W286 2319694-1/10E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a DEUTSCH-PERNSTEINER über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Dr. Mario ZÜGER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.07.2025, Zl. 1371762709-231999914, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 13.10.2025 zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer stellte am 03.10.2023 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
2. Die Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes fand am 04.10.2023 statt.
3. Der Beschwerdeführer wurde am 06.03.2025 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: belangte Behörde) einvernommen. Dabei legte der Beschwerdeführer ein Konvolut von Lichtbildern und Integrationsunterlagen vor.
4. Auf Anfrage der belangten Behörde vom 13.03.2025 hin erstattete die LPD XXXX ) am 24.03.2025 einen Erkenntnisbericht zur Person des Beschwerdeführers.
5. Der Beschwerdeführer wandte sich per Mail am 11.05.2025 an die belangte Behörde.
6. Am 26.05.2025 legte der Beschwerdeführer der belangten Behörde erneut ein Konvolut von Lichtbildern vor.
7. Am 06.07.2025 wandte sich der Beschwerdeführer sowohl um 00.19 Uhr als auch um 17.07 Uhr per Mail an die belangte Behörde.
8. Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz zur Gänze ab (Spruchpunkte I. und II.). Es wurde dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkte III. bis V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).
9. Der Beschwerdeführer erhob gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde.
10. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 13.10.2025 eine mündliche Verhandlung durch, in der der Beschwerdeführer einvernommen wurde. Die belangte Behörde blieb der Verhandlung fern. Mit dem in der Verhandlung mündlich verkündeten Erkenntnissen vom 13.10.2025 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 3 AsylG der Staus eines Asylberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.
11. Die belangte Behörde stellte am 15.10.2025 den Antrag auf schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer heißt XXXX und ist am XXXX geboren. Er ist Staatsangehöriger Afghanistans, er ist Paschtune und sunnitischer Moslem.
Der Beschwerdeführer stammt aus der Provinz Parwan aus dem Dorf XXXX im Distrikt XXXX , wo er auch aufwuchs, die Schule besuchte, und in der Landwirtschaft seines Vaters arbeitete. Im Alter von 21 Jahren (2019) schloss sich der Beschwerdeführer der afghanischen Armee an und war dort als einfacher Soldat im Einsatz. Unmittelbar nach dem Sturz der vormaligen afghanischen Regierung durch die Taliban im August 2021 flüchtete der Beschwerdeführer aus Afghanistan.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten (OZ 2).
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer war in Afghanistan mehrere Jahre als Soldat der afghanischen Nationalarmee tätig. Er legte seine Waffe auf Geheiß des Kompaniekommandanten am 14.08.2021 nieder, verließ die Dienststelle in zivil, reiste dann nach Kabul und verließ Afghanistan danach umgehend. Seine am Heimatort verbliebene Familie wurde im Weiteren schikaniert, weil die Tätigkeit des Beschwerdeführers als Soldat bekannt war – sie ging nach Pakistan, wurde abgeschoben und lebt nun in Kabul.
Der Beschwerdeführer hat glaubhaft gemacht, dass ihm aufgrund seiner Tätigkeit als Soldat und seiner ihm dadurch unterstellten und auch tatsächlich bestehenden oppositionellen Gesinnung Verfolgung durch die Taliban droht.
Aus den genannten Gründen hätte der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine individuell gegen ihn gerichtete Verfolgung durch die Taliban zu erwarten. Es ist davon auszugehen, dass die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Bedrohung seit der Machtübernahme der Taliban in ganz Afghanistan zusätzlich an Aktualität und Intensität zugenommen hat und auch weiterhin besteht.
Aus den in das Verfahren eingebrachten Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers geht hervor, dass zielgerichtete und groß angelegte Vergeltungsmaßnahmen gegen ehemalige Angehörige der Regierung oder Sicherheitskräfte bislang nicht nachgewiesen werden konnten. Auch hätten die Taliban eine „Generalamnestie“ für Angehörige der ehemaligen Regierung und Sicherheitskräfte angekündigt. Menschenrechtsorganisationen berichten allerdings über Entführungen und Ermordungen ehemaliger Angehöriger des Staatsapparats und der Sicherheitskräfte. Diese Fälle ließen sich zumindest teilweise eindeutig den Taliban-Sicherheitskräften zuordnen. Jedenfalls toleriere die Taliban-Regierung trotz gegenteiliger Aussagen Berichte über Verstöße gegen die Amnestie und verfolge diese nicht juristisch.
Zudem würden die Taliban außerhalb offizieller Kommunikation (u. a. in sozialen Medien) das Narrativ verbreiten, dass ehemalige Mitglieder bzw. Angestellte der Regierung und Personen, die mit ausländischen Regierungen gearbeitet haben, Verräter am Islam und an Afghanistan seien. Die Kampagnen der Taliban richten sich Berichten zufolge auch gegen Familienmitglieder ehemaliger Militär- und Polizeikräfte.
Eine innerstaatliche Fluchtalternative liegt im gegenständlichen Fall nicht vor.
1.3. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:
1.3.1. Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 31.01.2025, Version 12:
Allgemeines:
Afghanistan verfügt über 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Dort leben ca. 35-40 Millionen Menschen. Seit der beinahe kampflosen Einnahme Kabuls am 15.8.2021 steht Afghanistan nahezu vollständig unter der Kontrolle der Taliban. (LIB, Kap. 3f)
Politische Lage:
Die politischen Rahmenbedingungen in Afghanistan haben sich mit der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 grundlegend verändert. Die Taliban sind zu der ausgrenzenden, auf die Paschtunen ausgerichteten, autokratischen Politik der Taliban-Regierung der späten 1990er-Jahre zurückgekehrt. Sie bezeichnen ihre Regierung als das „Islamische Emirat Afghanistan“. Die Verfassung von 2004 ist de facto ausgehebelt. Ankündigungen über die Erarbeitung einer neuen Verfassung sind bislang ohne sichtbare Folgen geblieben. Die Taliban haben begonnen staatliche und institutionelle Strukturen an ihre religiösen und politischen Vorstellungen anzupassen. Mit Anfang 2024 hat noch kein Land die Regierung der Taliban anerkannt, dennoch sind Vertreter aus Indien, China, Usbekistan, der Europäischen Union, Russland und den Vereinigten Arabischen Emiraten in Kabul präsent. (LIB, Kap. 4)
Sicherheitslage:
Seit der Machtübernahme der Taliban in Kabul am 15.8.2021 ist das allgemeine Ausmaß des Konfliktes zurückgegangen. Es gab beispielsweise weniger konfliktbedingte Sicherheitsvorfälle wie bewaffnete Zusammenstöße, Luftangriffe und improvisierte Sprengsätze sowie eine geringere Zahl von Opfern unter der Zivilbevölkerung. Es gab jedoch immer noch ein erhebliches Ausmaß an zivilen Opfern durch vorsätzliche Angriffe mit improvisierten Sprengsätzen (IEDs).
Es gab zwischen 25.11.2023 und 25.11.2024 in Afghanistan insgesamt 857 sicherheitsrelevante Vorfälle (390 Kämpfe, 96 Vorfälle mit Explosionen und ferngesteuerter Gewalt, 371 Vorfälle mit Gewalt gegen Zivilisten und 396 zivile Opfer – bei einer Gesamtbevölkerung von 35-40 Millionen Menschen). Die meisten zivilen Opfer gab es in Nord Afghanistan in der Provinz Badakhshan mit 168 zivilen Opfern. Die meisten sicherheitsrelevanten Vorfälle gab es in Ost Afghanistan (388 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 100 zivilen Opfern – bei einer Gesamtbevölkerung von über 11,7 Millionen Einwohnern), wobei die meisten sicherheitsrelevanten Vorfälle auf die Provinz Kabul entfallen (113 Kämpfe, 14 Vorfälle mit Explosionen oder ferngesteuerter Gewalt und 97 Vorfälle mit Gewalt gegen Zivilisten, in denen es 100 zivile Opfer gab – bei einer Gesamtbevölkerung von über 5,7 Millionen Menschen).
Derzeit entstehen die meisten sicherheitsrelevanten Vorfälle in Zusammenhang mit dem Verbot des Anbaus von Betäubungsmitteln, durch Kriminalität und organisierte Kriminalität, durch Angriffe der bewaffneten Opposition und durch Angriffe durch den ISKP.
Aufgrund der Bemühungen der Taliban-Behörden, das Verbot des Mohnanbaus durchzusetzen, kam es im Jahr 2024 vermehrt zu Zwischenfällen in Zusammenhang mit dem Anbau von Betäubungsmitteln und somit auch zu einem Anstieg an sicherheitsrelevanten Vorfällen.
Organisierte Verbrechergruppen sind in ganz Afghanistan an Entführungen zur Erlangung von Lösegeld beteiligt. 2023 wurden 21 Entführungen dokumentiert, 2024 waren es, mit Stand Februar 2024, zwei. Es werden nicht alle Entführungen gemeldet, und oft zahlen die Familien das Lösegeld. Die Taliban-Sicherheitskräfte reagierten aktiv auf Entführungsfälle. Im Juni 2023 leiteten die Taliban beispielsweise in Kabul eine erfolgreiche Rettungsaktion.
Die bewaffnete Opposition in Afghanistan stellt keine nennenswerte Herausforderung für die territoriale Kontrolle der Taliban dar. Die Nationale Widerstandsfront und die Afghanische Freiheitsfront gehen mit einer „Hit-and-Run“-Taktik gegen die Taliban-Sicherheitskräfte vor, greifen deren Posten und Fahrzeuge an und verübten Hinterhalte und gezielte Tötungen. Es gibt keine Region in Afghanistan, in welcher oppositionelle Gruppen offen die Kontrolle haben. In Provinzen wie Panjsher, Baghlan, Badakhshan, Kunduz und Takhar, in denen es in der Vergangenheit zu Kämpfen zwischen den Taliban und verschiedenen Gruppierungen gekommen ist, verlief der Verkehr normal und es gab keine Zwischenfälle.
Die sicherheitsrelevanten Vorfälle betreffend den ISKP gingen seit August 2021 zurück und stiegen 2024 wieder etwas an. Die Taliban führen auch weiterhin Operationen gegen den ISKP durch, unter anderem in Nangarhar. Der ISKP hat zumindest die Möglichkeit operativer Aktivitäten, wobei die Taliban immer effizienter bei der Aushebung von ISKP-Zellen werden. Dies zeigt sich in einer entspannteren Sicherheitslage in beispielsweise Kabul und Herat. Weder der ISKP noch andere Gruppierungen sind aktuell wirklich ein Problem für die Taliban. (LIB, Kap. 5)
In der Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers (Kabul – mit ca. 5,8 Millionen Einwohnern), gab es vom 25.11.2023 bis 25.11.2024 insgesamt 113 Kämpfe. In 97 Fällen kam es auch zu Gewalt gegen Zivilisten und zu 56 zivilen Opfern. (LIB Kap. 5.1)
Erreichbarkeit, Straßen, Flughäfen und Grenzen:
In Afghanistan sind Straßen die wichtigsten Transportwege. Die 2.300 km lange Ring-Road verbindet die vier größten Städte Afghanistans. Alle Provinzen Afghanistans sind mit Bussen oder Taxis erreichbar. Es gibt Dutzende privater Transportunternehmen, die auf den Hauptstrecken, wie z. B. Kabul-Herat, Kabul-Mazar-e Sharif und Kabul-Kandahar, tätig sind. Diese Busse verkehren in der Regel täglich oder mehrmals pro Woche, und viele Unternehmen bieten ihre Dienste auf diesen Strecken an.
Afghanistan verfügt über mehrere Flughäfen. Die Flughäfen Bost, Chaghcharan, Farah, Jalalabad, Khost, Tarinkot und Zaranj bieten Inlandsflüge innerhalb Afghanistans an. Die internationalen Flughäfen in Kabul, Mazar-e Sharif, Kandarhar und Herat sind auch mit internationalen Flügen (z. B. über die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi Arabien, die Türkei, Russland, Pakistan und Indien) erreichbar.
An den Straßen und in den Grenzregionen Afghanistans sowie am Flughafen Kabul gibt es weiterhin Kontrollpunkte der Taliban. XXXX “. Meistens handelt es sich um Routinekontrollen, es kann jedoch auch zu Durchsuchungen kommen. Die Kontrollpunkte sind über ganz Afghanistan verteilt und befinden sich häufig entlang der Hauptversorgungsrouten und in der Nähe der Zugänge zu großen Städten. Darüber hinaus werden auch bei Bedarf Kontrollpunkte und Straßensperren für Suchaktionen, Sicherheitsvorfälle und VIP-Bewegungen eingerichtet. Im Vergleich zur Zeit vor der Machtübernahme der Taliban wurden hunderte Checkpoints an Straßen und Autobahnen abgebaut, weil die Taliban nicht genügend Personal haben, um sie aufrechtzuerhalten, und weil sie in den ländlichen Dörfern, in denen ihre Kämpfer während des jahrzehntelangen Aufstands stationiert waren, keine größere Bedrohung sehen.
Die Taliban haben die Überquerung der Grenze nach Pakistan und Iran ohne gültige Papiere verboten und man benötigt für das Verlassen von Afghanistan einen gültigen Reisepass und eine Einreiseerlaubnis des Ziellandes. Jedoch wird dieses Verbot von Schmugglern durch Bestechung von Grenzbeamten umgangen. Teilweise kommt es an den Grenzen zu Zusammenstößen zwischen den Taliban und Grenzsoldaten der Anrainerstaaten, die auch Verletzte und Tote nach sich ziehen. Es kommt zu temporären Schließungen pakistanischer und iranischer Grenzübergänge. 2024 planten iranische Behörden den Bau einer 60 km langen Grenze, von der mittlerweile 10 km fertig gestellt sind. (LIB, Kap. 3.7)
Verfolgungspraxis der Taliban:
Trotz mehrfacher Versicherungen der Taliban, von Vergeltungsmaßnahmen gegenüber Angehörigen der ehemaligen Regierung und Sicherheitsbehörden abzusehen, waren die Taliban nach Machtübernahme auf der Suche nach ehemaligen Mitarbeitern der internationalen Streitkräfte oder der afghanischen Regierung. Die Taliban gingen von Tür zu Tür und haben auch Angehörige der internationalen Streitkräfte oder der afghanischen Regierung bedroht. Die Taliban erstellen „schwarze Listen“, wobei Personen, die sich auf der Liste befinden in großer Gefahr sind. Im Zuge der Machtübernahme im August 2021 hatten die Taliban Zugriff auf Mitarbeiterlisten der Behörden, unter anderem auf eine biometrische Datenbank mit Angaben zu aktuellen und ehemaligen Angehörigen der Armee und Polizei bzw. zu Afghanen, die den internationalen Truppen geholfen haben. Die Taliban kontrollieren auch Systeme mit sensiblen biometrischen Daten, die westliche Geberregierungen im August 2021 in Afghanistan zurückgelassen haben. Diese digitalen Identitäts- und Gehaltsabrechnungssysteme enthalten persönliche und biometrische Daten von Afghanen, darunter Irisscans, Fingerabdrücke, Fotos, Berufe, Wohnadressen und Namen von Verwandten. Die Taliban haben solche Daten bereits benutzt, um vermeintliche Gegner ins Visier zu nehmen und Gegner auch zu eliminieren bzw. verschwinden zu lassen. Im Zuge von Abschiebungen aus dem Iran werden auch Daten von Rückkehrern vom iranischen Geheimdienst an die Taliban weitergegeben.
Taliban nutzen soziale Medien zu Propagandazwecken und um Gegner des Taliban-Regimes aufzuspüren. Afghanen verüben seit der Machtübernahme durch die Taliban in sozialen Netzwerken Selbstzensur. Es gab bereits Verhaftungen von Personen, die sich in sozialen Netzwerken kritisch über die Taliban geäußert haben. Über soziale Netzwerke können Taliban auch Personen identifizieren, die mit westlichen Gruppen oder westlichen Hilfsagenturen zusammengearbeitet haben. Die Taliban bauen in afghanischen Städten ein groß angelegtes Kameraüberwachungsnetz auf. Es wird befürchtet, dass die Taliban ihr Netz von Überwachungskameras auch dazu nutzen werden, abweichende Meinungen zu unterdrücken und ihre repressive Politik durchzusetzen, einschließlich der Einschränkung des Erscheinungsbildes der Afghanen, der Bewegungsfreiheit, des Rechts zu arbeiten oder zu studieren und des Zugangs zu Unterhaltung und unzensierten Informationen. (LIB, Kap. 5.2)
Zentrale Akteure:
Taliban: Die Taliban sind eine überwiegend paschtunische, islamisch-fundamentalistische Gruppe, die 2021 nach einem zwanzigjährigen Aufstand wieder an die Macht in Afghanistan kam. Die Taliban bezeichnen ihre Regierung als das „Islamische Emirat Afghanistan“, den Titel des ersten Regimes, das sie in den 1990er-Jahren errichteten, und den sie während ihres zwei Jahrzehnte andauernden Aufstands auch für sich selbst verwendeten. Das Emirat ist um einen obersten Führer, den Emir, herum organisiert, von dem man glaubt, dass er von Gott mit der Autorität ausgestattet ist, alle Angelegenheiten des Staates und der Gesellschaft zu beaufsichtigen. Er gilt als die ultimative Autorität in allen religiösen, politischen und militärischen Angelegenheiten. Nach der Machtübernahme versuchten die Taliban, sich von „einem dezentralisierten, flexiblen Aufstand zu einer staatlichen Autorität“ zu entwickeln. (LIB, Kap. 6.1)
Rechtsschutz und Justizwesen:
Unter der vorherigen Regierung beruhte die afghanische Rechtsprechung auf drei parallelen und sich überschneidenden Rechtssystemen oder Rechtsquellen: dem formellen Gesetzesrecht, dem Stammesgewohnheitsrecht und der Scharia. Informelle Rechtssysteme zur Schlichtung von Streitigkeiten waren weit verbreitet, insbesondere in ländlichen Gebieten. Dies ist nach wie vor der Fall, auch wenn die Taliban seit ihrer Machtübernahme versucht haben, einige lokale Streitbeilegungspraktiken zu kontrollieren.
Nach 23 Jahren Krieg (1978-2001) und dem Sturz der Taliban im Jahr 2001 konnte Afghanistan 2004 eine neue Verfassung verkünden, die sowohl islamische als auch modern-progressive Werte enthält. Die juristischen und politikwissenschaftlichen Fakultäten sowie die Scharia waren zwei Institutionen, die zur Ausbildung des Justizpersonals beitrugen, indem sie Hunderte von jungen Männern und Frauen ausbildeten, die später als Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte tätig waren. In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat die internationale Gemeinschaft zahlreiche Entwicklungsprogramme durchgeführt, die auf den Wiederaufbau des afghanischen Rechtssystems und den Ausbau der Kapazitäten des Personals der Justizbehörden abzielen.
Nach ihrem Sturz im Jahr 2001 gelang es den Taliban, in den von ihnen kontrollierten, meisten ländlichen, Gebieten Gerichte einzurichten und den Menschen den Zugang zur Rechtsprechung auf lokaler Ebene zu erleichtern. Dies geschah zu einer Zeit, als die staatlichen Justizorgane aufgrund der weitverbreiteten Korruption ihre Glaubwürdigkeit bei der Bevölkerung weitgehend verloren hatten. Daher zogen die Menschen es vor, sich an die Gerichte der Taliban zu wenden, anstatt an die Gerichte der Regierung. In den vergangenen zwanzig Jahren gelang es dem Justizsystem der Taliban, mit seinen praktischen Maßnahmen das Vertrauen der Menschen zu gewinnen. Die Taliban-Richter fungierten sowohl als Richter im juristischen Bereich als auch als Gelehrte (ulama) im religiösen Bereich. Die Taliban-Richter absolvierten ihre Ausbildung an Deobandi-Schulen in Pakistan und Afghanistan, die sich hauptsächlich auf die hanafitische Rechtsprechung stützten.
Nach der Machtübernahme der Taliban im August 2021 übernahmen sie die vollständige Kontrolle über das Justizsystem des Landes und setzten die Verfassung von 2004 außer Kraft. Bisher haben sich die Taliban noch nicht zu den Gesetzen geäußert, insbesondere nicht zu den Strafgesetzen, zur nationalen Sicherheit und zu den Gerichten. Den Taliban zufolge bildet die hanafitische Rechtsprechung die Grundlage für das Rechtssystem und derzeit verfügt das Land nicht über einen klaren und kohärenten Rechtsrahmen, ein Justizsystem oder Durchsetzungsmechanismen. Den Taliban zufolge bleiben Gesetze, die unter der Regierung vor August 2021 erlassen wurden, in Kraft, sofern sie nicht gegen die Scharia verstoßen. Die Taliban-Führer zwingen den Bürgern ihre Politik weitgehend durch Leitlinien oder Empfehlungen auf, in denen sie akzeptable Verhaltensweisen festlegen, die sie aufgrund ihrer Auslegung der Scharia und der vorherrschenden kulturellen Normen, die die Taliban für akzeptabel halten, rechtfertigen.
Die Änderungen im afghanischen Justizsystem betrafen seit der Machtübernahme der Taliban vor allem formale und administrative Bereiche, aber keine konkreten Änderungen in der Rechtsprechung der Gerichte. So wurden beispielsweise Richter und Verwaltungsangestellte der Gerichte durch Angehörige der Taliban ersetzt, von denen die meisten nicht über ausreichend juristische Kenntnisse und Erfahrungen mit der Arbeit an den Gerichten verfügten. Die meisten Richter und „Muftis“ an Taliban-Gerichten sind Studenten oder Absolventen religiöser Koranschulen, vor allem in Pakistan. Einige der derzeitigen Richter waren während des Krieges als Richter in den von den Taliban kontrollierten Gebieten tätig. Nur wenige Richter, beispielsweise in den Provinzen Herat und Panjsher, verfügen über eine formale Hochschulausbildung und haben an juristischen oder Scharia-Fakultäten von Universitäten studiert. Zudem kam es zur Absetzung von Richterinnen und Anwältinnen und es werden keine Lizenzen mehr an Strafverteidigerinnen vergeben.
Die Taliban haben zwar nicht ausdrücklich behauptet, bestimmte Gesetze außer Kraft zu setzen, aber sie haben immer wieder betont, dass sie im Einklang mit der Scharia regieren und jedes Gesetz ablehnen, das ihr zuwiderläuft. Von den entsprechenden Ministerien und der Talibanführung wird ein neues Rechtssystem auf der Grundlage der Scharia und Hanafi-Rechtsprechung ausgearbeitet. Damit werden die unter der ehemaligen Verfassung geltenden Gesetze, u. a. auch gesonderte schiitische Rechtsprechung, ersetzt. Die meisten Angelegenheiten des Landes werden nun auf der Grundlage von Richtlinien und Dekreten geregelt, die dem Emir zugeschrieben werden. Es wurden Scharia-Gerichte und -Praktiken eingeführt, einschließlich Qisas (z. B. Auspeitschungen oder Hinrichtungen), die die Öffentlichkeit mit eigenen Augen sieht. Im November 2022 ordnete Taliban-Staatsoberhaupt Emir Hibatullah Akhundzada die Umsetzung der Scharia inklusive Körperstrafen wieder an. Seitdem wurden zahlreiche öffentliche Auspeitschungen vorgenommen. Diese Strafe wurde u. a. für Drogen- und Alkoholkonsum oder für „moralische“ Verbrechen verhängt. Am 7.12.2022 kam es zur ersten öffentlichen Hinrichtung durch die Taliban seit ihrer Machtübernahme in Afghanistan und im Juni 2023 sowie im Februar 2024 kam es zu weiteren Hinrichtungen. (LIB, Kap. 7)
Sicherheitsbehörden:
Mit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 brach die 350.000 Mann starke Armee des früheren Regimes zusammen und die Taliban haben faktisch die Verantwortung für die Sicherheit im Land übernommen. Sie haben begonnen, ihre bisherigen Milizen-Strukturen in geordnete Sicherheitskräfte zu übertragen. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Die Armee verfügt mit Stand März 2023 über 150.000 Taliban-Kämpfer und soll 2024 auf 170.000 vergrößert werden. Angestrebt wird eine 200.000 Mann starke Armee. Der Geheimdienst, ein Nachrichtendienst, der früher als „National Directorate of Security“ (NDS) bekannt war, wurde dem Taliban-Staatsoberhaupt direkt unterstellt. Das Innenministerium der Taliban-Regierung hat wiederholt angekündigt, Polizisten, u. a. im Bereich der Verkehrspolizei, zu übernehmen. Dies ist zumindest in Kabul teilweise erfolgt.
Es zeichnet sich ab, dass die Taliban, mit Ausnahme der Luftwaffe (hier sind fast die Hälfte der ehemaligen Soldaten zurückgekehrt), von den bisherigen Kräften nur vereinzelt Fachpersonal übernehmen. Eine breit angelegte Integration der bisherigen Angehörigen der Sicherheitskräfte hat bisher nicht stattgefunden und die Zahl der rekrutierten ehemaligen Sicherheitskräfte ist begrenzt. Bei den rekrutierten ehemaligen Sicherheitskräften handelt es sich im Allgemeinen um Spezialisten. Die Taliban verfügen über keine funktionierende Luftwaffe, die den Luftraum im Falle ausländischer Übergriffe oder inländischer Aufstände sichern könnte. Der Bestand an Hubschraubern und Fluggeräten gilt als veraltet und es gibt zumindest fünf bestätigte Unfälle in der Militärluftfahrt seit der Machtübernahme, wobei Pilotenfehler als wahrscheinlichste Ursache gelten. Die Taliban müssten in erheblichem Umfang Piloten ausbilden und Strategien für die Kommunikation und Koordination mit den Bodentruppen entwickeln, um eine funktionsfähige Luftwaffe aufzubauen. (LIB, Kap. 8)
Folter und unmenschliche Behandlung:
Es kommt durch die Taliban zu Folter und Misshandlungen von ehemaligen Sicherheitskräften bzw. ehemaligen Regierungsbeamten sowie zu Gewalt gegen Journalisten und Medienschaffende, gegen Frauenrechtsaktivisten und auch in Gefängnissen. Es kam beispielsweise auch zu kollektiven Strafen gegen Bewohner der Provinz Panjsher, darunter Folter und andere Misshandlungen. Der oberste Taliban-Führer begrüßte die Einführung von Scharia-Gerichten und Scharia-Praktiken, einschließlich Qisas (z. B. Auspeitschungen oder Hinrichtungen), die die Öffentlichkeit mit eigenen Augen sieht. Es kam zu öffentlichen Auspeitschungen durch die Taliban in mehreren Provinzen, darunter Zabul, Maidan Wardak, Kabul, Kandahar und Helmand. (LIB, Kap. 9)
Korruption:
Mit einer Bewertung von 20 Punkten (von 100 möglichen Punkten – 0 = highly corrupt und 100 = very clean), belegt Afghanistan auf dem Korruptionswahrnehmungsindex für 2023 von Transparency International von 180 untersuchten Ländern den 162. Platz, sohin eine Verschlechterung um zwölf Ränge im Vergleich zum Jahr 2022.
Die Taliban kündigten nach ihrer Übernahme von Kabul im August 2021 Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung an, darunter die Einrichtung von Kommissionen zur Ermittlung korrupter oder krimineller Taliban. Außerdem haben die Taliban über ihr Verteidigungsministerium eine Kommission eingesetzt, die Mitglieder ermitteln soll, die sich nicht an die Richtlinien der Bewegung halten. Im Jänner 2022 sind 2.840 Taliban-Mitglieder wegen Korruption und Drogenkonsums entlassen worden. Anfang 2024 erklärte ein Sprecher der Taliban Afghanistan zu einem korruptionsfreien Land. Es gab dennoch zahlreiche Berichte über Korruption durch die Taliban, beispielsweise in den Passämtern der Taliban, wo Antragsteller zwischen 1.000 und 3.500 Dollar für einen Pass zahlen. Die Taliban haben seit der Wiedererlangung der Macht die staatliche Bürokratie genutzt, um Arbeitsplätze an Taliban-Mitglieder und ihre Familien zu vergeben und um von der afghanischen Bevölkerung und dem Privatsektor Steuern, Bestechungsgelder und wertvolle Dienstleistungen zu erpressen.
Im Juli 2022 kündigten die Taliban an, dass sie ehemalige afghanische Beamte nicht für die massive Korruption zur Rechenschaft ziehen werden, die in Zusammenhang mit Entwicklungshilfeprojekten stehen. Ehemalige Beamte, die der Korruption verdächtigt werden, müssen sich nur dann vor Gericht verantworten, wenn sie in den vergangenen zwei Jahrzehnten Privateigentum oder öffentliches Vermögen an sich gerissen haben. (LIB, Kap. 10)
Allgemeine Menschenrechtslage:
Die in der Vergangenheit von Afghanistan unterzeichneten oder ratifizierten Menschenrechtsabkommen werden von der Taliban-Regierung, wenn überhaupt, nur sehr eingeschränkt anerkannt. Es wird ein Islamvorbehalt geltend gemacht, wonach islamisches Recht im Falle einer Normenkollision Vorrang hat.
Seit dem Sturz der gewählten Regierung haben die Taliban die Menschenrechte und Grundfreiheiten der afghanischen Bevölkerung zunehmend und in unverhältnismäßiger Weise eingeschränkt. Insbesondere Frauen und Mädchen wurden in ihren Rechten massiv eingeschränkt und aus den meisten Aspekten des täglichen und öffentlichen Lebens verdrängt.
Die Taliban-Führung hat ihre Anhänger verschiedentlich dazu aufgerufen, die Bevölkerung respektvoll zu behandeln. Dennoch kommt es zu groben Menschenrechtsverletzungen durch die Taliban nach ihrer Machtübernahme im August 2021, darunter Hausdurchsuchungen, Willkürakte und Hinrichtungen. Es kommt zu Gewalt und Diskriminierung gegenüber Journalisten und Menschenrechtsaktivisten. Es kommt auch zu gezielten Tötungen sowie zu Entführungen und Ermordungen ehemaliger Angehöriger des Staatsapparats und der Sicherheitskräfte. Es kommt zu Rache und Willkürakten im familiären Kontext – also gegenüber Familienmitgliedern oder zwischen Stämmen/Ethnien, bei denen die Täter den Taliban nahestehen oder Taliban sind. Taliban-Vertreter weisen den Vorwurf von systematischer Gewalt jedoch zurück und verweisen wiederholt auf Auseinandersetzungen im familiären Umfeld. Eine nachprüfbare Strafverfolgung findet in der Regel nicht statt. Im Zeitraum vom 15.1.2022 bis Mitte 2023 wurde über 3.329 Menschenrechtsverletzungen berichtet, die sich auf Verletzungen des Rechts auf Leben, des Rechts auf Freiheit von Folter, der Pressefreiheit, der Versammlungsfreiheit, der Rechte der Frauen und mehr beziehen. Im selben Zeitraum kam es auch zu Tötung und Inhaftierung ehemaliger ANDSF-Mitglieder.
Die Taliban ließen wiederholt friedliche Proteste gewaltsam auflösen. Es kam zum Einsatz von scharfer Munition und zu Todesopfern bei Protesten. Die Taliban gingen im ersten Jahr nach der Machtübernahme im August 2021 hart gegen Andersdenkende vor und verhafteten Frauenrechtsaktivisten, Journalisten und Demonstranten. Im zweiten Jahr haben sich Medien und die Opposition im Land aufgrund der Restriktionen der Taliban und der Selbstzensur weitgehend zerstreut, obwohl weiterhin über Verhaftungen von Frauenrechtsaktivisten, Bildungsaktivisten und Journalisten berichtet wird. Frauen haben weiterhin gegen die Restriktionen und Erlässe der Taliban protestiert, aber die Proteste fanden größtenteils in geschlossenen Räumen statt – offenbar ein Versuch der Demonstranten, ihre Identität zu verbergen und das Risiko einer Verhaftung oder Gewalt zu verringern. Trotz dieser Drohungen sind Frauen weiterhin auf die Straße gegangen, um gegen wichtige Erlasse zu protestieren. (LIB, Kap. 13)
Meinungs- und Pressefreiheit:
Die Taliban haben zwar wiederholt Presse- und Meinungsfreiheit in allgemeiner Form zugesichert, jedoch hat sich die Situation der Medienlandschaft seit dem 15.8.2021 drastisch verschlechtert. Bis Dezember 2021 haben insgesamt 43 % der afghanischen Medienunternehmen ihren Betrieb eingestellt, auch aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten. 6.400 Medienschaffende hatten ihre Anstellung verloren, was vor allem Frauen betraf. Etablierte Journalisten sind zu einem großen Teil ins Ausland gegangen und berichten aus dem Exil oder halten sich versteckt. Ankündigungen der Taliban-Regierung, das bisherige Mediengesetz umzusetzen und eine Beschwerdekommission einzurichten, ist das Informations- und Kulturministerium nicht nachgekommen.
Fernsehsender wurden wiederholt durch den Taliban-Geheimdienst unter Druck gesetzt, Unterhaltungsprogramme den moralisch-religiösen Vorgaben der Taliban anzupassen. Auch für ausländische Korrespondenten gelten strenge Visabeschränkungen, wenn sie nach Afghanistan reisen, um zu berichten. Die Taliban-Behörden setzten eine umfassende Zensur durch und gingen mit unrechtmäßiger Gewalt gegen afghanische Medien und Journalisten in Kabul und den Provinzen vor. Im November 2022 berichtete ein Medienunternehmen, dass es eine vom Taliban-Informationsministerium vorformulierte Erklärung unterzeichnen musste, in der es sich u. a. zu einer Scharia-konformen Berichterstattung verpflichtete. Kritik an der Taliban-Regierung wurde untersagt. Im Falle der Nichtbeachtung wurden Konsequenzen für das Medienunternehmen sowie die dort Beschäftigten angedroht. Elf am 19.9.2021 vorgestellte Handlungsempfehlungen der Taliban-Regierung für Printmedien, TV und Radio fordern u. a. dazu auf, keine Inhalte zu veröffentlichen, die der Scharia widersprechen und ermöglichen Nachrichtenkontrolle oder gar Vorzensur. Diese Empfehlungen werden landesweit unterschiedlich umgesetzt. Menschenrechtsorganisationen beobachten insbesondere in den Provinzen eine deutlich stärkere Einschränkung der Pressefreiheit. Medienschaffende berichten über ein aktives Monitoring und werden aufgefordert, ihre Arbeit vorab mit den lokal zuständigen Behörden zu teilen.
Mancherorts müssen Medienschaffende vor Beginn ihrer Recherchen eine Erlaubnis bei den lokalen Behörden einholen. In mindestens 14 von 34 Provinzen gibt es keine weiblichen Medienschaffenden mehr, in einigen Provinzen wurde es Journalistinnen verboten, bei ihrer Arbeit in Erscheinung zu treten. Gegenüber Menschenrechtsorganisationen berichten Journalistinnen und Journalisten über einen stark eingeschränkten Zugang zu Informationen.
Es kommt zu willkürlichen Verhaftungen von Medienschaffenden durch die Taliban. Die Taliban-Behörden geben selten Auskunft über die Gründe für solche Verhaftungen oder darüber, ob die Festgenommenen vor Gericht gestellt werden. Die Festgenommenen haben keinen Zugang zu Anwälten, und in den meisten Fällen dürfen Familienangehörige sie nicht besuchen. (LIB, Kap. 14)
Internet und Mobiltelefonie: Die Zahl der Internetnutzer in Afghanistan ist in den letzten Jahren zusammen mit der jugendlichen Bevölkerung rapide angestiegen und liegt mit April 2022 bei etwa neun Millionen Nutzern. Im Jahre 2021 wurde die Anzahl der Mobiltelefonnutzer auf ca. 23 Millionen geschätzt. Es gibt keine Ausfälle in Gebieten, die vor der Übernahme durch die Taliban per Telefon oder Internet erreichbar gewesen wären. Die Telekommunikations- und Internetdienste haben sich seit dem Sturz der vorherigen Regierung verbessert, was auf einen Rückgang der Konflikte im ganzen Land und die Leichtigkeit zurückzuführen ist, mit der Telekommunikationsunternehmen ihr Dienstleistungsangebot erweitern können. In Afghanistan ist die Verfügbarkeit von Internet- und Telekommunikationsdiensten weit verbreitet und deckt den größten Teil des Landes ab, mit Ausnahme einiger isolierter und dünn besiedelter Siedlungen außerhalb der großen Städte.
In Provinzen, die Widerstand gegen das Taliban-Regime leisteten (z. B. Provinz Panjsher), kam es jedoch in der Vergangenheit zu Abschaltungen von Telekommunikations- und Internetdiensten. (LIB, Kap. 14)
Versammlungsfreiheit und Vereinigungsfreiheit:
Die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit wurde seit der Machtübernahme der Taliban entgegen allgemeiner Zusicherungen deutlich eingeschränkt. Die Taliban ließen wiederholt friedliche Proteste gewaltsam auflösen und es kam zum Einsatz von scharfer Munition und Wasserwerfern. Ab Mitte Jänner 2022 wurden sukzessive Vertreterinnen der vor allem in Kabul aktiven Protestbewegung durch die Sicherheitskräfte der Taliban festgenommen. Es kam zu Verhaftungen, Misshandlungen und sexuellen Übergriffen. Diese gewalttätigen Zwischenfälle und die Androhung von Verhaftungen sowie das Verschwinden in einem undurchsichtigen Gefängnissystem ohne ordnungsgemäße Verfahren haben zunächst dazu geführt, dass die großen Anti-Taliban-Proteste eingedämmt wurden, obwohl es weiterhin kleinere Versammlungen gab. Gegen Ende des Jahres 2022 kam es wieder vermehrt zu Protesten, nachdem die Taliban Frauen vom Universitätsbesuch ausgeschlossen und NGO-Mitarbeiterinnen verboten hatten, ihrer Arbeit nachzugehen. (LIB, Kap. 15)
Haftbedingungen:
Vor der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 wurden Gefängnisse, Jugendrehabilitationszentren und andere Haftanstalten von unterschiedlichen Organisationen verwaltet. Die Überbelegung der Gefängnisse war auch unter der ehemaligen Regierung ein ernstes und weitverbreitetes Problem. Nach der Übernahme Kabuls durch die Taliban haben sich viele Gefängnisse geleert, da fast alle Gefangenen entkamen oder freigelassen wurden. Trotz anhaltender Bemühungen, die Zahl der Inhaftierten zu reduzieren, hat die Gefängnispopulation 2024 mehr als 20.000 Personen erreicht. Neben ca. 11.000 bereits verurteilten Inhaftierten (davon sind ca. 2.000 Frauen und Kinder) warten etwa 12.000 Personen in Haftanstalten auf Gerichtsurteile.
Die Situation in den Gefängnissen in Afghanistan ist sehr schlecht. Es gibt keine landesweiten Haftstandards und keinen Mechanismus, um die Haftbedingungen anzufechten. Finanzielle Engpässe und die Einstellung der Finanzierung durch Geber wirken sich weiterhin auf die Fähigkeit der Gefängnisverwaltung aus, internationale Standards zu erfüllen, einschließlich der systematischen Bereitstellung angemessener Nahrungsmittel, Hygieneartikel, der beruflichen Aus- und Weiterbildung sowie der medizinischen Versorgung.
Personen wurden zum Zeitpunkt der Festnahme nicht über die Gründe für ihre Festnahme informiert. In einigen Fällen wurden inhaftierte Personen auch weder über ihre Rechte, noch darüber informiert, wie sie während der Haft Beschwerden vorbringen können. In einigen Fällen wurden Inhaftierte nicht über ihr Recht auf einen Anwalt informiert oder ihnen wurde die Kontaktaufnahme mit ihrer Familie verwehrt. Viele Strafverteidiger haben von Schwierigkeiten beim Zugang zu ihren Mandanten berichtet. Inhaftierte Personen beschreiben verschiedene Formen der Folter, wie z. B. Schläge, kopfüber aufgehängt zu werden, Elektroschocks, Ersticken und Gewalteinwirkung im Genitalbereich. Seit der Machtübernahme der Taliban sind 87 Personen in Taliban-Gefängnissen an den Folgen von Folter gestorben. Es kam zu Folter an Journalisten, Anwälten, Frauenrechtsaktivistinnen und -aktivisten und ihren Verwandten, Demonstrierenden und ehemaligen Sicherheitskräften bzw. Gefangenen, die mit der ehemaligen Regierung in Verbindung standen. Festgenommene Frauenrechtsaktivistinnen waren psychologischer und physischer Folter sowie sexueller Gewalt durch Taliban-Sicherheitskräfte ausgesetzt.
Der Verhaltenskodex der Taliban zur Reform des Gefängnissystems sieht keine unverzügliche medizinische Untersuchung bei der Einweisung in eine Haftanstalt vor. Er sieht vor, dass in den Gefängnissen Erste-Hilfe-Einrichtungen und -Vorräte zur Verfügung stehen müssen und dass für die notwendige Behandlung von Schwerkranken rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zu treffen sind. (LIB, Kap. 16)
Todesstrafe:
Die Gesetze aus der Zeit vor der Machtergreifung der Taliban im August 2021 sehen die Verhängung der Todesstrafe in bestimmten Fällen vor. Zwischen 2001 und dem 15.8.2021 hat die Regierung der Islamischen Republik Afghanistan mindestens 72 Personen hingerichtet.
Seit ihrer Machtübernahme in Afghanistan am 15.8.2021 haben die Taliban de facto die Körperstrafen und die Todesstrafe eingeführt. Die Taliban haben hierzu bisher keine gesetzlichen Regelungen erlassen. Die von den Taliban angewandte Rechtspraxis sieht auf Grundlage ihrer Auslegung der Scharia die Todesstrafe vor. Ende November 2022 ordnete der oberste Führer der Taliban allerdings Richtern an, Strafen zu verhängen, die öffentliche Hinrichtungen, öffentliche Amputationen und Steinigungen umfassen können. Am 7.12.2022 fand die erste öffentliche Hinrichtung der Taliban in Afghanistan seit der Machtübernahme im August 2021 statt. Der Hingerichtete soll gestanden haben, vor fünf Jahren bei einem Raubüberfall einen Mann mit einem Messer getötet und dessen Motorrad und Telefon gestohlen zu haben. Im Juni 2023 wurde in Laghman ein Mann durch die Taliban hingerichtet, der des fünffachen Mordes für schuldig befunden wurde. Im Februar 2024 vollstreckten die Taliban eine Doppelhinrichtung in Ghazni, bei der Angehörige der Opfer von Messerstechereien vor Tausenden von Zuschauern mit Gewehren auf zwei verurteilte Männer schossen. (LIB, Kap. 17)
Bewegungsfreiheit:
Afghanistan befindet sich aktuell weitgehend unter der Kontrolle der Taliban. Dauerhafte Möglichkeiten, dem Zugriff der Taliban auszuweichen, bestehen daher gegenwärtig nicht.
Nach der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 war der Reiseverkehr zwischen den Städten im Allgemeinen ungehindert möglich. Die Taliban setzen jedoch Kontrollpunkte ein, um den Verkehr innerhalb des Landes zu regeln und nach bekannten oder vermeintlichen Regimegegnern zu fahnden. Es werden auch Mobiltelefone und Social-Media-Aktivitäten der Reisenden überprüft. Taliban-Kräfte überprüfen die Namen und Gesichter von Personen an Kontrollpunkten anhand von „Listen mit Namen und Fotos ehemaliger Armee- und Polizeiangehöriger“. Meistens handelt es sich um Routinekontrollen, bei denen nur wenig kontrolliert wird. Wenn jedoch ein Kontrollpunkt aus einem bestimmten Grund eingerichtet wird, kann diese Durchsuchung darauf abzielen, bestimmte Gegenstände wie Drogen, Waffen oder Sprengstoffe aufzuspüren. Die Kontrollpunkte der Taliban sind über ganz Afghanistan verteilt. Sie befinden sich in der Regel entlang der Hauptversorgungsrouten und in der Nähe der Zugänge zu größeren Städten. Die Haltung und der Umfang der Durchsuchungen an diesen Kontrollpunkten variieren je nach Sicherheitslage. (LIB, Kap. 21)
Rückkehr:
Es gibt wenig Informationen zu Rückkehrern aus Europa nach Afghanistan. Nach der Machtübernahme der Taliban kam es zur freiwilligen Rückkehr afghanischer Staatsbürger. Es kehrten auch einige Mitarbeiter der ehemaligen Regierung und internationaler NGOs nach Afghanistan zurück, darunter ein Mitarbeiter einer NGO, der mit seiner Familie nach zwei Jahren Aufenthalt in Dänemark nach Afghanistan zurückkehrte. Es gibt auch freiwillige Rückkehrer aus den USA.
Die Taliban haben am 16.3.2022 eine Kommission unter Leitung des Taliban-Ministers für Bergbau und Petroleum ins Leben gerufen, die Mitglieder der ehemaligen wirtschaftlichen und politischen Elite überzeugen soll, nach Afghanistan zurückzukehren. Im Rahmen dieser Bemühungen sollen inzwischen 200 mehr oder weniger prominente Persönlichkeiten nach Afghanistan zurückgekehrt sein, darunter auch ehemalige Minister und Parlamentarier.
Am 30.8.2024 wurden erstmals seit der Machtübernahme der Taliban afghanische Staatsangehörige aus Deutschland nach Afghanistan abgeschoben. Nach Angaben der deutschen Bundesregierung handelte es sich dabei um „afghanische Straftäter, afghanische Staatsangehörige, die sämtlich verurteilte Straftäter waren, die kein Bleiberecht in Deutschland hatten und gegen die Ausweisungsverfügungen vorlagen“. Die insgesamt 28 abgeschobenen Afghanen wurden nach ihrer Rückkehr nach Kabul durch die Taliban angehalten und ins Gefängnis gebracht. Kurz darauf wurden sie nach Auskunft der Taliban wieder auf freien Fuß gesetzt, nach einer schriftlichen Zusicherung, dass sie keine Verbrechen in Afghanistan begehen würden. Die Taliban sind bereit, auch in Zukunft abgeschobene Afghanen aus Deutschland aufzunehmen.
IOM hat aufgrund der aktuellen Lage vor Ort die Option der Unterstützung der freiwilligen Rückkehr und Reintegration seit 16.8.2021 für Afghanistan bis auf Weiteres weltweit ausgesetzt. Es können somit derzeit keine freiwilligen Rückkehrer aus Österreich nach Afghanistan im Rahmen des Projektes RESTART III unterstützt werden. IOM Afghanistan hält jedoch die Kommunikation mit ehemaligen Rückkehrern aufrecht, um humanitäre Hilfe anzubieten, die Stabilisierung der Gemeinschaft zu unterstützen und die interne Migration in Zusammenarbeit mit den Taliban-Behörden, humanitären Partnern und lokalen Gemeinschaften zu steuern.
Taliban behandeln zurückkehrende Personen im Rahmen ihrer allgemeinen Praxis im Umgang mit der Zivilbevölkerung. Die Bedrohung der persönlichen Sicherheit ist im Einzelfall das zentrale Hindernis für zurückkehrende Personen. Auch vor dem Hintergrund der faktischen Kontrolle der Taliban über alle Landesteile lässt sich die Frage einer möglichen Gefährdung im Einzelfall nicht auf einzelne Landesteile, etwaige Sicherheitsrisiken durch Terrorismus oder lokale Kampfhandlungen begrenzen. Entscheidend für die individuelle Sicherheit der Personen bleibt die Frage, wie die Person von der Taliban-Regierung und dritten Akteuren wahrgenommen wird.
Im Ausland straffällig gewordene Rückkehrende könnten, wenn die Tat einen Bezug zu Afghanistan aufweist, in Afghanistan zum Opfer von Racheakten, z. B. von Familienmitgliedern der Betroffenen, werden. Auch eine erneute Verurteilung durch das von den Taliban kontrollierte Justizsystem ist nicht ausgeschlossen, wenn der Fall den Behörden bekannt werden würde. (LIB, Kap. 26)
Rückkehrunterstützung des österreichischen Staates: Die österreichische Rückkehrunterstützung umfasst eine kostenlose individuelle Beratung zur freiwilligen Rückkehr einschließlich Antragsstellung auf finanzielle Unterstützung durch die BBU, die organisatorische Unterstützung bei der Reisevorbereitung, bei der Reiseplanung und bei der Beschaffung von Heimreisedokumenten, die Übernahme der Heimreisekosten, eine finanzielle Starthilfe in Höhe von bis zu 900 EUR sowie die Teilnahme an Reintegrationsprogrammen nach der Rückkehr im Zielland.
Ein Rechtsanspruch auf diese Unterstützungsleistungen besteht nicht. Organisatorische Unterstützung kann grundsätzlich in jeder Verfahrenskonstellation gewährt werden. Voraussetzung für die Gewährung der Übernahme der Heimreisekosten ist die Mittellosigkeit der rückkehrenden Person.
Die Höhe der finanziellen Starthilfe ist in einem degressiven Modell geregelt und staffelt sich nach dem Zeitpunkt der Antragstellung auf unterstützte freiwillige Rückkehr. Während des laufenden asyl- oder fremdenrechtlichen Verfahrens bis einen Monat nach Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt die finanzielle Starthilfe 900 EUR pro Person. Ab einem Monat nach Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt die finanzielle Starthilfe 250 EUR pro Person. Für vulnerable Rückkehrende, die grundsätzlich von der finanziellen Starthilfe ausgeschlossen wären, kann nach individueller Einzelfallprüfung durch das BFA ein einmaliger Betrag von 250 EUR pro Person gewährt werden.
Kriterien für den Erhalt der finanziellen Starthilfe und der Reintegrationsunterstützung sind die freiwillige Ausreise, finanzielle Bedürftigkeit bzw. Mittellosigkeit, erstmaliger Bezug der Unterstützungsleistung, Nachhaltigkeit der Ausreise, keinerlei Evidenz eines Sicherheitsrisikos durch die freiwillige Rückkehr und keine schwere Straffälligkeit.
Für 42 Herkunftsländer können freiwillige Rückkehrer im Sinne des Leitgedankens „Rückkehr mit Perspektiven“ Reintegrationsunterstützung im Wert von bis zu 3.500 EUR beantragen. Die Abwicklung des Reintegrationsangebots erfolgt unter anderem mit den Kooperationspartnern Frontex, IOM Österreich, Caritas Österreich und OFII.
Im Rahmen der Reintegrationsprogramme erhalten Rückkehrende umfassende Unterstützung bei der Wiedereingliederung in ihrem Herkunftsland. Dazu gehören individuelle, persönliche Beratung und vorwiegend Sachleistungen, z. B. wirtschaftliche, soziale und psychosoziale Hilfen. Die Programme bieten ein breites Spektrum an Leistungen, um einen optimalen Einsatz der Mittel zu gewährleisten. (LIB, Kap. 26.1)
Dokumente:
Das Personenstands- und Beurkundungswesen in Afghanistan wies bereits vor der Machtübernahme der Taliban gravierende Mängel auf und stellte aufgrund der Infrastruktur, der langen Kriege, der wenig ausgebildeten Behördenmitarbeiter und weitverbreiteter Korruption ein Problem dar. Von der inhaltlichen Richtigkeit formell echter Urkunden konnte nicht in jedem Fall ausgegangen werden. Personenstandsurkunden wurden oft erst viele Jahre später, ohne adäquaten Nachweis und sehr häufig auf Basis von Aussagen mitgebrachter Zeugen, nachträglich ausgestellt. Gefälligkeitsbescheinigungen und/oder Gefälligkeitsaussagen kamen sehr häufig vor. Es ist den Behörden oft nicht möglich, die Angaben der Personen, die Dokumente beantragen, zuverlässig zu verifizieren. Je nach Dokument besteht eine unterschiedliche Praxis, Geburtsdatum, Geburtsort und Nachnamen einzutragen. Deshalb kommt es vor, dass die Personalien derselben Person in verschiedenen Dokumenten unterschiedlich eingetragen sind. Besonders fälschungsanfällig sind Papier-Tazkiras. In der Regel ist es unmöglich, die Authentizität solcher Dokumente zu prüfen. Reisepässe und e-Tazkiras haben ein einheitliches Layout mit zahlreichen Sicherheitsmerkmalen und sind besser überprüfbar. Es besteht aber auch hier die Möglichkeit, dass Inhalte manipuliert sind oder dass sie an nicht berechtigte Personen ausgestellt sind.
Mit Stand Februar 2024 können Reisepässe, Tazkiras und e-Tazkiras in allen Provinzen Afghanistans beantragt werden. Die Ausstellung von Reisepässen kann jedoch bis zu einem Jahr dauern. Reisepässe sind nicht in allen Provinzen erhältlich. Das Innenministerium der Taliban hat in 15 der 34 Provinzen (Farah, Nimroz, Badghis, Paktika, Samangan, Laghman, Uruzgan, Kunar, Takhar, Zabul, Jawzjan, Bamyan, Panjsher und Baghlan) Passämter wiedereröffnet und verlangt von den Antragstellern, dass sie sich in ihrer Herkunftsprovinz einen Pass besorgen. Die Funktionsfähigkeit dieser Abteilungen ist jedoch nach wie vor unklar. (LIB, Kap. 27)
1.3.2. Auszug aus der EUAA Country Guidance Stand Mai 2024 (original Englisch, Arbeitsübersetzung Deutsch)
3.1. Members of the security institutions of the former government
Last update: May 2024
This profile includes members of the former ANDSF, including former Afghan Local Police (ALP) and pro-government militias.
COI summary
During the years of the conflict, ANDSF personnel, both on and off-duty, was a priority target of the Taliban. Attacks against government forces at army bases, police stations and checkpoints, deliberate killings, executions, abductions and torture against detainees, including ANDSF personnel, were reported, and explicitly legitimised by the Taliban
Layeha (code of conduct) [Anti-government elements 2020, 1.2.1., pp. 13-15; 2.5., pp. 21-22; 2.6.1., pp. 22-23; State structure , 2.1., pp. 26-27; Security 2020, 1.1.1., p. 20; 1.3., pp. 30-31; 1.5.2, p. 51].
During the summer of 2021, cases were reported in which the Taliban committed killings of ANDSF members who had surrendered or were detained [Targeting 2022, 2.1., p. 56]. Sources reported that, as of June 2022, former ANDSF members, including former ALP and pro-government militias, continued to be a primary target of Taliban violence [Targeting 2022, 2.1., pp. 57-63; 2.7., p. 72].
After the takeover, the Taliban issued an amnesty for all who fought against them. The content of the amnesty has not been available beyond general reference to its existence, including from senior Taliban officials, leading to uncertainties around the temporal scope and consequences for breaching it. Sources suggest that the Taliban do not have any policy in place of targeting former Afghan security forces. Nevertheless, there have been continuous claims of Taliban members breaching the amnesty and subjecting former ANDSF members and their relatives to human right violations across the country, including killings, enforced disappearance, and torture [Country Focus 2023, 4.1.1., p. 56].
Although the Taliban have called upon their members to respect the amnesty, there is limited information on individuals facing any consequences for breaching it. Despite the fact that certain elements have been identified as possibly playing a role in the targeting, such as ‘revenge culture’, personal disputes, and retaliation following the conflict, it is not possible to discern any clear patterns on who is being targeted among former government personnel and who is not. Sources emphasised that it has been hard to discern motives behind the killings, and that people may be targeted due to personal disputes. The Taliban have also claimed that violations of the amnesty have taken place due to personal animosities. One source further reported that the most important thing for the Taliban is that individuals are loyal to them today, rather than their allegiances from before the takeover [Country Focus 2023, 4.1.1., p. 56; 4.1.3., p. 59].
Available data over killings and ill-treatments include victims who held different positions within the former government’s security forces. The Taliban’s practices towards former officials have been ‘inconsistent’, ‘ad hoc’ and a ‘mixture of contradictory policies’. On one hand, some former security personnel have been able to work in the Taliban’s de facto forces, return from abroad through the Taliban’s return commission, and stage open protests against the non-payment of pensions. On the other hand, some former security personnel have been living in hiding since the takeover, while killings and various forms of ill-treatment have occurred. Moreover, single sources have suggested that some killings have been carried out with the ‘tacit approval’ of senior Taliban commanders, and that Taliban operations against resistance groups and the ISKP might in fact be a way to target former ANDSF
members [Country Focus 2023, 4.1.2., pp. 56-57].
As of 30 June 2023, according to UNAMA, since the takeover the de facto authorities had committed at least 800 cases of human rights violations against former civilian and military personnel. Violations recorded included 218 killings, 14 instances of enforced disappearance, 424 arbitrary arrests and detentions, 144 instances of torture, and multiple threats. Most cases took place in the 4 months immediately following the takeover in 2021, however killings and other human rights violations have continued in 2022 and 2023. In 2022, the NGO Safety and Risk Mitigation Organization (SMRO) recorded 76 killings and 57 detentions of former security forces, while an increase was noted in 2023 with 27 killings and 55 detentions recorded in the first quarter alone. In the second quarter of 2023, SMRO logged 2 instances of rape, 15 killings and 35 detentions of former security forces personnel in multiple provinces [Country Focus 2023, 4.1.2., pp. 58-59].
The Taliban also declared that they wanted former Afghan National Army (ANA) personnel to join their ranks and launched campaigns to recruit former ANDSF personnel. Although some former ANDSF members did join the Taliban ranks, it was reported that these efforts were of little success due to fear of retribution. Many former personnel remained in hiding or left the country [Security 2022, 1.2.2., p. 27; 2.1.2., pp. 39-41; Targeting 2022, 2.3., pp. 65-66; 2.5., pp. 69-70].
Efforts were made by Taliban members to track down former security officials through local informants, registration campaigns of former ANDSF personnel and possibly the use of former governments databases. In February 2022, the Taliban began to conduct house-to-house searches in different parts of the country which, according to some sources, also focused on finding former government employees and members of ANDSF [Security 2022, 1.2.4., p. 33; Targeting 2022, 2.2., pp. 63-65].
Cases of non-fighting army personnel being detained and killed have also been reported [Targeting 2022, 2.4., p. 68].
There were reports of targeting of former female members of the ANDSF by the Taliban or by their own relatives [Targeting 2022, 2.8, p. 73]. There have also been sporadic reports of family members of former ANDSF members being killed, detained, forcibly disappeared, tortured, and raped. Some family members were reportedly ‘caught up’ in Taliban raids targeting former ANDSF members, while others were targeted in the search for such individuals [Country Focus 2023, 4.1.2., p. 58-59; 4.1.5., pp. 62;
Targeting 2022, 2.1., pp. 5, 63; 2.2., p. 64; 2.4.-2.7., pp. 67-73; Security 2022, 3.2.(c), pp. 68- 69; Country Focus 2022, 2.5., p. 46].
Conclusions and guidance
Do the acts qualify as persecution under Article 9 QD?
Acts reported to be committed against individuals under this profile are of such severe nature that they amount to persecution (e.g. summary executions, torture, enforced disappearances).
What is the level of risk of persecution (well-founded fear)?
For applicants who were members of the security institutions of the former government, well founded fear of persecution would in general be substantiated. Family members may also have a well-founded fear of persecution, for example in the context of the Taliban searching for the individual they are related to.
Are the reasons for persecution falling within Article 10 QD (nexus)?
Available information indicates that persecution of this profile is highly likely to be for reasons of (imputed) political opinion
3.1. Mitglieder der Sicherheitsinstitutionen der ehemaligen Regierung
Letzte Aktualisierung: Mai 2024
Dieses Profil umfasst Mitglieder der ehemaligen ANDSF, einschließlich der ehemaligen afghanischen Lokalpolizei (ALP) und regierungsfreundlicher Milizen.
COI-Zusammenfassung
Während der Jahre des Konflikts waren ANDSF-Angehörige, sowohl im Dienst als auch außerhalb ihres Dienstes, ein vorrangiges Ziel der Taliban. Es wurde über Angriffe auf Regierungstruppen in Armeestützpunkten, Polizeistationen und Kontrollpunkten, vorsätzliche Tötungen, Hinrichtungen, Entführungen und Folterungen von Gefangenen, einschließlich ANDSF-Personal, berichtet, die von den Taliban ausdrücklich legitimiert wurden
Layeha (Verhaltenskodex) [Anti-Government Elements 2020, 1.2.1., S. 13–15; 2.5., S. 21–22; 2.6.1., S. 22–23; Staatsstruktur , 2.1., S. 26–27; Sicherheit 2020, 1.1.1., S. 20; 1.3., S. 30–31; 1.5.2, S. 51].
Im Sommer 2021 wurden Fälle gemeldet, in denen die Taliban Mitglieder der ANDSF ermordeten, die sich ergeben hatten oder inhaftiert waren [Targeting 2022, 2.1., S. 56]. Quellen berichteten, dass bis Juni 2022 ehemalige ANDSF-Mitglieder, darunter ehemalige ALP- und regierungsfreundliche Milizen, weiterhin ein Hauptziel der Gewalt der Taliban waren [Targeting 2022, 2.1., S. 57-63; 2.7., S. 72].
Nach der Machtübernahme haben die Taliban eine Amnestie für alle erlassen, die gegen sie gekämpft haben. Der Inhalt der Amnestie ist über allgemeine Hinweise auf ihre Existenz hinaus nicht bekannt, auch nicht von hochrangigen Taliban-Vertretern, was zu Unsicherheiten hinsichtlich des zeitlichen Geltungsbereichs und der Folgen bei Verstößen führt. Quellen deuten darauf hin, dass die Taliban keine Politik verfolgen, die sich gegen ehemalige afghanische Sicherheitskräfte richtet. Dennoch gibt es immer wieder Berichte, dass Taliban-Mitglieder gegen die Amnestie verstoßen und ehemalige ANDSF-Mitglieder und ihre Angehörigen im ganzen Land Menschenrechtsverletzungen wie Tötungen, Verschleppungen und Folter aussetzen [Country Focus 2023, 4.1.1., S. 56].
Obwohl die Taliban ihre Mitglieder aufgefordert haben, die Amnestie zu respektieren, gibt es nur begrenzte Informationen über Personen, die wegen Verstößen gegen die Amnestie mit Konsequenzen rechnen müssen. Trotz der Tatsache, dass bestimmte Faktoren identifiziert wurden, die möglicherweise eine Rolle bei den Angriffen spielen, wie z. B. „Rachekultur“, persönliche Streitigkeiten und Vergeltungsmaßnahmen nach dem Konflikt, ist es nicht möglich, klare Muster zu erkennen, wer unter den ehemaligen Regierungsmitarbeitern angegriffen wird und wer nicht. Quellen betonten, dass es schwierig sei, die Motive für die Morde zu erkennen, und dass Menschen möglicherweise aufgrund persönlicher Streitigkeiten ins Visier genommen werden. Die Taliban haben ebenfalls behauptet, dass Verstöße gegen die Amnestie aufgrund persönlicher Feindseligkeiten stattgefunden hätten.
Eine Quelle berichtete weiter, dass für die Taliban heute vor allem die Loyalität der Menschen ihnen gegenüber zählt und nicht ihre Loyalität vor der Machtübernahme [Country Focus 2023, 4.1.1., S. 56; 4.1.3., S. 59].
Die verfügbaren Daten zu Tötungen und Misshandlungen umfassen Opfer, die verschiedene Positionen innerhalb der Sicherheitskräfte der ehemaligen Regierung innehatten. Das Vorgehen der Taliban gegenüber ehemaligen Beamten war „inkonsistent“, „ad hoc“ und eine „Mischung aus widersprüchlichen Strategien“. Einerseits konnten einige ehemalige Sicherheitskräfte in den de facto-Streitkräften der Taliban arbeiten, über die Rückkehrkommission der Taliban aus dem Ausland zurückkehren und offene Proteste gegen die Nichtzahlung von Renten veranstalten. Andererseits leben einige ehemalige Sicherheitskräfte seit der Machtübernahme im Untergrund, während es zu Tötungen und verschiedenen Formen von Misshandlungen gekommen ist. Darüber hinaus deuten einzelne Quellen darauf hin, dass einige Morde mit der „stillschweigenden Zustimmung“ hochrangiger Taliban-Kommandeure begangen wurden und dass die Operationen der Taliban gegen Widerstandsgruppen und die ISKP in Wirklichkeit ein Mittel sein könnten, um ehemalige ANDSF-Mitglieder ins Visier zu nehmen [Country Focus 2023, 4.1.2., S. 56-57].
Laut UNAMA hatten die De-facto-Behörden seit der Machtübernahme bis zum 30. Juni 2023 mindestens 800 Fälle von Menschenrechtsverletzungen gegen ehemalige Zivilisten und Militärangehörige begangen. Zu den registrierten Verstößen gehörten 218 Morde, 14 Fälle von Verschleppungen, 424 willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen, 144 Fälle von Folter und zahlreiche Drohungen. Die meisten Fälle ereigneten sich in den vier Monaten unmittelbar nach der Machtübernahme im Jahr 2021, doch auch in den Jahren 2022 und 2023 kam es weiterhin zu Tötungen und anderen Menschenrechtsverletzungen. Im Jahr 2022 verzeichnete die Nichtregierungsorganisation Safety and Risk Mitigation Organization (SMRO) 76 Morde und 57 Inhaftierungen ehemaliger Sicherheitskräfte, während im Jahr 2023 allein im ersten Quartal ein Anstieg auf 27 Morde und 55 Inhaftierungen zu verzeichnen war. Im zweiten Quartal 2023 verzeichnete die SMRO zwei Fälle von Vergewaltigung, 15 Morde und 35 Festnahmen ehemaliger Angehöriger der Sicherheitskräfte in mehreren Provinzen [Country Focus 2023, 4.1.2., S. 58-59].
Die Taliban erklärten außerdem, dass sie ehemalige Angehörige der Afghanischen Nationalarmee (ANA) in ihre Reihen aufnehmen wollten, und starteten Kampagnen zur Rekrutierung ehemaliger ANDSF-Angehöriger. Obwohl einige ehemalige ANDSF-Mitglieder sich den Taliban anschlossen, waren diese Bemühungen Berichten zufolge aufgrund der Angst vor Vergeltungsmaßnahmen wenig erfolgreich. Viele ehemalige Angehörige blieben untergetaucht oder verließen das Land [Security 2022, 1.2.2., S. 27; 2.1.2., S. 39-41; Targeting 2022, 2.3., S. 65-66; 2.5., S. 69-70].
Die Taliban unternahmen Anstrengungen, um ehemalige Sicherheitsbeamte mithilfe lokaler Informanten, Registrierungskampagnen für ehemalige ANDSF-Mitarbeiter und möglicherweise unter Verwendung ehemaliger Regierungsdatenbanken aufzuspüren. Im Februar 2022 begannen die Taliban in verschiedenen Teilen des Landes mit Hausdurchsuchungen, die sich einigen Quellen zufolge auch auf die Suche nach ehemaligen Regierungsangestellten und Mitgliedern der ANDSF konzentrierten [Security 2022, 1.2.4., S. 33; Targeting 2022, 2.2., S. 63-65].
Es wurde auch über Fälle berichtet, in denen nicht kämpfende Armeeangehörige festgenommen und getötet wurden [Targeting 2022, 2.4., S. 68].
Es gab Berichte über gezielte Angriffe auf ehemalige weibliche Mitglieder der ANDSF durch die Taliban oder durch ihre eigenen Verwandten [Targeting 2022, 2.8, S. 73]. Es gab auch vereinzelte Berichte über Familienangehörige ehemaliger ANDSF-Mitglieder, die getötet, inhaftiert, gewaltsam verschwunden, gefoltert und vergewaltigt wurden. Einige Familienangehörige wurden Berichten zufolge bei Razzien der Taliban gegen ehemalige ANDSF-Mitglieder „mitgerissen“, während andere bei der Suche nach solchen Personen ins Visier genommen wurden [Country Focus 2023, 4.1.2., S. 58-59; 4.1.5., S. 62;
Targeting 2022, 2.1., S. 5, 63; 2.2., S. 64; 2.4.-2.7., S. 67-73; Security 2022, 3.2.(c), S. 68–69; Country Focus 2022, 2.5., S. 46].
Schlussfolgerungen und Leitlinien
Stellen die Handlungen eine Verfolgung im Sinne von Artikel 9 der Qualifikationsrichtlinie dar?
Die Handlungen, die laut Berichten gegen Personen mit diesem Profil begangen wurden, sind so schwerwiegend, dass sie einer Verfolgung gleichkommen (z. B. summarische Hinrichtungen, Folter, Verschleppungen).
Wie hoch ist das Risiko der Verfolgung (begründete Furcht)?
Für Antragsteller, die Mitglieder der Sicherheitsbehörden der früheren Regierung waren, wäre eine begründete Furcht vor Verfolgung im Allgemeinen gegeben. Auch Familienangehörige können eine begründete Furcht vor Verfolgung haben, beispielsweise wenn die Taliban nach der Person suchen, mit der sie verwandt sind.
Fallen die Gründe für die Verfolgung unter Artikel 10 QD (Nexus)?
Die verfügbaren Informationen deuten darauf hin, dass die Verfolgung von Personen mit diesem Profil höchstwahrscheinlich aus Gründen der (unterstellten) politischen Meinung erfolgt.
3.3. Persons affiliated with foreign forces
Last update: May 2024
This profile refers to individuals who are associated with the foreign troops which were present in Afghanistan, such as interpreters, security guards, civilian contractors, administrators and logistics personnel.
COI summary
During the years of conflict, personnel working for foreign military troops, in particular interpreters, were a top priority target for the Taliban. Article 11 of Taliban’s Layeha (code of conduct) orders the execution of individuals working for Kofaar (foreign infidels), including Tarjoman (interpreters). Members of forces collaborating with foreign troops, contractors and ‘spies’ were seen by the Taliban as responsible for killing Afghan civilians. They were publicly defined as criminals and targeted. Individuals not on the payroll of the foreign forces but doing general maintenance jobs, have not been as systematically targeted, although attacks occurred [Anti-government elements, 2.6.2.3., pp. 26-27; Conflict targeting, 1.2.3., pp. 35-36].
After the Taliban takeover, thousands of interpreters who worked for international and US forces applied for special visa arrangements to leave the country [Security September 2021, 1.1.4., p. 16]. It was reported that the US managed to evacuate most of its Afghan spies and informants and their relatives, and many individuals that were affiliated with foreign forces left Afghanistan during the evacuation efforts following the takeover.
However, tens of thousands of interpreters and other foreign forces collaborators reportedly remained in Afghanistan. Individuals who were working for foreign military troops, e.g. interpreters, were reportedly living in hiding apart from their families, moving location every month to escape the Taliban, and being searched for. Reportedly, as of November 2023, 24 cases of targeting were identified of which 6 killings carried out by the Taliban and unidentified actors, and 3 cases of torture in Taliban custody.
Despite the announced amnesty forindividualswho had fought against them, the Talibanwere either unable or unwilling torestrain their soldiers from engaging inretaliatoryactsagainst persons under thisprofile[Country Focus2023, 4.1.1.,p. 56;Security September 2021,1.1.2., p. 13;COI Update 2022, 3., pp. 4-5;Country Focus 2022, 2.5., pp. 45-48;Targeting 2022, 2.1., p. 56; 3., pp. 74-76].
Incidents of threats, summary executions, detentions, torture,abusesandenforceddisappearances of persons affiliatedwith foreignforces have beenreported [Country Focus2023, 4.2., pp. 64-65;Targeting 2022, 2.1., p. 56; 3., pp. 74-76;Country Focus 2022, 2.5., pp.45-48].
Efforts weremade by the Taliban to track down persons under this profile through localinformants, the use of existingdatabases and intimidation [Security 2022, 1.2.4., p. 33;Targeting 2022, 2.2., pp. 63-64; 3., pp. 74-76].
Relatives o findividuals who worked with foreigntroops also faced threats. Family members of interpreterswere inparticular reported to be inhidingdue tofear of reprisals[Targeting 2022, 2.2., p. 64; 3., pp. 75-77].
Conclusions and guidanceDo the acts qualify as persecution under Article 9 QD?
Acts reported to be committedagainst individuals under thisprofileare of such severe nature that theyamount to persecution (e.g. killing).
What is the level of risk of persecution (wellfounded fear)?
Forindividuals affiliated withforeign forces,well-founded fear of persecution would in generalbe substantiated.
Are the reasons for persecution falling within Article 10 QD (nexus)?
Available information indicates that persecution of this profile is highly likely to be for reasons of (imputed) political opinion.
3.3. Personen, die mit ausländischen Streitkräften in Verbindung stehen
Letzte Aktualisierung: Mai 2024
Dieses Profil bezieht sich auf Personen, die mit den in Afghanistan stationierten ausländischen Streitkräften in Verbindung stehen, wie Dolmetscher, Sicherheitskräfte, zivile Auftragnehmer, Verwaltungsangestellte und Logistikpersonal.
COI-Zusammenfassung
Während der Jahre des Konflikts waren Mitarbeiter ausländischer Streitkräfte, insbesondere Dolmetscher, ein vorrangiges Ziel der Taliban. Artikel 11 der Layeha (Verhaltenskodex) der Taliban ordnet die Hinrichtung von Personen an, die für Kofaar (ausländische Ungläubige) arbeiten, darunter auch Tarjoman (Dolmetscher). Mitglieder von Streitkräften, die mit ausländischen Truppen zusammenarbeiteten, Auftragnehmer und „Spione“ wurden von den Taliban als verantwortlich für die Tötung afghanischer Zivilisten angesehen. Sie wurden öffentlich als Kriminelle bezeichnet und zur Zielscheibe gemacht. Personen, die nicht auf der Gehaltsliste der ausländischen Streitkräfte standen, sondern allgemeine Wartungsarbeiten verrichteten, wurden nicht so systematisch ins Visier genommen, obwohl es auch hier zu Angriffen kam [Anti-government elements, 2.6.2.3., S. 26-27; Conflict targeting, 1.2.3., S. 35-36].
Nach der Machtübernahme durch die Taliban beantragten Tausende von Dolmetschern, die für internationale und US-Streitkräfte gearbeitet hatten, spezielle Visa, um das Land verlassen zu können [Sicherheit September 2021, 1.1.4., S. 16]. Es wurde berichtet, dass es den USA gelang, die meisten ihrer afghanischen Spione und Informanten sowie deren Angehörige zu evakuieren, und viele Personen, die mit ausländischen Streitkräften in Verbindung standen, verließen Afghanistan während der Evakuierungsmaßnahmen nach der Machtübernahme.
Allerdings sollen Zehntausende Dolmetscher und andere Mitarbeiter ausländischer Streitkräfte in Afghanistan geblieben sein. Personen, die für ausländische Streitkräfte gearbeitet hatten, z. B. Dolmetscher, lebten Berichten zufolge getrennt von ihren Familien im Untergrund, wechselten jeden Monat ihren Aufenthaltsort, um den Taliban zu entkommen, und wurden gesucht. Berichten zufolge wurden bis November 2023 24 Fälle von gezielten Angriffen identifiziert, darunter 6 Morde durch die Taliban und nicht identifizierte Akteure sowie 3 Fälle von Folter in Taliban-Gewahrsam.
Trotz der angekündigten Amnestie für Personen, die gegen sie gekämpft hatten, waren die Taliban entweder nicht in der Lage oder nicht willens, ihre Soldaten davon abzuhalten, Vergeltungsmaßnahmen gegen Personen dieses Profils zu ergreifen [Country Focus 2023, 4.1.1., S. 56; Security September 2021, 1.1.2., S. 13; COI Update 2022, 3., S. 4-5; Country Focus 2022, 2.5., S. 45-48; Targeting 2022, 2.1., S. 56; 3., S. 74-76].
Es wurden Vorfälle von Drohungen, summarischen Hinrichtungen, Inhaftierungen, Folter, Misshandlungen und Verschleppungen von Personen gemeldet, die mit ausländischen Streitkräften in Verbindung stehen [Country Focus 2023, 4.2., S. 64-65; Targeting 2022, 2.1., S. 56; 3., S. 74–76; Country Focus 2022, 2.5., S. 45–48].
Die Taliban unternahmen Anstrengungen, um Personen mit diesem Profil mithilfe lokaler Informanten, bestehender Datenbanken und Einschüchterung aufzuspüren [Security 2022, 1.2.4., S. 33; Targeting 2022, 2.2., S. 63-64; 3., S. 74-76].
Verwandte oder Personen, die mit ausländischen Truppen zusammengearbeitet haben, waren ebenfalls bedroht. Insbesondere Familienangehörige von Dolmetschern sollen sich aus Angst vor Repressalien versteckt gehalten haben [Targeting 2022, 2.2., S. 64; 3., S. 75-77].
Schlussfolgerungen und Leitlinien
Sind die Handlungen als Verfolgung im Sinne von Artikel 9 QD einzustufen?
Die Handlungen, die gegen Personen mit diesem Profil begangen worden sein sollen, sind so schwerwiegend, dass sie einer Verfolgung gleichkommen (z. B. Tötung).
Wie hoch ist das Risiko der Verfolgung (begründete Furcht)?
Für Personen, die mit ausländischen Streitkräften in Verbindung stehen, wäre eine begründete Furcht vor Verfolgung im Allgemeinen gegeben.
Fallen die Gründe für die Verfolgung unter Artikel 10 QD (Zusammenhang)?
Die verfügbaren Informationen deuten darauf hin, dass die Verfolgung von Personen mit diesem Profil höchstwahrscheinlich aus Gründen der (unterstellten) politischen Meinung erfolgt.
1.3.3. Zusammenfassung aus den UNHCR Leitlinien zum internationalen Schutzbedarf von Personen, die aus Afghanistan fliehen, Update I – Stand September 2025:
Basierend auf verfügbaren Berichten über weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen in Afghanistan, darunter Berichte, die UNHCR im Rahmen seines Monitoring-Programms von auf der Flucht und bereits im Ausland befindlichen Afghan*innen erhalten hat, werden viele unter ihnen einen internationalen Schutzbedarf aufweisen. UNHCR hat insbesondere folgende Risikoprofile identifiziert:
a. Frauen und Mädchen;
b. Afghan*innen, die mit der ehemaligen Regierung in Verbindung stehen, ehemalige Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte und Afghan*innen, die mit den ehemaligen internationalen Streitkräften in Afghanistan in Verbindung stehen;
c. Journalist*innen und in der Medienbranche tätige Personen;
d. Personen, die (als) Gegner*innen oder Kritiker*innen der De-facto-Behörden gelten;
e. Mitglieder ethnischer und religiöser Minderheiten;
f. Afghan*innen mit verschiedenen Formen sexueller Orientierung, geschlechtlicher Identitäten und/oder Geschlechtsausdrücken bzw. Afghan*innen, die als Personen mit verschiedenen Formen sexueller Orientierung, geschlechtlicher Identitäten und/oder Geschlechtsausdrücken wahrgenommen werden;
g. Überlebende von Menschenhandel sowie Personen, die von Menschenhandel bedroht sind.
3. Diese Liste erhebt nicht den Anspruch einer abschließenden Aufzählung aller Profile von Afghan*innen, die eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung haben könnten. Jeder Antrag auf internationalen Schutz sollte unter Berücksichtigung der von den Antragsteller*innen vorgelegten Beweise sowie aller relevanten Informationen über das Herkunftsland, soweit verfügbar, geprüft werden. UNHCR weist darauf hin, dass Familienangehörige und andere Personen, die eng mit von Verfolgung bedrohten Personen verbunden sind, häufig selbst gefährdet sind.
4. In Anbetracht der Hindernisse bei der Informationsbeschaffung und Berichterstattung in Afghanistan, bleiben Menschenrechtsverletzungen und -missbräuche häufig undokumentiert und werden nicht gemeldet. UNHCR fordert Entscheidungsträger*innen dazu auf, der Unsicherheit und Unvorhersehbarkeit bei den von den De-facto-Behörden angewandten Verfahren zur Erlassung von Dekreten angemessen Rechnung zu tragen, insbesondere im Hinblick auf die fortbestehenden Unklarheiten bezüglich der Anwendbarkeit des früheren afghanischen Rechtsrahmens sowie den Mangel an vollständigen Herkunftsländerinformationen. Entscheidungsträger*innen über Asylanträge sollen aus dem Fehlen von Informationen keine nachteiligen Schlüsse ziehen, da Menschenrechts- und humanitäre Organisationen sowie Medien in Afghanistan in ihrer Arbeit erheblich eingeschränkt sind.
5. Vor dem Hintergrund der landesweit volatilen Lage sowie der gravierenden wirtschaftlichen und humanitären Situation ist es nach Auffassung von UNHCR nicht geboten, afghanischen Staatsangehörigen und Personen mit vormaligem gewöhnlichem Aufenthalt in Afghanistan internationalen Schutz allein mit der Begründung einer möglichen internen Fluchtalternative oder Relocation zu verweigern.
6. Die Lage in Afghanistan bleibt weiterhin instabil und dürfte auch in absehbarer Zeit unsicher bleiben. Dies stellt erhebliche Herausforderungen für eine sichere und würdevolle Rückkehr jener Personen dar, bei denen festgestellt wurde, dass sie keinen internationalen Schutz benötigen. Vor diesem Hintergrund ruft UNHCR Staaten dazu auf, bei der Prüfung zwangsweiser Rückführungen von Personen nach Afghanistan, die nicht als schutzbedürftig gelten, besondere Vorsicht walten zu lassen. Dabei sind sowohl die fortdauernde humanitäre Notlage im Land als auch die potentiell destabilisierenden Auswirkungen einer massenhaften Rückkehr auf die bereits prekäre Lage in Afghanistan zu berücksichtigen.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen zur Identität und Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers und seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie zu seinem Herkunftsort und zum Lebenslauf und zur Ausbildung beruhen auf seinen gleichbleibenden Angaben im Verfahren, insbesondere auf seinen Angaben in der Beschwerdeverhandlung in Zusammenschau mit den vorgelegten Beweismitteln. Bereits die belangte Behörde erkannte diese Angaben des Beschwerdeführers als „schlüssig und deshalb glaubhaft“ (AS 446, Bescheid S. 204) – soweit decken sich die Auffassungen der belangten Behörde und des Bundesverwaltungsgerichts. Hinsichtlich der vom Bundesverwaltungsgericht im Gegensatz zur belangten Behörde angenommenen Tätigkeit des Beschwerdeführers als Soldat und der Glaubwürdigkeit seines diesbezüglichen Vorbringens wird auf die Beweiswürdigung unter Punkt 2.2. verwiesen.
Die belangte Behörde selbst änderte im Zuge der Einvernahme am 06.03.2025 den Namen und das Geburtsdatum des Beschwerdeführers aufgrund der Vorlage der Tazkira des Beschwerdeführers in Kopie (AS 68, Ablichtung Tazkira AS 97) und hielt im angefochtenen Bescheid fest, dass es für die belangte Behörde nachvollziehbar ist, dass die Aliasdaten des Beschwerdeführers aufgrund der unterschiedlichen Übersetzung der Tazkira bzw. falscher Schreibweise der staatlichen Behörden zustande kam (AS 446, Bescheid S. 204). Es hat sich im Beschwerdeverfahren nichts auf eine andere Identität Hindeutendes ergeben, sodass im Grunde das Bundesverwaltungsgericht von der gleichen Identität des Beschwerdeführers ausgeht wie die belangte Behörde – die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers gilt für die Identifizierung der Person des Beschwerdeführers im Asylverfahren, da mangels Vorlage eines Identitätsdokumente im Original seine Identität nicht abschließend geklärt werden kann.
Da der Personenstand des Beschwerdeführers für die gegenständliche Entscheidung nicht von tragender Relevanz ist, wurden im mündlich verkündeten Erkenntnis dazu keine Feststellungen getroffen. Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle festgehalten, dass der Beschwerdeführerin durchgehend angegeben hatte, dass er traditionell verheiratet ist (vgl. insb. AS 73) und eine Tochter hat. Die belangte Behörde führte im angefochtenen Bescheid zwar zutreffend aus, dass in der Erstbefragung als Familienstand „ledig“ festgehalten wurde (AS 1) und begründet mitunter damit die von ihr angenommene Unglaubwürdigkeit seiner Angaben zu Ehe und Vaterschaft, wenn sie ihm auch zugesteht, dass er in der weiteren Befragung „Daten einer Frau“ genannt habe (AS 446 und 447, Bescheid S. 203 und 204). Tatsächlich hat der Beschwerdeführer in der Erstbefragung auf die Frage nach Familienangehörigen sowohl Namen und Alter zur Ehefrau und zur Tochter gemacht (AS 3), sodass er diese beiden schon in der Erstbefragung explizit erwähnt hatte. Wenn es auch zutrifft, dass in der Erstbefragung sein Familienstand zuvor als „ledig“ protokolliert wurde, steht die explizite Erwähnung von Ehefrau und Kind in der gleichen Befragung dem gegenüber. Damit setzte sich die belangte Behörde in ihrer Beweiswürdigung nicht auseinander, sondern begründete die von ihr angenommene Unglaubwürdigkeit in diesem Kontext außerdem mit dem nicht hinreichenden Nachweis von Ehe und Vaterschaft mangels konkreter Angaben des Beschwerdeführers und unzureichender Beweismittel. Diese Herangehensweise an die Beweiswürdigung, nämlich die nicht vollständige Verwertung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, findet sich im angefochtenen Bescheid immer wieder (vgl. hierzu die Ausführungen unter Punkt 2.2., insbesondere zur Nichtbeachtung des Erkenntnisberichts der LPD XXXX ( XXXX ))
Die strafgerichtliche Unbescholtenheit in Österreich konnte aufgrund des Auszugs aus dem Strafregister (OZ 2) festgestellt werden.
2.2. Zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen zu den Gründen des Beschwerdeführers für das Verlassen seines Herkunftsstaates stützen sich auf die vor der belangten Behörde und in der Beschwerdeverhandlung getroffenen Aussagen sowie auf die zum Fluchtvorbringen vorgelegten Unterlagen und Schriftstücke des Beschwerdeführers.
Der Beschwerdeführer erstattete ein im Wesentlichen gleichbleibendes und auch stringentes Vorbringen zu seinen Fluchtgründen. Schon in der Erstbefragung hat er angegeben, dass er beim Militär gewesen ist und er flüchten habe müssen, als die Taliban die Macht übernahmen und begründete seine Rückkehrbefürchtungen mit einer Angst vor Taliban (AS 6) – dieses Vorbringen erstattete er stringent auch vor der belangten Behörde und in der Beschwerdeverhandlung.
Die von ihm bei der Erstbefragung angegebenen Daten zum Ausreisezeitpunkt – nämlich, dass er den Entschluss zur Ausreise im August 2021 gefasst hat und Afghanistan am 20.08.2021 verlassen hat (AS 4), stehen damit im Einklang. Soweit die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid ausführte, dass der Ausreisezeitpunkt mit dem Vorbringen nicht vereinbar wäre, ist festzuhalten, dass die belangte Behörde sich hierzu auf die Aufenthaltsdauer in den durchreisten Ländern (AS 5) stützte und davon ausgehend einen Ausreisezeitpunkt rückrechnete, der erst im April 2022 gelegen wäre – und dabei aber die vom Beschwerdeführer explizit gemachte Angabe zum Datum der Ausreise in der Erstbefragung (eben: 20.08.2021) ignorierte (ebenso hat er auch vor der belangten Behörde angegeben, Kabul am 20.08.2021 verlassen zu haben, AS 76). Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass die explizite Nennung eines Ausreisedatums (20.08.2021) bei der Erstbefragung eine konkretere Information darstellt als die recht unkonkrete, überwiegend monatsweise Angabe zur Aufenthaltsdauer in den durchreisten Staaten, die viel eher den Eindruck einer ungefähren Schätzung vermittelt (AS 5) und folgt daher der Angabe des Beschwerdeführers in der Erstbefragung, dass er am 20.08.2021 – und damit nur wenige Tage nach der Machtübernahme durch die Taliban – ausgereist ist, was er auch später im Verfahren gelichbleibend angab (AS 76). In diesem Kontext ist auch festzuhalten, dass die erkennende Richterin in den geringen Abweichungen dazu, in welches Land der Beschwerdeführer „zuerst“ ausgereist sei, keinen Grund sieht, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers unglaubwürdig wäre. Er gab an, von der Provinz Nimroz aus Afghanistan ausgereist zu sein (AS 76), und Nimroz grenzt bekanntlich an den Iran und an Pakistan. In der Erstbefragung hat der Beschwerdeführer Pakistan nicht ausdrücklich erwähnt, sondern geschildert, dass er „illegal zu Fuß in den Iran“ (AS 4) gereist sei und sich dann ein Monat im Iran aufgehalten habe (AS 5). Auf nähere Befragung vor der belangten Behörde führte der Beschwerdeführer aus, dass er sich nach der Ausreise zwei Tage im iranisch-pakistanischen Grenzgebiet aufgehalten hat (vgl. AS 76: „Da war ich nur im Grenzgebiet…“), sodass aus Sicht der erkennenden Richterin keine so wesentliche Divergenz vorliegt, da die Abweichung schlicht damit erklärt werden kann, dass der Beschwerdeführer sich nur zwei Tage im pakistanischen Grenzgebiet aufhielt, bevor er in den Iran gelangte, was sein erster längerer Aufenthalt (von einem Monat) nach dem Verlassen Afghanistans war. Angesichts des Gesagten, treten die von der belangten Behörde daraus abgeleiteten „Widersprüche“ bei näherer Betrachtung der Angaben des Beschwerdeführers in den Hintergrund (vgl. Protokoll der mV S. 23).
Anders als die belangte Behörde – die das Vorbringen des Beschwerdeführers, dass er Soldat gewesen ist für unglaubwürdig befand (AS 265, Bescheid S. 23), kommt das Bundesverwaltungsgericht zum Schluss, dass das gesamte Vorbringen des Beschwerdeführers zu eben dieser Eigenschaft, und zu der daraus bereits resultiert habenden Drangsalierung der Familie des Beschwerdeführers nach dessen Ausreise – der Wahrheit entspricht, und er aus diesen Gründen bei einer Rückkehr individuell und konkret eine Verfolgung durch Taliban zu befürchten hat, die in seiner Eigenschaft als ehemaliger Soldat und der ihm deshalb (unterstellten und auch tatsächlich bestehenden) oppositionellen Gesinnung begründet ist:
Der Beschwerdeführer erstattete ein nachvollziehbares Vorbringen zu seiner Tätigkeit als Soldat und der sich daraus ergebenden Bedrohungssituation. Der Beschwerdeführer machte in allen Einvernahmen stringente Angaben dazu, dass er Soldat beim afghanischen Militär war. Er schilderte dies bereits in der Erstbefragung. In der Einvernahme vor der belangten Behörde ebenso – und dort machte er auch detaillierte Angaben zu seiner Ausbildung, und konnte sowohl dahingehende Fragen als auch Fragen zu Waffengattungen, an denen er ausgebildet ist, sowie den Aufgaben, die er vollzog, schlüssig und spontan beantworten (AS 78, 79). Der Beschwerdeführer schilderte auch Kampfeinsätze nachvollziehbar, und lebensnah (AS 80). Bereits vor der belangten Behörde äußerte er sich also umfassend zu Waffen, zur Ausbildung und zum Alltag beim Militär (AS 78ff). Die belangte Behörde billigte selbst dem Beschwerdeführer Kenntnisse in diesen Bereichen zu (AS 448, Bescheid S. 206) – argumentierte dann aber, dass der Beschwerdeführer sich dieses umfassende Vorbringen durch „Eigenrecherche oder Gespräche“ angeeignet haben könnte (AS 448, Bescheid S. 206). Dieser Argumentation der belangten Behörde folgt die erkennende Richterin explizit nicht – schließlich erwies sich nicht nur sein Vorbringen vor der belangten Behörde als fundiert, sondern war er in der Beschwerdeverhandlung darüber hinaus in der Lage, auf konkrete Nachfragen der erkennenden Richterin nach Details zu seinem bereits erstatteten Vorbringen spontan nachprüfbare und sich als richtig herausstellende Angaben zu machen: so etwa zu dem Militärspital, in dem er, nach dem er im Kampfeinsatz verletzt wurde, behandelt wurde (hier konnte er Namen und Ort nennen, und treffen seine Angaben zu, vgl. Protokoll der mV S. 7 und 8) und er konnte ebenso den Ort, an dem eines der vielen vorgelegten Lichtbilder, die den Beschwerdeführer offensichtlich im Militäreinsatz zeigen, spontan benennen – auch hier stellte sich heraus, dass der bezeichnete Militärstützpunkt existierte (Protokoll der mV S. 7). Dadurch, dass er das ein Lichtbild, das ihm vorgehalten wurde, als im Stützpunkt XXXX in Nangarhar lokalisieren konnte, der auch tatsächlich existierte und das Militärspital XXXX , das tatsächlich existiert, spontan auf die Befragung nach der Behandlung seiner Verletzung, die er im Kampf gegen die Taliban erlitt, nannte und auch korrekt sagte, dass sich dieses in Kabul befindet, machte der Beschwerdeführer (erneut) auf die erkennende Richterin einen völlig glaubwürdigen Eindruck. Angesichts all dessen gelangte die erkennende Richterin zu der Überzeugung, dass es sich bei dem umfassenden und fundiertem Wissen des Beschwerdeführers zu seiner Tätigkeit beim Militär und damit in Zusammenhang stehenden Belangen um ein Wissen handelt, dass er hat, weil er tatsächlich zweieinhalb Jahre beim Militär war, dort vieles (insbesondere auch eine Verletzung im Kampf) erlebt hat und er eben deswegen ein derart umfassendes und nachvollziehbares Vorbringen erstatten konnte, weil sein Vorbringen wahr ist.
Wesentlich ist auch, dass der Beschwerdeführer eine Vielzahl von Lichtbildern vorlegte, die sowohl ihn selbst als auch andere Militärangehörige im Kontext mit ihrer Tätigkeit beim Militär zeigen. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde – die diese Beweismittel im Wesentlichen mit dem Argument aushebelte, dass „derartige Fotos in Afghanistan leicht und kostengünstig gefälscht werden können“ (AS 448, Bescheid S. 206) – hat die erkennende Richterin keine Zweifel daran, dass diese Fotos echt und richtig sind, also tatsächlich die Tätigkeit des Beschwerdeführers beim Militär belegen. Die Person, die auf vielen der Fotos abgelichtet ist, hat jedenfalls eine frappante Ähnlichkeit mit dem Beschwerdeführer (vgl. insb. AS 101, 105, 119 und als „Vergleichsbild“ AS 22) und auf keinem dieser Fotos ist ad hoc irgendetwas ersichtlich, war darauf hindeutet, dass diese Fotos gefälscht werden. Es ist zwar zutreffend, dass eine Fälschung solcher Fotos möglich ist, allerdings sind die vom Beschwerdeführer vorgelegten Beweismittel nicht isoliert zu betrachten, sondern im Kontext mit dem fundierten Vorbringen des Beschwerdeführers zu sehen.
Wesentlich ist zudem die Aussage, die sich aus dem Erkenntnisbericht zur Person des Beschwerdeführers der XXXX vom 24.03.2025 ergibt, den die belangte Behörde selbst in Auftrag gegeben hatte, und in dem offensichtlich zu den Lichtbildern, die dem Beschwerdeführer im Rahmen seiner Tätigkeit beim Militär zeigen, ausgeführt wird: „Hinsichtlich der übermittelten Lichtbilder des XXXX decken sich XXXX mit jenen welche in der „Afghan National Army“ („ANA“) XXXX verwendet wurden, dahingehend erscheinen die (im Zuge der Erstbefragung getätigten) Angaben XXXX als fundiert. (AS 155). Dieser Erkenntnisbericht und insbesondere diese Aussage aus dem Bericht finden im angefochtenen Bescheid keinen Niederschlag. Damit hat die belangte Behörde genau jene Aussage eines Berichts, die für den Beweiswert der vom Beschwerdeführer vorgelegten Bilder von (positiver) Relevanz ist, in ihrer Beweiswürdigung schlichtweg ignoriert. Diese Herangehensweise der belangten Behörde an die Beweiswürdigung ist insbesondere deshalb nicht nachvollziehbar, weil sie den Lichtbildern im Grunde jeden Beweiswert absprach – obwohl eben die Aussage, dass XXXX eben ab 2019, also genau in dem Zeitraum, den der Beschwerdeführer als jenen bezeichnet, in dem er selbst Soldat war, entsprechen, durchaus geeignet ist, das Vorbringen des Beschwerdeführers zu untermauern.
Entgegen der Auffassung der belangten Behörde kommt die erkennende Richterin in Zusammenschau all dessen zum Schluss, dass diese Beweismittel (die Lichtbilder) geeignet sind, die Tätigkeit des Beschwerdeführers beim vormaligen afghanischen Militär zu belegen.
Dass der Beschwerdeführer außer seinem umfassenden Wissen und den unzweifelhaften Lichtbildern keine weiteren Beweise für seine Tätigkeit beim Militär (etwa: Militärausweis) hat, vermag keine Zweifel an seinem Vorbringen aufzuwerfen – insbesondere deshalb, weil er in der Beschwerdeverhandlung plausibel und überzeugend schilderte, dass er die Waffen am 14.08.2021 niederlegte bzw. abgab, dies auf Geheiß des Kommandanten (Protokoll der mV S. 10) – eine Vorgehensweise, die ebenfalls mit der Berichtslage in Einklang steht.
Es ist außerdem gerichtsbekannt, dass gerade die Übersetzung von im Bereich des Militärs und der Polizei verwendeten Begrifflichkeiten und Ausdrücken oftmals nicht ganz eindeutig vorgenommen werden kann, sodass daraus Divergenzen entstehen können. Infolgedessen tritt die erkennende Richterin den Ausführungen der belangten Behörde, dass sich hier teilweise Widersprüche ergeben hätten (AS 448, Bescheid S. 206), nicht bei, sondern tritt auch das angesichts der viel Umstände, die die Glaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers untermauern, in den Hintergrund. Festzuhalten ist an dieser Stelle, dass die Angaben des Beschwerdeführers insgesamt miteinander in Einklang zu bringen sind, und er auch nie einen anderen Rang als „Soldat“ behauptete – die in der Beschwerde enthaltene Erklärung, dass der Beschwerdeführer bei einer „Quick Reaction Force“ war (AS 523), kann allenfalls aufgetretene Unzulänglichkeiten schlüssig erklären.
Auch, dass der Beschwerdeführer zur Einordnung wesentlicher Lebensereignisse, wie etwa seine Hochzeit, zeitlich anhand des Beginns seiner Tätigkeit bei der Armee einordnete, zeigt, dass er von Tatsächlichem berichtet (AS 72) – dass er eine solche Zuordnung machte, ist lebensnah und wird seine Glaubwürdigkeit auch damit unterstrichen.
Letztlich ist anzumerken, dass der recht unschlüssige Inhalt der Mail (AS 181) vom Beschwerdeführer bereits in der Beschwerde schlüssig aufgeklärt wurde, indem der Text dieser Mail von einer Übersetzungsmaschine – offensichtlich fehlerhaft – generiert wurde. Auch in der Beschwerdeverhandlung erklärte der Beschwerdeführer das schlüssig (Protokoll der mV S. 8). Damit konnte er die Beweiswürdigung im angefochtenen Bescheid, die ihm in diesem Kontext einen Widerspruch anlastete, der mitunter zur Begründung der Unglaubwürdigkeit seines Vorbringens führte (AS 449, Bescheid S. 207), entkräften. Hierzu ist noch festzuhalten, dass es nicht nachvollziehbar ist, dass die belangte Behörde, wenn sie den Inhalt der am 06.07.2025 um 00.19 Uhr schon in der Beweiswürdigung zu Ungunsten des Beschwerdeführers heranzuziehen beabsichtigt, den Inhalt der Mail unreflektiert übernimmt: Aus dem Akteninhalt ist nämlich ersichtlich, dass der Beschwerdeführer sich an diesem Tag sowohl um 00.19 Uhr als auch um 17.07 Uhr per Mail an die belangte Behörde wandte (AS 179 und AS 181). Während die um 00.19 Uhr abgesendete Mail in ihrem ersten Teil die mit dem übrigen Vorbringen unvereinbaren Ausführungen zu einem Zwang zum Militärdienst enthält und erst im zweiten Teil die – offenbar intendierte – Nachfrage zum Stand des Asylverfahrens enthält (AS 181 unten und AS 182), enthält die am gleichen Tag um 17.07 Uhr gesendete Mail nur noch die Nachfrage zum Stand des Asylverfahrens (AS 179). Außerdem enden die mit dem übrigen Vorbringen unvereinbaren Ausführungen zu einem Zwang zum Militärdienst in der Mail von 00.19 Uhr abrupt und mitten im Satz (vgl. AS 181 unten) und sind die Mails auf einem sehr hohen deutschen Sprachniveau verfasst, die mit den tatsächlichen Deutschkenntnissen des Beschwerdeführers unvereinbar sind. Aufgrund all dessen drängt sich sofort der Eindruck auf, dass hier ein Irrtum vorliegt bzw. eine Übersetzungsmaschine am Werk war – vor diesem Hintergrund ist die entsprechende Erklärung des Beschwerdeführers überzeugend und glaubwürdig, wohingegen die unreflektierte Verwertung durch die belangte Behörde (ohne etwa im Vorfeld der Bescheiderlassung nochmals beim Beschwerdeführer nachzufragen oder die eben dargestellten, sich beim Lesen des Mails aufdrängenden Fragen sonst zu erörtern) nicht nachvollzogen werden kann.
Es ist vor dem Hintergrund der Berichtslage nachvollziehbar plausibel, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner Tätigkeit als Soldat für die Taliban als oppositionell gesinnt gilt. Dass der Beschwerdeführer eine solche Gesinnung auch verinnerlicht hat, ist schon aufgrund seines Engagements beim Militär und aufgrund des Umstandes, dass er nach der Machtergreifung der Taliban Afghanistan sofort verließ, evident. Aufgrund der notorischen Situation, dass biometrische Daten von Militärangehörigen in die Hände der Taliban gelangten und die Familie nach der Machtübernahme auch schikaniert wurde, ist davon auszugehen, dass er nun bei einer Rückkehr wiederum von den Taliban als eine solche Person identifiziert werden würde und aus diesem Grund bei einer Rückkehr einer Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt sein wird.
Die erkennende Richterin kommt auf Basis des geführten Ermittlungsverfahrens, insbesondere auch aufgrund des Ergebnisses der heute durchgeführten Verhandlung, wo der Beschwerdeführer einen persönlich glaubwürdigen Eindruck hinterließ, zum Schluss, dass der Beschwerdeführer in Bezug auf seine Fluchtgründe wahre Angaben gemacht hat. Sie tritt der Beweiswürdigung der belangten Behörde daher nicht bei – die im angefochtenen Bescheid geltend gemachte Unglaubwürdigkeit seines Vorbringens konnte aufgrund des Ermittlungsergebnisses vom Bundesverwaltungsgericht nicht bestätigt werden.
Der Beschwerdeführer brachte auch glaubwürdig vor, dass seine Familie Im Heimatdorf von den Taliban schikaniert und als Unterstützer der Amerikaner bezeichnet wurde (AS 81) und es in seinem Elternhaus eine Hausdurchsuchung gab (Protokoll der mV S. 11), die Familie nach Pakistan ging und, nachdem sie von dort nach Afghanistan abgeschoben wurde, nun nicht mehr im Heimatdorf, sondern in Kabul lebt (AS 81), wo sie regelmäßig die Adresse wechseln (Protokoll der mV S. 8) – diese Angaben sind nicht nur stringent und vor dem Hintergrund der Länderberichte plausibel. Es war daher festzustellen, dass seine am Heimatort verbliebene Familie nach der Ausreise des Beschwerdeführers schikaniert wurde, weil die Tätigkeit des Beschwerdeführers als Soldat bekannt war – und dass die Familie ging nach Pakistan ging, abgeschoben wurde und nun in Kabul lebt. Dies wiederum unterstreicht, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner Eigenschaft als Soldat konkret und individuell ins Visier der Taliban geraten ist und deshalb in diesem konkreten Einzelfall konkrete Anhaltspunkte – wie eben die Hausdurchsuchung und die Schikanierung seiner Familie – belegen, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr aus diesem Grund mit einer Verfolgung durch die Taliban rechnen muss. Der Beschwerdeführer gehört damit nicht „nur“ der Risikogruppe des Militärpersonals der früheren Regierung an, sondern ist aufgrund dieser konkreten Anhaltspunkte eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung seiner Person abzuleiten.
Angesichts dessen, dass der Beschwerdeführer nur wenige Tage nach der Machtübernahme durch die Taliban flüchtete, tut es seiner Rückkehrbefürchtung, dass er in Afghanistan von den Taliban verfolgt werden würde, keinen Abbruch, dass eine solche Verfolgungshandlung ihm gegenüber noch nicht eingetreten ist. Dass seine Familie aber in diesem Kontext schikaniert wurde, eine Hausdurchsuchung stattfand, sie vom Heimatort nach Pakistan flüchtete und nun in Kabul regelmäßig den Wohnort wechselt, unterstreicht, dass der Beschwerdeführer selbst konkret eine Verfolgung zu befürchten hat.
Das Vorbringen des Beschwerdeführers steht ebenfalls im Einklang mit den aktuellen Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat:
Trotz mehrfacher Versicherungen, von Vergeltungsmaßnahmen gegenüber Angehörigen der ehemaligen Regierung und Sicherheitskräften abzusehen, wurde nach der Machtübernahme der Taliban berichtet, dass diese auf der Suche nach ehemaligen Mitarbeitern der internationalen Streitkräfte oder der afghanischen Regierung von Tür zu Tür gingen und deren Angehörige bedrohten. Ein Mitglied einer Rechercheorganisation, welche einen (nicht öffentlich zugänglichen) Bericht zu diesem Thema für die Vereinten Nationen verfasste, sprach von einer „schwarzen Liste“ der Taliban und großer Gefahr für jeden, der sich auf dieser Liste befände. Im Zuge der Machtübernahme im August 2021 hatten die Taliban Zugriff auf Mitarbeiterlisten der Behörden, unter anderem auf eine biometrische Datenbank mit Angaben zu aktuellen und ehemaligen Angehörigen der Armee und Polizei bzw. zu Afghanen, die den internationalen Truppen geholfen haben. Auch Human Rights Watch zufolge kontrollieren die Taliban Systeme mit sensiblen biometrischen Daten, die westliche Geberregierungen im August 2021 in Afghanistan zurückgelassen haben. Diese digitalen Identitäts- und Gehaltsabrechnungssysteme enthalten persönliche und biometrische Daten von Afghanen, darunter Iris-Scans, Fingerabdrücke, Fotos, Beruf, Wohnadressen und Namen von Verwandten. Die Taliban könnten diese Daten nutzen, um vermeintliche Gegner ins Visier zu nehmen, und Untersuchungen von Human Rights Watch deuten darauf hin, dass sie die Daten in einigen Fällen bereits genutzt haben könnten.
Laut den festgestellten Länderinformationen der Staatendokumentation der belangten Behörde gibt es glaubwürdige Berichte über schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen durch die Taliban. Es gibt weiters Berichte über Entführungen und Ermordungen ehemaliger Angehöriger des Staatsapparats und afghanischer Sicherheitskräfte. Auch diese Menschenrechtsverletzungen lassen sich zum Teil den Taliban-Sicherheitskräften zuordnen, jedenfalls aber werden sie durch die Taliban-Regierung toleriert und nicht juristisch verfolgt. Auch ist den zugrunde gelegten Länderinformationen zu entnehmen, dass die Taliban bestens vernetzt sind und über neue technische Möglichkeiten verfügen, um politische Gegner ausfindig zu machen.
Die Angaben des Beschwerdeführers, aufgrund seiner Tätigkeit als Soldat einer Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt zu sein, sind daher mit diesen dargelegten Berichten in Einklang zu bringen und zeigen ein schlüssiges Bild.
Aus den festgestellten UNHCR-Leitlinien zum internationalen Schutzbedarf von Personen, die aus Afghanistan fliehen, geht zudem hervor, dass Personen, die mit der ehemaligen Regierung oder den internationalen Streitkräften in Afghanistan in Verbindung stehen, einen erhöhten Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz haben. Familienangehörige und andere Personen, die mit von Verfolgung Bedrohten eng verbunden sind, sind häufig einem eigenen Risiko ausgesetzt.
Aus der EUAA Country Guidance, ergibt sich ein ähnliches Bild – hier wird zum Risikoprofil der Mitglieder der Sicherheitsinstitutionen der ehemaligen Regierung dezidiert festgehalten, dass die Handlungen die laut Berichten gegen Personen mit diesem Profil begangen wurden, so schwerwiegend sind, dass sie einer Verfolgung gleichkommen (z. B. summarische Hinrichtungen, Folter, Verschleppungen) und dass für Antragsteller, die Mitglieder der Sicherheitsbehörden der früheren Regierung waren, eine begründete Furcht vor Verfolgung im Allgemeinen gegeben wäre, und dass die Verfolgung von Personen mit diesem Profil höchstwahrscheinlich aus Gründen der (unterstellten) politischen Meinung erfolgt.
Zusammenschauend hat der Beschwerdeführer damit glaubhaft gemacht, dass er aufgrund seiner Tätigkeit als Soldat ins Visier der Taliban geraten ist und dass ihm daher bei einer Rückkehr individuell und konkret eine Verfolgung droht.
In einer Gesamtschau der Angaben des Beschwerdeführers im gesamten Verlauf des Verfahrens zur möglichen Furcht vor Verfolgung im Falle der Rückkehr nach Afghanistan war das Vorbringen des Beschwerdeführers substantiiert, in sich schlüssig und im Hinblick auf die vorgelegten Bescheinigungsmittel sowie besonderen Umstände des Beschwerdeführers, die allgemeine Situation in Afghanistan und die diesem Erkenntnis zugrunde gelegten Länderberichte plausibel, sodass unter Würdigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens das Vorbringen des Beschwerdeführers glaubwürdig und das Vorbringen zu seiner Furcht vor Verfolgung in Afghanistan insgesamt glaubhaft ist.
Es ist daher davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus asylrelevanten Gründen drohen würde und die „staatlichen“ Einrichtungen Afghanistans nicht in der Lage oder gewillt wären, dem Beschwerdeführer vor dieser Verfolgung im ausreichenden Maß Schutz zu bieten.
In Hinblick auf die Machtübernahme durch die Taliban ist davon auszugehen, dass sich die Lage von Rückkehrern bzw. jenen, die wegen einer (unterstellten) oppositionellen politischen Gesinnung geflüchtet sind, noch erheblich verschlechtert hat.
Dem Beschwerdeführer droht daher im Fall seiner Niederlassung in Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung aus politischen Gründen und politisch oppositioneller Gesinnung im gesamten Staatsgebiet aufgrund seiner Eigenschaft als ehemaliger Soldat.
Dass für den Beschwerdeführer keine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, war aufgrund der prekären Situation in Afghanistan in Konnex mit der landesweiten Verfolgungsmöglichkeit der Taliban festzustellen.
2.3. Zur Situation im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur Allgemeinen Lage in Afghanistan ergeben sich aus dem im Entscheidungszeitpunkt hinreichend aktuellen nachvollziehbaren und schlüssigen, von der Staatendokumentation der belangten Behörde zusammengestellten Länderinformationsblatt zu Afghanistan. Herangezogen wurden zudem die Country Guidance der EUAA vom Mai 2024 und die aktuellen Richtlinien von UNHCR zu Afghanistan. Auch diese entsprechen den Standards für die Zusammenstellung länderkundlicher Informationen, sind schlüssig und nachvollziehbar und erweisen sich als unstrittig. Die Berichte als solche konnten auch widerspruchsfrei miteinander kombiniert werden.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
Zur Zuerkennung des Status des Asylberechtigten:
3.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).
Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
3.2. Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (vgl. VwGH 12.5.2025, Ra 2025/20/0152 bis 0154, mwN).
Feststellungen allgemeiner Umstände im Herkunftsstaat können außerdem die Glaubhaftmachung der Gefahr einer konkreten, individuell gegen den Revisionswerber gerichteten Verfolgung nicht ersetzen (vgl. VwGH 17.3.2025, Ra 2024/14/0777, mwN).
Der Verwaltungsgerichtshof führte in einer Revisionszurückweisung vom 16.07.2025, Ra 2025/14/0075 zudem aus:
„Warum allein die Eigenschaft, Bediensteter der Polizei der ehemaligen Regierung gewesen zu sein, wie die Revision zu vermeinen scheint, entgegen dieser Judikatur jedenfalls internationalen Schutz rechtfertigen sollte, legt die Revision nicht hinreichend dar. Mit dem bloßen Verweis auf das entsprechende Kapitel des Länderinformationsblattes wird nicht aufgezeigt, inwiefern die einzelfallbezogene Beurteilung des BVwG mit einem relevanten Begründungsmangel behaftet wäre. Dies vor allem im Hinblick auf die - auf einem Bericht der EUAA, Country Guidance Afghanistan vom Mai 2024, basierende und in der Revision unwidersprochen gebliebene - Feststellung des BVwG, wonach sich aus der bloßen Zugehörigkeit zur Risikogruppe des Zivil- und Militärpersonals der früheren Regierung Afghanistans eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung nicht ohne Hinzutreten weiterer konkreter Anhaltspunkte ableiten lasse (vgl. zur notwendigen Relevanzdarlegung von Verfahrensfehlern etwa VwGH 22.5.2025, Ra 2024/14/0690, mwN).“
3.3. Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht des Beschwerdeführers, in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen verfolgt zu werden, begründet ist:
3.3.1. Wie beweiswürdigend ausgeführt, hat der Beschwerdeführer seinen Fluchtgrund, aufgrund seiner Tätigkeit als Soldat bei der afghanischen Nationalarmee von den Taliban wegen einer (zumindest unterstellten) oppositionellen politischen Gesinnung verfolgt zu werden, glaubhaft machen können. Dabei ist es nicht nur glaubwürdig, dass der Beschwerdeführer selbst Soldat war, sondern ist es auch glaubwürdig, dass seine Familie nach seiner Ausreise, die bereits wenige Tage nach der Machtübernahme durch die Taliban stattfand, von Taliban schikaniert wurde, es eine Hausdurchsuchung gab, die Familie nach Pakistan ging und nun nach einer Abschiebung in Kabul lebt und dort regelmäßig den Wohnort wechselt. Im konkreten Einzelfall ist es also so, dass der Beschwerdeführer nicht nur der Risikogruppe des Militärpersonals der früheren Regierung Afghanistans angehört, sondern sind auch konkrete Anhaltspunkte (Hausdurchsuchung, Schikanierung, Umzüge der in Kabul lebenden Familie) hinzugetreten, aus denen sich die maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung des Beschwerdeführers bei einer Rückkehr ableiten lässt.
Die Verfolgungsgefahr steht auch im Zusammenhang mit den in der Genfer Flüchtlingskonvention taxativ aufgezählten Verfolgungsgründen, nämlich der zumindest unterstellten (talibanfeindlichen) oppositionellen politischen Gesinnung. Die Verfolgungsgefahr hat seit der Ausreise des Beschwerdeführers durch die Machtübernahme durch die Taliban an Aktualität und Intensität zugenommen, wobei auch in den Länderfeststellungen die umfassenden – und landesweiten – Möglichkeiten der Taliban, potenzielle Gegner auszuforschen, ausführlich dargestellt wurden.
3.3.2. Diese Beurteilung des erkennenden Gerichts entspricht zudem der Risikoeinschätzung durch EUAA und UNHCR:
Nach den einschlägigen UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus Afghanistan fliehen (September 2025), zählen Afghaninnen und Afghanen, die mit der ehemaligen Regierung oder der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan verbunden sind, zu den Profilen mit einem seit dem 15. August 2021 erhöhten Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz (S. 6 der Erwägungen). Auch die EUAA Country Guidance vom Mai 2024, denen nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - wie jenen des UNHCR - besondere Beachtung zu schenken ist („Indizwirkung“ - vgl. etwa VwGH 7.6.2022, Ra 2020/18/0439, mwN) und die gemäß Art. 11 Abs. 3 der Verordnung (EU) 2021/2303 bei der Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz von den Mitgliedstaaten zu berücksichtigen sind, treffen eine ähnliche Einschätzung. Weiters ist der EUAA Country Guidance zu entnehmen, dass Handlungen, die gegen Personen mit diesem Profil begangen worden sein sollen, sind so schwerwiegend sind, dass sie einer Verfolgung gleichkommen (z. B. Tötung). Hierzu wird auch auf die Ausführungen im Rahmen der Beweiswürdigung verwiesen.
3.3.3. Im Hinblick auf die Lage in Afghanistan, insbesondere aber wegen der landesweiten Verfolgungsmöglichkeit durch die Taliban steht dem Beschwerdeführer somit derzeit auch keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung.
3.3.4. Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan Eingriffe von den Taliban von höchster Intensität (bis zum Tod) in seine zu schützende persönliche Sphäre drohen, dies wegen einer (zumindest unterstellten) oppositionellen politischen Gesinnung in Kontext mit seiner Eigenschaft als Soldat bei der früheren afghanischen Nationalarmee. Im konkreten Einzelfall ist es so, dass der Beschwerdeführer nicht nur der Risikogruppe des Militärpersonals der früheren Regierung Afghanistans angehört, sondern sind auch konkrete Anhaltspunkte (Hausdurchsuchung, Schikanierung, Umzüge der in Kabul lebenden Familie) hinzugetreten, aus denen sich die maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung des Beschwerdeführers bei einer Rückkehr ableiten lässt.
Der Beschwerdeführer konnte somit glaubhaft machen, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
Da weder eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, noch ein in Art 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannter Endigungs- und Asylausschlussgrund hervorgekommen ist, war der Beschwerde des Beschwerdeführers stattzugeben und ihm gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit Kraft Gesetz die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Zur Indiziwirkung der Länderrichtlinien der EUAA (Country Guidance), und des des UNHCR, denen besondere Beachtung zu schenken ist vgl. etwa VwGH 07.06.2022, Ra 2020/18/0439, mwN. Maßgeblich war außerdem VwGH 16.07.2025, Ra 2025/14/0075 – im konkreten Einzelfall gehört der Beschwerdeführer nicht nur einer Risikogruppe an, sondern traten weitere konkrete Anhaltspunkte hinzu, aus denen sich die maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung des Beschwerdeführers ableiten ließ.
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