BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. Christian EGGER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. TÜRKEI, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 19.12.2024, Zl. XXXX :
A) In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Begründung:
I. Verfahrensgang:
Der 30-jährige türkische Staatsangehörige stellte am 2. November 2022 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz.
Den Antrag auf internationalen Schutz begründete der Beschwerdeführer im Wesentlichen mit einer Blutfehde.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge als Bundesamt bezeichnet) vom 2. September 2022, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Türkei abgewiesen. Zugleich erteilte sie dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in die Türkei zulässig ist. Für die freiwillige Ausreise wurde eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.
Nach Erhebung einer Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht wurde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 13. Oktober 2023 mit Erkenntnis vom 19. Jänner 2024, Zl. XXXX , die Beschwerde abgewiesen.
In der Folge beantragte der Beschwerdeführer für die Abfassung und Einbringung einer außerordentlichen Revision gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes die Verfahrenshilfe zu bewilligen.
Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. März. 2024, XXXX , wurde der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe abgewiesen.
Der Beschwerdeführer stellte am 18. November 2024 gegenständlichen zweiten Antrag (Folgeantrag) auf internationalen Schutz.
In der Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes brachte er hinsichtlich seiner Fluchtgründe nunmehr vor, dass er vor etwa drei bis vier Monaten von seinem Anwalt in der Türkei erfahren habe, dass gegen ihn ein Strafverfahren wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation („FETÖ“) eingeleitet worden sei. Es bestehe ein Festnahmeauftrag. Er könne die Dokumente nachreichen. Bei einer Rückkehr in die Türkei befürchte er Inhaftiert zu werden.
Mit Schreiben des Bundesamtes vom 10. Dezember 2024, nachweislich Zugestellt am 11. Dezember 2024, wurde der Beschwerdeführer zur Einvernahme am 18. Dezember 2024 geladen.
Einen Tag vor der Einvernahme legte der Beschwerdeführer eine Krankenbestätigung dem Bundesamt vor, aus welcher hervorgeht, dass der Beschwerdeführer in der Zeit zwischen 16. Dezember 2024 bis 20.12.2024 arbeitsunfähig sei und ihm „Bettruhe“ verordnet worden sei.
Mit gegenständlich bekämpften Bescheid wies das Bundesamt den Antrag auf internationalen Schutz, ohne den Beschwerdeführer einvernommen zu haben, hinsichtlich des Status des Asylberechtigten und hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten wegen entschiedener Sache zurück. Zugleich erteilte sie dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in die Türkei zulässig ist. Es wurde keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt und gleichzeitig wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von 2 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.
Mit Beschwerdeschriftsatz erhob der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsvertreter fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
Das Bundesamt legte in der Folge die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der unter Pkt. I. dargestellte Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:
Mit Schreiben des Bundesamtes wurde der Beschwerdeführer zur Einvernahme am 18. November 2024 geladen.
Der Beschwerdeführer war in der Zeit vom 16. November 2024 bis zum 20. November 2024 arbeitsunfähig. Es wurde ihm Bettruhe verordnet.
Der Beschwerdeführer war für das Nichterscheinen bei der Einvernahme am 18. November 2024 entschuldigt.
Im Folgeverfahren wurde der Beschwerdeführer vom Bundesamt niemals einvernommen.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen ergeben sich aus dem vorliegenden Verwaltungsakt des Bundesamtes.
Die Feststellung, wonach die Einvernahme des Beschwerdeführers für den 18. November 2024 durch das Bundesamt vorgesehen war, ergibt sich aus dem Verwaltungsakt.
Die Feststellung, wonach der Beschwerdeführer das Bundesamt über seine Arbeitsunfähigkeit bzw, Krankmeldung in Kenntnis setzte, ergibt sich aus dem Verwaltungsakt.
Die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bzw. Krankmeldung ergibt sich aus der Arbeitsunfähigkeitsbestätigung.
Die Feststellung, wonach dem Beschwerdeführer während seiner Arbeitsunfähigkeit Bettruhe verordnet wurde, ergibt sich aus der Arbeitsunfähigkeitsbestätigung.
Die Feststellung, wonach der Beschwerdeführer im gegenständlichen Folgeverfahren niemals vom Bundesamt einvernommen wurde, ergibt sich aus dem Verwaltungsakt. Dass der Beschwerdeführer für das Nichterscheinen bei der Einvernahme am 18. November 2024 nicht hinreichend entschuldigt war, wurde vom Bundesamt auch nicht behauptet.
3. Rechtliche Beurteilung:
Da das Bundesamt den Folgeantrag auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen hat, ist Beschwerdegegenstand der vorliegenden Entscheidung nur die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung dieses Antrages, nicht aber der Begründetheit des Antrags selbst.
Zu A) Aufhebung und Zurückverweisung
Nach § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet. Letzteres betrifft die amtswegige oder aufsichtsbehördliche Bescheidänderung oder -aufhebung. Die §§ 69 und 71 AVG bezeichnen die Rechtsinstitute der Wiederaufnahme des Verfahrens und der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, die beide hier nicht anwendbar sind.
Die Anordnung, dass Anbringen unter den Voraussetzungen des § 68 Abs. 1 AVG nicht inhaltlich behandelt, sondern zurückgewiesen werden, soll die wiederholte Befassung der Behörde mit einer bereits entschiedenen Sache vermeiden, wobei es auf die unveränderte Sach- und Rechtslage ankommt.
Im Hinblick auf wiederholte Anträge auf internationalen Schutz entspricht es der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten kann, der rechtlich für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen Relevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen „glaubhaften Kern“ aufweisen, dem Relevanz zukommt. Ein Folgeantrag auf internationalen Schutz darf nicht allein deshalb wegen entschiedener Sache zurückgewiesen werden, weil der nunmehr vorgebrachte Sachverhalt von der Rechtskraft einer früheren Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz erfasst sei, ohne dass die Prüfung im Sinn des Art. 40 Abs. 2 und Abs. 3 der Richtlinie 2013/32/EU (Verfahrensrichtlinie) vorgenommen worden wäre, ob „neue Elemente oder Erkenntnisse zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind, die erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitragen, dass der Antragsteller nach Maßgabe der Richtlinie 2011/95/EU als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist“. (VwGH 25.08.2022, Ra 2021/19/0344, mwN)
Nach § 19 Abs. 2 AsylG 2005 ist ein Asylwerber grundsätzlich im Zulassungsverfahren zumindest einmal vom BFA einzuvernehmen. Allerdings steht gemäß § 24 Abs. 3 AsylG 2005 der Umstand, dass der Asylwerber vom BFA bisher nicht einvernommen wurde, einer Entscheidung (auch des Verwaltungsgerichtes: „vom Bundesamt oder vom Bundesverwaltungsgericht bisher nicht einvernommen“) nicht entgegen, wenn der entscheidungswesentliche Sachverhalt feststeht und sich der Asylwerber dem Verfahren entzogen hat. (Vgl. VwGH 29.05.2020, Ra 2019/14/0405)
Im vorliegenden Fall steht der Sachverhalt nicht fest und der Beschwerdeführer hat sich dem Verfahren auch nicht entzogen. Der Beschwerdeführer wurde im Folgeverfahren vom Bundesamt nicht einvernommen.
Die von der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts geforderte ganzheitliche Würdigung bzw. die Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens ist im gegenständlichen Fall unterblieben und ist das Bundesamt nach dem Dafürhalten des Bundesverwaltungsgerichtes ihrer Begründungspflicht nicht ausreichend nachgekommen. Im vorliegenden Fall sind die seitens der Höchstgerichte gestellten Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren in qualifizierter Weise unterlassen worden, da das Bundesamt es unterlassen hat, den Beschwerdeführer persönlich anzuhören. Insoweit liegen im gegenständlichen Fall aus nachfolgenden Gründen besonders gravierende Ermittlungsmängel vor:
Auch das Bundesamt erachtete die Einvernahme des Beschwerdeführers offenkundig für zwingend erforderlich, andernfalls hätte das Bundesamt den Beschwerdeführer nicht für die Einvernahme am 18. November 2024 geladen.
Für das Nichterscheinen bei der Einvernahme war der Beschwerdeführer aufgrund der verordneten Bettruhe hinreichend entschuldigt. Selbst das Bundesamt ging in seiner Entscheidung davon aus, dass der Beschwerdeführer bei der Einvernahme hinreichend entschuldigt war.
Das Bundesamt wird daher im fortgesetzten Verfahren den Beschwerdeführer umfassend zu seinen Fluchtgründen, seiner Situation im Rückkehrfall und seinem Privat- und Familienleben zu befragen und ihn – sollte sie beabsichtigen, auch im fortgesetzten Verfahren die aufschiebende Wirkung abzuerkennen und ein Einreiseverbot zu verhängen - zwecks substantiierter Zukunftsprognose mit dem ihm von ihr zur Last gelegten Fehlverhalten, mit welchem sie die Verhängung eines Einreiseverbots (und die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung in Einem) begründete, zu konfrontieren haben.
Aufgrund der ordnungsgemäßen Einvernahme des Beschwerdeführers und des persönlichen Eindrucks des zur Entscheidung berufenen Organwalters von der Glaubwürdigkeit der Person des Beschwerdeführers hat das Bundesamt unter Berücksichtigung sämtlicher verfahrensrelevanter Aspekte zu einer begründeten Entscheidung zu gelangen und diese nachvollziehbar darzulegen.
Im gegenständlichen Fall liegt sohin eine Mangelhaftigkeit im Sinne des § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG vor. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes und das diesem zugrundeliegende Verfahren erweist sich in besonders gravierender Weise als mangelhaft.
Der Beschwerdeführer wurde im Folgeverfahren nicht einmal vom Bundesamt einvernommen. Die Durchführung einer Einvernahme erscheint unvermeidlich. Der maßgebliche Sachverhalt stellt sich mangels entsprechender Ermittlungen - auch in Verbindung mit der Beschwerde - als ungeklärt dar. Das Verfahren vor dem Bundesamt ist - wie oben dargestellt - mit massiven Mängeln behaftet. Weitreichende Erhebungen, welche grundsätzlich vom Bundesamt durchzuführen sind, wären demnach durch das Verwaltungsgericht zu tätigen. Indem das Bundesamt ohne Einvernahme des Beschwerdeführers verzichtete, ist im Ergebnis davon auszugehen, dass bloß ansatzweise ermittelt wurde. Unter Zugrundelegung des bisher Ausgeführten kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass zur Behebung der Mängel (lediglich) „ergänzende“ Ermittlungen durch das Bundesverwaltungsgericht vorzunehmen wären (vgl. etwa VwGH 15.11.2018, Zl. Ra 2018/19/0268-9).
Eine vorweg per se angenommene Verlängerung des Verfahrens durch die Zurückverweisung und eine nochmalige Beschwerdeerhebung wäre rein spekulativ, zumal die Statistiken zeigen, dass nicht gegen jegliche Entscheidung des Bundesamtes Beschwerde erhoben wird. Insbesondere, wenn nunmehr ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren und darauf basierend eine nachvollziehbare Beweiswürdigung und rechtsrichtige Beurteilung des Antrages vorgenommen wird, kann den Erfahrungen nach von einer höheren Akzeptanz durch die Partei ausgegangen werden.
Eine Verlagerung des im Hinblick auf die erwähnten rechtlichen Konsequenzen erforderlichen Ermittlungsverfahrens vor das Bundesverwaltungsgericht war nicht als im Sinne des Gesetzgebers gelegen zu erachten. Im Übrigen würde eine erstmalige Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes und Beurteilung der Rechtsfrage durch das Bundesverwaltungsgericht eine (bewusste) Verkürzung des Instanzenzuges bedeuten (vgl. dazu VwGH vom 18.12.2014, Ra 2014/07/0002; VwGH vom 10.10.2012, Zl. 2012/18/0104).
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit an das Bundesamt zurückzuverweisen.
Entfall der mündlichen Verhandlung
Gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben, weil bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der Beschwerde stattzugeben bzw. der Bescheid im angefochtenen Umfang aufzuheben waren.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die gegenständliche Entscheidung weicht nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063 sowie VwGH 10.09.2014, Ra 2014/08/0005) ab. Durch die genannten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes fehlt es auch nicht an einer Rechtsprechung und die zu lösende Rechtsfrage wird in der Rechtsprechung auch nicht uneinheitlich beantwortet. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
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