Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofrätin Dr. in Oswald und den Hofrat Mag. Pichler als Richter und Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Wagner, über die Revision des M M, vertreten durch Mag. Daniel Kirch, Rechtsanwalt in Wien, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30. April 2024, G314 2290484 1/3E, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der Revisionswerber, ein 1973 geborener deutscher Staatsangehöriger, reiste im Mai 2022 in Österreich ein. Er lebte hier zunächst im gemeinsamen Haushalt mit seiner Lebensgefährtin, einer tschechischen Staatsangehörigen, mit welcher er seit 2018 eine Beziehung führt. Ab Juli 2023 lebte er in einem eigenen Haushalt. Im Zeitraum von Mai 2022 bis Juni 2023 war der Revisionswerber (mit Unterbrechungen) unselbstständig erwerbstätig. Danach bezog er Krankengeld und später Arbeitslosengeld.
2 In Deutschland wurde der Revisionswerber zwischen 1990 und 2021 insgesamt 26 Mal rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt, wobei es sich in acht Fällen um Zusatzstrafen handelte:
3 Nachdem der Revisionswerber zwischen 1990 und 2006 bereits mehr als 15 Mal wegen unterschiedlicher Delikte, darunter Eigentums und Körperverletzungsdelikte, teilweise zu Geldstrafen, teilweise zu mehrmonatigen Freiheitsstrafen, teilweise aber auch zu mehrjährigen Freiheitsstrafen (letzteres beispielsweise wegen [gefährlicher] Körperverletzung, versuchter Nötigung, vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr, Diebstahls und unerlaubten Handels mit Betäubungsmitteln) verurteilt worden war, erfolgte im Jahr 2008 eine Verurteilung zu einer vierjährigen Freiheitsstrafe wegen schweren Raubes, gefährlicher Körperverletzung, räuberischer Erpressung, Beleidigung und Bedrohung. Dem folgten 2012 eine Verurteilung zu einer zweieinhalbjährigen Freiheitsstrafe wegen Beihilfe zur räuberischen Erpressung, versuchten Raubes und Körperverletzung und 2014 eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten wegen schwerer Körperverletzung. In den Jahren 2016 und 2017 wurde der Revisionswerber dann jeweils zu mehrmonatigen Freiheitsstrafen wegen u.a. gewerbsmäßigen Diebstahls, Hehlerei und (gefährlicher) Körperverletzung verurteilt. Schließlich erfolgte in den Jahren 2018 und 2021 jeweils eine Verurteilung zu einer Geldstrafe wegen Beleidigung bzw. Fahren ohne Fahrerlaubnis. In Deutschland befand sich der Revisionswerber zuletzt bis 15. Februar 2022 in Strafhaft.
4 Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 23. Oktober 2023 wurde der Revisionswerber dann wegen Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt. Dieser Verurteilung lag zugrunde, er habe am 27. Mai 2023 einer Person zwei bis drei Faustschläge versetzt, wodurch das Opfer eine Schwellung des rechten Jochbeins und ein Hämatom am rechten Auge erlitten habe.
5 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) erließ mit Bescheid vom 17. März 2024 gegen den Revisionswerber gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot, erteilte ihm in Anwendung des letzten Halbsatzes des § 70 Abs. 3 FPG keinen Durchsetzungsaufschub und erkannte einer Beschwerde gegen das Aufenthaltsverbot gemäß § 18 Abs. 3 BFA VG die aufschiebende Wirkung ab.
6 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ohne Durchführung der in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab. Unter einem wies es den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, als unzulässig zurück. Das BVwG sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig erweist.
8 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
10 Unter diesem Gesichtspunkt wendet sich der Revisionswerber gegen die vom BVwG vorgenommene Gefährdungsprognose sowie erkennbar auch gegen die durchgeführte Interessenabwägung nach § 9 BFA VG und macht überdies eine Verletzung der Verhandlungspflicht geltend.
11 Das BVwG stützte die Annahme, der im vorliegenden Fall angesichts der Aufenthaltsdauer des Revisionswerbers in Österreich maßgebende Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG (tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt) sei erfüllt, tragend auf die oben in Rn. 3 und 4 beschriebenen, in Deutschland und (zuletzt) in Österreich begangenen Straftaten des Revisionswerbers.
12 In der Zulässigkeitsbegründung der Revision wird dazu ins Treffen geführt, der Revisionswerber sei in Österreich nur einmal straffällig geworden. Dem ist entgegenzuhalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch Straftaten, die ausländischen Verurteilungen zugrunde lagen, in die Gefährdungsprognose einbezogen werden dürfen (vgl. etwa VwGH 10.4.2025 Ra 2025/21/0036, Rn. 10, mit Hinweis auf VwGH 9.6.2022, Ra 2021/21/0157, Rn. 12, mwN, und VwGH 18.1.2024, Ra 2022/21/0168, Rn. 12).
13 Soweit in der Zulässigkeitsbegründung der Revision gerügt wird, das BVwG habe keine „Zukunftsprognose“ durchgeführt, ist darauf zu verweisen, dass der Revisionswerber worauf das BVwG in der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses richtig hinwies im Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG noch nicht aus der Strafhaft entlassen war. Für die Annahme eines Wegfalls der sich durch das bisherige Fehlverhalten manifestierten Gefährlichkeit eines Fremden ist jedoch in erster Linie das (hier noch gar nicht) gezeigte Wohlverhalten in Freiheit maßgeblich (siehe erneut VwGH 18.1.2024, Ra 2022/21/0168, Rn. 12, sowie etwa VwGH 10.4.2025, Ra 2025/21/0036, nunmehr Rn. 12, mwN).
14 Insgesamt durfte das BVwG aus den zahlreichen Verurteilungen des Revisionswerbers in Deutschland wegen seiner teilweise durch massive kriminelle Energie gekennzeichneten, sich über einen jahrzehntelangen Zeitraum erstreckenden Delinquenz sowie der nur etwas über ein Jahr nach der letzten Entlassung aus einer in Deutschland verbüßten Haftstrafe in Österreich begangenen Körperverletzung den Schluss ziehen, vom Revisionswerber gehe iSd § 67 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, aus.
15 In Anbetracht des aus der strafrechtlichen Delinquenz des Revisionswerbers resultierenden schwerwiegenden öffentlichen Interesses an der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes ist auch das Ergebnis der vom BVwG gemäß § 9 BFA VG durchgeführten Interessenabwägung, wonach der dadurch erfolgte Eingriff in sein Recht auf Privat- und Familienleben verhältnismäßig sei, nicht zu beanstanden. Dabei hat das BVwG die vom Revisionswerber ins Treffen geführte Lebensgemeinschaft mit einer in Österreich lebenden tschechischen Staatsangehörigen, mit der er einige Monate im gemeinsamen Haushalt gelebt hatte, berücksichtigt. Der Annahme des BVwG, die Aufrechterhaltung des Kontaktes u.a. über das Telefon und das Internet sowie Besuche außerhalb des Bundesgebietes sei zumutbar, tritt die Revision in ihrer Zulässigkeitsbegründung nicht konkret entgegen. Überdies durfte das BVwG auch ins Kalkül ziehen, dass sich der Revisionswerber vor seiner Strafhaft in Österreich erst vergleichsweise kurz im Bundesgebiet aufgehalten hatte und er noch starke Bindungen zu seinem Herkunftsstaat aufweist, zumal dort insbesondere seine Mutter, die ihn finanziell unterstützt, lebt.
16 Unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des vorliegenden Falles durfte das BVwG insgesamt auch von einem eindeutigen Fall ausgehen, der es ihm ausnahmsweise erlaubte, von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung zur Verschaffung eines persönlichen Eindrucks vom Revisionswerber abzusehen (zur Rechtsprechung, wonach in eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch bei Verschaffung eines positiven persönlichen Eindrucks für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, eine Verhandlung unterbleiben kann, siehe etwa VwGH 2.3.2023, Ra 2020/21/0018, Rn. 10, mwN, sowie etwa erneut VwGH 18.1.2024, Ra 2022/21/0168, nunmehr Rn. 13, mwN).
17 Soweit der Revisionswerber schließlich im Zusammenhang mit der Verletzung der Verhandlungspflicht die Unterlassung der Einvernahme seiner Lebensgefährtin bemängelt, ist darauf hinzuweisen, dass das BVwG schon aufgrund der Wahrunterstellung des Vorliegens dieser Beziehung, die es auch in der Interessenabwägung entsprechend würdigte, von einer Befragung der Lebensgefährtin absehen durfte (vgl. erneut VwGH 2.3.2023, Ra 2020/21/0018, nunmehr Rn. 14, mwN).
18 Die Revision war daher mangels Vorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
Wien, am 11. September 2025
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