Das Oberlandesgericht Wien hat durch den Senatspräsidenten Mag. Jilke als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Mag. Neubauer und Mag. Wolfrum, LL.M. als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A*wegen §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über dessen Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 3. April 2025, GZ ** 39.1, nach der am 16. September 2025 in Gegenwart der Oberstaatsanwältin Mag. Salfelner, LL.M., des Angeklagten A* und seines Verteidigers Dr. Andreas Schuster durchgeführten Berufungsverhandlung zu Recht erkannt:
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Entscheidungsgründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am ** geborene syrische Staatsangehörige A* des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB (I./), des Vergehens der Verleumdung nach § 297 Abs 1 erster Fall StGB (II./), des Vergehens der falschen Beweisaussage nach § 287 Abs 1 und 4 StGB (III./) sowie des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB (IV./) schuldig erkannt und hiefür unter Anwendung der §§ 28 Abs 1 StGB und 39 Abs 1 StGB nach dem ersten Strafsatz des § 269 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren verurteilt.
Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat er
I./ in ** am 20. September 2024 versucht Beamte durch Gewalt und gefährliche Drohung an einer Amtshandlung zu hindern, nämlich nachgenannte Justizwachebeamten der Justizanstalt Wien-Josefstadt an seiner Absonderung, indem er zunächst die Fäuste gegen Insp B* und Insp C* erhob, als diese den Haftraum betraten, und sodann wiederholt versuchte, sich aus dem Griff von Insp B*, Insp C* und Asp D* zu befreien, indem er mehrfach versuchte ihnen Kopfstöße zu versetzen und sich unter erheblichem Kraftaufwand versuchte gewaltsam loszureißen;
II./ in ** und ** Insp B*, Insp C* und Asp D* dadurch der Gefahr einer behördlichen Verfolgung ausgesetzt, dass er sie von Amts wegen zu verfolgender, mit gerichtlicher Strafe bedrohter Handlungen falsch verdächtige, obwohl er wusste, dass die Verdächtigung falsch ist, indem er bei einer Untersuchung im E* am 21. September 2024, in seiner Zeugenvernehmung am 11. Oktober 2024 und in seiner Beschuldigtenvernehmung am 17. Dezember 2024 angab, die genannten Justizwachebeamten hätten ihn anlasslos geschlagen und ihm dadurch eine Rippe gebrochen und eine Verletzung am linken Ohr zugefügt, sie sohin des Vergehens der Körperverletzung nach §§ 83; 313 StGB beschuldigt;
III./ in ** am 11. Oktober 2024 durch die zu II./ geschilderten Angaben in seiner Zeugenvernehmung während seiner förmlichen Vernehmung zur Sache als Zeuge in einem Ermittlungsverfahren nach der Strafprozessordnung vor der Kriminalpolizei falsch ausgesagt;
IV./ am 23. Juli 2024 in ** fremde bewegliche Sachen, nämlich eine Playstation 5 samt zwei Controllern und Onlinespielen in einem nicht mehr feststellbarem Wert, Verfügungsberechtigten des Vereins F* in **, mit dem Vorsatz, sich durch dessen Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, weggenommen.
Bei der Strafbemessung wertete der Erstrichter als mildernd den Umstand, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist und dass der Angeklagte beim Vorfall Faktum I./ selbst erhebliche Verletzungen erlitt, als erschwerend hingegen fünf einschlägige Vorstrafen, das Zusammentreffen mehrerer Vergehen sowie die Tatbegehung während des Strafvollzugs.
Dagegen richtet sich die fristgerecht angemeldete (ON 40.2), rechtzeitig zu ON 42.1 ausgeführte Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe, der keine Berechtigung zukommt.
Der Erledigung der „Berufung wegen formeller Nichtigkeit“ mit der moniert wird, es habe zwar formal eine Beweiswürdigung stattgefunden, diese sei jedoch zu einem unrichtigen Ergebnis gekommen, da Schlussfolgerungen gezogen und Tatsachen angenommen worden seien, die zwar denkmöglich, jedoch bedenklich erschienen, ist vorauszuschicken, dass im Rahmen er Mängelrüge eine Überprüfung der tatrichterlichen Beweiswürdigung, wie sie sonst nur die Schuldberufung ermöglicht, im Verfahren auf Basis einer Berufung wegen Nichtigkeit nicht vorgesehen ist. Das Gericht ist gemäß § 270 Abs 2 Z 5 StPO nur verpflichtet, die schriftliche Urteilsbegründung in gedrängter Darstellung abzufassen und darin mit Bestimmtheit anzugeben, welche Tatsachen es als erwiesen oder als nicht erwiesen annahm und aus welchen Gründen das geschah. Der Tatrichter ist ferner nicht gehalten, den vollständigen Inhalt sämtlicher Aussagen und Verfahrensergebnisse im Einzelnen zu erörtern und darauf zu untersuchen, inwieweit sie für oder gegen diese oder jene Geschehensvariante sprechen. Auch kann nicht verlangt werden, dass sich das Gericht mit den Beweisresultaten in Richtung aller denkbarer Schlussfolgerungen auseinandersetzt. Dass aus den ermittelten Prämissen auch für den Angeklagten günstigere Schlussfolgerungen möglich wären, der Erkenntnisrichter sich aber dennoch (mit logisch und empirisch einwandfreier Begründung) für eine den Angeklagten ungünstigere Variante entschieden hat, ist als Akt freier Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) mit Mängelrüge unbekämpfbar. Die Mängelrüge ist im Übrigen nur dann gesetzmäßig ausgeführt, wenn sie die Gesamtheit der Entscheidungsgründe berücksichtigt (RISJustiz RS0119370).
Wenn der Angeklagte moniert, auf keinem der in ON 26 vorliegenden Videos sei zu erkennen, er habe die Räumlichkeiten mit den gestohlenen Gegenständen verlassen, wobei die Annahme der „Nichtüberwachung des Aufenthaltsraumes“ jeder Lebenserfahrung widerspreche, ist klarzustellen, dass aus der erstgerichtlichen Beweiswürdigung ausdrücklich hervorgeht, dass der Tathergang durch keine Videoaufnahme erfasst ist (US 15). Die Täterschaft des Angeklagten wurde vielmehr aufgrund eines Gesichtserkennungsabgleiches, der eine Übereinstimmung mit dem Angeklagten von 87,76 % konstatierte (ON 25.2.8, 2) im Zusammenhalt mit dem Umstand abgeleitet, dass der Angeklagte als einzig in Verdacht kommende fremde Person in dieser Nacht anwesend gewesen sei und nach seinem Verlassen die fraglichen Gegenstände gefehlt hätten. Dass das Gericht bei dieser Konstellation unter weiterer Berücksichtigung der zunächst eine Anwesenheit in ** in Abrede stellenden Einlassung des Angeklagten (ON 30.1, 2), der erst nach Vorführung des Videomaterials in der Hauptverhandlung vom 27. Februar 2025 (ON 30.1, 2) zugestand, zum fraglichen Tatzeitpunkt (IV./) am Tatort gewesen zu sein, der leugnenden Einlassung des Angeklagten in Ansehung des Diebstahls keinen Glauben schenkte, liegt kein innerer Widerspruch vor, der nur dann gegeben ist, wenn das Gericht zwei Tatsachen feststellt, die nebeneinander nach den Gesetzen des logischen Denkens nicht bestehen können.
Auch der Umstand, dass das Erstgericht seine Feststellungen zur inneren Tatseite unter anderem auf das objektive Verhalten des Angeklagten stützt, ist nicht zu beanstanden ( Ratz, WK StPO § 281 Rz 452 mwN) und insbesondere nicht als unzureichende Begründung zu qualifizieren. Da sich der Berufungswerber mit seinen Argumenten darauf beschränkt, inhaltlich im Stile einer Schuldberufung (im Rahmen der Berufung wegen Nichtigkeit unzulässig) die erstgerichtliche Beweiswürdigung zu bekämpfen, war der Mängelrüge kein Erfolg beschieden.
Der vor Eingehen auf die geltend gemachte Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO zu behandelnden Schuldberufung (aaO § 476 Rz 9) ist voranzustellen, dass die freie Beweiswürdigung ein kritisch psychologischer Vorgang ist, bei dem durch Subsumierung der Gesamtheit der durchgeführten Beweise in ihrem Zusammenhang und der allgemeinen Erfahrungssätze logische Schlussfolgerungen zu gewinnen sind. Die freie Beweiswürdigung ist Verstandes nicht Gefühlstätigkeit. Nicht nur zwingende, auch Wahrscheinlichkeitsschlüsse berechtigen das Gericht zu Tatsachenfeststellungen ( Kirchbacher, StPO 15 § 259 Rz 8).
Bei Würdigung von Angaben von Personen, die das Gericht selbst vernommen hat, ist der persönliche Eindruck des erkennenden Richters maßgeblich, der sich nicht immer schöpfend in Worte kleiden lässt und darum, sowie aufgrund des Gebots gedrängter Darstellung, im Urteil auch nicht in allen Einzelheiten dargelegt und wiedergegeben werden muss (RISJustiz RS0098413).
Im gegenständlichen Beweisverfahren verschaffte sich der Einzelrichter einen umfassenden persönlichen Eindruck von sämtlichen Beteiligten und Geschehnisabläufen, wobei er nachvollziehbar und den Gesetzen logischen Denkens folgend begründete, worauf er seine Feststellungen stützte.
Sofern der Berufungswerber aus der unterbliebenen Sicherstellung der den Vorfall II. zeigenden Videoaufnahme rein spekulativ behautet, dass dieses Video den von ihm geschilderten Tathergang bestätigt und die Justizwachebeamten der Falschaussage im Zusammenhang mit den von ihm erlittenen Verletzungen überführt hätte und moniert, es sei sachlich nicht begründbar, dass das Gericht ihn aufgrund der Zeugenaussagen der drei Justizwachebeamten verurteile, wenn es bekannt sei, dass es eine (unterschlagene) Videoaufzeichnung über diesen Vorfall gegeben habe, gelingt es ihm nicht, erhebliche Zweifel am festgestellten Sachverhalt hervorzurufen. Mit dieser Argumentation setzt sich der Angeklagte über die Feststellung hinweg, dass die innerhalb von 72 Stunden gebotene Sicherung des Videos durch die den Sachverhalt weiter bearbeitenden Beamten nicht rechtzeitig veranlasst wurde (US 7), wobei der Erstrichter den übereinstimmenden Aussagen der Beamten Insp. B* (ON 6.4), Insp. C* (ON 6.3) und ASp. D* (ON 6.2), von denen er sich einen persönlichen Eindruck verschaffen konnte, Glaubwürdigkeit beimaß. Entgegen der Auffassung des Berufungswerbers steht die Feststellung, dass das Inventar des Haftraumes, darunter auch zerbrechliches Geschirr, das Bett und ein Sessel zerstört waren (US 6 erster Absatz dritter Satz) keineswegs im Widerspruch zur Konstatierung, dass trotz Sturz sämtlicher Personen zu Boden weder die Beamten, noch der Angeklagte Schnittverletzungen aufgewiesen hätten. Wo sich die Scherben konkret befanden, geht aus den Feststellungen nicht hervor, darüber hinaus bietet auch die Uniform der Justizwachebeamten einen gewissen Schutz gegen derartige mechanische Verletzungen.
Da es dem Angeklagten nicht gelingt, mit seinem Vorbringen Zweifel an der schlüssigen und nachvollziehbaren Beweiswürdigung des Erstgerichts zu wecken, ist der Berufung wegen Schuld kein Erfolg beschieden.
Aber auch der auf § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO gestützten Rechtsrüge kommt keine Berechtigung zu.
In diesem Zusammenhang moniert der Angeklagte, dass Feststellungen dazu, dass der Aufenthaltsraum in einem nicht überwachten Teil des Gebäudes gelegen sein soll, fehlen. Unter diesem Gesichtspunkt bemängelt er auch fehlende Feststellungen, dass der Aufenthaltsraum videoüberwacht und aufgrund der Videoüberwachung (nicht) erkennbar sei, ob die Playstation von ihm weggenommen worden sei.
Die gesetzmäßige Ausführung der Rechtsrüge erfordert das Festhalten am gesamten im Urteil festgestellten Sachverhalt, dessen Vergleich mit dem darauf angewendeten Gesetz und die Behauptung, dass das Erstgericht bei Beurteilung dieses Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlägen ist (RISJustiz RS0099810; Ratz, WK StPO § 281 Rz 584). Demnach liegt keine prozessordnungsgemäße Darstellung eines derartigen Berufungsgrundes vor, wenn eine im Urteil konstatierte Tatsache übergangen wird (RISJustiz RS0099810 [T15]). Abgesehen davon, dass die positive oder negative Dokumentation des Tathergangs auf einer Videoaufnahme die Beweiswürdigung betrifft, ist klarzustellen, dass Erstgericht ohnehin davon ausging, dass der Tathergang durch keine Videoaufnahme erfasst ist (ON 15) und folglich die Sachwegnahme zu IV./ nicht auf einen Videobeweis gestützt wurde.
Aber auch der im Strafpunkt erhobenen Berufung kommt keine Berechtigung zu.
Das Erstgericht hat die besonderen Strafzumessungsgründe nicht nur weitgehend zutreffend erfasst, sondern auch angemessen gewichtet. Zum Nachteil des Angeklagten war im Rahmen allgemeiner Strafzumessungsparameter lediglich ergänzend zu veranschlagen, dass sich die Widerstandshandlungen gegen mehrere Beamte richteten ( Riffel in WK StGB 2 § 32 Rz 77, OLG Wien 19 Bs 221/24z).
Soweit der Angeklagte das Vorliegen der Voraussetungen des § 39 Abs 1 StGB in Abrede stellt und behauptet, Widerstand gegen die Staatsgewalt beruhe nicht auf der gleichen schädlichen Neigung wie Körperverletzung bzw gefährliche Drohung, ist zunächst klarzustellen, dass von einer rechtsgutbezogenen Auslegung der Bestimmung des § 39 Abs 1 StGB auszugehen ist (vgl verstärkter Senat 15 Os 119/22x).
Körperverletzungen, durch Gewaltanwendung begangener Widerstand gegen die Staatsgewalt und gefährliche Drohungen beruhen entgegen dem Standpunkt des Berufungswerbers als Gewaltdelikte auf der selben schädlichen Neigung (RISJustiz RS0092084; Jerabek/Ropper in Höpfel/Ratz WK 2StGB § 71 Rz 8).
Eine Herabsetzung der ohnehin moderat ausgemessenen Sanktion war daher nicht indiziert.
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