Der Oberste Gerichtshof hat durch die Hofrätin Mag. Wessely Kristöfel als Vorsitzende sowie die Hofrätin und die Hofräte Dr. Steger, MMag. Sloboda, Dr. Vollmaier und Dr. Pfurtscheller als weitere Richter in den verbundenen Außerstreitsachen der Antragstellerin Republik Österreich (Bund), vertreten durch die A*, diese vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, gegen die Antragsgegner 1. (61 Nc 10/20k) D*, 2. (61 Nc 4/21d) D*, wegen Festsetzung einer Enteignungsentschädigung, über die außerordentlichen Revisionsrekurse der Antragstellerin und des Zweitantragsgegners gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 14. Mai 2025, GZ 14 R 6/25t 46, mit dem der Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 31. Oktober 2024, GZ 61 Nc 10/20k 38, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Den außerordentlichen Revisionsrekursen wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen, die hinsichtlich der Festsetzung einer je zur Hälfte auf die Antragsgegner entfallenden Enteignungentschädigung von 147.038,50 EUR als unangefochten unberührt bleiben, werden im Übrigen aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Begründung:
[1] Die Antragsgegner sind Hälfteeigentümer der Liegenschaft EZ * der KG * mit dem Grundstück 296/1 im Ausmaß von 4.085 m².
[2] Mit Bescheid des Amtes der Wiener Landesregierung vom 20. 8. 2020 verfügte diese zum Zweck der Errichtung der S1 Wiener Außenring Schnellstraße zugunsten der Antragstellerin die Enteignung dieses Grundstücks und setzte die Entschädigung mit insgesamt 348.192,52 EUR je zur Hälfte auf die Antragsgegner entfallend fest. Diese Entschädigungssumme wurde – teils durch Auszahlung, teils durchHinterlegung nach § 1425 ABGB im Jahr 2021 – bezahlt.
[3] Während der Erstantragsgegner den Enteignungsbescheid nicht bekämpfte, sodass er ihm gegenüber mit 23. 9. 2020 in Rechtskraft erwuchs, rief der Zweitantragsgegner das Verwaltungsgericht an, das seine Beschwerde mit Urteil vom 28. 1. 2021 als unbegründet abwies und die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zuließ . M it Zustellung dieses Urteils am 3. 2. 2021 erwuchs der Enteigungsbescheid dem Zweitantragsgegner gegenüber in Rechtskraft.
[4] Die Antragstellerinbegehrte fristgerecht die Neufestsetzung der Enteignungsentschädigung durch das Gericht mit der wesentlichen Begründung, der im Verwaltungsverfahren beigezogene Sachverständige habe einen überhöhten Quadratmeterpreis angesetzt. Als gemeiner Wert im Sinn des § 305 ABGB iVm § 4 Abs 3 LBG sei für d as landwirtschaftlich genutzte Grundstück nur ein Quadratmeterpreis von 34,85 EUR angemessen.
[5] Die Antragsgegner wendeten im Wesentlichen ein, der vom Sachverständigen im Verwaltungsverfahren ermittelte Preis von 78,20 EUR/m² sei nachvollziehbar. Das Vergleichswertverfahren sei bei landwirtschaftlichen Flächen in einer rasch wachsenden Großstadt wie Wien nicht sinnvoll anwendbar, weil diese mit einem mittel bis langfristigen Entwicklungspotential zu bewerten seien. Ablösen für landwirtschaftliche Flächen für Straßenprojekte erfolgten regelmäßig im Bereich von 10 bis 15 % der Baugrundpreise. D er Stadtentwicklungsplan STEP 2025 (idF: STEP 2025) weise den Bereich des enteigneten Grundstücks als Gebiet mit Entwicklungspotential für Wohnen und Arbeiten aus.
[6] Das Erstgericht setzte die Enteignungsentschädigung mit 307.805 EUR fest, wobei jeweils die Hälfte auf jeden der Antragsgegner entfalle. Das enteignete Grundstück sei gegenwärtig landwirtschaftlich genutzt und dem Leitbild Grünräume Wien folgend dem Bereich der „Grünen Reserve“ zuzuordnen. Nach dem Agrarstrukturellen Entwicklungsplan für Wien 2014 liege das Grundstück im Vorranggebiet Landwirtschaft – Kat egorie 1, im Teilgebiet 1/9 Gartenbau /Ackerbaugebiet Marchfeld Breitenlee. Zu den Stichtagen 23. 9. 2020 bzw 3. 2. 2021 habe für das Grundstück zur Gänze eine Bausperre nach § 8 Abs 1 der Wiener Bauordnung gegolten . Erst am 15. 4. 2021 sei für das an das Grundstück anschließende Plangebiet eine Änderung des Flächenwidmungsplans aufgelegt und am 26. 1. 2022 beschlossen worden. Seitdem gelten in diesem Plangebiet Widmungen für L ändliches Gebiet (L), Schutzgebiet Wald und Wiesengürtel landwirtschaftliche Nutzung (SwwL) und Verkehrsband (VB).
[7] Ein Gutteil landwirtschaftliche r Flächen in Wien k önne als potenzielles oder tatsächliches Bauerwartungsland gesehen werden. Auskunft darüber, welche Flächen vorerst noch längerfristig für landwirtschaftliche Nutzung bzw im Gegenschluss für eine mittelfristige Verbauung vorgesehen seien , gebe offiziell der STEP 2025 mit dem Leitbild Grünräume Wien und dem Agrarstrukturellen Entwicklungsplan für Wien 2014.
[8] Die Kategorie „Grüne Reserve“ betr effe Flächen, wo derzeit keine Stadtentwicklung und somit auch keine Entwicklung zu Bauland geplant sei . Allerdings sei noch nicht entschieden, was langfristig mit diesen Flächen geschehe. Ein Gemeinderatsbeschluss könnte etwa bei deutlichem Bevölkerungswachstum das Leitbild abändern. Flächen der „Grünen Reserve“ seien im Gegensatz zu Flächen des „Wiener Immergrün“ nicht zwingend für immer als Grünräume zu erhalten, jedoch nicht den im STEP 2025 ausgewiesenen Potentialflächen für Wohnen und Arbeiten zuzurechnen. Sie hätten derzeit und in naher Zukunft kein Siedlungspotential, sondern Grün und Freilandfunktion.
[9] Als Wert des gesamten Grundstücks 296/1 stellte das Erstgericht zum Stichtag 23. 9. 2020 307.805 EUR fest. Der Hälfteanteil des Erstantragsgegners sei zum Stichtag 23. 9. 2020 153.902 EUR wert, der Wert des Anteils des Zweitantragsgegners valorisiert auf 3. 2. 2021 154.753 EUR.
[10] Zur Wertermittlung verwies das Erstgericht auf das Sachverständigengutachten und den sich daraus ergebenden Quadratmeterpreis von 75,35 EUR. Auch im Fall des Wegfalls einzelner Vergleichsfälle – wie von der Antragstellerin begehrt – würde sich nur ein „geringfügig niedrigerer Kaufpreis in einer Gr ößenordnung von etwa 70 EUR pro m²“ ergeben. Eine „Valorisierung der Entschädigung für den zweiten Hälfteanteil“ lehnte das Erstgericht im Hinblick auf die Erfolglosigkeit des Rechtsmittels des Zweitantragsgegners ab.
[11] Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs der Antragstellerin, in dem diese die Festsetzung eines insgesamt 147.038,50 EUR nicht überschreitenden angemessenen Entschädigungsbetrags anstrebte, ebenso wenig Folge wie den Rekursen der Antragsgegner, in denen diese jeweils die Zuerkennung von (pauschalen) Wiederbeschaffungskosten im Ausmaß von 9 % des zuerkannten Betrags und der Zweitantragsgegner auch die Valorisierung auf den für ihn geltenden Stichtag begehrten.
[12] Das Rekursgericht billigte die vom Sachverständigen angewendete Vorgangsweise, die Vergleichswertmethode nicht im Weg eines statistischen Mittelwerts, sondern durch Bildung eines Referenzpreises im Weg der deduktiven Ableitung auf Grundlage von (sechs) Vergleichsfällen und der vermuteten Motive der Marktteilnehmer heranzuziehen. Zwar sei die Frage, ob eine Liegenschaft als landwirtschaftlich genutztes Grünland, als Bauerwartungsland oder Bauland anzusehen und dementsprechend zu bewerten sei, eine anhand der gesamten Verfahrensergebnisse vom Gericht zu beantwortende Rechtsfrage. Die Antragstellerin richte sich in ihrem Rekurs aber nicht gegen „die vom Erstgericht festgestellte Widmung“, sondern wolle nur einen Kauffall als nicht vergleichbar ausgeschieden haben. Dies betreffe den Tatsachenbereich, eine Beweisrüge habe die Antragstellerin aber nicht erhoben. Der Annahme des Sachverständigen sei überdies nicht „Bauerwartungsland“, sondern „begünstigtes Grünland“ im Hinblick auf eine entsprechende Erwartungshaltung im städtischen Bereich zugrunde gelegen.
[13] Den Antragsgegnern hielt das Rekursgericht entgegen, sie hätten eine Pauschalentschädigung für Wiederbeschaffungskosten im Verfahren erster Instanz nicht begehrt, ihr diesbezügliches Vorbringen im Rekurs widerspreche dem Neuerungsverbot. Die Enteignungsentschädigung sei objektiv-konkret anhand des Einzelfalls zu ermitteln; eine amtswegige Erhöhung um 9 % Wiederbeschaffungskosten sei daher nicht geboten. Eine Aufwertung der Entschädigungssumme komme nach ständiger Rechtsprechung nur dann in Frage, wenn eine besonders lange Verfahrensdauer und/oder eine außergewöhnliche Geldentwertung vorliege, was hier nicht der Fall gewesen sei.
[14] Den Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu.
[15] Soweit die Festsetzung des Entschädigungsbetrags in einer insgesamt 147.038,50 EUR bzw 73.519,25 EUR pro Antragsgegner überschreitenden Höhe erfolgte, bekämpft die Antragstellerin dies in ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs mit dem Antrag auf Abänderung in diesem Sinn und stellt hilfsweise einen Aufhebungsantrag.
[16] Der Zweitantragsgegner beantragt in seinem außerordentlichen Revisionsrekurs die Abänderung dahin, dass die ihm gebührende Enteignungsentschädigung mit 168.680,77 EUR festgesetzt wird. Auch er begehrt hilfsweise die Aufhebung.
[17] In den ihnen jeweils freigestellten Revisionsrekursbeantwortungen beantragen die Antragstellerin, den Revisionsrekurs des Zweitantragsgegners als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihm keine Folge zu geben, und der Zweitantragsgegner, dem Revisionsrekurs der Antragstellerin nicht Folge zu geben. Der Erstantragsgegner hat sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.
[18] Beide außerordentlichen Revisionsrekurse sind zulässig , weil aufgrund der Feststellungen noch nicht abschließend rechtlich beurteilt werden kann, ob es sich beim enteigneten Grundstück um Bauerwartungsland im Sinn der bisherigen Rechtsprechung oder Grünland (mit sich schon auf den Marktpreis auswirkendem Entwicklungspotential) handelt, und die Rechtsauffassung des Rekursgerichts zur (Nicht-)Berücksichtigung der Wiederbeschaffungskosten sowie des (allenfalls) unterschiedlichen Werts der Liegenschaftshälften zu den jeweiligen Enteignungsstichtagen korrekturbedürftig ist. Sie sind im Sinn einer Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen im Umfang der Anfechtung auch berechtigt .
I. Zum Rekurs der Antragstellerin
[19]1. Gemäß § 18 Abs 1 erster Satz BStG 1971 gebührt dem Enteigneten für alle durch die Enteignung verursachten vermögensrechtlichen Nachteile Schadloshaltung (§ 1323 ABGB). Die Entschädigung muss alle durch die Enteignung verursachten vermögensrechtlichen Nachteile erfassen, wobei der Verkehrswert der entzogenen Liegenschaft den wichtigsten Faktor für dessen Bemessung darstellt (1 Ob 101/21s [Pkt II.1.]; 6 Ob 161/10k mwN).
[20]2. Auch eine nachträgliche Entwicklung der tatsächlichen Verhältnisse, die im Zeitpunkt der Enteignung als wahrscheinlich vorausgesehen werden konnte, kann die Höhe des zu ersetzenden Verkehrswerts (hier nach § 18 BStG) beeinflussen (RS0053483). Für die Bewertung eines Grundstücks sind nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs daher neben der bestehenden Widmung auch realistisch beurteilte künftige Verwendungsmöglichkeiten samt ihrer Auswirkung auf den Marktwert entscheidend, sofern die reale Möglichkeit einer solchen Verwendung bereits im Zeitpunkt der Enteignung gegeben war und nicht bloß für eine noch unbestimmte Zukunft erhofft worden ist (RS0058043 [T3]; RS0057977; RS0057981; 3 Ob 46/11b [Pkt 2.2.]; 1 Ob 201/13k [Pkt 4. „Grünland mit Entwicklungspotential“]; 1 Ob 138/13w [Pkt I.1.] je mwN). Entscheidend ist, ob sich das Entwicklungspotential zum Bewertungszeitpunkt schon auf den Marktpreis auswirkt (1 Ob 101/21s [Pkt II.2.] mwN). Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kann etwa ein aktueller Stadtentwicklungsplan ungeachtet seiner fehlenden Normqualität auch schon vor dem Vollzug entsprechender Umwidmungen von Grünland in Bauland Auslöser derartiger Erwartungen auf dem Grundstücksmarkt sein ( 1 Ob 25/14d [Pkt 4.]; 3 Ob 46/11b [Pkt 2.2.]; 6 Ob 161/10k; 10 Ob 109/15z [Pkt 2.e.]). Wenn am Rand einer sich allmählich vergrößernden Stadt ausschließlich wegen der Erwartung der Einbeziehung dieser Randgebiete in das verbaute Gebiet kein oder nur ein geringer Grundstücksverkehr in Bezug auf die bisher landwirtschaftlichen Grundstücke stattfindet, dann können diese Gebiete mit Recht als Bauerwartungsland angesprochen werden, auch wenn ein nachfolgender Flächenwidmungsplan sie noch als Grünland einstufte ( RS0053483 ).
[21]3. Ob eine Liegenschaft als landwirtschaftlich genutztes Grünland oder als „Bauerwartungs- (Bauhoffnungs-)land“ anzusehen und dementsprechend zu bewerten ist, hat das Gericht anhand der gesamten Verfahrensergebnisse zu beurteilen (1 Ob 101/21s [Pkt II.3.] mwN). Es handelt sich dabei um eine nicht vom Sachverständigen, sondern vom Gericht zu beantwortende Rechtsfrage (RS0007824). (Nur) Soweit die Gerichte der Entscheidung über die Festsetzung der Enteignungsentschädigung die tatsächlichen Ausführungen des Sachverständigen zugrunde legen, beantworten sie Fragen auf der Tatsachenebene. Die Vollständigkeit und Schlüssigkeit eines Sachverständigengutachtens fallen in den Bereich der vom Obersten Gerichtshof nicht überprüfbaren Beweiswürdigung (RS0114643). Auch die Auswahl der Bewertungsmethode durch den Sachverständigen könnte im Enteignungsverfahren nur dann als eine nicht dem Tatsachenbereich angehörige Frage vom Obersten Gerichtshof überprüft werden, wenn dabei gegen Denkgesetze und zwingende Gesetze des sprachlichen Ausdrucks verstoßen würde (RS0043122; RS0043517 [T3]).
[22]4. Grundlage für die Einschätzung des Werts hat somit das realistische Entwicklungspotential der Liegenschaft und die Frage zu sein, ob sich dieses zum maßgeblichen Zeitpunkt bereits auf den Marktpreis ausgewirkt hat. Dies erfordert die Beurteilung der künftigen Wahrscheinlichkeit einer Umwidmung von Grünland in Bauland und der Reaktion des Marktes auf tatsächliche und rechtliche Möglichkeiten einer solchen Änderung der Flächenwidmung und die darauf beruhende Bewertung der betroffenen Grundstücke, womit naturgemäß ein gewisser spekulativer Charakter verbunden ist (1 Ob 138/13w [Pkt I.2.3] mwN). Gerade diese Einschätzung ist auf Basis des bisher festgestellten Sachverhalts aber noch nicht abschließend möglich, worauf die Antragstellerin in ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs zutreffend hinweist.
[23] 5. Nach den bisher getroffenen Feststellungen gehört das enteignete Grundstück zur „Grünen Reserve“ bei der – kurz- und mittelfristig – keine Verbauung vorgesehen ist. Das von den Antragsgegnern behauptete „Potential für Wohnen und Arbeiten“ sieht weder der Agrarstrukturelle Entwicklungsplan noch der Stadtentwicklungsplan vor. Der Agrarstrukturelle Entwicklungsplan für Wien 2014 weist das enteignete Grundstück als landwirtschaftlich genutzt aus, überdies galt zu den Stichtagen eine Bausperre (die Änderung des Flächenwidmungsplans in Bezug auf das unmittelbar anschließende Plangebiet in Landwirtschaft erfolgte erst nach dem Enteignungsstichtag und ist nach der zutreffenden Auffassung der Vorinstanzen nicht zulasten der Antragsgegner einzubeziehen). Dass in rechtlicher Sicht auf Basis dieser Feststellungen von „Bauerwartungsland“ in Bezug auf das enteignete Grundstück auszugehen wäre, hat das Erstgericht gerade nicht gesagt. Das Rekursgericht meinte – ohne Festlegung auf Bauerwartungsland –, das Grundstück habe zum Zeitpunkt seiner Enteignung gegenüber seiner damals bestehenden Widmung als landwirtschaftliche Fläche einen erhöhten Verkehrswert aufgewiesen, weil es „entsprechende Erwartungen und Kaufpreise“ auf dem Grundstücksmarkt gegeben habe. Es verwies dazu auf das als Bestandteil dem erstinstanzlichen Beschluss angeschlossene Ergänzungsgutachten, das allerdings – was die rechtliche Beurteilung der Frage nach Bauerwartungsland oder „begünstigtem Grünland“ betrifft – Fragen offen lässt.
[24] 6. Das Erstgericht legte sich nämlich nicht fest, was es konkret aus dieser – als Fragebeantwortung gestalteten – Gutachtensergänzung feststellen wollte und was nicht. Der Sachverständige spricht dort einerseits von relativ konsistenten Wertvorstellungen der Marktteilnehmer hinsichtlich (noch) landwirtschaftlich genutzter Grundstücke, andererseits von nach Planungs- und Entwicklungsgebieten/zonen differierenden Preisen und Kaufdynamik. Dem AgroSTEP und dem STEP 2025 wird nur (aber immerhin) bedingte Relevanz zuerkannt, weil die von der Stadt Wien, ihren Einrichtungen und den Marktteilnehmern bezahlten Preise „oft nicht mit den Festlegungen der Planungsdokumente korrelieren“. Im Gegensatz zur Auffassung des Zweitantragsgegners in der Revisionsrekursbeantwortung ist nicht klar, was konkret das Erstgericht daraus in Bezug auf das hier gegenständliche Grundstück feststellen wollte. Überdies finden sich in der Gutachtensergänzung auch unterschiedliche Tabellen betreffend Mittelwerte bei sechs vergleichbaren Grundstückstransaktionen zwischen 69,31 EUR und 91,31 EUR für den Fall „statistischer Ableitung“. Dazu kommt, dass der Sachverständige dort zur Begründung der von ihm gewählten deduktiven Ableitung des Referenzwerts aus dem Kauffall 1 auf von ihm angenommene politische Verflechtungen zwischen Politik, Behörden und Wirtschaft verweist, aus denen abzuleiten sein soll, dass diese Käuferin den Verkehrswert zum Bewertungszeitraum im Hinblick auf einen möglichen Aufwidmungshorizont am Besten einschätzen konnte. Ob das Erstgericht auch diesen Einschätzungen des Sachverständigen folgen, Feststellungen in diesem Sinn treffen (und dies gegebenenfalls im Sinn des § 4 Abs 3 LBG als unschädlich erachten) wollte, ist nicht klar. Warum ein einziger Verkauf, der nur aufgrund nicht allgemein bekannter („Insider“-)Informationen über mögliche künftige Umwidmungen zu einem bestimmten Kaufpreis erfolgte, bereits ein sich auf den Markt auswirkendes realistisches Entwicklungspotential abbilden soll, erschließt sich allerdings nicht unmittelbar logisch. Klarzustellen ist in dem Zusammenhang auch, dass eine Widmung als „begünstigtes Grünland“ (wie dies der Sachverständige in der Gutachtensergänzung anspricht und offenbar als Gegensatz zum Bauerwartungsland versteht), nach der Rechtsprechung nur insoweit relevant sein könnte, als diese „Begünstigungen“ schon zum Zeitpunkt der Enteignung konkret Gestalt angenommen haben, sodass sie bereits als zusätzlich werterhöhendes Moment angesehen werden können (vgl RS0058043 [T1]; 6 Ob 161/10k). Eine Bewertung nach Zwischenstufen („mehr als Grünland, weniger als Bauerwartungsland“; „höherwertiges Grünland“) wird grundsätzlich in der Literatur (
[25] 7. Zur abschließenden Beurteilung der Rechtsfrage, ob es sich beim enteigneten Grundstück um Bauerwartungsland oder (begünstigtes) Grünland mit konkret absehbaren Entwicklungsmöglichkeiten handelt, die auf dem Markt bereits Niederschlag gefunden haben, bedarf es daher einer Verbreiterung und Konkretisierung der dazu bislang unzureichenden Tatsachengrundlage. Insbesondere wird es konkreter Feststellungen dazu bedürfen, ob der Markt – ungeachtet der Widmung des Grundstücks als „Grüne Reserve“ – zum Enteignungsstichtag bereits von einem konkreten realistischen Entwicklungspotential eines solchen Grundstücks ausging. Dies aus einem einzigen Verkaufsfall deduktiv abzuleiten, würde aber zu kurz greifen.
[26] 8. Damit war dem Revisionsrekurs der Antragstellerin im Anfechtungsumfang stattzugeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind zur Verbreiterung der Tatsachengrundlage aufzuheben. Erst aufgrund des ergänzten Sachverhalts wird eine abschließende Beurteilung der Rechtsfrage nach „Bauerwartungsland“ oder „begünstigtem Grünland mit konkretem Entwicklungspotential“ und damit des aus der Enteignung verursachten vermögensrechtlichen Nachteils der Antragsgegner möglich sein.
II. Zum Rekurs des Zweitantragsgegners
[27]1. Während die Verwaltungsbehörde im Enteignungsbescheid (./A) beiden Antragsgegnern auf Basis der vom Sachverständigen im Verwaltungsverfahren ermittelten Entschädigung pauschale Wiederbeschaffungskosten von 9 % zusprach, unterblieb ein solcher Zuspruch durch das Erstgericht ohne nähere Begründung. Das Rekursgericht lehnte den Zuspruch mit der Begründung ab, die Antragsgegner hätten Wiederbeschaffungskosten im Verfahren erster Instanz nicht begehrt, ihre Argumentation verstoße gegen das Neuerungsverbot des § 49 AußStrG. Zusätzliches Tatsachenvorbringen der Antragsgegner war hier aber nicht erforderlich.
[28]2. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (RS0121649) sind bei Bemessung der Höhe der Entschädigung im Fall der Enteignung Wiederbeschaffungskosten zu ersetzen, also jene Kosten, die mit dem Erwerb eines Ersatzgrundstücks verbunden sind. Der Grund liegt darin, dass dem Enteigneten für alle durch die Enteignung verursachten vermögensrechtlichen Nachteile Schadloshaltung gebührt (§ 18 Abs 1 BStG). Damit die Entschädigung für die aus der Enteignung hervorgegangenen Nachteile vollständig ist, sind dem Enteigneten daher auch jene Kosten zu ersetzen, die er – im Enteignungszeitpunkt – aufwenden muss, um ein dem enteigneten gleichwertiges Grundstück gleicher Art wieder zu erwerben (1 Ob 138/13w [Pkt II.4.2] mwN). Der Enteignete hat daher grundsätzlich Anspruch auf Abgeltung der Wiederbeschaffungskosten als unmittelbare Folgeschäden (RS0053314 [T4]). Darunter versteht man die zu erwartenden Kosten für die Einverleibung, die Vertragserrichtung und die treuhändige Abwicklung des Kaufvertrags (RS0121649; RS0053616). Sind solche Kosten bereits konkret angefallen, ist auf deren Höhe abzustellen, andernfalls gebührt eine Pauschalentschädigung (7 Ob 138/05b; 1 Ob 138/13w [Pkt II.4.2]), wobei in der Rechtsprechung ein Prozentsatz von 9 % als angemessen anerkannt wird (RS0121649).
[29] 2. Hier hat nur die Antragstellerin das Gericht angerufen; eines Antrags auf Festsetzung einer Enteignungsentschädigung (auch) unter Berücksichtigung von Wiederbeschaffungskosten der Antragsgegner bedurfte es nicht. In tatsächlicher Hinsicht war konkretes Vorbringen der Antragsgegner insoweit nicht erforderlich, als sie sich auf den Pauschalsatz von 9 % der Enteignungsentschädigungssumme als Wiederbeschaffungskosten beschränken, zumal die Verwaltungsbehörde Wiederbeschaffungskosten in dieser Höhe ja auch zuerkannt hat. Vorbringen dazu wäre nur erforderlich gewesen, wenn sie höhere Wiederbeschaffungskosten geltend machen hätten wollen. Dass ungeachtet der an sich objektiv-konkret zu ermittelnden Folgeschäden einer Enteignung abstrakte Wiederbeschaffungskosten – im Gegensatz zur Literatur (vgl Kerschner, Funktion der Liegenschaftsbewertung bei der Bemessung der Enteignungsentschädigung, SV 2006, 156, 162 und Roth, Doppelentschädigung und fiktive Grundwiederbeschaffungskosten, ZVR 2007, 360, 364) – zuzuerkennen sind, weil der Enteignete Ersatz für die ihm weggenommenen Werte verlangen kann und die richtig bemessene Geldentschädigung für den ihm entzogenen Grund ihn abstrakt in die Lage versetzen soll, einen gleichwertigen Grund zu kaufen, hat der Oberste Gerichtshof bereits zu 4 Ob 213/10t mit ausführlicher Begründung ausgesprochen und daran in weiterer Folge ausdrücklich festgehalten (RS0121649 [T2]; 8 Ob 113/15y [Pkt 5.5] mwN). Zur Herstellung einer gleichwertigen Ersatzlage verlangt die Bemessung der Enteignungsentschädigung daher – auch ohne konkretes Sachvorbringen dazu – die Berücksichtigung jener Kosten, die zur Verbücherung, Vertragserrichtung und Abwicklung eines Liegenschaftskaufvertrags aufgewendet werden müssen, weil sich die enteignete Liegenschaft im Vermögen des Entreicherten nicht nur im Wert eines gleichwertigen Ersatzgegenstands, sondern auch in den zu dessen Verbücherung notwendigen Aufwendungen (wie Grunderwerbsteuer, Verbücherungskosten etc) niederschlägt.
[30]3. Im fortzusetzenden Verfahren wird daher auf den Zuspruch (abstrakter) Wiederbeschaffungskosten an die Antragsgegner Bedacht zu nehmen sein, hinsichtlich des Erstantragsgegners, der keinen Revisionsrekurs erhoben hat, allerdings nur im Rahmen der ihm gegenüber in Teilrechtskraft erwachsenen Bemessung durch die Vorinstanzen (vgl RS0053339), also maximal bis zu dem Betrag von 153.902,50 EUR.
[31]4. Letztlich rügt der Zweitantragsgegner zu Recht, dass die Vorinstanzen eine Bemessung der ihm gebührenden Enteignungsentschädigung auf Basis des für ihn geltenden Enteignungsstichtags abgelehnt haben. Richtigerweise geht es hier nämlich nicht um die Frage der Valorisierung einer festzusetzenden Enteignungsentschädigung aufgrund langer Verfahrensdauer (vgl RS0109742). Zu berücksichtigen ist vielmehr – und dies gesteht auch die Antragstellerin zu –, dass nach nunmehr völlig einhelliger jüngerer höchstgerichtlicher Recht sprechung maßgebender Zeitpunkt für die Festsetzung der Entschädigung grundsätzlich die Rechtskraft des Enteignungsbescheids ist ( 1 Ob 4/93 ; RS0085888 [T10, T12, T13, T15]; 9 Ob 74/08k ); ältere Rechtsprechung, die auf den Enteignungsbescheid erster Instanz abstellte ( RS0053526 ), ist überholt. Eine Vorverlegung des Bemessungszeitpunkts wäre nur erforderlich, wenn Vorwirkungen der Enteignung die wertbestimmenden Eigenschaften des Grundstücks verändern (RS0058050; RS0053595 ). Beispiele sind etwa eine Bausperre oder die Widmung als Verkehrsfläche und die dadurch bewirkte Wertminderung der (später) enteigneten Fläche ( RS0053595). Der im Zeitpunkt der Enteignung niedrigere Verkehrswert wäre nur in diesem Fall um die vorwirkungsbedingte Wertminderung zu erhöhen; die Entschädigung ist also so zu bemessen, als hätte es diese Vorwirkung nicht gegeben (4 Ob 200/13k [Pkt 1] mwN). Die in der Revisionsrekursbeantwortung der Antragstellerin erwogene, (offenbar) generelle Heranziehung des Angebots zur zivilrechtlichen Einigung als „sachlich richtigen Stichtag für die Ermittlung der Enteignungsentschädigung“ widerspricht dieser einhelligen Rechtsprechung, von der abzugehen ihre Argumentation keinen Anlass bietet. Der Umstand, dass einzelne Materiengesetze mittlerweile keine sukzessive Kompetenz der Gerichte mehr vorsehen und in diesen Fällen andere Stichtage zur Ermittlung der Entschädigung heranzuziehen sein mögen, spricht nicht gegen die Richtigkeit der bisherigen Judikatur. Die Frage, ob der Stichtag zur Bewertung und der Beginn des Fristenlaufs zur Anrufung des Gerichts allenfalls unterschiedlich zu beurteilen wären, bedarf als von nur theoretisch-abstrakter Bedeutung keiner näheren Ausführungen (vgl RS0002495).
[32]5. Daraus folgt für den hier zu beurteilenden Fall: Die Erhebung der Bescheidbeschwerde an den Verfassungsgerichtshof durch den Zweitantragsgegner konnte die Rechtskraft des Enteignungsbescheids nicht hindern (3 Ob 219/14y [Pkt 4]), wohl aber die – nur vom Zweitantragsgegner erhobene – Bescheidbeschwerde an das Verwaltungsgericht Wien. Maßgebender Zeitpunkt für die Festsetzung der Entschädigung war für den Erstantragsgegner die Rechtskraft des Enteignungsbescheids ihm gegenüber, somit der 23. 9. 2020, für den Zweitantragsgegner hingegen erst der 3. 2. 2021. Dass der Zweitantragsgegner den Enteignungsbescheid (erfolglos) bekämpfte, änderte nichts an dem ihm gegenüber späteren Enteignungsstichtag. Ob sich der (Verkehrs-)Wert der Liegenschaftshälfte des Zweitantragsgegners in diesem Zeitraum erhöht hat oder nicht, lässt sich aus den vom Erstgericht dazu getroffenen Feststellungen allerdings nicht ausreichend ableiten, die einerseits von einem „Verkehrswert der gesamten Liegenschaft aus Marktsicht zum Stichtag 23. 9. 2020“, andererseits eines „durch Valorisierung auf den 3. 2. 2021 erhöhten Wert des Hälfteanteils des Zweitantragsgegners“, letztlich dann aber auch davon sprechen, „dem Wert des zweiten Hälfteanteils liege dasselbe Verfahren wie für den ersten Hälfteanteil zugrunde, es sei also grundsätzlich von derselben Markterwartung auszugehen“. Dies wird im fortgesetzten Verfahren klarzustellen sein. Soweit sich eine – vom Sachverständigen zu spezifizierende – Werterhöhung (nur) des Liegenschaftsanteils des Zweitantragsgegners aus Marktsicht während des Zeitraums 23. 9. 2020 bis 3. 2. 2021 ergeben sollte, wird diese im fortgesetzten Verfahren zu berücksichtigen sein.
[33] 6. Damit ist beiden Revisionsrekursen Folge zu geben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind im angefochtenen Umfang aufzuheben.
[34] III. Eine Kostenentscheidung entfiel, zumal Kosten im Revisionsrekursverfahren nicht verzeichnet wurden.
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