Das Oberlandesgericht Linz hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Richter Senatspräsident Dr. Robert Singer als Vorsitzenden, Mag. Herbert Ratzenböck und Dr. Patrick Eixelsberger sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Wolfgang Raab (Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Mario Kalod (Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei mj A* , geboren am **, **straße **, **, vertreten seine Mutter Mag. a B*, ebendort, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt , Landesstelle Oberösterreich, Bahnhofplatz 8, 4021 Linz, vertreten durch ihren Angestellten Mag. C*, wegen Pflegegeld, über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom 23. Mai 2025, Cgs* 12, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Der Berufung wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass es nunmehr zu lauten hat:
„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei Pflegegeld der Stufe 3 von 1.11.2024 bis 31.12.2024 in Höhe von EUR 551,60 und von 1.1.2025 bis 30.4.2025 in Höhe von EUR 577,00 sowie Pflegegeld der Stufe 4 ab 1.5.2025 in Höhe von EUR 865,10 zu zahlen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.“
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
Mit Bescheid vom 26.11.2024 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers vom 1.10.2024 auf Gewährung des Pflegegeldes ab, weil der Pflegebedarf nur durchschnittlich 53 Stunden im Monat betrage.
Der Kläger begehrte mit der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage die Zuerkennung von Pflegegeld im gesetzlichen Ausmaß ab Stichtag. Er leide an Trisomie 21, könne nicht gehen, kein einziges Wort sprechen und sei körperlich und geistig stark beeinträchtigt. Ergänzend zur aufwendigen täglichen Pflege und Ernährung bestehe ein hoher zeitlicher Aufwand für Therapien und Kontrollen im Krankenhaus.
Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Es bestehe kein ausreichender Pflegebedarf für die Gewährung von Pflegegeld.
Mit dem angefochtenen Urteil sprach das Erstgericht dem Kläger Pflegegeld der Stufe 4 ab 1.11.2024 im gesetzlichen Ausmaß zu. Es legte den auf den Seiten 1 bis 4 ersichtlichenSachverhalt zugrunde, auf den gemäß § 500a ZPO verwiesen wird. Diese Feststellungen sind auszugsweise wie folgt wiederzugeben:
Aufwendig gestaltet sich auch das Einnehmen von Mahlzeiten, weil der Kläger Schluckprobleme hat und nicht sitzen kann; dazu kommen noch Compliance-Probleme. Der Kläger benötigt 3 x 5 Minuten täglich für das Unterstützen beim Trinken, für das Einnehmen des Frühstücks 10 Minuten, für Mittagessen und Abendessen jeweils 20 Minuten und für die zwei tägliche Jausen ebenfalls 2 x 10 Minuten. Insgesamt ergibt sich somit ein konkreter [täglicher] Betreuungsbedarf für das Einnehmen von Mahlzeiten im Ausmaß von 85 Minuten.
In rechtlicher Hinsicht gelangte das Erstgericht zu einem monatlichen Pflegebedarf von 174 Stunden (bzw vor Vollendung des 3. Lebensjahres von 144 Stunden wegen des unterschiedlichen Differenzbedarfs bei der Einnahme von Mahlzeiten), weshalb dem Kläger Pflegegeld der Stufe 4 zustehe.
Gegen die Zuerkennung von Pflegegeld der Stufe 4 im Zeitraum 1.11.2024 bis 30.4.2025 richtet sich die Berufung der Beklagten wegen unrichtiger Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Abänderungsantrag auf Zuerkennung von Pflegegeld der Stufe 3 in diesem Zeitraum.
Der Kläger hat sich am Berufungsverfahren nicht beteiligt.
Die Berufung ist berechtigt.
A. Zur Beweisrüge:
Die Berufung bekämpft das im Feststellungsteil per 4. 2. 2022 festgehaltene Geburtsdatum des Klägers. Korrekt sei das Geburtsdatum 4. 4. 2022, wie sich aus verschiedenen Aktenbestandteilen, so insbesondere auch aus der Versicherungsnummer des Klägers ergebe. Bei dieser vom Erstgericht getroffenen Feststellung handle es sich um einen offenbaren Schreibfehler.
Dazu ist auszuführen, dass es sich hier bei der Anführung des unrichtigen Geburtsdatums in Übereinstimmung mit den Berufungsausführungen um einen offenkundigen Schreibfehler handelt; damit in Einklang wurde beispielsweise vom Erstgericht im Urteilskopf korrekt als Geburtsdatum der 4.4.2022 angeführt. Ein derartiger Fehler kann auch noch in höherer Instanz im Sinn des § 419 ZPO berichtigt werden (RS0041527). Der rechtlichen Beurteilung ist daher das Geburtsdatum 4.4.2022 zugrunde zu legen.
B. Zur Rechtsrüge:
Die Berufung meint, dass dem Kläger ausgehend von dem vom Erstgericht zutreffend ermittelten Pflegebedarf Pflegegeld der Stufe 4 erst ab Vollendung des 3. Lebensjahres und damit ab 1.5.2025 zustehe; davor gebühre Pflegegeld der Stufe 3.
Dazu ist auszuführen:
1.1 Die Pflegegeldbemessung erfolgt grundsätzlich nach dem Konzept der funktionsbezogenen Beurteilung des Pflegebedarfs. Es ist nicht abstrakt auf die den Pflegebedarf begründende Erkrankung, sondern den individuell erforderlichen und daher im Einzelfall gesondert zu prüfenden Betreuungs- und Hilfsbedarf abzustellen (vgl RS0106384; Greifeneder/Liebhart, Pflegegeld 5 Rz 5.3).
1.2 Nach § 4 Abs 3 BPGG ist bei der Beurteilung des Pflegebedarfs von Kindern und Jugendlichen bis zum vollendeten 15. Lebensjahr nur jenes Ausmaß an Pflege zu berücksichtigen, das über das erforderliche Ausmaß von gleichaltrigen nicht behinderten Kindern und Jugendlichen hinausgeht.
1.3.1 Nach § 1 Abs 2 Kinder-EinstV ist bei Kindern und Jugendlichen bis zum vollendeten 15. Lebensjahr der natürliche, alters- und entwicklungsabhängige Pflegeaufwand für Betreuungs- und Hilfsverrichtungen (natürlicher Pflegebedarf), der auch bei gleichaltrigen nicht behinderten Kindern und Jugendlichen für diese Betreuungs- und Hilfsverrichtungen besteht, für die Beurteilung des Pflegebedarfs im Sinne des § 4 Abs 1 BPGG in Abzug zu bringen.
1.3.2 Gemäß § 1 Abs 3 Kinder-EinstV ist der jeweilige natürliche Pflegebedarf im Sinne des Abs 2 ein fixer Zeitwert und besteht nur bis zum Erreichen des jeweiligen nachstehenden Lebensalters. Nach Z 5 gilt für das Einnehmen von Mahlzeiten bis zum vollendeten 3. Lebensjahr ein fixer Zeitwert von 1 Stunde.
1.3.3 Nach § 1 Abs 4 Kinder-EinstV ist der in Abs 3 angeführte natürliche Pflegebedarf (unter anderem) für das Einnehmen von Mahlzeiten bei den in § 3 Kinder-EinstV angeführten Zeitwerten bereits in Abzug gebracht worden.
1.3.4 Gemäß § 3 Abs 6 Kinder-EinstV werden für bestimmte Verrichtungen auf einen Tag bezogene Mindestwerte festgelegt, darunter für das Einnehmen von Mahlzeiten bei erschwerender Funktionseinschränkung bis zum vollendeten 3. Lebensjahr 30 Minuten (Z 4 lit a) und ab dem vollendeten 3. Lebensjahr 90 Minuten (Z 4 lit b).
2. Ausgehend vom tatsächlich ermittelten Zeitbedarf für die Einnahme von Mahlzeiten ging das Erstgericht zutreffend von den verordneten Mindestwerten (30 Minuten täglich bzw 15 Stunden im Monat bis zur Vollendung des 3. Lebensjahres und 90 Minuten täglich bzw 45 Stunden im Monat danach) aus, sodass sich unter Berücksichtigung des weiteren im Berufungsverfahren unstrittigen Pflegebedarfs von 129 Stunden im Monat ein monatlicher Gesamtpflegebedarf von 144 Stunden bis zur Vollendung des 3. Lebensjahres im April 2025 und von 174 Stunden ab Vollendung des 3. Lebensjahres ergibt. Demnach erfüllt der Kläger gemäß § 4 Abs 2 BPGG bis einschließlich April 2025 die Voraussetzungen von Pflegegeld der Stufe 3 (mehr 120 Stunden bis 160 Stunden monatlich) und ab Mai 2025 (vgl § 9 Abs 5 BPGG) die Voraussetzungen von Pflegegeld der Stufe 4 (mehr als 160 Stunden monatlich).
C. Ergebnis, Kosten und Zulässigkeitsausspruch:
1. In Stattgebung der Berufung war daher im Zeitraum 1.11.2024 bis 30.4.2025 das Pflegegeld auf die Stufe 3 zu korrigieren und das Mehrbegehren abzuweisen. Die Höhe des Pflegegeldes ergibt sich aus § 5 BPGG, sodass jener Betrag zahlenmäßig bestimmt zuzusprechen ist, der der Pflegegeldstufe entspricht, in der die Einstufung erfolgt (RS0107801).
2. Die ordentliche Revision ist gemäß § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig, weil keine erheblichen Rechtsfragen zu klären waren.
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