Auswertung in Arbeit
I.1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer 14 tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 3.144,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der volljährige Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Paschtunen an und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Er wurde in der Provinz Kabul geboren und lebte dort bis zu seiner Ausreise im März 2023. Am 15. Mai 2023 stellte der Beschwerdeführer nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Mit Bescheid vom 28. Februar 2024 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), stellte die Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan fest (Spruchpunkt V.) und setzte eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise fest (Spruchpunkt VI.).
3. Mit Erkenntnis vom 10. April 2025 wies das Bundesverwaltungsgericht eine gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Das Bundesverwaltungsgericht führt zunächst aus, dass der Beschwerdeführer keine individuell und konkret gegen seine Person gerichtete asylrelevante Verfolgung habe glaubhaft machen können.
3.1. Auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten seien nicht gegeben: Die allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan habe sich seit der Machtübernahme der Taliban verbessert und stehe der Zulässigkeit einer Rückführung nicht (mehr) generell entgegen. Darüber hinaus sei dem BFA dahingehend zu folgen, wenn dieses meine, dass dem Beschwerdeführer die Rückkehr in seinen Herkunftsstaat vor dem Hintergrund seiner persönlichen Situation jedenfalls möglich und zumutbar sei. Das Bundesverwaltungsgericht übersehe zwar nicht, dass die wirtschaftliche Lage in Afghanistan angespannt sei, dennoch habe sich im konkreten Fall des Beschwerdeführers nicht ergeben, dass dieser im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan in eine seine Existenz bedrohende ausweglose Situation geraten würde. Er sei gesund, arbeitsfähig und habe den weit überwiegenden Teil seines bisherigen Lebens in Afghanistan verbracht. Im Heimatdorf würden mehrere Verwandte des Beschwerdeführers – darunter seine Eltern und fünf Geschwister – leben. Der Vater sei zwar derzeit ohne Beschäftigung, allerdings werde die Familie von Verwandten unterstützt, die in Afghanistan, Saudi-Arabien und Dubai lebten. Der Beschwerdeführer verfüge somit in Afghanistan über ein tragfähiges familiäres Netzwerk und könne im Falle einer Rückkehr im familieneigenen Haus Unterkunft finden, in dem seine Kernfamilie derzeit lebe. Weiters zeige der Umstand, dass der Beschwerdeführer die Kosten seiner Ausreise durch den Verkauf eines familieneigenen Grundstückes bestritten habe, dass die Familie des Beschwerdeführers über einen gewissen finanziellen Rückhalt verfüge. Damit stelle sich die persönliche Lebenssituation der Familie des Beschwerdeführers weit besser gesichert dar, als es der Einstufung seiner Herkunftsregion Kabul in der "Integrated Security Phase Classification (IPC)" in der "Phase 3 (Krise)" entspreche. Auch habe der Beschwerdeführer keine exzeptionellen Umstände vorgebracht, die dazu führten, dass er nicht in der Lage wäre, im Herkunftsort durch Erwerbstätigkeit eine Lebensgrundlage vorzufinden. Unter anderem auf Grund des familiären Rückhaltes des Beschwerdeführers und der wirtschaftlichen Verhältnisse seiner Familie sei also auszuschließen, dass ihm im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan eine reale Gefahr einer Verletzung des Art3 EMRK drohe.
4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gesetzte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand genommen.
6. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat keine Äußerung erstattet.
II. Erwägungen
A. Soweit sich die – zulässige – Beschwerde gegen die Abweisung der Beschwerde durch das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer 14 tägigen Frist für die freiwillige Ausreise richtet, ist sie auch begründet:
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 13.836/1994, 14.650/1996, 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg. cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001, 20.374/2020; VfGH 14.3.2023, E3480/2022), oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001, 18.614/2008, 20.448/2021 und 20.478/2021).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001, 20.371/2020 und 20.405/2020).
2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten unterlaufen:
2.1. Gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 ist einem Fremden, dessen Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2, 3 EMRK oder des 6. oder 13. ZPEMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
2.2. Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich in seiner Begründung hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten maßgeblich auf das familiäre Netzwerk des Beschwerdeführers sowie die abgesicherte wirtschaftliche Situation seiner Familie in Afghanistan.
2.3. Den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes zur gesicherten wirtschaftlichen Situation der Familie in Afghanistan stehen gegenteilige Angaben des Beschwerdeführers in der Ersteinvernahme, der Einvernahme vor dem BFA sowie in der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht gegenüber. Dennoch hat es das Bundesverwaltungsgericht unterlassen, eine mündliche Verhandlung durchzuführen:
Der Beschwerdeführer gab bereits in der Erstbefragung an, dass er in Afghanistan keine Arbeit finde und dort finanzielle Probleme habe. In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA gab er befragt zur Situation seiner Familie an, dass diese in einer schlechten Situation sei, weil sie ihr einziges Grundstück verkauft habe und es keine Arbeit gebe. Zwar gebe es wechselseitige finanzielle Hilfen innerhalb der Familie und sie könnten teilweise auf die Unterstützung näher genannter Familienmitglieder zurückgreifen, diese kämen jedoch "nicht für alles" auf. Demnach beschrieb der Beschwerdeführer die wirtschaftliche Situation seiner Familie trotz der nach seinen eigenen Angaben bestehenden Unterstützungsleistungen durch Familienmitglieder als schlecht und verwies ergänzend in der Beschwerde darauf, dass seine Familie derzeit bei seinem Onkel mütterlicherseits lebe, dessen Unterstützungsmöglichkeiten jedoch stark eingeschränkt seien. Obwohl das Bundesverwaltungsgericht dieses Beschwerdevorbringen wiedergibt, setzt es sich damit im Rahmen der Begründung seiner Entscheidung nicht auseinander. Insofern ist aus der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses nicht nachvollziehbar, wie das Bundesverwaltungsgericht – ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung – zu der nicht weiter substantiierten Annahme gelangt, die Familie des Beschwerdeführers befände sich in einer abgesicherten wirtschaftlichen Situation und könnte ihn im Falle einer Rückkehr unterstützen (siehe dazu auch VfGH 6.6.2025, E4833/2024).
2.4. Insgesamt hat es das Bundesverwaltungsgericht somit bei seinen Ausführungen zur Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten unterlassen, sich hinsichtlich der Versorgungslage substantiiert und konkret mit der individuellen Situation des Beschwerdeführers auseinanderzusetzen. Dabei wäre das Bundesverwaltungsgericht insbesondere gehalten gewesen, sich mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers zur wirtschaftlichen Situation seiner Familie auseinanderzusetzen und seine Beurteilung im Hinblick auf die Versorgungslage auf dieser Grundlage vorzunehmen. Indem das Bundesverwaltungsgericht dies unterlassen hat, hat es seine Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt unterlassen und Willkür geübt.
B. Im Übrigen – soweit sich die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet – wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:
3. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B VG). Eine solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
Die vorliegende Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Nach den Beschwerdebehauptungen wären diese Rechtsverletzungen aber zum erheblichen Teil nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob das Bundesverwaltungsgericht ein in jeder Hinsicht rechtmäßiges Ermittlungsverfahren geführt und zu Recht nicht den Status des Asylberechtigten zuerkannt hat, insoweit nicht anzustellen.
Demgemäß wurde beschlossen, insoweit von einer Behandlung der Beschwerde abzusehen (§19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG).
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer 14 tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben.
2. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 524,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe auch im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.
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