Zeugenaussagen der Gemeindebediensteten sowie der von der Anfechtungswerberin genannten Zeuginnen vor. Da die Wahlkartenanträge der von der Anfechtungswerberin genannten Zeuginnen, wie schon in der Bescheidbegründung dargelegt, bereits aufgrund der mangelnden Glaubhaftmachung der Identität gemäß §39 Abs1 NÖ GRWO mit Rechtswidrigkeit behaftet waren, konnte, nach Ansicht der Landes-Hauptwahlbehörde, eine weiterführende Beurteilung der Glaubwürdigkeit unterbleiben.
3.6. Ad. IV.2.6. 'Unzureichende Dokumentation'
Eine spezifische Form der Dokumentation der Wahlkarten ist in der NÖ GRWO 1994 nicht vorgesehen. Die Marktgemeinde Kematen an der Ybbs wählte die Form der Dokumentation mit der in den Feststellungen genannten Auflistung aller Wahlkarten. Hinsichtlich des Vorbringens bzgl. der sofortigen Mitnahme von Wahlkarten darf auf die vorstehenden Ausführungen zu 3.5 verwiesen werden.
3.7. Ad. IV.2.7. 'Identitätsfeststellung fehlt'
In Bezug auf mündliche Wahlkartenanträge führt §39 Abs1 NÖ GRWO 1994 ausdrücklich folgendes aus: 'Der mündliche Antrag ist persönlich bei der Gemeinde zu stellen; die Identität ist durch ein Dokument glaubhaft zu machen, sofern der Antragsteller nicht amtsbekannt ist.' Wie unter 3.6. ausgeführt, schreibt die NÖ GRWO 1994 eine spezifische Form der Dokumentation nicht vor. Die Feststellungen, aufgrund der Aussage des Gemeindebediensteten vor der BH Amstetten, haben ergeben, dass diese Anträge mündlich gestellt worden waren. Nach dessen Aussage waren diese Personen auch amtsbekannt. Nach Ansicht der Landes-Hauptwahlbehörde liegt daher kein Rechtsverstoß vor.
3.8. Ad. IV.2.8. 'Verstoß gegen das geheime und freie Wahlrecht bzw gegen §39 Abs5 NO GRWO 1994'
Bezüglich der Wahlhandlung mittels der Wahlkarten liegen widerstreitende Zeugenaussagen der Gemeindebediensteten sowie der von der Anfechtungswerberin genannten Zeuginnen vor. Da die Wahlkartenanträge der von der Anfechtungswerberin genannten Zeuginnen, wie sich aus den Feststellungen ergibt, bereits aufgrund der mangelnden Glaubhaftmachung der Identität gemäß §39 Abs1 NÖ GRWO mit Rechtswidrigkeit behaftet waren, konnte, nach Ansicht der Landes-Hauptwahlbehörde, eine weiterführende Beurteilung der Glaubwürdigkeit unterbleiben.
3.9. Ad. IV.2.9. 'Allgemeines'
Dieses Vorbringen stellt lediglich eine Behauptung dar, die, nach Ansicht der Landes-Hauptwahlbehörde, die in der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes gebotene Substantiierung nicht erfüllt (siehe zB VfSlg 10226; VfSlg 13090; VfGH 14.11.2022, WI9/2022), insbesondere in Hinblick darauf, dass seitens der von der Anfechtungswerberin genannten Zeuginnen in ihren jeweiligen Einvernahmen bestätigt wurde, die Wahlkarten unterschrieben zu haben sowie im Hinblick darauf, dass für die, laut Wählerverzeichnis der 1. Straße 28a in 3331 Kematen an der Ybbs, ausgestellten 5 Wahlkarten die jeweiligen Anträge im Wahlakt vorhanden sind.
3.10. Ad. IV.3.1. 'Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltsversstellung'
Hierzu darf seitens der Landes-Hauptwahlbehörde auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden.
3.11. Ad. IV.3.2. 'Sekundäre Feststellungsmängel'
In der von der Anfechtungswerberin zitierten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes führte dieser wiederholt aus, dass die Möglichkeit bestanden hatte, dass diese Rechtswidrigkeit von Einfluss auf das Wahlergebnis hätte sein können (VfSlg 15375; VfSlg 19246; VfSlg 19278). Wird der Wahlkartenantrag einer Person bereits als rechtswidrig beurteilt, womit eine Ausstellung unterbleiben hätte müssen (siehe zu einem solchen Fall VfSlg 19278), dann kann die allfällige rechtswidrige Stimmabgabe mit dieser Wahlkarte nicht ein weiteres Mal gewichtet werden, da die Stimme dieser Person auch nur einmal abgegeben wurde und gemäß §17 Abs3 NÖ GRWO 1994 jeder Person auch nur eine Stimme zukommt. Aus diesem Grund konnten diesbezüglich weitere Feststellungen, wie schon unter 3.8 ausgeführt, nach Ansicht der Landes-Hauptwahlbehörde, unterbleiben, auch da kein konkretes weiteres Vorbringen der Anfechtungswerberin, insbesondere durch ein Beweisanbot, in diesem Zusammenhang erstattet wurde.
3.12. Ad. IV.3.3. 'Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften'
Eingangs ist festzuhalten, dass dem Zustellungsbevollmächtigten mit E-Mail vom 13. Februar 2025, unter Anführung der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, mitgeteilt wurde, dass eine Recht auf Akteneinsicht nach der NÖ GRWO 1994 nicht bestehe. Inwieweit hier eine unbegründete Verweigerung der Akteneinsicht vorliegen würde, kann daher nicht nachvollzogen werden. Sonst darf auf die obenstehenden Ausführungen verwiesen werden.
3.13. Ad. V. 'Einfluss der Rechtswidrigkeit auf das Wahlergebnis'
Gemäß §70 Abs1 VfGG hat der Verfassungsgerichtshof einer Wahlanfechtung stattzugeben, wenn die behauptete Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens erwiesen wurde und auf das Wahlergebnis von Einfluss war. Wie bereits in dem Bescheid der Landes-Hauptwahlbehörde ausgeführt, wurden 15 Wahlkarten aufgrund von fehlerhaften Anträgen, und damit rechtswidrig, ausgestellt. Eine Mandatsverschiebung wäre jedoch erst ab 19 Stimmen möglich gewesen. Wie bereits oben ausgeführt verbietet es zudem der Grundsatz des §17 Abs3 NÖ GRWO 1994, nämlich dass jeder Wahlberechtigte nur eine Stimme hat, Rechtsverstöße in Zusammenhang mit derselben Wahlkarte doppelt zu werten, andernfalls Wahlberechtigten zwei Stimmen zuerkannt würden. Diese Rechtsverstöße konnten daher nicht von Einfluss auf das Wahlergebnis sein.
3.14. Ad. Vl. 'Anregung zur Einleitung eines amtswegigen Normprüfungsverfahrens'
Zur Anregung auf Einleitung eines amtswegigen Normprüfungsverfahren ist darauf hinzuweisen, dass der Verfassungsgerichtshof bereits ausgesprochen hat, dass wenn in Wahlverfahren die maßgeblichen Rechtsvorschriften kein Akteneinsichtsrecht vorsehen, eine Akteneinsicht nicht gewährt werden muss (VfSlg 15033; vgl auch VfSlg 13420). Überdies ist Art6 EMRK auf Wahlverfahren nicht anwendbar (Grabenwarter in Korinek/Holoubek/Bezemek/Fuchs/Martin/Zellenberg, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, 8 Lfg. [2007] EMRK Art6 Rz 13), womit sich eine Prüfung der NÖ GRWO 1994 an Art6 EMKR ausschließt."
II. Rechtslage
Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen der NÖ Gemeinderatswahlordnung 1994 (NÖ GRWO 1994), LGBl 0350-0 idF LGBl 63/2025, lauten wie folgt:
"7. Abschnitt
Wahlkarten
§38
Anspruch auf eine Wahlkarte
(1) Wahlberechtigte, die sich voraussichtlich am Wahltag innerhalb des Gemeindegebietes in einem anderen Wahlsprengel als dem ihrer Eintragung in das Wählerverzeichnis aufhalten werden und deshalb ihr Wahlrecht dort nicht ausüben können, haben Anspruch auf Ausstellung einer Wahlkarte.
(2) Anspruch auf Ausstellung einer Wahlkarte haben außerdem Personen, denen der Besuch des zuständigen Wahllokales wegen Bettlägerigkeit oder behördlicher Freiheitsbeschränkung unmöglich ist und welche die Möglichkeit der Stimmabgabe vor einer besonderen Wahlbehörde in Anspruch nehmen wollen. Bei Personen, die sich in öffentlichem Gewahrsam befinden, hat der Antrag eine behördliche Bestätigung über die Unterbringung aufzuweisen.
(3) Anspruch auf Ausstellung einer Wahlkarte (Briefwahlkarte) haben ferner Wahlberechtigte, die am Wahltag voraussichtlich verhindert sein werden, ihre Stimme vor der zuständigen Wahlbehörde abzugeben, etwa wegen Ortsabwesenheit, aus gesundheitlichen Gründen oder wegen Aufenthalts im Ausland und die ihr Wahlrecht im Wege der Briefwahl ausüben wollen.
§39
Verfahren zur Ausstellung der Wahlkarte
(1) Die Ausstellung der Wahlkarte ist bei der Gemeinde bis spätestens am vierten Tag vor dem Wahltag schriftlich oder spätestens am zweiten Tag vor dem Wahltag, bis 12.00 Uhr, mündlich zu beantragen. Eine telefonische Beantragung ist nicht zulässig. Ebenfalls bis zum letztgenannten Zeitpunkt kann ein schriftlicher Antrag gestellt werden, wenn eine persönliche Übergabe der Wahlkarte an eine vom Antragsteller bevollmächtigte Person möglich ist. Der mündliche Antrag ist persönlich bei der Gemeinde zu stellen; die Identität ist durch ein Dokument glaubhaft zu machen, sofern der Antragsteller nicht amtsbekannt ist. Beim schriftlichen Antrag ist die Identität entweder
- durch Angabe der Passnummer oder
- falls eine Wahlinformation gemäß §28 Abs3 eine Buchstaben/Ziffernkombination enthält, durch Anführung derselben oder
- durch Anschluss einer Kopie des Reisepasses oder der Kopie einer Urkunde bzw amtlichen Bescheinigung gemäß §41 Abs3 oder
- im Fall einer elektronischen Einbringung auch durch eine qualifizierte elektronische Signatur glaubhaft zu machen. Die Gemeinde ist ermächtigt, die Passnummer im Weg einer Passbehörde und Lichtbildausweise oder andere Urkunden im Weg der für die Ausstellung dieser Dokumente zuständigen Behörde zu überprüfen.
Sofern die technischen Voraussetzungen gegeben sind, ist die Gemeinde auch ermächtigt, die Passnummer selbständig anhand der zentralen Evidenz gemäß §22b Passgesetz 1992, BGBl Nr 839/1992 in der Fassung BGBl I Nr 169/2020, zu überprüfen.
(2) Für die Ausstellung einer Wahlkarte zum Besuch durch die besondere Wahlbehörde ist die Bettlägerigkeit glaubhaft zu machen. Außerdem ist anzugeben, wo die bettlägerige Person besucht werden soll. Der Bürgermeister hat die Namen der bettlägerigen Personen, welchen eine Wahlkarte ausgestellt wurde, unter Angabe des Ortes, an dem die Ausübung des Wahlrechtes gewünscht wird, in einem gesonderten Verzeichnis einzutragen. Dieses Verzeichnis ist spätestens am Tag vor dem Wahltag zu erstellen und dem (den) Vorsitzenden der besonderen Wahlbehörde(n) zu übermitteln. Fällt bei einem Wahlberechtigten vor dem Wahltag die Bettlägerigkeit weg, hat er die Gemeinde rechtzeitig zu verständigen, daß ein Besuch durch die besondere Wahlbehörde nicht notwendig ist.
(3) Wird dem Antrag auf Ausstellung einer Wahlkarte stattgegeben, so sind dem Antragsteller unverzüglich neben der Wahlkarte samt voradressiertem Überkuvert auch ein amtlicher Stimmzettel und ein Wahlkuvert persönlich auszufolgen. Ein Wahlberechtigter ist von der Gemeinde ehestmöglich in Kenntnis zu setzen, wenn seinem Antrag auf Ausstellung einer Wahlkarte nicht Folge gegeben wurde und es ist ihm der Grund dafür bekannt zu geben. Gegen die Verweigerung der Wahlkarte steht ein Rechtsmittel nicht zu.
(4) Für die Ausfolgung oder Übermittlung beantragter Wahlkarten gilt folgendes:
1. Anläßlich der persönlichen Übernahme der Wahlkarte hat der Antragsteller eine Übernahmebestätigung zu unterschreiben. Ist er hiezu nicht in der Lage, ist hierüber ein Aktenvermerk aufzunehmen.
2. Eine Ausfolgung an den wahlberechtigten anderen Eheteil oder eingetragenen Partner oder wahlberechtigte Verwandte (Eltern oder Kinder) ist gegen Übernahmebestätigung ebenfalls zulässig, wenn eine schriftliche Legitimation zur Übernahme vorgewiesen wird.
3. Sonstigen schriftlich legitimierten Personen dürfen neben der allenfalls eigenen Wahlkarte je Wahl nicht mehr als zwei Wahlkarten gegen Übernahmebestätigung ausgefolgt werden.
4. Können die Wahlunterlagen nicht unmittelbar ausgefolgt werden, so sind diese dem Antragsteller mittels eingeschriebener Briefsendung zu senden.
5. Bei Pfleglingen in Kranken-(Heil- und Pflegeanstalten) und Kuranstalten sind die Wahlunterlagen im Fall einer postalischen Versendung mittels eingeschriebener und nachweislicher Briefsendung ausschließlich an den Empfänger selbst zu richten. In diesem Fall ist die Briefsendung mit dem Vermerk 'Nicht an Postbevollmächtigte' zu versehen.
6. Ungeachtet der Bestimmung in Z4 können Wahlunterlagen an den Antragsteller auch durch Boten nachweislich zugestellt werden.
7. Werden Wahlunterlagen an den in Z5 genannten Personenkreis durch Boten zugestellt, so ist die Übernahmebestätigung durch den Pflegling selbst zu unterfertigen. Ist der Antragsteller hierzu nicht in der Lage, so ist hierüber ein Aktenvermerk aufzunehmen.
8. Als Boten jener Gemeinde, welche die Wahlkarte im Sinne der Z6 und 7 ausstellt, können nur Gemeindebedienstete derselben Gemeinde, nicht jedoch Organe der Gemeinde (Mitglieder des Gemeinderates oder des Gemeindevorstandes oder der Bürgermeister), agieren. Die sofortige Mitnahme einer durch einen Boten überbrachten und zur Stimmabgabe mittels Briefwahl verwendeten Wahlkarte durch diesen ist unzulässig.
(5) Die Wahlkarte ist als verschließbarer Briefumschlag herzustellen. Dieser hat das Format DIN E5 (200 x 280 mm) aufzuweisen und einen Raum für die Unterschrift vorzusehen, mit der der Wahlberechtigte eidesstattlich erklärt, daß er das Wahlrecht persönlich, unbeobachtet und unbeeinflusst ausgeübt hat. Ferner hat er zweckdienliche Hinweise über die Briefwahl zu enthalten. Das Anbringen eines der automationsunterstützen Erfassung der Briefwahlkarte dienenden Barcodes oder QR-Codes ist zulässig. Näheres ist durch Verordnung (§73) festzulegen. Wahlkarten, die mittels automationsunterstützter Datenverarbeitung ausgestellt werden, können anstelle der eigenhändigen Unterschrift
a. mit dem Namen des Bürgermeisters oder eines von ihm beauftragten Ausstellers, wobei jeweils eine Beglaubigung durch die Kanzlei nicht erforderlich ist, oder
b. mit einer Amtssignatur gemäß §§19 und 20 E-Government-Gesetz, BGBl I Nr 10/2004, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 169/2020, versehen werden.
(6) Durch entsprechende Vorkehrungen ist sicherzustellen, dass die den Wahlberechtigten betreffenden personenbezogenen Daten, insbesondere dessen Unterschrift, vor Weiterleitung an die Gemeindewahlbehörde durch Verwendung eines voradressierten Überkuverts verdeckt sind und dass es nach Verschließen des Überkuverts durch den Wähler nach dem Einlangen bei der Gemeindewahlbehörde möglich ist, ohne Öffnung der Wahlkarte die personenbezogenen Daten des Wählers sowie seine eidesstattliche Erklärung sichtbar zu machen. Das Überkuvert ist mit dem Vermerk 'Überkuvert für die Wahlkarte' zu kennzeichnen. Das Anbringen einer allfälligen Sprengelbezeichnung auf dem Überkuvert ist zulässig.
(7) Die Ausstellung der Wahlkarte ist im Wählerverzeichnis bei dem betreffenden Wähler mit dem Wort 'Wahlkarte' auffällig (z. B. mit Buntstift) anzumerken. Bis zum 29. Tag nach dem Wahltag hat der Bürgermeister gegenüber jedem im Wählerverzeichnis eingetragenen Wahlberechtigten, der seine Identität glaubhaft zu machen hat, auf mündliche oder schriftliche Anfrage Auskunft zu erteilen, ob für ihn eine Wahlkarte ausgestellt worden ist.
(8) Duplikate für verloren gegangene oder unbrauchbar gewordene Wahlkarten dürfen nicht ausgestellt werden. Die Kosten der Übermittlung der als Wahlkarte gekennzeichneten Sendung per Post an die Gemeindewahlbehörde hat die Gemeinde zu tragen.
[…]
§53
Mandatsaufteilung
(1) Die in der Gemeinde zu besetzenden Gemeinderatsmandate sind auf die Parteien nach der Wahlzahl aufzuteilen. Die Wahlzahl ist nach den folgenden Bestimmungen zu ermitteln.
(2) Die Parteisummen sind, nach ihrer Größe geordnet, nebeneinander aufzuschreiben. Unter jede Parteisumme ist die Hälfte, darunter das Drittel, das Viertel, das Fünftel, das Sechstel und so weiter zu schreiben. Bei diesen Teilungen sind auch Dezimalzahlen zu berücksichtigen und anzuschreiben.
(3) Die Parteisummen und die gemäß Abs2 ermittelten Zahlen werden nach ihrer Größe geordnet, wobei mit der größten Parteisumme begonnen wird.
(4) Als Wahlzahl gilt die Zahl, welche in der Reihe die sovielte ist, als die Zahl der zu vergebenden Gemeinderatsmandate beträgt.
(5) Jede Partei erhält soviele Sitze, als die Wahlzahl in ihrer Parteisumme enthalten ist.
(6) Wenn nach dieser Rechnung zwei Parteien oder mehrere Parteien auf das letzte zur Verteilung gelangende Mandat denselben Anspruch haben, so entscheidet zwischen ihnen das Los. "
III. Erwägungen
1. Zulässigkeit
1.1. Gemäß Art141 Abs1 lita B VG erkennt der Verfassungsgerichtshof unter anderem über die Anfechtung von Wahlen zu den allgemeinen Vertretungskörpern, somit auch über die Anfechtung von Wahlen zum Gemeinderat (vgl VfSlg 19.247/2010, 19.278/2010). Nach Art141 Abs1 zweiter Satz B VG kann eine solche Anfechtung auf die behauptete Rechtswidrigkeit des Verfahrens gegründet werden.
1.2. Nach §67 Abs2 zweiter Satz VfGG sind zur Anfechtung der Wahl grundsätzlich jene Wählergruppen berechtigt, die bei der Wahlbehörde rechtzeitig Wahlvorschläge für die angefochtene Wahl vorgelegt haben. Dies trifft nach der Aktenlage auf die anfechtungswerbende Partei zu. Die Anfechtung hat durch den zustellungsbevollmächtigten Vertreter der Wählergruppe zu erfolgen.
1.3. Nach §68 Abs1 VfGG ist die Wahlanfechtung – soweit das in Betracht kommende Gesetz nicht anderes bestimmt – binnen vier Wochen nach Beendigung des Wahlverfahrens oder, wenn sie auf die Rechtswidrigkeit eines Bescheides oder einer Entscheidung einer Verwaltungsbehörde oder eines Erkenntnisses oder Beschlusses eines Verwaltungsgerichtes gegründet wird, binnen vier Wochen nach Zustellung einzubringen. In den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde kann die Wahlanfechtung erst nach Erschöpfung des Instanzenzuges eingebracht werden.
1.3.1. Gemäß §56 NÖ GRWO 1994 kann das Wahlergebnis insbesondere von den zustellungsbevollmächtigten Vertretern der Wahlparteien, die einen Wahlvorschlag erstattet haben, durch Beschwerde angefochten werden. Diese Anfechtung kann wegen behaupteter Unrichtigkeit der Ermittlung des Wahlergebnisses oder wegen angeblich gesetzwidriger Vorgänge im Wahlverfahren erfolgen und muss gemäß §57 NÖ GRWO 1994 schriftlich binnen zwei Wochen ab dem ersten Tag der Kundmachung des Wahlergebnisses bei der Gemeinde eingebracht werden. Der Vorsitzende der Gemeindewahlbehörde hat die Beschwerde innerhalb von drei Tagen samt den Wahlakten der Landes-Hauptwahlbehörde zur Entscheidung vorzulegen. Die Anfechtung der Wahl gemäß Art141 Abs1 lita BVG beim Verfassungsgerichtshof ist gemäß §68 Abs1 VfGG erst in weiterer Folge binnen vier Wochen nach Zustellung dieser Entscheidung zulässig (vgl VfSlg 19.981/2015).
1.3.2. Die anfechtungswerbende Partei hat durch ihren zustellungsbevollmächtigten Vertreter eine Beschwerde gemäß §56 NÖ GRWO 1994 eingebracht, in der beantragt wurde, die Landes-Hauptwahlbehörde möge "das Wahlverfahren der Gemeinderatswahl der Marktgemeinde Kematen an der Ybbs vom 26.01.2025 insoweit aufheben und für nicht[ig] erklären, als es der Veröffentlichung der Wahlvorschläge nachfolgt". Der der Anfechtung gemäß Art141 Abs1 lita B VG durch die NÖ GRWO 1994 vorgelagerte administrative Rechtsweg wurde somit eingehalten.
1.4. Die Landes-Hauptwahlbehörde hat der Beschwerde mit Bescheid vom 10. März 2025, dem zustellungsbevollmächtigten Vertreter zugestellt am 13. März 2025, nicht Folge gegeben. Die am 7. April 2025 beim Verfassungsgerichtshof eingebrachte Anfechtung erweist sich sohin als rechtzeitig.
1.5. Da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen erfüllt sind, ist die Anfechtung zulässig.
2. In der Sache
2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat ein Wahlverfahren nur in den Grenzen der von der anfechtungswerbenden Partei in der Anfechtungsschrift behaupteten Rechtswidrigkeiten nachzuprüfen. Es ist ihm hingegen verwehrt, die Rechtmäßigkeit des Wahlverfahrens darüber hinaus von Amts wegen einer weiteren Überprüfung zu unterziehen (vgl VfSlg 17.589/2005, 19.245/2010, 19.981/2015, 20.629/2023).
2.2. Die anfechtungswerbende Partei macht geltend, dass die Landes-Hauptwahlbehörde bei 19 Wahlkartenanträgen das Fehlen der Identitätsfeststellung festgestellt habe. Es seien jedoch deutlich mehr als 19 Wahlkarten – aus verschiedenen Gründen – rechtswidrig ausgestellt worden. Bei schriftlichen Wahlkartenanträgen habe die Identitätsfeststellung gefehlt bzw bei mündlichen Anträgen hätte die durchgeführte Identitätsfeststellung dokumentiert werden müssen.
2.2.1. Gemäß §39 Abs1 NÖ GRWO 1994 ist die Ausstellung der Wahlkarte bei der Gemeinde bis spätestens am vierten Tag vor dem Wahltag schriftlich oder spätestens am zweiten Tag vor dem Wahltag, bis 12.00 Uhr, mündlich zu beantragen. Eine telefonische Beantragung ist nicht zulässig. Ebenfalls bis zum letztgenannten Zeitpunkt kann ein schriftlicher Antrag gestellt werden, wenn eine persönliche Übergabe der Wahlkarte an eine vom Antragsteller bevollmächtigte Person möglich ist. Der mündliche Antrag ist persönlich bei der Gemeinde zu stellen; die Identität ist durch ein Dokument glaubhaft zu machen, sofern der Antragsteller nicht amtsbekannt ist. Beim schriftlichen Antrag ist die Identität glaubhaft zu machen, und zwar entweder durch Angabe der Passnummer oder, falls eine Wahlinformation (§28 Abs3 NÖ GRWO 1994) eine Buchstaben-/Ziffernkombination enthält, durch Anführung derselben, oder durch Anschluss einer Kopie des Reisepasses oder einer Kopie einer Urkunde bzw amtlichen Bescheinigung gemäß §41 Abs3 NÖ GRWO 1994 oder im Fall einer elektronischen Einbringung auch durch eine qualifizierte elektronische Signatur.
2.2.2. Auf Grund der Anfechtungsschrift, der Gegenschrift der Landes-Hauptwahlbehörde sowie der vorgelegten Wahlakten geht der Verfassungsgerichtshof von folgendem Sachverhalt aus:
19 schriftliche Wahlkartenanträge weisen, wie auch die Landes-Hauptwahlbehörde in ihrem Bescheid vom 10. März 2025 festhält, keine Angaben zur Glaubhaftmachung der Identität des Antragstellers auf. Im jeweils verwendeten Antragsformular findet sich zwar eine Zeile für die Eintragung der "Reisepass- bzw Personalausweisnummer". Im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof wurde jedoch nicht vorgebracht, dass eine solche Nummer in den betreffenden Anträgen eingetragen bzw eine Kopie des Reisepasses oder eine Kopie einer Urkunde bzw amtlichen Bescheinigung gemäß §41 Abs3 NÖ GRWO 1994 angeschlossen gewesen wäre.
17 dieser schriftlichen Wahlkartenanträge sind in der den Wahlakten einliegenden "Wahlliste Wahlkarte" als "schriftliche Anträge" ausgewiesen. Bei zwei weiteren Anträgen ist zwar in der "Wahlliste Wahlkarte" jeweils ein persönlicher Antrag ("Antragsart": "persönlich") vermerkt, gleichwohl liegen auch in diesen Fällen schriftliche Anträge vor. Eine Dokumentation der mündlichen Antragstellung am Gemeindeamt bzw des Umstandes, dass die Identität im Zuge der Antragstellung glaubhaft gemacht worden oder der jeweilige Antragsteller amtsbekannt sei, liegt jeweils nicht vor.
2.2.3. Der Verfassungsgerichtshof sieht es vor diesem Hintergrund als erwiesen an, dass bei 19 schriftlichen Wahlkartenanträgen entgegen §39 Abs1 NÖ GRWO 1994 keine Glaubhaftmachung der Identität des jeweiligen Antragstellers stattgefunden hat bzw dokumentiert wurde.
2.2.4. Ohne Bedeutung müssen in diesem Zusammenhang die Feststellungen der Landes-Hauptwahlbehörde in ihrem Bescheid vom 10. März 2025 bleiben, wonach vier der 19 Wahlkartenanträge in Wahrheit mündlich gestellt wurden:
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sind Formalvorschriften der Wahlordnung strikt nach ihrem Wortlaut auszulegen (vgl zB VfSlg 1904/1950, 6750/1972, 8848/1980, 15.375/1998, 17.141/2004, 20.019/2015, 20.139/2017, 20.417/2020, 20.593/2023). Dies trifft in besonderem Maße auf Vorschriften über die Beantragung, Ausstellung und Rückübermittlung von Wahlkarten zu, weil solche Vorschriften gerade auch dazu dienen, Missbräuchen und Manipulationen im Wahlverfahren entgegenzuwirken (VfSlg 19.278/2010, 20.019/2015; vgl ferner zB VfSlg 19.246/2010, 20.438/2021). Unter Zugrundelegung dieser Auslegungsmaxime kommt eine Qualifikation bzw Umdeutung von – in den Wahlakten einliegenden – schriftlichen Anträgen als mündliche Anträge, die als solche die Angaben gemäß §39 Abs1 fünfter Satz NÖ GRWO 1994 zur Glaubhaftmachung der Identität nicht enthalten müssten, von vornherein nicht in Betracht.
Im Übrigen sind nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (auch) mündliche Anträge zur Vermeidung von Missbräuchen und Manipulationen so zu dokumentieren, dass das Vorliegen der Voraussetzungen für die Ausstellung einer Wahlkarte überprüft werden kann (VfSlg 19.278/2010 zu §39 NÖ GRWO 1994). Eine solche Dokumentation findet sich, wie erwähnt, in den Wahlakten jedoch nicht. Insbesondere kann – speziell im vorliegenden Zusammenhang, in dem schriftliche Anträge vorliegen – der bloße Vermerk "persönlicher Antrag" in einer "Wahlliste Wahlkarte" eine solche Dokumentation nicht ersetzen.
2.2.5. Auf das vage und nicht hinreichend substantiierte Vorbringen der anfechtungswerbenden Partei, wonach weitere Wahlkarten rechtswidrig ausgestellt worden seien, ist nicht einzugehen (vgl VfSlg 20.438/2021 sowie ferner zB VfSlg 9441/1982, 15.695/1999, 17.305/2004, 19.245/2010).
2.3. Bei der im vorliegenden Fall gegebenen Sach- und Rechtslage ist davon auszugehen, dass die solcherart erwiesene Rechtswidrigkeit auch von Einfluss auf das Wahlergebnis sein konnte (vgl VfSlg 20.019/2015 mwN).
Bei der Verletzung einer Vorschrift der Wahlordnung, die – so wie hier – die Möglichkeit von Manipulationen und Missbräuchen im Wahlverfahren ausschließen will, ist das Vorliegen des eingangs erwähnten Erfordernisses jedenfalls gegeben, ohne dass es des Nachweises einer konkreten – das Wahlergebnis tatsächlich verändernden – Manipulation bedürfte (vgl VfSlg 15.375/1998, 19.246/2010, 20.019/2015, 20.438/2021, 20.614/2023).
Der Gemeinderat der Marktgemeinde Kematen an der Ybbs besteht aus 21 Mitgliedern (vgl §19 Abs1 NÖ GO 1973). Da das 1/12 der Parteisumme der Wählergruppe "Team BGM Juliana Günther (ÖVP)" (dies ist die Zahl 68,58) der einundzwanzigstgrößten Zahl gemäß §53 Abs4 NÖ GRWO 1994 entspricht und somit die Wahlzahl bildet, entfielen kraft §53 Abs5 leg. cit. auf die Wählergruppen
"Team BGM Juliana Günther (ÖVP)" 12 Mandate
"SPÖ Team Matthias Fischböck (SPÖ)" 9 Mandate.
Die rechtswidrige Ausstellung von jedenfalls 19 Wahlkarten konnte auf das Wahlergebnis insofern von Einfluss sein, als eine geänderte Zuordnung von 19 Stimmen auch eine Änderung der Mandatsverteilung zur Folge gehabt haben könnte. Ordnet man nämlich 19 weitere Stimmen (zulasten der Wählergruppe "Team BGM Juliana Günther [ÖVP]") der anfechtungswerbenden Wählergruppe zu, so beträgt die Wahlzahl 67. In diesem Fall wäre das 21. Mandat gemäß §53 Abs6 NÖ GRWO 1994 zu losen.
2.4. Demgemäß ist die angefochtene Wahl des Gemeinderates der Marktgemeinde Kematen an der Ybbs schon aus diesem Grund aufzuheben. Bei dieser Sach- und Rechtslage bedurfte es eines Eingehens auf das übrige Anfechtungsvorbringen nicht mehr.
IV. Ergebnis
1. Der Anfechtung ist stattzugeben.
Das Verfahren zur Wahl des Gemeinderates der Marktgemeinde Kematen an der Ybbs vom 26. Jänner 2025 ist insoweit aufzuheben, als es der Veröffentlichung der Wahlvorschläge nachfolgt.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Kosten können nicht zugesprochen werden, weil ein Kostenersatz im Verfahren nach Art141 BVG nur in §71a Abs5 VfGG vorgesehen ist (vgl §27 erster Satz VfGG), dessen Anwendung im vorliegenden Fall nicht in Betracht kommt (VfSlg 15.357/1998, 15.942/2000, 16.147/2001, 16.311/2001, 17.329/2004, 20.417/2020).
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