Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed als Richter sowie die Hofrätinnen Dr. in Gröger und Dr. in Sabetzer als Richterinnen, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Amesberger, über die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Dezember 2023, W215 2242037 1/14E, betreffend eine Asylangelegenheit (mitbeteiligte Partei: M I), zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
1 Die Mitbeteiligte, eine Staatsangehörige Syriens und Angehörige der kurdischen Volksgruppe, stellte am 1. September 2020 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich, den sie im Wesentlichen damit begründete, sie habe ihr Heimatland aufgrund des Krieges verlassen und zu ihrem Verlobten, der sich in Österreich befinde, reisen wollen.
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies diesen Antrag mit Bescheid vom 1. April 2021 hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ab, erkannte der Mitbeteiligten den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) der gegen die Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten erhobenen Beschwerde der Mitbeteiligten nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung statt, erkannte ihr gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) den Status der Asylberechtigten zu und stellte fest, dass ihr damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.
4 Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, die Mitbeteiligte deren Heimatregion seit vielen Jahren unter kurdischer Kontrolle stehe habe zwar nicht glaubhaft machen können, in ihrem Herkunftsstaat verfolgt worden zu sein, jedoch müsse für den Fall ihrer Rückkehr beachtet werden, dass ihrem Verlobten bzw. Ehegatten nach moslemischem Ritus und Vater des gemeinsamen Kindes mit näher zitiertem Bescheid des BFA wegen dessen politischer Verfolgung (Wehrdienstverweigerung in Verbindung mit politischer Gesinnung) der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden sei. Das BVwG könne daher nicht mit der nötigen Gewissheit ausschließen, dass die Mitbeteiligte in Zukunft wegen ihrer Eheschließung nach muslimischem Ritus und Familiengründung mit einem politisch Verfolgten statt diesem zwangsrekrutiert und seinetwegen bzw. wegen der Suche nach ihm ebenfalls verfolgt werde. Der Mitbeteiligten drohe vor diesem Hintergrund Verfolgung aufgrund zumindest unterstellter politischer Gesinnung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK).
5 Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision, die zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst geltend macht, das BVwG gehe ohne schlüssige Begründung davon aus, dass die Mitbeteiligte einer Zwangsrekrutierung und asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt sei, weshalb das gegenständliche Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit behaftet sei. Die Feststellungen und Schlussfolgerungen des BVwG deckten sich nicht mit den Länderberichten, und es bleibe unklar, woraus sich diese ergeben würden. Es lasse sich weder hinsichtlich der kurdischen Selbstverteidigungseinheiten noch hinsichtlich des syrischen Regimes eine Verpflichtung für die Mitbeteiligte ableiten, statt dem Ehemann Wehrdienst zu leisten, und es bestehe auch keine allgemeine Gefahr der Verfolgung. Um die Asylrelevanz einer allfälligen Verfolgung bejahen zu können, hätte sich das BVwG mit den einzelfallbezogenen Umständen, vor allem dem Profil des Ehemannes auseinandersetzen und in weiterer Folge die Verfolgung anhand von Länderberichten mit einem Konventionsgrund verknüpfen müssen. Da das BVwG dies unterlassen habe, verstoße es gegen die ihm durch die (näher angeführte) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auferlegte Begründungspflicht verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen.
6 Die Mitbeteiligte erstattete - nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof - keine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
7 Die Revision ist zulässig und begründet.
8 Vorauszuschicken ist, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des BVwG gemäß § 41 VwGG auf der Grundlage der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses zu prüfen ist. Dementsprechend entziehen sich Änderungen der Sach- und Rechtslage, die sich nach Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses ereignet haben, einer Prüfung im gegenständlichen Revisionsverfahren (vgl. etwa VwGH 19.3.2024, Ra 2022/18/0326, mwN).
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründungspflicht der Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte gemäß § 29 VwGVG bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Begründung jenen Anforderungen zu entsprechen hat, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. z.B. VwGH 28.10.2024, Ra 2023/18/0453).
10 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat das Verwaltungsgericht neben der Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhaltes erforderlichen Beweise auch die Pflicht, auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhaltes von Bedeutung sein kann, einzugehen. Das Verwaltungsgericht darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen. Nach der höchstgerichtlichen Judikatur verlangt eine schlüssige Beweiswürdigung, dass das Verwaltungsgericht dabei alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat (vgl. VwGH 5.9.2024, Ra 2023/18/0463, mwN).
11 Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das BVwG seine Begründungspflicht verletzt.
12 Die Revision weist zutreffend darauf hin, dass die Einschätzung des BVwG, der Mitbeteiligten drohe wegen ihrer Eheschließung nach muslimischem Ritus und Familiengründung mit einem politisch Verfolgten eine Zwangsrekrutierung und asylrelevante Verfolgung aufgrund zumindest unterstellter politischer Gesinnung, nur mangelhaft begründet wurde.
13 Das BVwG begründete die Glaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens der Mitbeteiligten im Rahmen seiner Beweiswürdigung - abschließend - mit der folgenden Argumentation: „Auf Grund des Umstandes, dass die Beschwerdeführerin nicht länger ein lediges Mädchen, sondern mittlerweile eine nach moslemischem Ritus verheiratete Frau und Mutter ist, wäre in Zusammenschau mit den Länderberichten auf den ersten Blick nicht davon auszugehen gewesen, dass sie in Zukunft zwangsrekrutiert wird. Allerdings wurde ihrem Verlobten und Vater des gemeinsamen Kindes mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.04.2019 ... wegen dessen politischer Verfolgung (Wehrdienstverweigerung in Verbindung mit politischer Gesinnung) der Status des Asylberechtigten zuerkannt. In Folge kann das Bundesverwaltungsgericht nicht mit der nötigen Gewissheit ausschließen, dass die Beschwerdeführerin, als dessen Ehegattin nach moslemischem Ritus, im Fall ihrer Rückkehr in ihren moslemisch geprägten Herkunftsstaat, statt ihm zwangsrekrutiert und seinetwegen bzw. wegen der Suche nach ihm ebenfalls verfolgt wird.“
14 Dies allein lässt aber - wie die Revision richtig hervorhebt - nicht den Schluss zu, dass der Mitbeteiligten asylrelevante Verfolgung in ihrem Heimatland drohe, erfolgt doch weder eine Bezugnahme auf entsprechende Länderberichte, welche die vom BVwG befürchtete Zwangsrekrutierung bzw. Verfolgung der Mitbeteiligten aufgrund der (traditionellen) Eheschließung und Familiengründung mit einem in Österreich (aus politischen Gründen) anerkannten Flüchtling (ein nach dem Akteninhalt ebenfalls syrischer Staatsbürger) darlegen würden, noch lässt sich dergleichen den Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses entnehmen.
15 Das BVwG spezifiziert auch gar nicht, von welchem Machthaber bzw. welchen Machthabern die Bedrohung der Mitbeteiligten in ihrem Herkunftsland konkret ausgehe, sondern leitet die zuvor zitierten beweiswürdigenden Überlegungen lediglich mit einem generellen Überblick über den Militärdienst von Frauen in den kurdischen Einheiten ein. Mit Blick darauf kann auf der Basis der vom BVwG getroffenen Länderfeststellungen nicht angenommen werden, dass kurdische Einheiten statt dem desertierten Ehemann dessen Ehefrau zwangsrekrutieren oder verfolgen würden. Vielmehr wird dort z.B. angeführt, dass manche junge Kurdinnen sich den Frauenverteidigungseinheiten (YPJ) anschließen würden, um einer Heirat zu entgehen.
16 Dazu kommt - wie die Revision weiters zu Recht aufzeigt -, dass das BVwG jegliche in dieser Hinsicht relevanten Feststellungen zum Ehemann, nämlich insbesondere zu dessen Staatsbürgerschaft, den Gründen seiner Wehrdienstverweigerung und gegenüber welchem Machthaber bzw. welchen Machthabern diese Verweigerung zu tragen komme, unterlassen hat.
17 Ausgehend davon ist es nicht nachvollziehbar, auf welche konkreten Feststellungen das BVwG seine rechtliche Würdigung stützte, die Mitbeteiligte habe glaubhaft machen können, dass ihr „wegen ihrer Eheschließung nach moslemischem Ritus und Familiengründung mit einem politisch Verfolgten in ihrem Herkunftsstaat ebenfalls Verfolgung wegen zumindest unterstellter politischer Gesinnung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK“ drohe.
18 Eine schlüssige und nachvollziehbar begründete Beweiswürdigung im Sinne der angeführten Rechtsprechung hätte es erfordert, die - bezogen auf das Vorbringen der Mitbeteiligten - notwendigen Ermittlungen durchzuführen, fallbezogen die erforderlichen Feststellungen zu treffen und diese an den dafür konkret heranzuziehenden Länderfeststellungen zu messen. Dies hat das BVwG im angefochtenen Erkenntnis unterlassen und insbesondere nicht näher dargelegt, auf welche konkreten Umstände und Tatsachen es seine Annahme der Glaubhaftigkeit des - als asylrelevant eingestuften - Fluchtvorbringens der Mitbeteiligten stützte.
19 Aufgrund dieser wesentlichen Begründungsmängel war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Wien, am 3. März 2025
Rückverweise