Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner sowie die Hofräte Dr. Schwarz und Dr. Terlitza als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des R D in W, vertreten durch Dr. Martin Mahrer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Graben 19/5. Stock, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. August 2024, G308 22937701/2E, betreffend Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 und Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Aus den Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses ergibt sich folgender Sachverhalt:
2 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Nordmazedoniens, ehelichte am 3. März 2012 eine österreichische Staatsangehörige und gelangte im Jahr 2013 nach Österreich, wo er seither mit Hauptwohnsitz gemeldet und aufhältig ist. Die Ehe wurde am 17. Juni 2015 geschieden. Der Revisionswerber verfügte von 30. Oktober 2013 bis 30. Oktober 2014 und von 31. Oktober 2014 bis 31. Oktober 2015 über einen Aufenthaltstitel zum Zweck „Familienangehöriger“ und vom 3. August 2015 bis zum 3. August 2016 über einen Aufenthaltstitel „Rot Weiß Rot Karte plus“.
3Ein vom Revisionswerber am 18. Juli 2016 gestellter Verlängerungsantrag wurde mit Bescheid „der zuständigen Behörde“ vom 31. März 2018 abgewiesen sowie die bereits rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 AVG von Amts wegen wieder aufgenommen. Weitere (näher bezeichnete) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels wurden abgewiesen, zumal „die Behörde“ feststellte, dass die am 3. März 2012 geschlossene Ehe mit der näher bezeichneten österreichischen Staatsangehörigen als Aufenthaltsehe zur Erlangung eines Aufenthaltsrechts zu qualifizieren war.
4 Gegen diese Entscheidung erhob der Revisionswerber Beschwerde. Diese wurde „mit Urteil“ des Verwaltungsgerichts Wien vom 20. Juni 2018 als unbegründet abgewiesen und festgestellt, dass die geschlossene Ehe als Aufenthaltsehe zu qualifizieren war.
5 Der Revisionswerber verblieb im Bundesgebiet und stellte am 29. Oktober 2022 „bei der zuständigen Behörde“ einen Antrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt EU“. Am 30. Juli 2023 erhob der Revisionswerber Säumnisbeschwerde an das Verwaltungsgericht Wien. In der Folge zog der Revisionswerber den verfahrenseinleitenden Antrag zurück. Mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Wien vom 5. Oktober 2023 wurde daher das Säumnisbeschwerdeverfahren als gegenstandslos eingestellt.
6Der Revisionswerber brachte mit Schriftsatz vom 4. Dezember 2023 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) einen Antrag gemäß § 55 AsylG 2005 ein und führte dazu zusammenfassend aus, er sei seit mehr als zehn Jahren in Österreich aufhältig und aufrecht gemeldet. Er sei fortlaufend im Bundesgebiet erwerbstätig und habe das Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt. Es erscheine somit eine Ausstellung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gerechtfertigt.
7 Mit Bescheid des BFA vom 16. Mai 2024 wurde dieser verfahrensgegenständlicheAntrag des Revisionswerbers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFAVG gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen (Spruchpunkt II.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Nordmazedonien gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.), gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen festgelegt (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 8 FPG gegen den Revisionswerberein ein befristetes Einreiseverbot in der Dauer von drei Jahren erlassen (Spruchpunkt V.).
8Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde mit der Maßgabe statt, „dass Spruchpunkt V. wie folgt zu lauten hat: ‚Gegen Sie wird gemäß ‚[§§] 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 8 FPG ein auf die Dauer von 18 Monaten befristetes Einreiseverbot erlassen‘“ (Spruchpunkt A)I.)). Im Übrigen wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde als unbegründet ab (Spruchpunkt A)II.)). Die Revision erklärte es gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig (Spruchpunkt B)).
9 Begründend stellte das Verwaltungsgericht u.a. fest, der Revisionswerber sei mit einer nordmazedonischen Staatsangehörigen verheiratet, welche auch in Nordmazedonien wohnhaft sei, er habe keine Kinder und er sei „nicht sorgepflichtig“. Im Herkunftsstaat würden zwei Brüder des Revisionswerbers und seine Schwester leben. Im Bundesgebiet würde ein Bruder, sein Neffe und seine Nichte leben, ansonsten habe der Revisionswerber im Bundesgebiet keinerlei Familienangehörigen und auch ansonsten keine engen sozialen Anknüpfungspunkte. Maßgebliche sonstige Integrationsleistungen, wie etwa eine Berufsausbildung in Österreich, eine Mitgliedschaft in einem Verein oder ein ehrenamtliches bzw. gemeinnütziges Engagement seitens des Revisionswebers sei im gesamten Verfahren weder hervorgekommen noch sei diesbezüglich ein substantiiertes Vorbringen in der Beschwerde erstattet worden.
10 Disloziert stellte das Verwaltungsgericht im Rahmen der rechtlichen Beurteilung außerdem fest, das Privatleben des Revisionswerbers beschränke sich seit seiner Einreise mit kurzen Unterbrechungen auf „nachgegangenen Erwerbstätigkeiten“ und er sei trotz seines über zehnjährigen Aufenthaltes im Bundesgebiet in seiner Einvernahme vor dem BFA am 10. Mai 2024 nicht in der Lage gewesen, einfachste Fragen auf Deutsch zu beantworten.
11 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof (VfGH). Mit Beschluss vom 16. September 2024, E 3282/2024 5, lehnte der VfGH die Behandlung der Beschwerde ab und trat die Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
12 Sodann erhob der Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof.
13 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
14Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
15Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
16 Mit dem Zulässigkeitsvorbringen, es werde „vehement bestritten“, dass die frühere Ehe des Revisionswerbers eine Aufenthaltsehe gewesen sei, wendet sich die Revision offenbar gegen die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts.
17Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH 27.10.2023, Ra 2023/17/0109, mwN).
18 Die Revision zeigt einen derartigen krassen Fehler der Beweiswürdigung schon deswegen nicht auf, weil sie der diesbezüglichen Feststellung im angefochtenen Erkenntnis, wonach durch das Verwaltungsgericht Wien das Bestehen einer Aufenthaltsehe im betreffenden Vorverfahren bereits im Jahr 2018 (rechtskräftig) festgestellt worden sei, nichts Stichhaltiges entgegensetzt.
19Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes führt auch ein mehr als zehnjähriger Inlandsaufenthalt trotz Vorliegen gewisser integrationsbegründender Aspekte dann nicht zwingend zu einem Überwiegen des persönlichen Interesses, wenn dem Umstände entgegenstehen, die das gegen einen Verbleib im Inland sprechende öffentliche Interesse verstärken bzw. die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland relativieren. Dazu zählen aber etwa auch eine zweifache Asylantragstellung oder unrichtige Identitätsangaben, sofern diese für die lange Aufenthaltsdauer kausal waren (vgl. VwGH 10.6.2024, Ra 2021/17/0233, unter Verweis auf [wiederum] VwGH 27.10.2023, Ra 2023/17/0109 [mwN und mwH auf nach der hg. Rechtsprechung allenfalls weiters relevante Umstände]).
20Im Ergebnis bedeutet das, dass auch bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt in Verbindung mit dem Vorliegen gewisser integrationsbegründender Aspekte nicht zwingend von einem Überwiegen der persönlichen Interessen auszugehen ist, wenn dem Umstände entgegenstehen, die das gegen einen Verbleib im Inland sprechende öffentliche Interesse verstärken bzw. die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland relativieren. Es ist daher auch in Fällen eines mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalts eine Gesamtabwägung unter Einbeziehung aller fallbezogen maßgeblichen Aspekte vorzunehmen, wenn auch unter besonderer Gewichtung der langen Aufenthaltsdauer (vgl. VwGH 8.8.2023, Ra 2023/17/0116, mwN).
21Der Revisionswerber begründet den Vorwurf der Rechtswidrigkeit der durch das Verwaltungsgericht angestellten Interessenabwägung insbesondere mit der Dauer seines Aufenthalts von mehr als zehn Jahren. Vor dem Hintergrund, dass gemäß der vorzitierten Rechtsprechung eine Gesamtbetrachtung anzustellen ist, hatte das Verwaltungsgericht fallbezogen eine Reihe weiterer Aspekte in seine Beurteilung einbezogen, wie vor allem das fremdenrechtlich verpönte Eingehen einer Aufenthaltsehe zur missbräuchlichen Erlangung eines Aufenthaltsrechtes in Österreich (vgl. dazu etwa VwGH 18.1.2024, Ra 2022/21/0012) sowie weiters den Umstand, dass der Revisionswerber in Österreich über kein Familienleben verfüge und er mit einer Staatsangehörigen Nordmazedoniens verheiratet sei, die auch dort lebe. Der Revisionswerber habe auf das Wesentliche zusammengefasst kein Privat- und Familienleben in Österreich, sondern er halte sich hier ausschließlich zu Erwerbszwecken auf. Mit Blick darauf legt der Revisionswerber fallbezogen nicht dar, dass diese Interessenabwägung mit einem im Revisionsverfahren aufzugreifenden Mangel belastet wäre.
22 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 12. November 2024
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