Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Rendl als Vorsitzenden sowie den Richter Dr. Futterknecht, LL.M., BSc, und den Kommerzialrat Mag. Starsich in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei A* GmbH , FN **, **, vertreten durch die Höhne, In der Maur Partner Rechtsanwälte GmbH Co KG in Wien, wider die beklagte und Gegnerin der gefährdeten Partei B* GmbH , FN **, **, vertreten durch die GEISTWERT Kletzer Messner Mosing Schnider Schultes Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Zahlung (Streitwert EUR 77.000), Unterlassung (Streitwert EUR 32.000) und Veröffentlichung (Streitwert EUR 1.000), hier wegen einstweiliger Verfügung (Streitwert EUR 32.000), über den Rekurs der klagenden und gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 18. November 2024, **-19, in nicht öffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird mit der Maßgabe bestätigt, dass der Antrag abgewiesen wird.
Die klagende und gefährdete Partei hat die Kosten ihres Rekurses selbst zu tragen.
Die klagende und gefährdete Partei ist schuldig, der beklagten Partei und Gegnerin der gefährdeten Partei die mit EUR 2.040,42 bestimmten Kosten des Rekursverfahrens (darin EUR 340,14 USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Der Wert des Entscheidungsgegenstandes übersteigt EUR 30.000.
Der ordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig.
Begründung:
Die klagende und gefährdete Partei (in Folge „Klägerin“) begehrte bereits gemeinsam mit der von ihr am 12.4.2024 beim Erstgericht eingebrachten Klage zur Sicherung eines inhaltsgleichen Unterlassungsbegehrens, der beklagten und Gegnerin der gefährdeten Partei (in Folge „Beklagte“) ab sofort bis zum Eintritt der Rechtskraft der über den Unterlassungsanspruch der Klage ergehenden Entscheidung, längstens jedoch bis zum 31.8.2026 zu gebieten, es zu unterlassen, ein digitales und/oder online-Schulbuch als Applikation oder in anderer digitaler Form für Lehrer und/oder Schüler der Schulstufen 5 bis 8 im Fach Mathematik, unter welcher Bezeichnung auch immer, anzubieten oder zu vertreiben, die zur Gänze oder teilweise digitale und/oder interaktive Inhalte, etwa Aufgabenpool, Coaching-Funktion, Schularbeiten-Generator, Hausarbeiten-Generator, Fehleranalyse und Progressionstool, Chat-System und Abgabe-System aufweisen. Hilfsweise schränkt sie das Sicherungsbegehren darauf ein, dass dieses nur für den geschäftlichen Verkehr gelte.
Das Erstgericht wies den Antrag mit Beschluss vom 15.5.2024 (ON 9) im Wesentlichen mit der Begründung ab, der Klägerin sei die Bescheinigung des tatsächlichen Abschlusses der Kooperationsvereinbarung vom 15.7.2016 und deren konkreten Inhalt nicht gelungen. Dem dagegen erhobenen Rekurs gab das Rekursgericht mit Beschluss vom 19.12.2024 (ON 24) Folge, hab den Beschluss auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf.
Mit Antrag vom 23.8.2024 (ON 14) beantragte die Klägerin neuerlich den Erlass einer gleichlautenden einstweiligen Verfügung.
Die Beklagte wandte in der ihr eingeräumten schriftlichen Äußerung unter anderem ein, ein neuerlicher Antrag sei aufgrund der Streitanhängigkeit des bereits anhängigen Antrags zurückzuweisen.
Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht den Antrag der Klägerin auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung zurück und verhielt die Klägerin zum Kostenersatz. Ausgehend von dem auf den Seiten 12 bis 14 der Beschlussausfertigung als bescheinigt angenommenen Sachverhalt kam das Erstgericht in rechtlicher Hinsicht zum Ergebnis, der neuerliche Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung müsse wegen der Streitanhängigkeit als Vorläuferin der Einmaligkeitswirkung der materiellen Rechtskraft scheitern. Selbst wenn ein neuer Sicherungsantrag wegen neuer Bescheinigungsmittel für zulässig erachtet werde, könne dies jedenfalls im zweiseitig gewordenen Verfahren nur für Bescheinigungsmittel gelten, die die Antragstellerin noch nicht beibringen habe können. Konkret habe es die Antragstellerin jedoch unterlassen, die ihr bekannte und zur Verfügung stehende Vereinbarung vom 17.5.2016 mit dem ersten Antrag vorzulegen.
Dagegen richtet sich der Rekurs der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem – sinngemäßen - Antrag, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass dem Antrag stattgegeben werden; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.
Die Beklagte beantragte, den Rekurs zurück- bzw abzuweisen. Hilfsweise beantragte sie für den Fall der Gewährung der einstweiligen Verfügung der Beklagten die Möglichkeit der Leistung eines zu hinterlegenden Abstandsbetrages einzuräumen und/oder der Klägerin den Erlag einer angemessenen Sicherheitsleistung aufzuerlegen.
Der Rekurs ist nicht berechtigt .
1. Die Argumentation der Rekurswerberin beschränkt sich im Wesentlichen darauf, dass die Kooperationsvereinbarung im ersten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung irrtümlich nicht vorgelegt worden sei, weshalb dies die Erlassung einer zweiten einstweiligen Verfügung auf Grundlage dieser Urkunde nicht hindere.
2.1 Zunächst ist jedoch zu klären, ob dem zweiten Antrag das auch im Provisorialverfahren zu beachtende Prozesshindernis der rechtskräftig entschiedenen Streitsache (§ 411 ZPO) entgegensteht. Grundsätzlich können zwei identische Sicherungsanträge nicht gleichzeitig anhängig gemacht werden (4 Ob 36/03b).
2.2 Sowohl bei Einbringung des zweiten Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung als auch im Zeitpunkt der Beschlussfassung des angefochtenen Beschlusses war über den ersten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung noch nicht rechtskräftig entschieden, sodass die Streitanhängigkeit noch andauerte.
2.3 Der gleiche Streitgegenstand liegt vor, wenn der in der neuen Klage geltend gemachte prozessuale Anspruch sowohl hinsichtlich des Begehrens als auch des rechtserzeugenden Sachverhaltes, also des Klagsgrundes, ident mit jenem des Vorprozesses ist. Die Identität des Anspruchs, bei der eine neue Klage ausgeschlossen ist, liegt dann vor, wenn der Streitgegenstand der neuen Klage und der Urteilsgegenstand des schon vorliegenden Urteils gleich sind, also sowohl das Begehren inhaltlich dasselbe fordert, was bereits rechtskräftig zuerkannt oder aberkannt wurde, als auch die zur Begründung vorgebrachten Tatsachen den im Prozess festgestellten entsprechen (RS0039347 [T25]).
2.4 Wenngleich die Sicherungsbegehren jeweils ident sind und sich die Klägerin auch jeweils auf die Kooperationsvereinbarung vom 15.7.2016 stützt, behauptet sie im Antrag vom 12.4.2024 (ON 1), die Klägerin habe durch das Anbieten von mit dem gemeinsamen Produkt „C*“ konkurrenzierenden Inhalten über die von ihr betriebenen Website ** , ein durch den Vertriebspartner der Beklagten, dem D*, jedoch mit der Signatur des Geschäftsführers der Beklagten versandte E-Mail vom 19.1.2024 sowie einem am 2.2.2024 durch die Beklagte versandtes E-Mail durch das vereinbarte Wettbewerbsverbot verstoßen.
Im Antrag vom 23.8.2024 (ON 14) bezieht sich die Klägerin zwar zunächst auch allgemein darauf, dass die Beklagte ohne jede Mitwirkung der Klägerin, aber auch ohne ihre Zustimmung konkurrenzierende Inhalte anbiete. In weiterer Folge bezieht sie sich jedoch auf einen Newsletter der Beklagten vom 10.4.2024, der am 23.4.2024 auf ihrer Website und am 29.4.2024 auf Facebook veröffentlicht worden sei, in welchem explizit darauf verwiesen werde, dass es eine Vielzahl an Produkten geben werde und statt des alten „E*“ künftig weiterentwickelte Trainings-Tools vorgesehen sein.
2.5 Die Streitanhängigkeit ist jedoch dort ausgeschlossen, wo die Identität der rechtserzeugenden Tatsachen nur eine teilweise ist, wo also beim weiteren Anspruch zu den in der ersten Klage vorgebrachten Tatsachen weitere rechtserzeugende Tatsachen hinzutreten. So liegt auch bei identen Unterlassungsbegehren keine Streitanhängigkeit vor, wenn der Anspruch aus einem anderen Wettbewerbsverstoß abgeleitet wird (RS0039196 [T7, T11]). Dem zweiten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung steht somit nicht der Einwand der Streitanhängigkeit entgegen.
3. Alleine damit ist für die Klägerin jedoch nichts gewonnen. Das Erstgericht traf im nunmehr angefochtenen Beschluss – von der Klägerin unangefochten – eine Negativfeststellung, ob und mit welchem konkreten Inhalt die Streitteile am 15.7.2016 eine Kooperationsvereinbarung geschlossen haben. Allfällige diesbezügliche Verfahrensmängel darf das Berufungsgericht nicht von Amts wegen aufgreifen (10 Ob 30/24w; RS0037325 [T3]). Da die Klägerin den Unterlassungsanspruch jedoch auf die Verletzung eines in dieser Kooperationsvereinbarung gestütztes Konkurrenzverbot stützt, war dem Rekurs mit der Maßgabe nicht Folge zu geben, dass der Antrag der Klägerin (inhaltlich) abzuweisen ist.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 78 Abs 1, 393 Abs 1 EO iVm § 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO. Da die Klägerin im Provisorialverfahren unterlegen ist, steht ihr endgültig kein Kostenersatz zu, auch wenn sie im Hauptverfahren obsiegt ( Kodek in Angst/Oberhammer, EO³ § 393 Rz 2/1 mwN).
6. Der Ausspruch über den Wert des Entscheidungsgegenstands gründet auf den §§ 78 Abs 1, 402 Abs 4 EO iVm §§ 500 Abs 2 Z 1 lit b, 526 Abs 3 ZPO, und folgt der Bewertung durch die Klägerin.
7. Der ordentliche Revisionsrekurs war mangels Vorliegens von Rechtsfragen der in §§ 502 Abs 1, 528 Abs 1 ZPO iVm §§ 78 Abs 1, 402 Abs 4 EO genannten, die Bedeutung des Einzelfalles übersteigenden Qualität nicht zuzulassen. Wenn das Rekursgericht den Beschluss der ersten Instanz mit einer „Maßgabe“ bestätigt, kann darin eine Abänderung des angefochtenen Beschlusses liegen (RS0111093). Da das Erstgericht den Antrag wegen Streitanhängigkeit zurückgewiesen, das Berufungsgericht ihn jedoch inhaltlich abgewiesen hat, war nicht von einer bestätigenden Entscheidung iSd § 528 Abs 2 Z 3 ZPO auszugehen.
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