Das Oberlandesgericht Linz hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Barbara Jäger als Vorsitzende, Dr. Dieter Weiß und Mag. Nikolaus Steininger, LL.M. als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter KR Josefine Deiser (Kreis der Arbeitgeber) und Sascha Gruber (Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* , geboren am **, **, ** Straße **, vertreten durch Dr. Rudolf Höpflinger, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt , 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch ihre Angestellte Mag. B*, Landesstelle C*, wegen Invaliditätspension , über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 30. Juli 2025, Cgs*-20, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten des Berufungsverfahrens selbst zu tragen.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
Mit Bescheid vom 6. August 2024 wurde der Antrag des Klägers vom 23. April 2024 auf Zuerkennung einer Invaliditätspension abgelehnt und ein Anspruch auf Rehabilitationsgeld sowie auf Maßnahmen der medizinischen oder beruflichen Rehabilitation verneint.
Gegen die Ablehnung der Gewährung einer Invaliditätspension richtet sich die vorliegende Klage mit der Behauptung, seit dem letzten, durch Klagszurückziehung beendeten Verfahren sei eine Verschlimmerung eingetreten. Insbesondere die depressive Symptomatik habe sich aufgrund der therapieresistenten Schmerzzustände verschlechtert.
Die beklagte Partei beantragte Klagsabweisung und wandte ein, der Kläger habe keinen Berufsschutz und könne am allgemeinen Arbeitsmarkt noch die Hälfte des Entgelts eines gesunden Versicherten erzielen.
Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht das Klagebegehren ab und traf zusammengefasst folgende Sachverhaltsfeststellungen:
Der Kläger kann 20 Stunden pro Woche bzw vier Stunden täglich mit durchschnittlichem Zeitdruck im Sitzen, Gehen und Stehen arbeiten und dabei drittelzeitig bis 5 kg tragen und bis 10 kg heben, wobei ein kurzfristiger Haltungswechsel bei Auftreten stärkerer Schmerzen möglich sein soll. Zwangshaltungen der Lendenwirbelsäule, abruptes Ziehen, Drücken und Stoßen oder Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sind auszuschließen. Auch grobmotorische Tätigkeiten mit der rechten Hand sind nicht mehr möglich. Ohne erhöhte Anforderungen an die Konzentrationsfähigkeit und die Eigenverantwortung sind dem Kläger noch einfache Auskunftstätigkeiten zumutbar; Kundenkontakt ist auszuschließen. Ein Tagespendeln ist möglich, eine Wohnsitzverlegung oder ein Wochenpendeln nicht. Krankenstände sind im Ausmaß von fünf Wochen jährlich zu erwarten.
Mit diesem Leistungskalkül des Klägers sind Tätigkeiten als Portier, Parkraumüberwacher, Parkgaragenwächter oder -kassier, Museumsaufseher oder Bürobote vereinbar. Am regional erreichbaren Arbeitsmarkt (Großraum Stadt C*) gibt es jeweils mehr als 15 Stellen in zumindest zwei dieser Tätigkeiten.
In seiner rechtlichen Beurteilung verneinte das Erstgericht angesichts der noch zumutbaren Verweisungsberufe eine Invalidität des Klägers gemäß § 255 Abs 3 ASVG.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die rechtzeitige, unbeantwortet gebliebene Berufung des Klägers wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens mit dem Antrag auf Abänderung in eine Klagsstattgabe. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Die gemäß § 480 Abs 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung zu behandelnde Berufung ist nicht berechtigt .
1 Der Kläger behauptete in der Tagsatzung vom 30. Juli 2025 (ON 19.2 S 3) eine Verschlechterung seiner Leiden gegenüber der Befundaufnahme (22. Mai 2025) und beantragte unter Vorlage eines Befundberichts der behandelnden Fachärztin für Psychiatrie vom 6. Juni 2025 (Blg ./B) sowie unter Hinweis auf eine Terminbestätigung für einen Kuraufenthalt vom 20. Jänner 2025 (ON 17) die Ergänzung sowohl des neurologisch-psychiatrischen als auch des orthopädischen Sachverständigengutachtens.
Das Erstgericht wies diese Beweisanträge im Wesentlichen mit der Begründung ab, die behandelnde Psychiaterin spreche seit Anfang 2023 von einer mittelgradigen rezidivierenden depressiven Störung und aus der Terminbestätigung für den Kuraufenthalt ergebe sich keine orthopädische Verschlechterung.
2 Im Unterbleiben der Gutachtensergänzungen erblickt der Kläger nunmehr einen auf eine vorgreifende Beweiswürdigung zurückzuführenden Verfahrensmangel. Hätte das Erstgericht die beantragten Ergänzungsgutachten in Auftrag gegeben, hätte sich eine derartige Verschlechterung des Leistungskalküls ergeben, dass die beantragte Invaliditätspension zu gewähren gewesen wäre.
3 Laut Kläger ist schon dadurch eine Verschlechterung objektiviert, dass die neurologisch-psychiatrische Sachverständige eine mäßiggradige Episode diagnostiziere, während die behandelnde Psychiaterin aufgrund ihrer späteren Untersuchung die rezidivierende depressive Störung als gegenwärtig mittelgradige Episode qualifiziere.
3.1 Nach Ansicht des erkennenden Senats ist eine mäßiggradige Depression weder leicht noch schwer, sondern mittelgradig, sodass der Schweregrad im Sachverständigengutachten derselbe wie im Befundbericht ist.
3.2 Abgesehen davon führt die behandelnde Psychiaterin zwischen Februar 2023 und März 2025 in neun Befundberichten immer als Schweregrad für die diagnostizierte rezidivierende depressive Störung eine mittelgradige Episode an (SV-Gutachten ON 13 S 7), weshalb dem – nur zwei Wochen nach der Befundaufnahme durch die Sachverständige erstellten – neuen Befundbericht vom 6. Juni 2025, in dem wiederum von einer gegenwärtig mittelgradigen Episode die Rede ist, keine Verschlechterung zu entnehmen ist.
3.3Private ärztliche Befunde und Gutachten sind grundsätzlich nicht geeignet, die Gutachten gerichtlich bestellter Sachverständiger zu widerlegen (RIS-Justiz RS0040598, RS0040570 [T1]; OGH 10 ObS 77/14t), allerdings dürfen sie im Verfahren nicht übergangen werden, sondern der gerichtlich bestellte Sachverständige soll dazu überprüfbar Stellung nehmen (
Da aber die neun Befundberichte in das neurologisch-psychiatrische Gutachten vom 22. Mai 2025 Eingang gefunden haben (ON 13 S 7), begründet es keinen Verfahrensmangel, wenn das Erstgericht den zehnten gleichlautenden Befundbericht nicht zum Anlass für eine Gutachtensergänzung genommen hat.
3.3Entscheidend sind zudem nicht die Diagnosen, sondern das Leistungskalkül, bilden doch die Diagnosen nur die Grundlage für das zu erstellende und für die Frage der Verweisbarkeit relevante Leistungskalkül (RIS-Justiz RS0084399). Welchen Einfluss die behauptete „Verschlechterung“ des psychiatrischen Zustands von einer mäßiggradigen auf eine mittelgradige Episode auf das Leistungskalkül haben soll, lässt sich dem Vorbringen des Klägers – naturgemäß – nicht entnehmen.
3.4 Dass im Befundbericht vom 6. Juni 2025 von einer unverändert reduzierten Alltagsbelastbarkeit die Rede ist und von einer nahezu unverändert gedrückten Stimmung, soll auch nicht unerwähnt blieben. Panikattacken schildert der Kläger ebenfalls schon immer (siehe ON 1). Diese treten außerdem laut Befundbericht in der Nacht auf, sodass der Einfluss auf die Fähigkeit, wenigstens vier Stunden pro Tag zu arbeiten, nicht ohne Weiteres ersichtlich ist.
3.5 Zu Recht hat daher das Erstgericht von einer neuerlichen Befassung der neurologisch-psychiatrischen Sachverständigen Abstand genommen.
4 Die behauptete Verschlechterung im orthopädischen Bereich versucht der Kläger mit einer anlässlich eines Vertagungsantrags (ON 17) vorgelegten Kuraufenthaltsbestätigung zu untermauern. In der Tagsatzung sei noch kein Behandlungsbericht zur Kur vorgelegen.
4.1 Die referierte Urkunde enthält außer dem Zeitraum 24. Juli bis 14. August 2025 nur allgemeine Informationen über die Anreise, den Selbstbehalt und Parkmöglichkeiten etc. Hinweise auf eine jüngst erfolgte Verschlechterung können sich daraus schon denkmöglich nicht ergeben, stammt doch die Terminbestätigung vom 20. Jänner 2025.
4.2 Entscheidend für die Beurteilung des Pensionsanspruchs ist der Schluss der Verhandlung erster Instanz und zu dem Zeitpunkt liegt nur die lapidare Behauptung einer Verschlechterung im orthopädischen Bereich vor. Weder wird dargetan, worin konkret diese Verschlechterung besteht und inwieweit sie sich auf das Leistungskalkül auswirkt, noch wird ein taugliches Beweismittel vorgelegt. Dass sich aus dem Abschlussbericht der Kur eine Verschlechterung ergeben hätte, wird nicht einmal in der Berufung behauptet.
4.3 Ein Verfahrensmangel durch Nichteinholung eines orthopädischen Ergänzungsgutachtens liegt somit ebenfalls nicht vor.
5 Insgesamt ist daher das Ersturteil zu bestätigen.
6Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Für einen Zuspruch der Kosten aus Billigkeit trotz Unterliegens fehlt es schon an den rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten des Verfahrens.
7Die ordentliche Revision ist nicht zuzulassen, da keine erheblichen Rechtsfragen im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zur Lösung anstehen. Das Leistungskalkül ist eine auf Tatsachenebene mit Hilfe eines Sachverständigengutachtens zu beantwortende Frage und daher nicht revisibel.
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