Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed und den Hofrat Mag. Tolar als Richter sowie die Hofrätin Dr. in Gröger als Richterin, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Amesberger, über die Revision der R A, vertreten durch Dr. Eva Jana Messerschmidt, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Freyung 6/7/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 31. Jänner 2024, W185 2267977 1/3E, betreffend Einreisetitel nach § 35 Abs. 1 AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Österreichische Botschaft in Damaskus), den Beschluss gefasst:
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Die Revisionswerberin, eine Staatsangehörige Syriens, stellte am 22. Februar 2021 bei der Österreichischen Botschaft in Damaskus einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels in das Bundesgebiet gemäß § 35 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Sie brachte vor, sie sei mit dem syrischen Staatsangehörigen A M (der Bezugsperson), dem mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 26. November 2020 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt worden sei, seit 10. August 2019 verheiratet.
2 Die Österreichische Botschaft in Damaskus wies diesen Antrag mit Bescheid vom 21. Oktober 2022 infolge einer negativen Wahrscheinlichkeitsprognose des BFA dieser zufolge habe eine Ehe zwischen der Revisionswerberin und der Bezugsperson vor Einreise der Bezugsperson nach Österreich nicht bestanden ab.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen von der Revisionswerberin erhobene Beschwerde, nachdem die Österreichische Botschaft in Damaskus eine abweisende Beschwerdevorentscheidung erlassen und die Revisionswerberin einen Vorlageantrag gestellt hatte, als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
4 Das BVwG stellte fest, der Beweis des Vorliegens einer Ehe zwischen der Revisionswerberin und der Bezugsperson habe nicht erbracht werden können.
5 Zur Rechtslage in Syrien stellte das BVwG insbesondere fest, die Eheschließung zwischen Muslimen könne von jedem bekannten Imam oder einem Scharia Gelehrten durchgeführt werden. Von einer religiösen Stelle „vollzogene“ Eheschließungen müssten bei den Behörden für zivilrechtliche Angelegenheiten registriert werden, um staatlich anerkannt zu sein. Im Falle einer außerhalb eines Gerichtes abgeschlossenen Ehe (sogenannte traditionelle Ehe) müsse deren Gültigkeit zunächst durch den Richter (in der Regel vor Scharia Gerichten) bestätigt werden. Solle eine traditionelle Eheschließung in Syrien staatlich anerkannt werden, müssten auf die traditionelle Trauung somit noch zwei weitere Rechtsakte folgen: Ein Antrag auf Eheschließung sei vor dem (Scharia-)Richter gemeinsam mit einer Reihe von Unterlagen einzureichen. Könnten bestimmte Unterlagen zur Gültigkeit der außergerichtlichen Eheschließung nicht vorgelegt werden, bestehe die Möglichkeit, eine einvernehmliche Feststellungsklage über das Bestehen der Ehe zu erheben. Bei der Feststellungsklage würden lediglich Tatsachen festgehalten, die von den Parteien selbst vorgebracht worden seien. Das Gericht überprüfe die vorgebrachten Behauptungen nicht. Das Datum der Eheschließung werde bei einer nachträglichen Registrierung vom Gericht bestimmt. Wenn das Gericht die traditionelle Eheschließung als gültig anerkenne, gelte als Datum der Eheschließung das Datum der traditionellen Eheschließung und nicht das Datum der Registrierung. Danach müsse eine Abschrift der Bestätigung der Eheschließung durch das Gericht an das zuständige Standesamt weitergleitet werden, das anschließend die Registrierung der Ehe im Zivilregister vornehme, wodurch die Ehe Rechtsgültigkeit erlange.
6 In der Beweiswürdigung hielt das BVwG fest, es sei „offenbar“ zu einer nachträglichen staatlichen Registrierung einer angeblich zu einem früheren Zeitpunkt nach traditionellem Ritus erfolgten Eheschließung gekommen. Ein Nachweis über die angeblich am 10. August 2019 erfolgte Eheschließung nach muslimischem Ritus sei jedoch nicht vorhanden. Im Zuge ihrer Befragung an der Österreichischen Botschaft in Damaskus habe die Revisionswerberin keine schlüssigen Angaben über die „Art und Durchführung der Eheschließung“ und die Dauer der Ehe gemacht. Sie habe angegeben, dass die Eheschließung in Syrien (in D) ohne Anwesenheit der Bezugsperson (diese habe sich zu diesem Zeitpunkt im Libanon aufgehalten) erfolgt sei, und habe weder Zeugen namentlich benennen, noch Fotos oder sonstige Unterlagen zum Beweis der Eheschließung am 10. August 2019 vorlegen können. Später sei die Revisionswerberin ihrem Vorbringen zufolge in den Libanon gefahren, wo es eine Hochzeitsfeier gegeben habe. Im vorgelegten Beschluss eines Scharia Gerichtes vom 22. September 2020 zur Bestätigung der „außergerichtlichen Eheschließung“ am 10. August 2019 werde ausgeführt, dass die Revisionswerberin am 26. August 2020 einen entsprechenden Antrag eingereicht habe. Nach dem syrischen Personenstandsrecht bestehe für den Fall, dass bestimmte Unterlagen zum Nachweis der Gültigkeit einer „außergerichtlichen Eheschließung“ nicht vorgelegt werden könnten, die Möglichkeit, eine „einvernehmliche Feststellungsklage“ über das Bestehen der Ehe zu erheben. Aufgrund der Feststellungsklage würden jedoch lediglich Tatsachen festgehalten, die von den Parteien selbst vorgebracht würden; das Gericht überprüfe die vorgebrachten Behauptungen nicht. Dieser Beschluss sei daher nicht geeignet, die angeblich über ein Jahr zuvor erfolgte Eheschließung nachzuweisen. Außerdem stünden die Angaben der Bezugsperson im Asylverfahren zu den Angaben der Revisionswerberin und den von ihr vorgelegten Dokumenten „teils in krassem Widerspruch“. Die Bezugsperson habe im Asylverfahren nämlich angegeben, die traditionelle Eheschließung habe im August 2019 im Libanon stattgefunden und sei am 10. August 2019 (also abweichend vom Datum des Beschlusses des Scharia Gerichtes) in Syrien registriert worden. Im Übrigen hätten zwar sowohl die Revisionswerberin als auch die Bezugsperson (in ihrem Asylverfahren) Beschlüsse eines Scharia Gerichtes vom 22. September 2020 vorgelegt, die inhaltlich ident seien und deren Geschäftszahlen übereinstimmten. Allerdings seien deren Layout, die Formatierung und die Anordnung der Stempel unterschiedlich. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb das Scharia-Gericht an einem Tag zwei Beschlüsse desselben Inhalts in unterschiedlichem Layout ausstellen sollte. Das Vorbringen der Revisionswerberin, bei dem von ihr vorgelegten Dokument handle es sich um ein Duplikat, sei nicht glaubhaft, zumal es eben dasselbe Datum trage. Deshalb seien erhebliche Zweifel an der Richtigkeit des vorgelegten Beschlusses des Scharia-Gerichtes entstanden. Außerdem seien im gesamten Verfahren keine Angaben hinsichtlich des Kennenlernens der angeblichen Eheleute gemacht worden. Es sei lediglich vorgebracht worden, sie hätten vom Zeitpunkt der Eheschließung im August 2019 bis zur Ausreise der Bezugsperson nach Europa etwa zwei Monate im Libanon im gemeinsamen Haushalt gelebt. Nachweise, dass eine Ehe bzw. ein Familienleben bereits vor der Einreise der Bezugsperson nach Europa bestanden habe, seien nicht erbracht worden.
7 In der rechtlichen Würdigung führte das BVwG im Wesentlichen aus, die Revisionswerberin erfülle den Familienangehörigenbegriff des § 35 Abs. 5 AsylG 2005 nicht, da sie nicht als Ehefrau der Bezugsperson angesehen werden könne.
8 Die dagegen gerichtete außerordentliche Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das BVwG sei von näher bezeichneter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, indem es bei der Beurteilung der Gültigkeit der Eheschließung nicht auf die Einhaltung der sich aus dem syrischen Eherecht ergebenden Anforderungen abgestellt habe. Des Weiteren habe das BVwG gegen den Grundsatz des Parteiengehörs verstoßen, indem es sich in der Beweiswürdigung auf Widersprüche zwischen dem Vorbringen der Revisionswerberin und Aussagen der Bezugsperson im Asylverfahren gestützt habe, ohne zuvor der Revisionswerberin die Niederschriften aus dem Asylverfahren der Bezugsperson zur Äußerung übermittelt zu haben. Darüber hinaus habe das BVwG mit der Einbeziehung neuer Beweismittel gegen § 11a Abs. 2 FPG verstoßen; zur Frage der Zulässigkeit einer solchen Vorgangsweise liege noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor. Schließlich wendet sich die Revision gegen die vom BVwG vorgenommene Beweiswürdigung.
9 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
12 Im gegenständlichen Fall ist das BVwG davon ausgegangen, dass die Ehe zwischen der Revisionswerberin und der in Österreich aufhältigen asylberechtigten Bezugsperson in Syrien zwar registriert wurde, eine vorangegangene traditionelle Eheschließung zu dem behaupteten Zeitpunkt vor der Einreise der Bezugsperson aber nicht stattgefunden hat.
13 Die Revision zeigt nicht auf, dass auf dieser Grundlage von einer nach dem maßgeblichen syrischen Eherecht rechtsgültigen Ehe auszugehen wäre. Dies ergibt sich auch nicht aus der einschlägigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, der bereits festgehalten hat, dass selbst bei einer behaupteten nachträglichen Registrierung der Ehe nach syrischem Recht die Beurteilung der Frage vorgelagert sei, ob die vorgebrachte traditionelle Eheschließung als glaubhaft zu befinden sei (vgl. VwGH 14.3.2019, Ra 2018/18/0534, Rn. 21).
14 Im vorliegenden Fall hat das BVwG somit nicht etwa aus dem bloßen Umstand einer erst nachträglich erfolgten staatlichen Registrierung auf das Nichtbestehen einer Ehe vor Einreise der Bezugsperson geschlossen. Vielmehr hat es festgestellt, dass der Beweis des Vorliegens einer Ehe zwischen der Revisionswerberin und der Bezugsperson nicht erbracht werden habe können. Eine traditionelle Eheschließung müsse nach der syrischen Rechtslage von einem Imam oder Scharia Gelehrten durchgeführt werden, worauf die beiden weiteren Rechtsakte der Anerkennung durch ein Scharia Gericht und der Registrierung der Ehe im Zivilregister zu folgen hätten. Das BVwG legte im Einzelnen dar, warum es die Behauptung der Revisionswerberin, es habe eine traditionelle Eheschließung (angeblich am 10. August 2019) stattgefunden, für unglaubhaft hielt (zur diesbezüglichen Beweiswürdigung vgl. noch unten Rn. 17 f). Der behauptete Verstoß gegen die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt also nicht vor.
15 Die Revision bringt des Weiteren vor, das BVwG habe gegen den Grundsatz des Parteiengehörs (verwiesen wird auf VwGH 5. 4.2023, Ra 2021/19/0294) verstoßen, indem es sich in seiner Beweiswürdigung auf Widersprüche zwischen dem Vorbringen der Revisionswerberin und Aussagen der Bezugsperson in ihrem Asylverfahren gestützt habe, ohne zuvor der Revisionswerberin das entsprechende Beweismittel (die Niederschriften aus dem Asylverfahren der Bezugsperson) zur Äußerung übermittelt zu haben, wobei das BVwG dieses Beweismittel überdies entgegen § 11a Abs. 2 FPG neu in das Verfahren einbezogen habe.
16 Dem ist zum einen zu entgegnen, dass nicht erst das BVwG in der angefochtenen Entscheidung über die Beschwerde der Revisionswerberin den Akt des Asylverfahrens der Bezugsperson als Beweismittel neu in das Verfahren einbezog; vielmehr hatte sich schon im Rahmen des Verfahrens vor der Österreichischen Botschaft in Damaskus das BFA in seiner Stellungnahme vom 28. September 2022 zur Beurteilung der Wahrscheinlichkeit der Stattgebung eines Antrages der Revisionswerberin auf internationalen Schutz (vgl. § 35 Abs. 4 AsylG 2005) auf den Akt des Asylverfahrens der Bezugsperson als Beweismittel berufen. Zum anderen bezieht sich nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Recht auf Parteiengehör auf den von der Behörde festzustellenden maßgeblichen Sachverhalt. Die Beweiswürdigung im Sinn des § 45 Abs. 2 AVG, also die Frage, aus welchen Gründen die Behörde welchen Beweismitteln zu folgen gedenkt, zählt aber nicht zu den Ergebnissen des Beweisverfahrens. Es besteht auch keine Verpflichtung des BVwG, der Partei im Wege eines Vorhalts zur Kenntnis zu bringen, dass Widersprüche vorhanden seien, die im Rahmen der gemäß § 45 Abs. 2 AVG vorzunehmenden Beweiswürdigung zu ihrem Nachteil von Bedeutung sein könnten, und ihr aus diesem Grunde eine Stellungnahme hierzu zu ermöglichen (vgl. VwGH 29.3.2021, Ra 2021/18/0095, mwN). Im vorliegenden Fall stellt sich daher weder die Frage der Zulässigkeit der Einbeziehung neuer Beweismittel durch das BVwG im Verfahren über eine Beschwerde gegen die Nichterteilung eines Einreisetitels im Sinne des § 35 Abs. 1 AsylG 2005, noch wird ein Verstoß gegen den Grundsatz des Parteiengehörs dargetan.
17 Soweit sich die Revision schließlich gegen die vom BVwG vorgenommene Beweiswürdigung richtet, ist festzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH 21.12.2023, Ra 2023/18/0077, mwN).
18 Die Revision begründet den Vorwurf der „unschlüssigen und unvertretbaren“ Beweiswürdigung in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung lediglich mit dem Argument, entgegen den Ausführungen des BVwG sei der vermeintliche Widerspruch betreffend den Eheschließungszeitpunkt zwischen der Angaben der Bezugsperson (diese habe angegeben, dass die Ehe am 10. August 2019 in Syrien registriert worden sei) und den Angaben der Revisionswerberin sowie dem Inhalt der vorgelegten Dokumente (denen zufolge die Ehe zu diesem Zeitpunkt traditionell eingegangen und erst später, allerdings mit Wirksamkeit zum 10. August 2019, registriert worden sei) nicht als „krass“ auszumachen. Damit übergeht die Revision den Umstand, dass das BVwG die Annahme der Unglaubhaftigkeit der behaupteten traditionellen Eheschließung auch auf zahlreiche andere, für sich tragende beweiswürdigende Überlegungen gestützt hat (vgl. deren Wiedergabe oben in Rn Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden. ). Eine Unvertretbarkeit der Beweiswürdigung tut die Revision nicht dar.
19 In der Revision werden insgesamt keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 23. April 2024
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