Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Weixelbraun als Vorsitzenden sowie die Richter Mag. Eilenberger-Haid und Mag. Einberger in der Rechtssache der klagenden Partei A* , geboren am **, **, vertreten durch Dr. Sven Rudolf Thorstensen, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei B* Ltd , **, Malta, vertreten durch die CERHA HEMPEL Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen EUR 16.944 samt Zinsen, über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 12.3.2025, **-11, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 1.958,22 (darin enthalten EUR 326,37 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Die Beklagte betreibt die Website **. Diese Website ist auch von Österreich aus abrufbar und in verschiedenen Sprachen zugänglich. Es gibt auch eine deutschsprachige Website. Die Beklagte ist eine Kapitalgesellschaft mit Sitz in Malta, die Internetglücksspiel auf dieser Website veranstaltet. Dabei handelt es sich ausschließlich um Online-Glücksspiele, bei denen die Entscheidung ausschließlich oder vorwiegend vom Zufall abhängt. Sie verfügt dafür über eine Lizenz von der maltesischen Glücksspielbehörde Malta Gaming Authority. Über eine Konzession nach dem österreichischen Glücksspielgesetz verfügt sie nicht.
Der in Österreich wohnhafte Kläger nahm auf dieser Homepage von 16.2.2016 bis 23.3.2022 zu privaten Zwecken vom eigenen Benutzerkonto aus an Glücksspielen der Beklagten teil. Er zahlte in diesem Zeitraum in Summe EUR 31.894 auf sein Spielkonto bei der Beklagten ein und erhielt in Summe EUR 14.950 über sein Spielkonto ausbezahlt. Er erlitt beim Angebot der Beklagten somit Spielverluste aus Glücksspielen von EUR 16.944.
Mit der am 2.10.2024 eingebrachten Klage begehrt der Kläger die Rückzahlung der Verluste von EUR 16.944 samt 4 % Zinsen seit Klagszustellung.
Die Beklagte biete in Österreich ohne Konzession nach dem österreichischen Glücksspielgesetz Glücksspiele an. Der Kläger habe an den Glücksspielen teilgenommen und dabei Verluste erlitten. Angesichts der fehlenden Konzession seien die Spiele verboten gewesen. Der Glücksspielvertrag sei unerlaubt und damit unwirksam, sodass die Spieleinsätze bereicherungsrechtlich und schadenersatzrechtlich rückforderbar seien, zumal der Eingriff ins Glücksspielmonopol eine Schutzgesetzverletzung bewirke.
Die Beklagte beantragte die Klagsabweisung und wendete im Wesentlichen ein, das österreichische Glücksspielmonopol sei inkohärent und mit dem Unionsrecht unvereinbar. Die ergangene Rechtsprechung sei überholt, lasse wesentliche Aspekte außer Betracht und sei daher nicht mehr anzuwenden. Die Inkohärenz des Österreichischen Glücksspielmonopols ergebe sich insbesondere aus der unterschiedlichen Behandlung von Online-Sportwetten und Online-Glücksspiel, der Ausweitung der Lotterie-Konzession auf alle Online-Glücksspiele, den unterschiedlichen Regulierungen im Automatenbereich und der expansionistischen Geschäfts- und aggressiven Werbepraxis der de facto Monopolisten. Die bisherige Rechtsprechung der österreichischen Höchstgerichte zum Glücksspielmonopol beschränke sich auf die Prüfung der Werbepraxis der de facto Monopolisten, die anderen für die Inkohärenzprüfung maßgeblichen Themengebiete würden gänzlich außer Acht gelassen.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von EUR 16.944 samt 4 % Zinsen seit 15.10.2024 und zum Kostenersatz.
Es traf die eingangs dargestellten Feststellungen und kam rechtlich zum Ergebnis, dass die Frage der Vereinbarkeit von nationalem Recht und Unionsrecht grundsätzlich eine von Amts wegen zu prüfende Rechtsfrage sei, es sei denn, tatsächliche Umstände würden ausnahmsweise zu einem anderen Ergebnis führen können. Der Beklagten gelinge es aber nicht, das Erstgericht zu einer von der stringenten Judikaturlinie der Höchstgerichte abweichenden Beurteilung zu veranlassen. Die Frage der Unionsrechtskonformität des österreichischen Glücksspielmonopols sei abschließend beantwortet und stehe im Einklang mit den primärrechtlichen Grundfreiheiten des Gemeinschaftsrechts. Die von der Beklagten angebotenen Spiele seien Glücksspiele iSd § 1 GSpG und unterlägen im Online-Verkehr der Konzessionspflicht für elektronische Lotterien nach § 12a GSpG. Die mit der Beklagten abgeschlossenen Glücksspielverträge seien nichtig iSd § 879 Abs 1 ABGB, weil die Beklagte nicht über die notwendige Konzession verfügt habe und die angebotenen Glücksspiele damit verboten iSd § 1174 Abs 2 ABGB gewesen seien. Angesichts der Unionsrechtskonformität des österreichischen Glücksspielgesetzes könne sich die Beklagte auch nicht auf den Anwendungsvorrang der Dienstleistungsfreiheit nach Art 57 ff AEUV berufen. Der Kläger sei berechtigt, die gezahlte Spielschuld zurückzufordern, ohne dass dem die Bestimmung des § 1174 Abs 1 Satz 1 ABGB oder § 1432 ABGB entgegenstünden, weil die Leistung nicht „zur Bewirkung“ der unerlaubten Handlung, sondern als „Einsatz“ erbracht worden sei; die Verweigerung des Rückforderungsanspruchs des Verlustbetrags widerspräche dem Zweck des Glücksspielverbots. Die Beklagte sei verpflichtet, dem Kläger die erhaltenen Einzahlungen abzüglich der Auszahlungen, somit die eingeklagten Spielverluste, zurückzustellen.
Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Mangelhaftigkeit des Verfahrens. Sie beantragt, die Klage abzuweisen, in eventu das Urteil aufzuheben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt in seiner Berufungsbeantwortung, der Berufung nicht Folge zu geben.
Die Berufung ist nicht berechtigt.
1.1 Die Beklagte moniert als Verfahrensmangel, das Erstgericht habe das beantragte Sachverständigengutachten aus dem Bereich Marktforschung und Marketing nicht eingeholt. Damit hätte unter Beweis gestellt werden können, dass die von den Konzessionsinhabern betriebene Werbung nicht maßvoll oder darauf beschränkt sei, Verbraucher zu den kontrollierten Spielernetzwerken zu lenken, gezielt vulnerable Gruppen anspreche, Glücksspiel verharmlose und ein positives Image verleihe, Gewinne verführerisch in Aussicht stelle, die Anziehungskraft durch zugkräftigere Botschaften erhöhe und jene Personen zur aktiven Teilnahme an Glücksspiel anrege, die bis dato nicht gespielt hätten.
1.2Ein primärer Verfahrensmangel im Sinn des § 496 Abs 1 Z 2 ZPO liegt schon deshalb nicht vor, weil das Erstgericht gerade keine von den Behauptungen der Beklagten abweichenden Feststellungen getroffen hat. Sollten die Tatsachen, die die Beklagte mit dem beantragten Gutachten beweisen möchte, rechtlich relevant sei, könnte nur ein sekundärer Feststellungsmangel nach § 496 Abs 1 Z 3 ZPO vorliegen (vgl Pimmer in Fasching/Konecny 3§ 496 ZPO Rz 55 ff). Auf die Frage, ob in Zusammenhang mit der Beurteilung der Kohärenz des österreichischen Glücksspielmonopols sekundäre Feststellungsmängel vorliegen, wird im Rahmen der Behandlung der Rechtsrüge näher eingegangen.
2. Gegenstand der Rechtsrüge ist die von der Beklagten behauptete Unionsrechtswidrigkeit des in § 3 GSpG normierten Glücksspielmonopols.
2.1Der Oberste Gerichtshof geht seit seiner am 22. November 2016 zu 4 Ob 31/16m ergangenen Entscheidung in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass das im GSpG normierte Monopol- oder Konzessionssystem bei gesamthafter Würdigung sämtlicher damit verbundener Auswirkungen (insbesondere der Werbemaßnahmen der Konzessionäre) auf dem Glücksspielmarkt allen vom EuGH aufgezeigten Vorgaben des Unionsrechts zur Verhältnismäßigkeit und Kohärenz entspricht (RS0130636 [T7]; 7 Ob 213/21f; 4 Ob 223/21d; 4 Ob 213/21h; 4 Ob 200/21x; 1 Ob 74/22x; 2 Ob 23/23f; 7 Ob 203/23p; 7 Ob 86/24h; 3 Ob 147/24z; uva). Zuletzt hat der Oberste Gerichtshof diese Ansicht etwa zu 3 Ob 17/25h bestätigt. Bereits mehrfach hat der Oberste Gerichtshof unter Berücksichtigung der Rechtsprechung der anderen österreichischen Höchstgerichte und des Europäischen Gerichtshofs die Unionsrechtskonformität des österreichischen Glücksspielmonopols als abschließend beantwortet erachtet (3 Ob 72/21s; 9 Ob 20/21p; 5 Ob 30/21d; uva).
2.2Die genannten Entscheidungen setzen sich mit den von der Beklagten vorgebrachten Argumenten auseinander, die Konzessionsinhaberinnen würden exzessive Werbemaßnahmen betreiben und ausweiten, Glücksspiel verharmlosen und ihnen ein positives Image verleihen oder Personen zur Teilnahme anregen, die bisher nicht gespielt haben. Sie begründen, wieso auch eine Politik der kontrollierten Expansion von Glücksspielen mit dem Ziel, Spieler zu schützen und Straftaten im Zusammenhang mit verbotenen Spielen zu bekämpfen, in Einklang stehe, wenn Spieler dadurch veranlasst werden, von verbotenen Spielen zu erlaubten und geregelten Spielen überzugehen, bei denen davon ausgegangen werden könnte, dass sie „frei von kriminellen Elementen“ und darauf ausgelegt seien, die Verbraucher vor übermäßigen Ausgaben und Spielschulden zu schützen (vgl etwa 1 Ob 229/20p).
2.3Der Oberste Gerichtshof beleuchtete in den genannten Entscheidungen auch die Fragen der unterschiedlichen Behandlung von Online-Sportwetten und Online-Glücksspiel sowie Online-Glücksspiel und Offline-Glücksspiel (vgl 7 Ob 213/21f; RS0129268 [T6, T8] = 5 Ob 30/21d).
2.4Die Beurteilung durch den Obersten Gerichtshof steht im Einklang mit den Erkenntnissen des Verfassungsgerichtshofs (vgl E 945/2016, G 286/219) und des Verwaltungsgerichtshofs (vgl Ro 2015/17/0022, Ra 218/170048, Ra 2020/17/0001; Ra 2021/17/0031). Auch der EuGH sah die aktuellen Werbemaßnahmen der österreichischen Konzessionsinhaber in der zuletzt ergangenen Entscheidung zum österreichischen Glücksspielmonopol als kohärent an (EuGH C-920/19, Fluctus ).
2.5 Die Beklagte zeigt nicht nachvollziehbar auf, inwiefern sich durch Feststellungen zum Wachstum des Glückspielmarkts, zur Ausweitung der Geschäftstätigkeit und des Angebots der Konzessionsinhaber, zu den Werbemaßnahmen der Konzessionsinhaber, zur steigenden Kriminalität im Zusammenhang mit Glücksspiel und zur Kontrolle des Spielerschutzes ergeben würde, dass die Ausgestaltung des österreichischen Glücksspielrechts nicht geeignet wäre, die Gelegenheiten zum Spiel zu verringern, die Spieler zu schützen und der Kriminalität vorzubeugen.
Die Feststellungsgrundlage ist daher auch nicht mangelhaft geblieben: Die behauptete Ausweitung der Geschäftstätigkeit, die Steigerung der Einnahmen und die Werbemaßnahmen der Konzessionsinhaber führten nach der Rechtsprechung nicht zur Unionsrechtswidrigkeit des österreichischen GSpG, weil diese als Teil einer Politik der kontrollierten Expansion im Glücksspielsektor zur wirksamen Lenkung der Spieltätigkeit in kontrollierbare, rechtmäßige Bahnen angesehen werden könnten (1 Ob 229/20p, EuGH C-347/09, Dickinger/Ömer , Rn 65). Auch die Zunahme von Kriminalität ist kein Indiz dafür, dass die Kriminalität durch die Monopolregelungen nicht beherrscht wird. Die Rechtsprechung des EuGH, wonach die tatsächlichen Auswirkungen des Monopols von den nationalen Gerichten „dynamisch“ zu beurteilen seien (vgl C-464/15, Admiral, Rn 32ff), möchte ein statisches Abstellen auf den Zeitpunkt der erlassenen Regelung verhindern; das Erfordernis einer ständigen Neubeurteilung der Auswirkungen in jedem einzelnen Fall lässt sich aus dieser Rechtsprechung nicht ableiten. Der Hinweis auf die Entscheidung 10 Ob 52/16v vom 11. November 2016 geht fehl, weil diese Entscheidung aus der Zeit vor der dargestellten nunmehr maßgebenden gefestigten Rechtsprechung stammt (vgl 4 Ob 229/17f; RS0042668).
2.6 Aus der in der Berufung aufgezeigten Mehrfachfunktion des BMF als Eigentümervertreter eines Glücksspielunternehmens und dessen Aufsichtsbehörde lässt sich nicht ableiten, dass das österreichische System nicht geeignet wäre, die Verwirklichung des Ziels, Spieler zu schützen und Straftaten in Zusammenhang mit verbotenen Spielen zu bekämpfen (vgl EuGH C-390/12, Pfleger , Rn 42), oder die Verwirklichung des genannten Ziels verhindere. Der bloße Umstand, dass die Bundesregierung eine Umstrukturierung des Glücksspielwesens plane, lässt nicht den Schluss zu, dass das derzeitige System nicht wirklich dem Ziel des Spielerschutzes oder der Kriminalitätsbekämpfung diene und nicht dem Anliegen entspreche, in kohärenter und systematischer Weise die Gelegenheiten zum Spiel zu verringern und die mit diesen Spielen verbundene Kriminalität zu bekämpfen.
Das Berufungsgericht sieht daher auch keinen Anlass, der Anregung der Beklagten näherzutreten, dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen, ob Rechtsvorschriften, nach denen das Recht zur Durchführung von Glücksspielen ausschließlich dem Staat vorbehalten ist, und die Aufsicht über die staatlich konzessionierten Glücksspielunternehmen und die Kontrolle von Werbemaßnahmen dieser Glücksspielunternehmen von einer weisungsunterworfenen Dienststelle einer Regierungsbehörde ausgeübt werden, wenn gleichzeitig der Staat Eigentümer dieser Glücksspielunternehmen ist und die Vertretung des Eigentümers durch dieselbe Regierungsbehörde erfolgt, die für ihre Aufsicht zuständig ist, Art 49 und/oder Art 56 AEUV entgegenstehen.
2.7 Das Berufungsgericht sieht keinen Grund, von der ständigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung abzugehen, wonach abschließend geklärt ist, dass das im Glücksspielgesetz normierte Monopol- und Konzessionssystem in allen vom EuGH aufgezeigten Vorgaben des Unionsrechts entspricht, sodass der Berufung nicht Folge zu geben war.
3.Die Entscheidung über die Kosten der Berufungsbeantwortung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
Die ordentliche Revision war mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität nicht zuzulassen.
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