Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. a Nussbaumer Hinterauer, Hofrat Mag. Eder, Hofrätin Mag. Rossmeisel, Hofrätin Mag. I. Zehetner sowie Hofrat Mag. M. Mayr als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Herrmann Preschnofsky, über die Revision des A A in M, vertreten durch Mag. Alois Huter, Rechtsanwalt in 5730 Mittersill, Zellerstraße 11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. November 2023, W255 2280168 1/8E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird in seinem Spruchpunkt A) I. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Der im September 1998 geborene Revisionswerber ist syrischer Staatsangehöriger. Er lebte nach seinen Angaben zuletzt neun Jahre in der Türkei, bevor er im Jahr 2022 über Griechenland, Serbien und Ungarn nach Österreich weiterreiste. Er stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 19. September 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag, soweit der Revisionswerber damit die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten begehrt hatte, gemäß § 3 Abs. 3 Z 2 und § 6 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und in Bezug auf das Begehren auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG 2005 (Spruchpunkt II. erster Satz) mit Bescheid vom 12. September 2023 ab. Weiters sprach die Behörde nach § 8 Abs. 3a AsylG 2005 aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung und Abschiebung des Revisionswerbers nach Syrien unzulässig sei (Spruchpunkt II. zweiter Satz) sowie dem Revisionswerber ein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 nicht erteilt werde (Spruchpunkt III.).
3 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ging davon aus, dass der Revisionswerber seine Ehefrau, die am 1. September 2003 geboren sei, am 11. Dezember 2016 geheiratet habe. Diese sei zu diesem Zeitpunkt 13 Jahre und drei Monate alt gewesen. Am 4. April 2019 sei ein gemeinsames Kind geboren worden. Im Zeitpunkt der Geburt des Kindes sei die Ehefrau 15 Jahre und sieben Monate alt gewesen. Demnach habe der Revisionswerber mit seiner Ehefrau Geschlechtsverkehr gehabt, als diese das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet gehabt habe. Er sei mit einer zum Zeitpunkt der Eheschließung unmündigen Minderjährigen eine Kinderehe eingegangen. Seiner Ehefrau habe es nach syrischem Eherecht an der Ehefähigkeit gemangelt. Das Schutzalter für Geschlechtsverkehr betrage in Syrien 15 Jahre. Eine Person unter dieser Altersgrenze sei rechtlich nicht in der Lage, in sexuelle Handlungen einzuwilligen. Bei den vom Revisionswerber begangenen Taten der Heirat einer unmündigen Minderjährigen sowie dem mit ihr vollzogenen Geschlechtsverkehr handle es sich sowohl in objektiver als auch subjektiver Hinsicht um besonders schwerwiegende Straftaten. Diese seien als schwere nichtpolitische Verbrechen anzusehen. Somit habe der Revisionswerber den Asylausschlussgrund nach § 6 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt F lit. b GFK gesetzt. Der festgestellte Sachverhalt verwirkliche auch den Tatbestand des § 9 Abs. 2 Z 1 AsylG 2005, sodass dem Revisionswerber nach § 8 Abs. 3a AsylG 2005 auch der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen sei. Jedoch sei der Feststellungsausspruch zu treffen gewesen, dass eine Abschiebung des Revisionswerbers nach Syrien unzulässig sei. Vor dem Hintergrund des aktuellen Berichts der Staatendokumentation zu Syrien könne nämlich nicht in ausreichendem Maß ausgeschlossen werden, dass ihm im Fall der Rückkehr nach Syrien die Gefahr der Verletzung seiner von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK „oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention“ geschützten Rechte drohe. Aufgrund des in Syrien herrschenden bewaffneten Konfliktes könne die Gefährdung seines Lebens und seiner Unversehrtheit nicht ausgeschlossen werden. Es gebe zwar in Syrien auch Gebiete, die als sicher angesehen werden könnten. Die Sicherheitslage sei derzeit aber allgemein als volatil einzustufen.
4 Das Bundesverwaltungsgericht wies die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde, in der der vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl unter Spruchpunkt II. zweiter Satz getätigte Ausspruch unbekämpft blieb, nach Durchführung einer Verhandlung mit dem Erkenntnis vom 28. November 2023 insoweit als unbegründet ab, als sich diese gegen die Spruchpunkte I. und II. erster Satz gerichtet hatte [Spruchpunkt A) I.]. Der gegen Spruchpunkt III. des Bescheides erhobenen Beschwerde wurde stattgegeben und dieser Ausspruch ersatzlos behoben [Spruchpunkt A) II.]. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
5 Das Bundesverwaltungsgericht stellte soweit für das Revisionsverfahren wesentlich fest, dass der im Oktober 1998 geborene Revisionswerber Syrien im Dezember 2013 verlassen habe und in die Türkei gereist sei. Am 11. Dezember 2016 habe er in Istanbul eine am 1. September 2003 geborene syrische Staatsangehörige „traditionell vor einem Imam“ geheiratet. Diese sei zum Zeitpunkt der Eheschließung 13 Jahre alt und somit eine unmündige Minderjährige gewesen. Der Revisionswerber sei zu dieser Zeit 18 Jahre alt gewesen. Die Ehe sei von den Eltern und Schwiegereltern des Revisionswerbers arrangiert worden. Von den Schwiegereltern sei in ihrer Eigenschaft als Eltern und Vormund ihrer damals 13 jährigen Tochter die Zustimmung zur Eheschließung erteilt worden. Die Ehe sei in Anwesenheit des Revisionswerbers, seiner Ehefrau, seiner Eltern, der Schwiegereltern und mehrerer Zeugen geschlossen worden. Ein richterlicher Dispens sei zum Zeitpunkt der Eheschließung nicht vorgelegen. Bei der Ehefrau handle es sich um eine Cousine des Revisionswerbers väterlicherseits. Er habe sie zum Zeitpunkt der Eheschließung nur oberflächlich gekannt. Unmittelbar danach seien der Revisionswerber und seine Ehefrau in einen gemeinsamen Haushalt gezogen. Am 11. Oktober 2022 sei die Ehe durch ein syrisches Gericht nach syrischem Recht genehmigt und registriert worden.
6 Der Revisionswerber habe ab Ende des Jahres 2016 wiederkehrend Geschlechtsverkehr mit seiner Ehefrau gehabt. Er sei zum Zeitpunkt des erstmaligen Geschlechtsverkehrs 18 Jahre alt gewesen und seine Ehefrau 13 Jahre. Im Frühjahr des Jahres 2017 habe der Revisionswerber das exakte Alter seiner Ehefrau erfahren. Er habe daher „zum Zeitpunkt des wiederholten Geschlechtsverkehrs vor Vollendung des 14. Lebensjahres seiner Ehefrau“ sowohl deren Alter als auch „den exakten Altersunterschied zwischen ihm und seiner Ehefrau“ gekannt.
7 Der Ehe entstamme ein am 4. April 2019 geborener gemeinsamer Sohn. Zum Zeitpunkt des Beginns der Schwangerschaft sei die Ehefrau des Revisionswerbers 14 Jahre alt gewesen. Der Revisionswerber habe mit seiner Familie in der Türkei in Istanbul gelebt, bis er dieses Land im Jahr 2022 verlassen habe. Die Ehefrau und der Sohn des Revisionswerbers lebten weiterhin in der Türkei. Der Revisionswerber stehe mit ihnen in regelmäßigem Kontakt.
8 Der Revisionswerber sei in Österreich strafgerichtlich unbescholten. Die Staatsanwaltschaft Salzburg habe gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachtes des schweren sexuellen Missbrauches von Unmündigen zum Nachteil seiner Ehefrau nach § 206 Abs. 1 StGB, bezogen auf den zwischen ihm und seiner Ehefrau in der Türkei vollzogenen Geschlechtsverkehr vor Vollendung des 14. Lebensjahres der Ehefrau, geführt. Dieses Verfahren sei von der Staatsanwaltschaft am 21. September 2023 gemäß § 190 Z 2 StPO eingestellt worden (nach der im Verfahrensakt erliegenden Mitteilung dieser Staatsanwaltschaft, weil die Tatbegehung und der diesbezügliche Vorsatz nicht mit der im Strafverfahren erforderlichen Sicherheit erweislich gewesen seien).
9 Bei der Prüfung, ob der Revisionswerber von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie des subsidiär Schutzberechtigten wegen der früheren Begehung eines schweren nichtpolitischen Verbrechens ausgeschlossen sei, ging das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass dem Schrifttum zufolge für die Beurteilung, ob eine Straftat als „schwer“ im Sinn der hier maßgeblichen Bestimmung anzusehen ist, internationale Standards maßgeblich seien. Dabei spielten mehrere Faktoren, wie die Art der Handlung, der tatsächlich zugefügte Schaden, die Art des zur strafrechtlichen Verfolgung des Verbrechens eingesetzten Verfahrens, die Form der Strafe sowie die Frage, ob das Verbrechen in den meisten Rechtsordnungen ein schweres Verbrechen darstelle, eine Rolle. Mord, Vergewaltigung und bewaffneter Raub fielen jedenfalls unter schwere Verbrechen. Nach einer Literaturmeinung (Hinweis auf Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer , Kommentar Asyl und Fremdenrecht) seien „unter schweren Verbrechen ein Kapitalverbrechen oder eine besonders schwerwiegende Straftat zu verstehen“.
10 Die EUAA ( European Union Agency for Asylum) nenne als Beispiel für ein schweres nichtpolitisches Verbrechen den sexuellen Missbrauch einer minderjährigen Nichte. Die Behörde habe in ihrem Bescheid darauf hingewiesen, dass das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) die Kinderheirat als eine schwere Verletzung der Menschenrechte ansehe, die die am meisten verbreitete Form von sexuellem Missbrauch und Ausbeutung von Mädchen sei (wenngleich auch Buben davon betroffen seien). UNICEF weise weiters darauf hin, dass das Recht auf die freie und volle Zustimmung zur Ehe in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 anerkannt werde. Eine Zustimmung sei nicht gegeben, wenn einer der beiden Betroffenen nicht die angemessene Reife besitze, eine sachkundige Entscheidung für einen Lebenspartner zu treffen. Die Konvention über die Abschaffung aller Formen von Diskriminierung gegenüber Frauen von 1979 besage, dass die Verlobung und Heirat eines Kindes keinen legalen Status haben dürfe und jede notwendige Maßnahme sowie Gesetzgebung erfolgen müsse, um ein Mindestalter zur Eheschließung festzulegen. Das Komitee über die Abschaffung aller Formen von Diskriminierung gegenüber Frauen spreche sich insoweit für ein Mindestalter von 18 Jahren aus.
11 Der Geschlechtsverkehr mit einer minderjährigen Person, die das 15. Lebensjahr noch nicht erreicht habe, sei nach Art. 491 des syrischen Strafgesetzbuches mit neun Jahren Zwangsarbeit zu bestrafen.
12 Die österreichische Rechtsordnung enthalte in § 206 Abs. 1 StGB den Straftatbestand des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen. Danach sei für das Unternehmen des Beischlafs oder einer dem Beischlaf gleichzusetzen Handlung eine Strafdrohung von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe vorgesehen. Habe die Tat eine Schwangerschaft der unmündigen Person zur Folge, sei der Täter (nach § 206 Abs. 3 StGB) mit einer Freiheitsstrafe von fünf bis zu fünfzehn Jahren zu bestrafen.
13 Die Ehefrau des Revisionswerbers sei zum Zeitpunkt des erstmaligen Beischlafs 13 Jahre alt gewesen. Zum Zeitpunkt des Beginns ihrer Schwangerschaft sei sie 14 Jahre alt gewesen. Es habe „demnach“ erst der wiederholte Geschlechtsverkehr im Alter von 14 Jahren (der Ehefrau) zur Schwangerschaft geführt. Infolgedessen sei die qualifizierte Form des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen gemäß § 206 Abs. 3 StGB nicht erfüllt.
14 Das Bundesverwaltungsgericht gehe davon aus, dass der mit einer Person vor Vollendung des 14. Lebensjahres mehrfach unternommene Beischlaf, jedenfalls, wenn der andere Partner mehr als drei Jahre älter sei, und der Beischlaf zudem zu einer Schwangerschaft wenngleich „erst“ im Alter von 14 Jahren geführt habe, als schweres nichtpolitisches Verbrechen zu qualifizieren sei. Es handle sich um eine Tat, die in die sexuelle Integrität einer unmündigen Minderjährigen eingegriffen habe. Sowohl in Österreich als auch in Syrien und auch in anderen Rechtsordnungen (Hinweis auf „die Analyse der EUAA“) stehe eine solche Handlung unter gerichtlicher Strafdrohung. In Syrien seien Zwangsstrafen in der Dauer von neun Jahren und in Österreich Gefängnisstrafen in der Höhe von bis zu zehn Jahren vorgesehen. Der Umstand, dass in Syrien die Zahl der Verheiratung jüngerer Mädchen zugenommen habe, vermöge daran nichts zu ändern.
15 Nach der Bejahung des Vorliegens eines schweren nichtpolitischen Verbrechens sei so das Bundesverwaltungsgericht weiter zu beurteilen, ob dem Revisionswerber eine individuelle Verantwortung für die den Tatbestand erfüllenden Handlungen „zuzuweisen“ sei und „durch welches Verhalten er den Ausschlusstatbestand erfüllt haben könnte“.
16 Der Revisionswerber habe mit seiner Ehefrau in Syrien (offenkundig gemeint: in der Türkei) zu einem Zeitpunkt, als diese das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet gehabt habe, den Beischlaf unternommen. Dieser Beischlaf habe eine Schwangerschaft zur Folge gehabt. „Die objektive Tatseite (also die objektiven Kriterien) des zuvor dargestellten Tatbestands des Verbrechens “ könne „damit als erfüllt gesehen werden“. Zur subjektiven Tatseite sei auszuführen, dass der Revisionswerber im Zeitpunkt des erstmaligen Geschlechtsverkehrs 18 Jahre und somit fünf Jahre älter als seine Ehefrau gewesen sei. Er sei „zu dem zuvor dargestellten Tatzeitpunkt (Zeitpunkt des [ersten] Beischlafs) auch gesund“ gewesen und habe bereits zuvor in Syrien, wo er bis dahin aufgewachsen sei, neun Jahre lang die Schule besucht. Vor diesem Hintergrund sei davon auszugehen, dass der Revisionswerber mit „zumindest bedingtem Vorsatz“ gehandelt habe, weil er gewusst habe, welche Handlungen er vorgenommen habe „und diese auch setzen wollte“. Einem gesunden volljährigen Mann, der in Syrien sozialisiert worden sei und der auch über eine neunjährige Schulbildung verfüge, könne unterstellt werden, dass ihm die syrische Rechtslage, einschließlich der strafrechtlichen Bestimmungen zum Schutz der sexuellen Integrität von Unmündigen, also die verpönten Handlungen, grundsätzlich bekannt sei. Ferner sei ihm zu unterstellen, dass er sich gesetzeskonform verhalten könne. Der Revisionswerber sei zum Zeitpunkt des unternommenen Beischlafs über das Alter seiner Ehefrau in Kenntnis gewesen. Ein Tatbild oder Verbotsirrtum sei sohin nicht ersichtlich. Damit sei auch „die subjektive Tatseite (also die subjektiven Kriterien) zu bejahen“. Die Begehung des Verbrechens sei dem Revisionswerber also auch zuzurechnen.
17 Es sei zudem festzuhalten, dass „an der Vorwerfbarkeit der Handlung im dargestellten Sinn“ die Umstände, wonach der Revisionswerber „und seine Ehefrau sollte man dies feststellen im Entscheidungszeitpunkt miteinander glücklich seien und an der Ehe festhalten möchten nicht von Relevanz“ seien. „Anders könnte dies bei anderen, die individuelle Lage bei Tatbegehung betreffende Umstände wie etwa ein auf den Beschwerdeführer ausgeübter besonderer (sozialer oder familiärer) Druck oder Zwang sein. Solche Umstände“ seien „jedoch, auch bei entsprechenden Ermittlungstätigkeiten des erkennenden Gerichts, nicht hervorgekommen“.
18 Da somit der Asylausschlussgrund des Art. 1 Abschnitt F lit. b GFK vorliege, komme die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten nicht in Betracht. Die Verwirklichung dieses Ausschlussgrundes stehe (trotz Unzulässigkeit der Abschiebung wegen zu befürchtender Verletzung des Art. 3 EMRK) nach § 9 Abs. 2 Z 1 AsylG 2005 auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten entgegen.
19 Den Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision begründete das Bundesverwaltungsgericht neben der bloßen Verneinung des Vorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG damit, dass „die sich stellenden Rechtsfragen, insbesondere zur Bejahung einer wohlbegründeten Furcht vor einer Verfolgungshandlung oder auch die Verknüpfung einer solcherart zu prognostizierenden Handlung mit einem Grund nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, unter Beachtung vorhandener Auslegungslinien unter Bezugnahme auf die im gegenständlichen Fall getroffenen Sachverhaltsfeststellungen gelöst“ hätten werden können.
20 Die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision richtet sich ausgehend von den in der Revision angeführten Revisionspunkten unzweifelhaft nur gegen den im Erkenntnis enthaltenen Spruchpunkt A) I., womit die Beschwerde abgewiesen worden war. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revision samt den Verfahrensakten dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt. Vom Verwaltungsgerichtshof wurde das Vorverfahren eingeleitet. Es wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet.
21 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision erwogen:
22 Der Revisionswerber macht zur Zulässigkeit der Revision geltend, dass die geltende Rechtslage in Syrien nicht „angemessen“ berücksichtigt worden sei. Gemäß dem syrischen Strafgesetzbuch sei Geschlechtsverkehr innerhalb der Ehe nicht strafbar. Dies werde durch Art. 489 und Art. 490 des syrischen Strafgesetzbuches verdeutlicht, die besagten, „dass eine Vergewaltigung nur dann strafrechtlich verfolgt werden“ könne, „wenn sie gegen eine Person außerhalb der Ehe begangen“ werde. Dies hätten sowohl die Behörde als auch das Bundesverwaltungsgericht übersehen, was wiederum zu einer unrichtigen rechtlichen Schlussfolgerung geführt habe. Der entscheidungswesentliche Sachverhalt sei nicht vollständig ermittelt worden. Es wäre Aufgabe des Bundesverwaltungsgerichts gewesen, durch geeignete Schritte zu prüfen, ob die dem Revisionswerber unterstellte „schwere nichtpolitische Straftat“ tatsächlich eine strafbare Handlung in seinem Heimatland darstelle. Es bedürfe zudem einer Klarstellung der Rechtslage durch den Verwaltungsgerichtshof (evident gemeint: weil hinsichtlich der Prüfung, ob der in Rede stehende Ausschlussgrund in einer Konstellation, wie sie auch hier vorliegt, verwirklicht ist, in der bisherigen Rechtsprechung keine Leitlinien bestünden). Das zeige sich auch daran, dass das Bundesverwaltungsgericht (in einer in der Revision näher zitierten Entscheidung) gegenteilig entschieden habe.
23 Die Revision ist zulässig, weil es angesichts dieses Vorbringens zur Frage der Berücksichtigung der Rechtslage im Herkunftsstaat einer ergänzenden Klärung bedarf, zumal der Verwaltungsgerichtshof in jüngerer Zeit im Zusammenhang mit dem hier in Rede stehende Ausschlussgrund nur mit Fällen konfrontiert wurde, in denen dem Fremden die Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation vorgeworfen wurde. Der Revision ist letztlich auch Erfolg beschieden.
24 Die maßgeblichen Bestimmungen des AsylG 2005, der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (im Weiteren: StatusRL) lauten (auszugsweise und samt Überschrift):
25 § 3, 6, 8 und 9 AsylG 2005:
„Status des Asylberechtigten
§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
...
(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn
1. ... oder
2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.
...“
„Ausschluss von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten
§ 6. (1) Ein Fremder ist von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn
1. ... ;
2. einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Ausschlussgründe vorliegt;
3. ...
...
(2) Wenn ein Ausschlussgrund nach Abs. 1 vorliegt, kann der Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ohne weitere Prüfung abgewiesen werden. § 8 gilt.“
„Status des subsidiär Schutzberechtigten
§ 8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,
1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder
2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,
wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.
(3) ...
(3a) Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs. 1 oder aus den Gründen des Abs. 3 oder 6 abzuweisen, so hat eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.
(4) ...“
„Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten
§ 9. (1) Einem Fremden ist der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn
1. die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) nicht oder nicht mehr vorliegen;
2. er den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat oder
3. er die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates erlangt hat und eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen neuen Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
(2) Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des Abs. 1 abzuerkennen, so hat eine Aberkennung auch dann zu erfolgen, wenn
1. einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe vorliegt;
2. ...
...“
„In diesen Fällen ist die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
(3) ...“
26 Art. 1 Abschnitt F lit. b GFK:
„Artikel 1
Definition des Ausdruckes ‚Flüchtling‘
...
F. Die Bestimmungen dieses Abkommens sind auf Personen nicht anwendbar, hinsichtlich derer ernsthafte Gründe für den Verdacht bestehen, dass sie
a) ...
b) bevor sie als Flüchtlinge in das Gastland zugelassen wurden, ein schweres, nicht politisches Verbrechen begangen haben;
c) ...“
27 Art. 2, Art. 12 und Art. 17 StatusRL:
„Artikel 2
Begriffsbestimmungen
Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
...
...
d) ‚Flüchtling‘ einen Drittstaatsangehörigen, der aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder einen Staatenlosen, der sich aus denselben vorgenannten Gründen außerhalb des Landes seines vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts befindet und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht dorthin zurückkehren will und auf den Artikel 12 keine Anwendung findet;
e) ...“
„Artikel 12
Ausschluss
(1) ...
(2) Ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser ist von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe zu der Annahme berechtigen, dass er
a) ... ;
b) eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Aufnahmelandes begangen hat, bevor er als Flüchtling aufgenommen wurde, das heißt vor dem Zeitpunkt der Ausstellung eines Aufenthaltstitels aufgrund der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft; insbesondere grausame Handlungen können als schwere nichtpolitische Straftaten eingestuft werden, auch wenn mit ihnen vorgeblich politische Ziele verfolgt werden;
c) ...
(3) Absatz 2 findet auf Personen Anwendung, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.“
„Artikel 17
Ausschluss
(1) Ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser ist von der Gewährung subsidiären Schutzes ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er
a) ... ;
b) eine schwere Straftat begangen hat;
c) ... ;
...
(2) Absatz 1 findet auf Personen Anwendung, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.
(3) Die Mitgliedstaaten können einen Drittstaatsangehörigen oder einen Staatenlosen von der Gewährung subsidiären Schutzes ausschließen, wenn er vor seiner Aufnahme in dem betreffenden Mitgliedstaat ein oder mehrere nicht unter Absatz 1 fallende Straftaten begangen hat, die mit Freiheitsstrafe bestraft würden, wenn sie in dem betreffenden Mitgliedstaat begangen worden wären, und er sein Herkunftsland nur verlassen hat, um einer Bestrafung wegen dieser Straftaten zu entgehen.“
28 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist § 6 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005, der nach seinem Wortlaut auf das Vorliegen eines in Art. 1 Abschnitt F GFK genannten Ausschlussgrundes abstellt, vor dem Hintergrund des Art. 12 Abs. 2 StatusRL (die Bestimmungen dieser Richtlinie sind wiederum im Licht der allgemeinen Systematik und des Zwecks der Richtlinie in Übereinstimmung mit der Genfer Konvention und einschlägigen anderen Verträgen, auf die Art. 78 Abs. 1 AEUV Bezug nimmt, auszulegen, vgl. EuGH 9.11.2010, C 57/09 und C 101/09, Rn. 78) zu sehen. Nach Art. 12 Abs. 2 StatusRL ist ein Drittstaatsangehöriger von der Anerkennung als Flüchtling u.a. nach der hier maßgeblichen lit. b ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe zur Annahme berechtigten, dass er eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Aufnahmelandes begangen hat (vgl. VwGH 13.9.2022, Ra 2021/19/0382, mwN).
29 Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat bezogen auf Fälle, in denen Asylwerbern die Mitgliedschaft zu einer terroristischen Organisation vorgeworfen wurde im Urteil vom 9. November 2010, C 57/09 und C 101/09, ausgesprochen, dass Art. 12 Abs. 2 lit. b und lit. c der Richtlinie 2004/83/EG diese Bestimmungen sind ident in der aktuell geltenden StatusRL enthalten dahin auszulegen ist,
- dass der Umstand, dass eine Person einer Organisation angehört hat, die wegen ihrer Beteiligung an terroristischen Handlungen in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 aufgeführt ist, und den von dieser Organisation geführten bewaffneten Kampf aktiv unterstützt hat, nicht automatisch einen schwerwiegenden Grund darstellt, der zu der Annahme berechtigt, dass diese Person eine „schwere nichtpolitische Straftat“ oder „Handlungen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen“, begangen hat;
- dass in einem solchen Kontext die Feststellung, dass schwerwiegende Gründe zu der Annahme berechtigen, dass eine Person eine solche Straftat begangen hat oder sich solche Handlungen hat zuschulden kommen lassen, eine Beurteilung der genauen tatsächlichen Umstände des Einzelfalls voraussetzt, um zu ermitteln, ob von der betreffenden Organisation begangene Handlungen die in den genannten Bestimmungen festgelegten Voraussetzungen erfüllen und ob der betreffenden Person eine individuelle Verantwortung für die Verwirklichung dieser Handlungen zugerechnet werden kann, wobei dem in Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie verlangten Beweisniveau Rechnung zu tragen ist (Pkt. 1 des Tenors).
30 Die zuständige Stelle des betreffenden Mitgliedstaats darf die Bestimmungen des Art. 12 Abs. 2 lit. b und lit. c der Richtlinie erst anwenden, nachdem sie in jedem Einzelfall eine Würdigung der genauen tatsächlichen Umstände, die ihr bekannt sind, vorgenommen hat, um zu ermitteln, ob schwerwiegende Gründe zu der Annahme berechtigen, dass die Handlungen des Betreffenden, der im Übrigen die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling erfüllt, unter einen der beiden Ausschlusstatbestände fallen (vgl. EuGH 9.11.2010, C 57/09 und C 101/09, Rn. 87).
31 Soweit es im Hinblick auf die Anlassfälle die Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation betrifft, hat der EuGH betont, dass es für die Aussage, dass die in Art. 12 Abs. 2 lit. b und lit. c der Richtlinie vorgesehenen Ausschlussgründe vorliegen, erforderlich ist, dass der betreffenden Person ein Teil der Verantwortung für Handlungen, die von der fraglichen Organisation im Zeitraum der Mitgliedschaft der Person in dieser Organisation begangen wurden, zugerechnet werden kann, wobei dem in diesem Abs. 2 verlangten Beweisniveau Rechnung zu tragen ist (vgl. EuGH 9.11.2010, C 57/09 und C 101/09, Rn. 95). Diese individuelle Verantwortung ist anhand sowohl objektiver als auch subjektiver Kriterien zu beurteilen (Rn. 96).
32 Der EuGH hat weiters festgehalten, dass nach dem Wortlaut des Art. 12 Abs. 2 lit. b und lit. c der Richtlinie mit den darin vorgesehenen Ausschlussgründen Handlungen geahndet werden, die in der Vergangenheit begangen wurden (vgl. EuGH 9.11.2010, C 57/09 und C 101/09, Rn. 103). Diese Ausschlussgründe wurden mit dem Ziel geschaffen, Personen von der Anerkennung als Flüchtling auszuschließen, die als des sich aus ihr ergebenden Schutzes unwürdig angesehen werden, und zu verhindern, dass diese Anerkennung den Urhebern bestimmter schwerwiegender Straftaten ermöglicht, sich einer strafrechtlichen Verantwortung zu entziehen. Es entspräche daher nicht dieser doppelten Zielsetzung, den Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung vom Bestehen einer gegenwärtigen Gefahr für den Aufnahmemitgliedstaat abhängig zu machen (Rn. 104 des genannten Urteils). Der Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling gemäß Art. 12 Abs. 2 lit. b oder lit. c der Richtlinie setzt auch keine auf den Einzelfall bezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung voraus (Pkt. 3 des Tenors).
33 Was nun den in Art. 1 Abschnitt F lit. b GFK enthaltenen Begriff des „schweren nichtpolitischen Verbrechens“ und den in Art. 12 Abs. 2 lit. b StatusRL verwendeten Begriff der „schweren nichtpolitischen Straftat“ anlangt, ist festzuhalten, dass diese Begriffe weder im AsylG 2005 noch in der GFK noch in der StatusRL näher definiert sind. Es findet in Art. 12 Abs. 2 lit. b StatusRL lediglich Erwähnung, dass insbesondere grausame Handlungen als schwere nichtpolitische Straftaten eingestuft werden, auch wenn mit ihnen vorgeblich politische Ziele verfolgt werden. Schon das dort verwendete Wort „insbesondere“ zeigt, dass damit aber keine abschließende Festlegung erfolgen sollte, welche Handlungen als „schwere nichtpolitische Straftat“ anzusehen sind.
34 Im Sinn des Vorgesagten, wonach die Bestimmungen der StatusRL auch in Übereinstimmung mit der GFK auszulegen sind, geht der Verwaltungsgerichtshof ungeachtet dessen, dass die in der GFK und in der StatusRL im Besonderen in der deutschen Fassung verwendeten Begrifflichkeiten nicht völlig deckungsgleich sind, davon aus, dass das inhaltliche Verständnis dieser Bestimmungen in einem Gleichklang steht. § 6 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 stellt zwar nach seinem Wortlaut allein auf das Vorliegen eines der in Art. 1 Abschnitt F der GFK genannten Ausschlussgrundes ab. Jedoch ist wie bereits oben dargestellt beim Verständnis des in Art. 1 Abschnitt F lit. b GFK enthaltenen Grundes die vom EuGH zu Art. 12 Abs. 2 lit. b Richtlinie 2004/83/EG ergangene Rechtsprechung, die infolge identer Rechtslage auch für die hier in den Blick zu nehmende StatusRL (Richtlinie 2011/95/EU) weiterhin maßgeblich ist, einzubeziehen.
35 Der Verwaltungsgerichtshof hat sich bislang nicht dazu geäußert, ob im Fall bestimmter Deliktsformen dem Grunde nach das Vorliegen einer „schweren nichtpolitischen Straftat“ als indiziert angesehen oder von vornherein das Vorliegen einer solchen Tat verneint werden kann.
36 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung zum Tatbestand des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005, für dessen Anwendung das Vorliegen nicht „bloß“ einer „schweren nichtpolitischen Straftat“, sondern eines „besonders schweren Verbrechens“ Voraussetzung ist und mit dem innerstaatlich die Vorgaben des Art. 14 Abs. 4 lit. b StatusRL umgesetzt wird, der seinerseits von der rechtskräftigen Verurteilung wegen einer „besonders schweren Straftat“ spricht, festgehalten, dass es sich bei der der Verurteilung zugrundeliegenden Straftat um eine solche handeln muss, die angesichts ihrer spezifischen Merkmale insofern eine außerordentliche Schwere aufweist, als sie zu den Straftaten gehört, die die Rechtsordnung der betreffenden Gesellschaft am stärksten beeinträchtigen. Dazu gehören beispielsweise Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Kindesmisshandlung, Brandstiftung, Handel mit Suchtgiften und Suchtmitteln, bewaffneter Raub, die Verletzung des Rechtsgutes der sexuellen Integrität von Kindern und aus terroristischen Motiven begangene Straftaten (vgl. VwGH 25.7.2023, Ra 2021/20/0246).
37 Es besteht nun für den Verwaltungsgerichtshof kein Zweifel, dass derartige Straftaten nicht nur im Sinn der StatusRL „besonders schwere Straftaten“ darstellen können, sondern dem Grunde nach auch als „schwere nichtpolitische Straftaten“ eingestuft werden können.
38 Dass jedenfalls derartige Straftaten dem Grunde nach die Eignung aufweisen, den Tatbestand des Art. 1 Abschnitt F lit. b GFK zu erfüllen, steht auch im Einklang mit den „Richtlinien zum internationalen Schutz, Anwendung der Ausschlussklauseln: Artikel 1 F des Abkommens von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge“ des UNHCR vom 4. September 2003. Dort wird zur genannten Bestimmung ausgeführt (S. 5):
„In diese Kategorie fallen keine leichten Vergehen. Auch Straftatbestände, die die legitime Ausübung von Menschenrechten unter Strafe stellen, werden von Art. 1 F (b) nicht erfasst. Für die Feststellung, ob eine bestimmte Straftat tatsächlich genügend schwerwiegend ist, sind internationale und nicht die lokalen Standards maßgeblich. Dabei sind folgende Faktoren zu berücksichtigen: die Art der Handlung, der tatsächlich zugefügte Schaden, die Art des zur strafrechtlichen Verfolgung des Verbrechens eingesetzten Verfahrens, die Form der Strafe sowie die Frage, ob das Verbrechen in den meisten Rechtsordnungen ein schweres Verbrechen darstellen würde. Zum Beispiel wären Mord, Vergewaltigung und bewaffneter Raub zweifellos schwere Verbrechen, einfacher Diebstahl hingegen sicherlich nicht.“
39 Von der Asylagentur der Europäischen Union EUAA (vormals Europäisches Unterstützungsbüro für Asylfragen EASO) wird in der (noch vom EASO veröffentlichen) Richterlichen Analyse, Ausschluss: Artikel 12 und 17 Anerkennungsrichtlinie 2 , unter Hinweis auf die Rechtsprechung des EuGH zusammengefasst, dass die Schwere einer Straftat anhand einer Vielzahl von Kriterien zu beurteilen sei. Zu diesen Kriterien zählten: die Art der Straftat, die verursachten Schäden, die Form des zur Verfolgung herangezogenen Verfahrens, die Art der Strafmaßnahme und die Berücksichtigung der Frage, ob die fragliche Straftat in anderen Rechtsordnungen ebenfalls überwiegend als schwere Straftat angesehen werde (S. 90 mit Hinweis auf EuGH 13.9.2018, C 369/17).
40 Als Beispiele für Fälle, in denen die Gerichte der Mitgliedstaaten zu dem Urteil gelangt seien, dass eine Person, die internationalen Schutz beantragt hatte, aufgrund ihrer Verantwortlichkeit für eine schwere nichtpolitische Straftat von der Anerkennung als Flüchtling auszuschließen sei, wird dort genannt: der sexuelle Missbrauch einer minderjährigen Nichte; Unterschlagung in großem Umfang und Annahme von hohen Summen von Bestechungsgeldern; Beteiligung als führender Akteur bei der Verabredung einer gewaltsamen terroristischen Handlung; Beteiligung an der Zwangsverpflichtung von Minderjährigen im Alter über fünfzehn Jahren für die Liberation Tigers of Tamil Eelam (Befreiungstiger von Tamil Eelam, LTTE).
41 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung mit näherer Begründung des Weiteren bereits betont, dass eine Gleichsetzung der in Art. 1 Abschnitt F lit. b und Art. 33 Abs. 2 GFK enthaltenen Tatbestände, in denen einerseits „bloß“ auf ein „schweres [nichtpolitisches] Verbrechen“ andererseits auf ein „besonders schweres Verbrechen“ abgestellt wird, nicht in Betracht zu ziehen ist und eine solche Gleichsetzung auch dem UNHCR Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nicht entnommen werden kann (VwGH 3.12.2002, 99/01/0449).
42 Es ist zudem darauf hinzuweisen, dass § 6 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 anders als § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 nicht ausdrücklich die Begehung eines Verbrechens nennt, sodass sich anhand dieser Bestimmung nicht ergibt, dass die vom Fremden begangene Tat nach innerstaatlichen Gesichtspunkten als Verbrechen im Sinn des § 17 StGB eingestuft sein müsste.
43 Dass die GFK in ihren Formulierungen nicht auf den Begriff des Verbrechens abstellt, wie er vom österreichischen Gesetzgeber im StGB definiert wurde, erscheint dem Verwaltungsgerichtshof nicht zweifelhaft.
44 In Art. 12 Abs. 2 lit. b StatusRL wiederum wird nicht von einem „schweren [nichtpolitischen] Verbrechen“, sondern einer „schweren [nichtpolitischen] Straftat“ gesprochen. Wenngleich eine hohe Strafdrohung im nationalen Recht ein Indiz dafür darstellen kann, dass der Gesetzgeber bestimmte Deliktsformen als gegenüber anderen mit gravierenderem Unrecht verbunden angesehen hat, ist weder dem Wortlaut des Art. 12 Abs. 2 lit. b StatusRL noch der zitierten Judikatur des EuGH zu entnehmen, dass bei der Beurteilung, ob eine „schwere [nichtpolitische] Straftat“ vorliegt, die vom nationalen Gesetzgeber vorgenommene formale Klassifikation einer Straftat bezogen auf die österreichische Rechtslage: ob im Sinn des § 17 StGB das begangene Delikt als Verbrechen oder Vergehen einzustufen ist ausschlaggebend wäre.
45 Welche anderen seien sie nach österreichischem Recht als Verbrechen im Sinn des § 17 StGB oder als Vergehen einzustufen als die oben genannten Straftaten, die wegen des Fehlens einer „außerordentlichen Schwere“ der Tat nicht schon auch als „besonders schwere Verbrechen“ anzusehen sind, den Tatbestand einer „schweren [nichtpolitischen] Straftat“ erfüllen können, kann abstrakt nicht abschließend beantwortet werden. Die Verwendung der Begriffe des „schweren nichtpolitischen Verbrechens“ in der GFK sowie der „schweren nichtpolitischen Straftat“ in der StatusRL, denen gemein ist, dass eine „Schwere“ der Handlungen vorliegen muss, schließt es aber aus, dass jede Straftat in Betracht zu ziehen wäre. Als Hinweis, ob eine solche Straftat vorliegt, kann allerdings Art. 12 Abs. 2 lit. b StatusRL dienen, in dem als Beispiel „insbesondere grausame Handlungen“ genannt werden. Daraus ist abzuleiten, dass gerade im Fall mit geringerer Strafe bedrohter Handlungen Umstände hinzutreten müssen, aus denen sich ergibt, dass der Fremde Handlungen gesetzt hat, die in ihrem Unwert dazu führen, dass er als unwürdig einzustufen ist, im Gastland jenen besonderen Schutzstatus zu erhalten, der mit der Anerkennung als Flüchtling verbunden ist. Liegen aber als grausam zu bewertende Handlungen vor, werden auch Straftaten, die nach dem österreichischen Strafrecht formal nicht als Verbrechen einzuordnen sind, als schwere Straftaten zu qualifizieren sein. Dasselbe wird etwa dann anzunehmen sein, wenn die Tatbegehung aus niederen oder sonst besonders verwerflichen Motiven (etwa aus Rassenhass oder weil das Tatopfer als Mensch minderwertiger Natur angesehen wurde) stattgefunden hat, sie heimtückisch begangen oder bei der Tatbegehung sonst besonders verwerflich vorgegangen worden ist (etwa die Wehrlosigkeit des Tatopfers ausgenützt wurde) oder durch die Tat beim Tatopfer besonders nachteilige Folgen hervorgerufen werden sollen.
46 Hingegen ist nach den hier maßgeblichen Vorschriften des Art. 1 Abschnitt F lit. b GFK und Art. 12 Abs. 2 lit. b StatusRL anders als nach § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 (sowie Art. 33 Abs. 2 GFK und Art. 14 Abs. 4 lit. b StatusRL) nicht Voraussetzung, dass der Fremde wegen der Straftat rechtskräftig verurteilt worden ist.
47 Nach dem oben Gesagten ist nach der Rechtsprechung des EuGH auch zu berücksichtigen, ob die zum Vorwurf gemachten Handlungen in anderen Rechtsordnungen ebenfalls überwiegend als schwere Straftat angesehen werden. Somit kann bei der Beurteilung, ob das als verpönt eingestufte Verhalten eines Fremden eine „schwere nichtpolitische Straftat“ darstellt, es nicht entscheidungswesentlich den Ausschlag geben, ob das Verhalten im Herkunftsstaat oder im Staat der Tatbegehung als strafbar eingestuft wird. Andernfalls könnten nämlich Handlungen, die weder in Österreich noch überwiegend in anderen Rechtsordnungen als schwere Straftat oder möglichweise als gar nicht strafbar eingestuft werden, zum Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling führen. Umgekehrt erschiene es aber auch nicht angebracht, das Bestehen des Ausschlussgrundes nur deswegen zu verneinen, weil im Herkunftsstaat oder im Staat der Tatbegehung das gesetzte Verhalten nicht unter Strafsanktion steht. Dies würde nämlich dazu führen, dass der Fremde des Schutzes durch das Asylrecht selbst dann nicht als unwürdig einzustufen wäre, wenn er die Begehung grausamster Handlungen zu verantworten hätte, die in anderen Rechtsordnungen überwiegend als schwere Straftaten angesehen werden. Dies wäre aber mit dem Zweck, den der hier angesprochene Ausschlussgrund verfolgt, nicht vereinbar.
48 Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass bei der Beurteilung, ob der Ausschlussgrund des § 6 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt F lit. b GFK erfüllt ist, auch die Vorgaben des Art. 12 Abs. 2 lit. b StatusRL Beachtung zu finden haben. Es ist für die Beurteilung, ob eine „schwere nichtpolitische Straftat“ vorliegt, auf die Art der Straftat, die verursachten Schäden, die Form des zur Verfolgung herangezogenen Verfahrens, die Art der Strafmaßnahme und die Berücksichtigung der Frage, ob die fragliche Straftat in anderen Rechtsordnungen ebenfalls überwiegend als schwere Straftat angesehen wird, abzustellen. Dazu gehören beispielsweise Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Kindesmisshandlung, Brandstiftung, Handel mit Suchtgiften und Suchtmitteln, bewaffneter Raub, die Verletzung des Rechtsgutes der sexuellen Integrität von Kindern und aus terroristischen Motiven begangene Straftaten. Es sind stets die genauen tatsächlichen Umstände des Einzelfalls festzustellen. Es ist jedoch nicht erforderlich, dass das strafbare Verhalten nach österreichischem Recht als Verbrechen im Sinn des § 17 StGB zu qualifizieren ist. Auch andere Straftaten können als schwere Straftaten eingestuft werden, insbesondere wenn die Tathandlung als grausam oder als aus niederen Beweggründen begangen einzustufen oder das verpönte Verhalten aufgrund der Umstände der Tatbegehung sonst als besonders verwerflich anzusehen ist. Die Handlungen müssen nicht zu einer rechtskräftigen Verurteilung geführt haben. Strafbarkeit des Handelns im Herkunftsstaat oder im Staat der Tatbegehung ist keine zwingende Voraussetzung für die Anwendung des Ausschlussgrundes. Bei der Einstufung des Unwertes eines verpönten Verhaltens ist darauf Bedacht zu nehmen, dass mit dem Ausschlussgrund das Ziel verfolgt wird, Personen von der Anerkennung als Flüchtling auszuschließen, die als des sich aus einer solchen Anerkennung ergebenden Schutzes unwürdig anzusehen sind, und zu verhindern, dass diese Anerkennung den Urhebern bestimmter schwerwiegender Straftaten ermöglicht, sich einer strafrechtlichen Verantwortung zu entziehen. Das Bestehen einer gegenwärtigen Gefahr für den Aufnahmemitgliedstaat ist nicht zu prüfen; ebenso ist keine auf den Einzelfall bezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen.
49 Was nun den hier gegenständlichen Fall betrifft, ist zunächst festzuhalten, dass der Revisionswerber nicht bestreitet, dass das ihm vorgeworfene Verhalten nichtpolitischer Natur gewesen und zu einer Zeit gesetzt worden sei, als er sich noch im Ausland aufgehalten habe. Auf diese fallbezogen zweifelsfrei zu bejahenden Voraussetzungen für die Anwendung des hier in Rede stehenden Ausschlussgrundes musste daher in der vorliegenden Entscheidung nicht im Detail eingegangen werden.
50 Dem Bundesverwaltungsgericht ist nach dem oben Gesagten darin beizupflichten, dass Handlungen, die auf die Verletzung des Rechtsgutes der sexuellen Integrität von Kindern abzielen, grundsätzlich die Eignung zukommen kann, eine schwere (nichtpolitische) Straftat darzustellen.
51 Auf die Frage, ob das Verhalten des Revisionswerbers im Herkunftsstaat gleichfalls strafbar ist, kommt es in einer Konstellation wie der vorliegenden entgegen der vom Bundesverwaltungsgericht und dem Revisionswerber vertretenen Meinung nicht an. Es ist nämlich davon auszugehen, dass auch in anderen Rechtsordnungen ebenfalls typischerweise der sexuelle Missbrauch von Kindern überwiegend als schwere Straftat angesehen wird. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner zum AsylG 2005 ergangenen Rechtsprechung bereits dargelegt, dass auch der EuGH in seinem Urteil vom 13. Juli 2017, C 193/16, ungeachtet dessen, dass dort eine Beurteilung nach der (hier nicht maßgeblichen) Richtlinie 2004/38/EG („Unionsbürgerrichtlinie“) vorzunehmen war, zum (nach dem dort festgestellten Sachverhalt vorgelegenen) sexuellen Missbrauch von Minderjährigen in verallgemeinernder Form festgehalten, dass nach Art. 83 Abs. 1 AEUV die sexuelle Ausbeutung von Kindern zu den Bereichen besonders schwerer Kriminalität gehört, die eine grenzüberschreitende Dimension haben und für die ein Tätigwerden des Unionsgesetzgebers vorgesehen ist. Daher steht es den Mitgliedstaaten frei, Straftaten wie die in Art. 83 Abs. 1 AEUV angeführten als besonders schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses anzusehen, bei der die Gefahr der Wiederholung eine unmittelbare Bedrohung der Ruhe und der physischen Sicherheit der Bevölkerung darstellt (vgl. VwGH 5.4.2018, Ra 2017/19/0531).
52 Jedoch ist das Bundesverwaltungsgericht davon ausgegangen, es sei für die Bejahung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt F lit. b GFK hinreichend, dass dem Revisionswerber der Vorwurf gemacht werden kann, er habe die objektive und subjektive Tatseite des Tatbestandes des § 206 Abs. 1 StGB verwirklicht.
53 Das allein ist aber nach den oben dargestellten Kriterien nicht ausreichend, um eine abschließende Aussage dazu treffen zu können, ob der Revisionswerber diesen Ausschlussgrund verwirklicht hat und er was fallbezogen im Vordergrund steht aufgrund seines Verhaltens als der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des damit verbundenen Schutzes unwürdig anzusehen ist.
54 Vielmehr wären sämtliche Umstände der Geschehnisse einer Klärung zu unterwerfen, um beurteilen zu können, ob das dem Revisionswerber vorgeworfene Verhalten ihm fallbezogen auch als „schwere nichtpolitische Straftat“ anzulasten ist. (vgl. dazu auch EuGH 13.9.2018, C 369/17, wo der EuGH unter Hinweis auf sein bereits oben zitiertes Urteil EuGH 9.11.2010, C 57/09 und C 101/09, ebenfalls betont, dass die Anwendung des Art. 12 Abs. 2 lit. b [und auch der fallbezogen aber nicht wesentlichen lit. c] StatusRL in jedem Einzelfall erst nach einer Würdigung der genauen tatsächlichen Umstände erfolgen darf [Rn. 48] und jeder Entscheidung, einer Person von der Anerkennung als Flüchtling auszuschließen, eine vollständige Prüfung sämtlicher besonderer Umstände des Einzelfalls vorausgehen muss [Rn. 49]).
55 Somit erweist sich, dass das Bundesverwaltungsgericht aufgrund der Verkennung der Rechtslage keine umfänglichen Feststellungen getroffen hat, die eine dem Gesetz entsprechende Beurteilung ermöglicht hätten.
56 Das angefochtene Erkenntnis war daher in seinem (allein der Anfechtung unterzogenen) Spruchpunkt A) I. zur Gänze, weil der rechtlich von der Versagung der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abhängende Ausspruch über die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten seine Grundlage verliert gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.
57 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 11. September 2024
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