Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin ***BE*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch ***EV***, ***EV-Adr***, über die Beschwerde vom 30. Juni 2022 gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom 31. Mai 2022 betreffend Abweisung des Antrags auf Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung ab Jänner 2020, Ordnungsbegriff ***OB***, zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Am 31.1.2022 stellte der Beschwerdeführer (Bf) durch seinen gerichtlichen Erwachsenenvertreter einen Antrag auf Familienbeihilfe und einen Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung ab dem Zeitpunkt des Eintritts der erheblichen Behinderung, den die/der medizinische Sachverständige feststellt im Höchstausmaß von rückwirkend fünf Jahren ab Antragstellung. Dem Antrag beigelegt war ua ein Psychiatrisches Gutachten vom 4.5.2021.
Über Anforderung der belangten Behörde erstellte das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen ein Sachverständigengutachten. Die am 30.5.2022 ausgestellte BSB-Bescheinigung wies einen Grad der Behinderung von 50 % ab 1.1.2020 und eine seit 1.1.2020 bestehende dauernde Erwerbsunfähigkeit aus.
Mit Bescheid vom 31.5.2022 wies die belangte Behörde den Antrag auf Familienbeihilfe ab.
Mit weiterem Bescheid vom 31.5.2022 wies die belangte Behörde den Antrag auf Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung ab. Begründet wurde dies unter Hinweis auf die Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen vom 30.5.2022 damit, dass ein Anspruch bestehe, wenn ein Kind voraussichtlich dauernd erwerbsunfähig sei. Die Erwerbsunfähigkeit müsse vor dem 21. Geburtstag oder während einer Berufsausbildung vor dem 25. Geburtstag eingetreten sein. Dies sei nicht der Fall.
Mit Schriftsatz vom 30.6.2022 erhob der Bf durch seinen gerichtlichen Erwachsenenvertreter fristgerecht Beschwerde gegen den Abweisungsbescheid, mit dem der Antrag auf Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung abgewiesen wurde, und begründete dies damit, dass die tatsächliche Behinderung jedenfalls vor dem 21. Lebensjahr vorliege.
Über Anforderung der belangten Behörde wurde am 17.11.2022 ein weiteres Sachverständigengutachten vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen erstellt. Darin wird der Grad der Behinderung erneut mit 50 % ab Jänner 2020 festgestellt. Der Bf sei voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, wobei die Erwerbsunfähigkeit seit Jänner 2020 bestehe.
Über Anforderung der belangten Behörde erstellte das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen ein weiteres Sachverständigengutachten. Die am 17.11.2022 ausgestellte BSB-Bescheinigung wies wiederum einen Grad der Behinderung von 50 % ab 1.1.2020 und eine seit 1.1.2020 bestehende dauernde Erwerbsunfähigkeit aus.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom 2.12.2022 wies das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet ab. Laut Gutachten des Sozialministeriumservice vom 17.11.2022 liege die dauernde Erwerbsunfähigkeit erst ab 1.1.2020 vor, dies sei nach dem 21. Lebensjahr.
Daraufhin brachte der Bf durch seinen gerichtlichen Erwachsenenvertreter am 16.12.2022 einen Vorlageantrag ein. Ein weiteres Vorbringen wurde dabei nicht erstattet.
Mit Vorlagebericht vom 24.2.2023 legte das Finanzamt die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht mit dem Antrag auf Abweisung zur Entscheidung vor.
Über Ersuchen des Bundesfinanzgerichtes übermittelte das Sozialministeriumservice am 24.11.2025 die Sachverständigengutachten vom 30.5.2022 und 17.11.2022.
Der Bf ist im Dezember 1997 geboren und vollendete sein 21. Lebensjahr im Dezember 2018.
Er ist Staatsbürger der ***1*** und in Österreich als asylberechtigt anerkannt.
Er wohnt in einer betreuten Wohneinrichtung und bezieht seit November 2021 Pflegegeld.
Im Juni 2021 wurde für den Bf eine gerichtliche Erwachsenenvertretung bestellt.
Den vorliegenden Sachverständigengutachten vom 30.5.2022 und 17.11.2022 zufolge, die den mit gleichem Datum ausgestellten Bescheinigungen des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zu Grunde liegen, liegt beim Bf eine Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis vor.
Laut der auf Grundlage der Sachverständigengutachten vom 30.5.2022 und 17.11.2022 ausgestellten Bescheinigungen des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen beträgt der Grad der Behinderung 50 % ab Jänner 2020 und liegt eine seit Jänner 2020 bestehende dauernde Erwerbsunfähigkeit vor.
Die obigen Sachverhaltsfeststellungen ergeben sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt und den Sachverständigengutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen.
Die vorliegenden Sachverständigengutachten vom 30.5.2022 und 17.11.2022 wurden von einem Facharzt und einer Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie erstellt. Sie gelangten übereinstimmend zur Feststellung, dass aufgrund einer Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis ein Grad der Behinderung von 50 % ab Jänner 2020 vorliegt. Ebenso übereinstimmend gelangten sie zum Ergebnis, dass der Bf voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen und dies ebenfalls seit Jänner 2020 besteht. Dazu wird im Sachverständigengutachten vom 17.11.2022 begründend ausgeführt, dass nach der Anamnese der Beginn einer (psychischen) Erkrankung im Sommer 2019 angegeben werde, aber keine Befunde vorliegen würden, die dies dokumentieren. Insbesondere würden keine Befunde/Unterlagen vorliegen, die eine psychische Erkrankung mit schwerwiegenden behinderungsbedingten Funktionseinschränkungen in einem solchen Ausmaß dokumentieren, dass eine daraus resultierende anhaltende Selbsterhaltungsunfähigkeit vor dem 18./21. Lebensjahr eingetreten wäre. Diese sei ab Befundvorlagen, idem zum Vorgutachten, ab Jänner 2020 zu bestätigen.
Liegen keine Befunde vor einem bestimmten Zeitraum vor, ist es einem Gutachter nicht möglich, bereits davor eine voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, festzustellen, sofern kein Leidenszustand vorliegt, der eindeutig eine Erwerbsfähigkeit bereits von vorneherein ausschließt (vgl. Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg.), FLAG2 § 8 Rz 20 unter Hinweis auf BFG 17.7.2019, RV/7105214/2018).
Beim Bf liegt eine Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis vor. Das Krankheitsbild bei schizophrenen Erkrankungen ist vielfältig, ebenso der Beginn und Verlauf. Die Anfangssymptomatik kann akut ausbrechen oder sich schleichend, über einen längeren Zeitraum und für den Betroffenen selbst kaum spürbar, entwickeln. (vgl. https://www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org/psychiatrie-psychosomatik-psychotherapie/stoerungen-erkrankungen/schizophrenie-und-schizophrene-psychosen/verlauf/prognose/, Abfrage 26.11.2025).
Es ist im Hinblick auf den Krankheitsverlauf einer Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis schlüssig und nachvollziehbar, wenn die Sachverständigen den Zeitpunkt des Eintritts der dauernden Erwerbsunfähigkeit mit Jänner 2020 feststellen. Sie haben dabei die vom Bf vorgelegten Befunde berücksichtigt und auf den im psychiatrischen Gutachten von Dr. ***2*** vom 4.5.2021 erwähnten Befund der Klinik ***4*** vom 19.11.2020 mit dokumentierten stationären Aufenthalten im Sommer und Herbst 2020 Bedacht genommen. Frühere Befunde, die Anhaltspunkte über die Ausprägung der Erkrankung vor dem vollendeten 21. Lebensjahr geben könnten, liegen nicht vor.
Vor diesem Hintergrund durfte das Bundesfinanzgericht die obigen Sachverhaltsfeststellungen gemäß § 167 Abs. 2 BAO als erwiesen annehmen.
Nach § 6 Abs. 5 FLAG 1967 haben Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3). Erheblich behinderte Kinder im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. c, deren Eltern ihnen nicht überwiegend den Unterhalt leisten und die einen eigenständigen Haushalt führen, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat.
Nach § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 haben volljährige Vollwaisen Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a bis c zutreffen und wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, sofern die Vollwaise nicht einen eigenständigen Haushalt führt.
Gemäß § 8 Abs. 4 FLAG 1967 erhöht sich die Familienbeihilfe für jedes Kind, das erheblich behindert ist.
Als erheblich behindert gilt gemäß § 8 Abs. 5 FLAG 1967 idgF ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom 18. August 2010, BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.
Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 idgF durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.
Gemäß § 8 Abs. 7 FLAG 1967 gelten die Abs. 4 bis 6 sinngemäß für Vollwaisen, die gemäß § 6 Anspruch auf Familienbeihilfe haben.
Bei volljährigen Kindern, denen nicht schon aus anderen Gründen als aus dem Titel der Behinderung der Grundbetrag an Familienbeihilfe zusteht, ist der Grad der Behinderung ohne jede Bedeutung, und würde er auch 100 % betragen (vgl. Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg.), FLAG2 § 8 Rz 19 mit Hinweisen auf die Judikatur).
Nach herrschender Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt es im Fall des § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 weder auf den Zeitpunkt an, zu dem sich eine Krankheit als solche äußert, noch auf den Zeitpunkt, zu welchem diese Krankheit zu irgendeiner Behinderung führt, sondern maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem diejenige Behinderung (als Folge einer allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintritt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt (vgl. VwGH 28.4.2021, Ra 2018/16/0022; VwGH 30.03.2017, Ra 2017/16/0023, VwGH 20.11.2014, Ra 2014/16/0010).
Bei der Antwort auf die Frage, ob eine solche körperliche oder geistige Behinderung, die zur Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, führt, vor Vollendung des 21. Lebensjahres (oder allenfalls während einer Berufsausbildung vor Vollendung des 25. Lebensjahres) eingetreten ist, sind die Abgabenbehörde und das Bundesfinanzgericht an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zugrunde liegenden Gutachten gebunden und dürfen diese nur insoweit prüfen, ob sie schlüssig und vollständig sind und im Falle mehrerer Gutachten nicht einander widersprechen (vgl. VwGH 30.03.2017, Ra 2017/16/0023 mwN).
Die Parteien haben die Möglichkeit, Unvollständigkeiten und Unschlüssigkeiten eines Gutachtens im Rahmen des Verfahrens der Behörde aufzuzeigen oder einem Gutachten (etwa durch Beibringung eines eigenen Gutachtens) auf gleicher fachlicher Ebene entgegenzutreten (vgl. VwGH 4.7.2016, Ra 2016/04/0057). Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des VwGH, dass durch die Vorlage von Privatgutachten oder weiterer Befunde die Schlüssigkeit der vom Sozialministeriumservice eingeholten Gutachten widerlegt werden könnte (z.B. VwGH 29.9.2011, 2011/16/0063; VwGH 22.12.2011, 2009/16/0307).
Allerdings vermag die bloße Behauptung, ein Gutachten wäre unschlüssig, die Annahmen dieses Gutachtens nicht zu erschüttern; vielmehr ist es notwendig, konkret und mit näherer Begründung darzulegen, worin die Unschlüssigkeit eines Gutachtens liegen soll (vgl. VwGH 26.2.2016, Ro 2014/03/0004). Diesen Anforderungen entspricht das Vorbringen des Bf ("Tatsächlich ist es nicht nachvollziehbar, die tatsächliche Behinderung liegt bereits jedenfalls vor dem 21. Lebensjahr vor, sodass die gesetzlichen Voraussetzungen gegeben sind.") nicht.
Die Gutachten des Sozialministeriumsservice vom 30.5.2022 und 17.11.2022, in welchen die Sachverständigen den Eintritt der Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, mit Jänner 2020 - somit nach Vollendung des 21. Lebensjahres im Dezember 2018 - feststellen, sind mangels Vorliegens früherer Befunde als vollständig und schlüssig zu beurteilen (siehe Punkt 2. Beweiswürdigung).
Der Nachweis einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetretenen voraussichtlich dauernden Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, liegt im Beschwerdefall demnach nicht vor.
Die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 für die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe sind somit nicht erfüllt.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Das gegenständliche Erkenntnis folgt der angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs bzw ergibt sich die Lösung der Rechtsfrage aus dem Gesetz, weshalb eine Revision nicht zulässig ist.
Salzburg, am 26. November 2025
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