IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Veronika SANGLHUBER LL.B. über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , vertreten durch die erziehungsberechtigten Eltern, diese vertreten durch RA Dr. Robert GAMSJÄGER, Bundesstraße 75, 4822 Bad Goisern, gegen den Bescheid der Bildungsdirektion für Oberösterreich vom 18.11.2024, Zl. Präs/3a-103-4/59-2024, betreffend Suspendierung eines Schülers gemäß § 49 SchUG, zu Recht:
A) Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Mit Schreiben vom 18.10.2024 beantragte der Schulleiter der Volksschule XXXX mit näherer Begründung, dass der Schüler XXXX vom Schulbesuch gemäß § 49 SchUG suspendiert werde.
Mit Bescheid der Bildungsdirektion für Oberösterreich vom 18.10.2024, Zl. Präs/3a-103-4/59-2024, wurde ausgesprochen, dass XXXX wegen Gefahr im Verzug ab sofort bis einschließlich 25.10.2024 vom weiteren Schulbesuch suspendiert werde (Spruchpunkt 1.). Einer allfälligen Vorstellung werde die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt 2.).
Gegen diesen Bescheid erhob die rechtsfreundlich vertretene Erziehungsberechtigte fristgerecht Vorstellung.
Mit Bescheid der Bildungsdirektion für Oberösterreich vom 18.11.2024, Zl. Präs/3a-103-4/59-2024, wurde die mit Mandatsbescheid ausgesprochene Suspendierung für den Zeitraum 18.10.2024 bis 25.10.2024 bestätigt.
Gegen diesen Bescheid erhoben die Erziehungsberechtigten über ihren rechtsfreundlichen Vertreter fristgerecht Beschwerde und ergänzten diese mit Schriftsatz vom 20.02.2025.
Die Beschwerde samt Verwaltungsakt wurde am 22.01.2025 dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.
II. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer XXXX ist Schüler der Volksschule XXXX und besucht im Schuljahr 2024/2025 die 3. Schulstufe (3. Klasse).
Der Leiter der Volksschule beantragte die Suspendierung des Schülers bis zum 25.10.2024, da der Schüler mit einer Häkelnadel in den Hals eines Mitschülers gestochen und einen anderen Mitschüler in den Unterarm gebissen habe.
Die Bildungsdirektion für Oberösterreich sprach mit Bescheid vom 18.10.2024 aus, dass XXXX wegen Gefahr im Verzug ab sofort bis einschließlich 25.10.2024 vom weiteren Schulbesuch suspendiert wird.
Auf Grund der gegen diesen Bescheid erhobenen Vorstellung wurde mit Bescheid vom 18.11.2024 die mit Mandatsbescheid ausgesprochene Suspendierung für den Zeitraum 18.10.2024 bis 25.10.2024 bestätigt.
Die Schulkonferenz stellte keinen Antrag zum Ausschluss des Schülers.
III. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zum Schulbesuch ergeben sich aus dem Schülerstammblatt der Volksschule XXXX .
Aus dem Schreiben des Schulleiters vom 18.10.2024 ergibt sich die Feststellung zur beantragten Suspendierung des Schülers.
Aus den beiden Bescheiden der Bildungsdirektion für Oberösterreich ergibt sich die Suspendierung für den Zeitraum 18.10.2024 bis 25.10.2024.
Die Bildungsdirektion für Oberösterreich teilte auf Ersuchen des Bundesverwaltungsgerichts mit, dass kein Antrag auf Ausschluss des Schülers gestellt wurde (OZ 4).
IV. Rechtliche Beurteilung:
A) Stattgabe der Beschwerde:
§ 49 des Bundesgesetzes über die Ordnung von Unterricht und Erziehung in den im Schulorganisationsgesetz geregelten Schulen (Schulunterrichtsgesetz – SchUG) lautet:
„Ausschluß eines Schülers
§ 49. (1) Wenn ein Schüler seine Pflichten (§ 43) in schwer wiegender Weise verletzt und die Anwendung von Erziehungsmitteln gemäß § 47 oder von Maßnahmen gemäß der Hausordnung erfolglos bleibt oder wenn das Verhalten eines Schülers eine dauernde Gefährdung von Mitschülern oder anderer an der Schule tätigen Personen hinsichtlich ihrer Sittlichkeit, körperlichen Sicherheit oder ihres Eigentums darstellt, ist der Schüler von der Schule auszuschließen. An allgemein bildenden Pflichtschulen ist ein Ausschluss nur zulässig, wenn das Verhalten des Schülers eine dauernde Gefährdung von Mitschülern oder anderer an der Schule tätigen Personen hinsichtlich ihrer Sittlichkeit, körperlichen Sicherheit oder ihres Eigentums darstellt und die Erfüllung der Schulpflicht gesichert ist.
(2) Bei Vorliegen der Voraussetzungen nach Abs. 1 hat die Schulkonferenz (bei Schulen, die in Fachabteilungen gegliedert sind, die Abteilungskonferenz) einen Antrag auf Ausschluß des Schülers an die zuständige Schulbehörde zu stellen. Dem Schüler ist vor der Beschlußfassung über die Antragstellung Gelegenheit zur Rechtfertigung zu geben. Überdies ist den Erziehungsberechtigten Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Die Schulkonferenz hat bei ihrer Beratung die für und gegen den Ausschluß sprechenden Gründe zu berücksichtigen und ihren Antrag zu begründen. Eine Zweitschrift des Antrages ist dem Schüler zuzustellen.
(3) Die zuständige Schulbehörde hat bei Gefahr im Verzug auszusprechen, daß der Schüler vom weiteren Schulbesuch suspendiert wird. Die Suspendierung darf mit höchstens vier Wochen bemessen werden; sie ist unverzüglich aufzuheben, sobald sich im Zuge des Verfahrens ergibt, daß die Voraussetzungen nach Abs. 1 nicht oder nicht mehr gegeben sind. Der Schüler ist berechtigt, sich während der Suspendierung über den durchgenommenen Lehrstoff regelmäßig zu informieren. Am Ende eines Unterrichtsjahres ist dem Schüler Gelegenheit zur Ablegung einer Feststellungsprüfung gemäß § 20 Abs. 2 zu geben, soweit eine Beurteilung wegen der Dauer der Suspendierung sonst nicht möglich wäre.
(4) Die zuständige Schulbehörde hat nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens die Beendigung des Ausschlußverfahrens festzustellen, wenn die Voraussetzungen im Sinne des Abs. 1 für einen Ausschluß nicht vorliegen. Sie kann zugleich dem Schüler eine Rüge erteilen oder eine Maßnahme nach § 47 Abs. 2 anordnen, wenn sein Verhalten zwar einen Ausschluß nicht begründet, er aber sonst gegen seine Pflichten verstoßen hat. Andernfalls hat die zuständige Schulbehörde den Ausschluß des Schülers mit Bescheid auszusprechen.
(5) Der Ausschluß kann sich auf die betreffende Schule oder auf alle Schulen in einem näher zu bestimmenden Umkreis erstrecken. Von den verschiedenen Formen des Ausschlusses ist jeweils nur jene Form auszusprechen, mit der der angestrebte Sicherungszweck im Sinne des Abs. 1 bereits erreicht werden kann.
(6) (Anm.: aufgehoben durch BGBl. I Nr. 75/2013)
(7) Im Falle eines Ausschlusses ist die Aufnahme in eine Schule, auf die sich der Ausschluß erstreckt, weder als ordentlicher noch als außerordentlicher Schüler zulässig. Die Zulassung zu einer Externistenprüfung (§ 42) wird davon nicht berührt.
(8) Der Ausschluß kann von jener Schulbehörde, die ihn rechtskräftig ausgesprochen hat, auf Antrag des Schülers eingeschränkt oder aufgehoben werden, wenn und soweit die Gründe für seine Verhängung wegfallen oder der Sicherungszweck auf andere Weise erreicht werden kann.
(9) Sollten für Schüler allgemeinbildender Pflichtschulen Maßnahmen nach Abs. 1 nicht zielführend sein, so tritt an die Stelle des Ausschlusses eine Maßnahme nach Abs. 3 (Suspendierung) und die Einleitung eines Verfahrens gemäß § 8 des Schulpflichtgesetzes 1985.“
Im Mandatsbescheid ging die belangte Behörde von einer Gefährdung der körperlichen Sicherheit von Mitschülern oder anderen an der Schule tätigen Personen aus, und damit dem zweiten Tatbestand des § 49 Abs. 1 SchUG. In einem solchen Fall ist auch bei einem Schüler einer allgemein bildenden Pflichtschule ein Ausschluss des Schülers – wie hier des Beschwerdeführers, der Schüler an einer Volksschule ist – möglich.
Trotz Fehlens einer dem § 66 Abs. 4 AVG entsprechenden ausdrücklichen Bestimmung für das Vorstellungsverfahren ist auch die Behörde, die über eine Vorstellung nach § 57 Abs. 2 AVG zu entscheiden hat, berechtigt und bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen verpflichtet, das Mandat in jeder Richtung, daher in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nach der im Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides nach § 56 AVG bestehenden Sach- und Rechtslage zu überprüfen (VwGH 20.12.1983, 83/11/0030 = VwSlg 11272 A/1983), allerdings nur im Rahmen dessen, was "Sache" des Mandatsbescheides gewesen ist (vgl. VwGH 31.10.2024, Ra 2022/04/0145). Im Weiteren ist daher von einer Gefährdung der körperlichen Sicherheit der Mitschüler oder anderen an der Schule tätigen Personen auszugehen, da dies die Sache des Mandatsbescheides war.
Die belangte Behörde, die von einer Gefährdung der körperlichen Sicherheit der Mitschüler oder anderen an der Schule tätigen Personen ausging, suspendierte den Beschwerdeführer vom Schulbesuch, allerdings ohne ein Ausschlussverfahren gegen den Beschwerdeführer zu führen. Dies ist nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts aus folgenden Gründen nicht rechtmäßig:
Die Suspendierung eines Schülers wurde vom Gesetzgeber nicht in einem eigenen Paragraphen des SchUG geregelt, sondern findet sich in § 49 Abs. 3 SchUG wieder.
§ 49 SchUG, welcher mit „Ausschluss eines Schülers“ betitelt ist, befasst sich mit den Voraussetzungen für einen Ausschluss eines Schülers und dem diesbezüglichen Verfahren. Die Absätze 1 (Voraussetzungen eines Ausschlusses) und 2 (Antragstellung) sowie die Absätze 4 bis 9 (Ermittlungsverfahren und Entscheidung der Schulbehörde über den Ausschluss, vom Ausschluss betroffene Schule(n), Einschränkung und Aufhebung des Ausschlusses) nehmen ausdrücklich Bezug auf einen Ausschluss eines Schülers. Absatz 3, welcher die Suspendierung regelt, ist in die Bestimmungen über den Ausschluss eines Schülers eingebettet und gehört damit zu einem Ausschlussverfahren. Die Suspendierung soll im Zusammenhang mit einem Ausschlussverfahren offenbar sicherstellen, dass ein Schüler vorübergehend (höchstens vier Wochen) suspendiert wird, wenn Gefahr im Verzug vorliegt. Damit kann aber eine Suspendierung nur dann ausgesprochen werden, wenn auch ein Verfahren zum Ausschluss des Schülers geführt wird.
§ 49 Abs. 3 SchUG verweist auf Abs. 1 und führt aus, dass die Suspendierung unverzüglich aufzuheben ist, wenn sich im Zuge des Verfahrens ergibt, dass die Voraussetzungen des Abs. 1 nicht oder nicht mehr vorliegen. Damit ist für die Erlassung einer Suspendierung neben der Gefahr im Verzug auch erforderlich, dass die Voraussetzungen des Abs. 1 erfüllt sind, nämlich eine schwerwiegende Pflichtverletzung oder die dauernde Gefährdung von Mitschülern oder anderen an der Schule tätigen Personen hinsichtlich ihrer Sittlichkeit, körperlichen Sicherheit oder ihres Eigentums.
Sowohl der Ausschluss als auch die Suspendierung eines Schülers haben dieselben Voraussetzungen und zwar das Vorliegen einer der beiden Tatbestände des § 49 Abs. 1 SchUG. Würde bei Vorliegen einer der beiden Tatbestandsvoraussetzungen des Abs. 1 und von Gefahr im Verzug eine Suspendierung ausgesprochen werden, während beim Vorliegen bloß einer der beiden Tatbestandsvoraussetzungen des Abs. 1 ein Ausschluss verhängt werden würde, hätte dies zur Folge, dass bei Vorliegen eines zusätzlichen Gefahrenmoments – unter Gefahr im Verzug ist eine Situation, die zur Abwehr einer bestehenden oder wahrscheinlichen Gefahr ein sofortiges behördliches Einschreiten erfordert, zu verstehen (vgl. VwGH 21.02.2002, 2001/07/0124) – eine weniger gravierende Sanktion verhängt würde – nämlich eine nur vorübergehende maximal vier Wochen dauernde Suspendierung – als bei Nichtvorliegen von Gefahr im Verzug – nämlich ein dauerhafter Ausschluss vom Schulbesuch. Damit diese Folge nicht eintritt, erscheint es dem Bundesverwaltungsgericht daher nur möglich, dass eine Suspendierung ausschließlich im Zusammenhang mit einem gleichzeitig zu führenden Ausschlussverfahren ausgesprochen werden kann, nicht jedoch unabhängig von einem Ausschlussverfahren.
Bei einer Suspendierung kann es sich daher auch nur um eine Sicherungsmaßnahme während eines Ausschlussverfahrens handeln, nicht jedoch um eine eigenständige Erziehungsmaßnahme, welche unabhängig von einem Ausschlussverfahren getroffen werden kann.
Im vorliegenden Fall wurde vom Schulleiter am 18.10.2024 die Suspendierung des Beschwerdeführers beantragt. Ein Verfahren zum Ausschluss des Schülers wurde jedoch nicht geführt. Die Suspendierung des Beschwerdeführers erweist sich daher als rechtswidrig.
Der angefochtene Bescheid ist somit ersatzlos aufzuheben.
Bei diesem Ergebnis ist es daher nicht mehr erforderlich, auf das Beschwerdevorbringen sowie die Mängel im Ermittlungsverfahren, im Zuge dessen nicht einmal Parteiengehör gewährt wurde und angebotene Beweise nicht aufgenommen wurden, näher einzugehen.
Entfall der mündlichen Verhandlung:
Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen.
Die Anforderungen von Art. 6 EMRK sind auch bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung oder überhaupt jeglicher Anhörung erfüllt, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder "technische" Fragen betrifft. Der EGMR verwies dabei auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise, das angesichts der sonstigen Umstände des Falles zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung berechtige (vgl. EGMR 02.09.2004, 68086/01, Hofbauer gg. Österreich, unter Hinweis auf weitere Rechtsprechung).
Das vorliegende Verfahren betrifft ausschließlich rechtliche Fragen, weshalb von der beantragten mündlichen Verhandlung abgesehen wurde.
B) Zulässigkeit der Revision:
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, weil sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Es ist zu klären, ob eine Suspendierung gemäß § 49 Abs. 3 SchUG eine eigenständige Erziehungsmaßnahme ist, welche unabhängig von der Führung eines Verfahrens zum Ausschluss eines Schülers ausgesprochen werden kann.
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