Das Oberlandesgericht Graz hat durch die Richter Mag a . Tröster (Vorsitz), Mag a . Haas und Dr. Sutter in der Strafsache gegen A*wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 1 StGB nach öffentlicher Verhandlung am 28. Oktober 2025 in Anwesenheit der Oberstaatsanwältin Mag a . Dexer, des Angeklagten und seines Verteidigers Rechtsanwalt Mag. Hirsch sowie des Privatbeteiligtenvertreters Mag. Hacker (für B*), über die Berufung des A* gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 17. April 2025, GZ **-22, zu Recht erkannt :
Der Berufung wird dahin Folge gegeben, dass dem Privatbeteiligten B* der Betrag von EUR 3.250,00 zugesprochen und er mit dem diesen Betrag übersteigenden Mehrbegehren zur Gänze auf den Zivilrechtsweg verwiesen wird.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am ** geborene A* des Vergehens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 1 StGB schuldig erkannt und nach dieser Gesetzesstelle in Anwendung des § 37 Abs 1 StGB zur Geldstrafe von 240 Tagessätzen zu je EUR 25,00, im Uneinbringlichkeitsfall 120 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, sowie gemäß § 369 Abs 1 StPO zur Bezahlung eines Betrages von EUR 6.500,00 binnen 14 Tagen an den Privatbeteiligten B*, der mit seinen darüber hinausgehenden privatrechtlichen Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg verwiesen wurde, verurteilt. Gemäß § 389 Abs 1 StPO wurde der Angeklagte auch zum Strafverfahrenskostenersatz verpflichtet.
Dem Schuldspruch zufolge hat A* am 19. Oktober 2024 in ** B* durch Versetzen eines heftigen Stoßes vorsätzlich am Körper misshandelt und ihm durch seinen dadurch bewirkten Sturz fahrlässig eine an sich schwere und mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung verbundene Verletzung (Serienrippenfraktur und Fraktur des Schulterblatts) zugefügt.
Gegen das Urteil richtet sich die „volle“ Berufung des Angeklagten.
Die Oberstaatsanwaltschaft und der Privatbeteiligte traten ihr entgegen.
Das Rechtsmittel ist teilweise erfolgreich.
Entsprechend § 489 Abs 1 StPO macht der Berufungswerber zunächst den Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 4 StPO geltend. Er behauptet, durch die Ablehnung seiner Beweisanträge auf fotogrammetrische Auswertung der Videoaufzeichnung (ON 4), Abhaltung eines Ortsaugenscheins und Beiziehung eines technischen Sachverständigen sei er in wesentlichen Verteidigungsrechten verletzt worden.
Gemäß § 55 Abs 1 StPO ist der (hier:) Angeklagte berechtigt, die Aufnahme von Beweisen zu beantragen. Im Antrag sind Beweisthema, Beweismittel und jene Informationen, die für die Durchführung der Beweisaufnahme erforderlich sind, zu bezeichnen. Soweit dies nicht offensichtlich ist, ist zu begründen, weswegen das Beweismittel geeignet sein könnte, das Beweisthema zu klären. Unzulässige, unverwertbare und unmögliche Beweise sind nicht aufzunehmen. Im Übrigen darf eine Beweisaufnahme auf Antrag des Angeklagten nur unterbleiben, wenn (u.a.) das beantragte Beweismittel nicht geeignet ist, eine erhebliche Tatsache zu beweisen (Abs 2 Z 2 leg. cit.). Lassen die Angabe von Beweisthema und -mittel die Beweisrelevanz noch nicht hinreichend schlüssig erkennen, bedarf es einer ergänzenden Begründung ( Schmollerin WK StPO § 55 Rz 62). Die Beweisrelevanz hat zwei Komponenten. Es muss der Bezug zwischen Beweismittel und Beweisthema nach § 55 Abs 1 letzter Satz StPO zur Begründung eines Beweisantrags ebenso dargelegt werden, wie der Bezug zwischen Beweisthema und verfahrensentscheidenden Tatsachen. Insoweit wird auch eine Begründung verlangt, warum die Klärung des Beweisthemas „für die Schuld- oder Subsumtionsfrage von Bedeutung ist“ (zB 11 Os 119/08x, JusGuide 2008/47/6170; 14 Os 143/09z, JusGuide 2011/09/8507; Danek/Mannin WK StPO § 238 Rz 7; Kirchbacher/Sadoghiin WK StPO § 246 Rz 18; Lässig , ÖJZ 2006, 406; Ratzin WK StPO § 281 Rz 327f; Hinterhofer/Oshidari; Strafverfahren Rz 6.51 und Rz 8.111; McAllister/Wess in Birklbauer/Haumer/Nimmervoll/Wessin LiKStPO § 55 Rz 17; E. Steininger , Nichtigkeitsgründe 7 281f). Diesbezüglich geht es also um die Begründung, dass das Beweisthema eine „erhebliche“ Tatsache darstellt, die für eine das Verfahrensergebnis „entscheidende“ Tatsache beweisrelevant ist ( Schmoller aaO Rz 64ff mwN).
Vor allem letzterem Gebot werden die Beweisanträge (ON 21, AS 12ff) nicht gerecht, weshalb deren Abweisung (ON 21, AS 16) berechtigt war.
Die fotogrammetrische Auswertung der Videoaufzeichnung sollte der Eruierung der „Fluglage“ des Zeugen B* dienen und zum Ergebnis haben, dass diese „mit einem etwaigen Anschupfen durch den Angeklagten nicht in Einklang zu bringen ist (ON 21, AS 12). Unerfindlich bleibt dabei aber, wie der Sachverständige angesichts des Fehlens von Aufnahmen des relevanten Geschehens unmittelbar vor dem Sturz des Zeugen B* aufgrund seines Fachwissens eine „etwaige Stoßrichtung“ feststellen und den behaupteten Bezug zum Sturz herstellen können sollte.
Selbiges gilt auch in Bezug auf den Antrag auf Beiziehung eines technischen Sachverständigen (ON 21, Seite 14), dessen Rekonstruktionsmöglichkeiten ebenfalls nicht auf (k)eine Stoßbewegung des Angeklagten rückschließen ließen.
Weshalb die „Abhaltung eines Ortsaugenscheins“ zutage bringen sollte, dass „der Angeklagte für den gegenständlichen Sturz nicht verantwortlich ist“, blieb angesichts der aus Lichtbildern und Videomaterial bekannten örtlichen Gegebenheiten zu Unrecht unbegründet, zumal ein entsprechendes bauliches Hindernis oder etwa eine besondere körperliche Einschränkung des Angeklagten, die gegen einen Stoß als Ursache sprechen, nicht einmal behauptet wurde (ON 21, AS 12f).
Die Verfahrensrüge ist daher unberechtigt.
Auch die Schuldberufung bleibt erfolglos. Die aufgrund einer gut nachvollziehbaren und lebensnahen Beweiswürdigung getroffenen Feststellungen in objektiver und subjektiver Hinsicht sind unbedenklich. Es ist überzeugend aufgrund der zugestandenen Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen B*, dessen durch die Videoaufnahmen objektivierten Sturz, seiner anschließenden medizinischen Versorgung, des eingeholten Sachverständigengutachtens und der den Angeklagten belastenden zeugenschaftlichen Angaben anzunehmen, dass ein Stoß des Angeklagten gegen den Zeugen B* zu dessen Sturz und seiner schweren Verletzung führte, wobei aus der Heftigkeit des Stoßes auf den Misshandlungsvorsatz und der Art des Sturzes auf die Fahrlässigkeitsschuld hinsichtlich der Verletzungsfolgen rückgeschlossen werden kann. Namentlich bestehen gar keine Bedenken dagegen, besonders dem im Wesentlichen außenstehenden Zeugen C*, aber auch dem Zeugen D* in ihren Schilderungen zu folgen.
Wenn dagegen eingewandt wird, der Verletzte habe unterschiedliche Versionen bezüglich des Tatablaufs angegeben („umgelaufen“, „gerempelt“, „gestoßen“), ist dem entgegenzuhalten, dass nicht die Angaben des Zeugen B* (allein) den Schuldspruch des Angeklagten bedingen, sondern die Zusammenschau der vorangeführten Beweismittel. Das zentrale (sinngemäße) Argument der Verteidigung, der Angeklagte habe B* gar nicht so stoßen können, dass dieser – so wie tatsächlich erfolgt – stürzte, unterstellt zusammengefasst, dass nur ein „gerades Zur-Seite-Stoßen“ des genannten Zeugen möglich gewesen wäre, was aber nicht zwingend ist. Zum einen kann der Angeklagte den Stoß in jede Richtung hin gesetzt haben (vgl. hiezu etwa auch die Aussage des Zeugen C*: „Daraufhin hat er B* mit der linken Hand einen relativ festen Stoß ... gegeben.“ [ON 14.2,4]), zum anderen kann der Sturz – wie auch behauptet – in seiner Richtung (etwa durch Hindernisse oder Eingreifen von anderen Personen) selbst verändert worden sein. Das Argument der Berufung wiegt daher nicht schwerer als die ihm entgegengesetzte Überlegung, dass für eine alternative Stoßzufügung nicht nur gar keine Anhaltspunkte vorliegen, sondern diese angesichts des äußerst kurzen Zeitintervalls zwischen der eingeräumten Rangelei und dem Sturz hoch unwahrscheinlich ist. Das ferner von der Berufung in den Raum gestellte „Selbststolpern“ (ON 24, 7) bleibt überhaupt bloß spekulativ und angesichts der Schnelligkeit des Sturzes ebenfalls äußerst unwahrscheinlich. Vor diesem Hintergrund kommt den Aussagen der das relevante Geschehen beobachtenden Zeugen besondere Bedeutung zu. Wie angeführt, bestehen keine Vorbehalte dagegen, insbesondere dem Zeugen C* volle Glaubwürdigkeit zuzuerkennen, da er weder in das Geschehen involviert noch mit einem der Beteiligten befreundet war. Dass er, wie in der Berufung vorgebracht, „bewusst oder unbewusst instruiert“ wurde, bleibt eine substanzlose Unterstellung, auch wenn aus den Aussagen des Genannten erfolglos versucht wird, Derartiges abzuleiten.
Insgesamt hält das Berufungsgericht die leugnende Einlassung des Angeklagten und die sie stützenden Angaben der Zeugen E* und F* für nicht zutreffend und von den eingangs der Ausführungen zur Schuldberufung dargestellten Beweismittel widerlegt. Aus dem objektiven Tatgeschehen konnte der Erstrichter auch unter Einbeziehung der Fähigkeiten des Angeklagten auf die entsprechende subjektive Tatseite einwandfrei rückschließen.
Den im Rahmen der Schuldberufung gestellten Anträgen „zum Beweise der Schuldlosigkeit des Angeklagten“ (ON 24, 10) war nicht nachzukommen, weil (unverändert) keine Beweismittel das Geschehen unmittelbar vor dem Sturz objektivieren und somit aus der Auswertung bekannter Sturzphasen nicht auf die Nichtversetzung eines Stoßes geschlossen werden kann.
Aufgrund der damit gesicherten Sachverhaltsbasis ist die Rechtsrüge (§ 281 Abs1 Z 9 lit a iVm § 489 Abs 1 StPO) zu behandeln. Ihr ist der im Urteil festgestellte Sachverhalt zugrunde zu legen. Wenn sie sich auf eine Tatsache stützt, die im Urteil nicht festgestellt ist, oder wenn sie Umstände übergeht, die im Urteil festgestellt wurden, bekämpft sie bloß unzulässigerweise die freie Beweiswürdigung des Erstgerichts (vgl hiezu Kirchbacher, StPO 15 § 281 Rz 5).
Die in der Berufung in diesem Zusammenhang behauptete „kleine misshandelnde Insultation“ findet keine Entsprechung in den Feststellungen. Die Behauptung eines atypischen Kausalverlaufs wiederum verkennt, dass nur eine atypische Ungefährlichkeit der Begehungsweise des Grunddelikts in Bezug auf die qualifizierte Tatfolge die erfolgsspezifische Sorgfaltswidrigkeit ausschließt (RIS-Justiz RS0089151), was hier mit Blick auf einen Stoß und den anschließenden Sturz mit einer nicht unüblicherweise damit verbundenen Verletzung nicht gegeben ist. Damit erweist sich das angefochtene Urteil auch unter diesem Aspekt einwandfrei.
Bei der Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe ist der Strafsatz des § 84 Abs 1 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren ebenso wie die Anwendung des § 37 Abs 1 StGB zugrunde zu legen.
Mildernd ist, dass der Angeklagte bisher einen ordentlichen Lebenswandel geführt hat, mit dem die Tat in auffallendem Widerspruch steht (§ 34 Abs 1 Z 2 StGB).
Unter dem Schuldaspekt (§ 32 StGB) spricht der doppelt qualifizierte Erfolg (an sich schwere Verletzung und über 24-tägige Gesundheitsschädigung des Opfers) für eine strengere Strafbemessung (Abs 3 des § 32 StGB). Andererseits ist eine Tatprovokation des Angeklagten durch das Opfer und damit eine Schuldminderung anzunehmen. Ein langes Wohlverhalten im Sinne des § 34 Abs 1 Z 18 StGB seit der Tat hätte einen etwa fünfjährigen Beobachtungszeitraum zur Voraussetzung, der aber seit 19. Oktober 2024 bei weitem nicht verstrichen ist.
Bei Abwägung der relevanten Strafzumessungsfaktoren erscheinen 240 Tagessätze dem mit der Tat verbundenen Unrecht angemessen. Die Ersatzfreiheitsstrafe hiefür ergibt sich aus § 19 Abs 3 StGB. Die Höhe des einzelnen Tagessatzes entspricht mit EUR 25,00 von den unbedenklichen bezüglichen Urteilsfeststellungen (Seite 2 bzw. 10) ausgehend, den Vorgaben des § 19 Abs 2 StGB. Eine bedingte Nachsicht eines Strafteils kommt angesichts der Schwere der Tatfolgen und der vom Angeklagten gezeigten Haltung zum Geschehen aus spezial- und generalpräventiven Gründen nicht in Betracht.
Berechtigt ist die Berufung wegen der privatrechtlichen Ansprüche, mit der begehrt wird, im Falle einer bestätigten Verurteilung des Angeklagten dem Privatbeteiligten B* „lediglich“ einen Betrag von EUR 3.250,00 zuzusprechen (ON 24, 13). Das erstgerichtliche Urteil enthält weder genauere Angaben zur Art der Schlagführung (Faust oder flache Hand) des B* vor dem Stoß des Angeklagten noch Konstatierungen zum zeitlichen Intervall zwischen dem Schlag und dem Stoßgeschehen. Beide Parameter haben aber wesentlichen Einfluss auf das (Ausmaß des) Mitverschulden(s) des Opfers. Unbedenklich kann jedoch mit Blick auf den vom medizinischen Sachverständigen ermittelten Schmerzkatalog (ON 20, 3) und die gleich dem Erstgericht als angemessen angesehene Entschädigung von EUR 6.500,00 die Hälfte dieses Betrags als jedenfalls berechtigt dem Privatbeteiligten zuerkannt werden. Mit seinem weiteren Begehren war er gemäß § 366 Abs 2 StPO (ebenfalls) auf den Zivilrechtsweg zu verweisen. Die Kostenentscheidung ist in § 390a Abs 1 StPO begründet.
Rückverweise
Keine Verweise gefunden