Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Novak, den Hofrat Dr. Sutter, die Hofrätinnen Dr. in Lachmayer und Dr. in Wiesinger sowie den Hofrat Dr. Hammerl als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des Finanzamtes für Großbetriebe, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 21. Dezember 2023, Zl. RV/3100687/2014, betreffend Haftungsbescheide gemäß § 100 Abs. 2 EStG 1988 (mitbeteiligte Partei: M GmbH, vertreten durch Mag. Laurenz Strebl, Rechtsanwalt in Wien), zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1 Bei der Mitbeteiligten handelt es sich nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts (BFG) um eine GmbH mit dem Geschäftszweig industrielle Bearbeitung und Vertrieb von Gusserzeugnissen, an die von einer in Deutschland ansässigen GmbH [D] Beratungsleistungen erbracht wurden.
2 Das Finanzamt erließ nach Durchführung einer Außenprüfung gemäß § 147 Abs. 1 BAO Haftungsbescheide gemäß § 100 Abs. 2 EStG 1988, wonach die Mitbeteiligte für die aushaftenden Abgabenschuldigkeiten „Einkommensteuer“ für 2006 bis 2008 der deutschen GmbH als Haftungspflichtige in Anspruch genommen wird.
3 Der gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerde gab das Finanzamt mit Beschwerdevorentscheidung keine Folge, woraufhin die Mitbeteiligte die Vorlage der Beschwerde an das BFG beantragte.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis, in dem eine Revision für nicht zulässig erklärt wurde, gab das BFG der Beschwerde statt und behob die angefochtenen Bescheide. Begründend führte es aus, dass die Mitbeteiligte für eine Haftung für „Einkommensteuer“ herangezogen worden sei. Das deutsche Unternehmen, welches Dienstleistungen an die Mitbeteiligte erbracht habe, sei jedoch eine GmbH, weswegen die Mitbeteiligte gegebenenfalls zu einer Haftung für Körperschaftsteuer herangezogen hätte werden können. Da der Spruch eindeutig sei, könne das BFG die Bescheide auch nicht diesbezüglich abändern. Die angefochtenen Bescheide seien aufzuheben.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision. Zu deren Zulässigkeit bringt das Finanzamt vor, die Identität der Sache sei bei persönlichen Haftungen durch den Tatbestand begrenzt, der für die geltend gemachte Haftung maßgeblich sei. In Haftungsbescheiden sei gemäß § 224 Abs. 1 BAO auf die maßgebende Haftungsvorschrift hinzuweisen. Aus einem solchen Hinweis ergebe sich in Bezug auf den Haftungstatbestand auch die Festlegung der Sache des Verfahrens. Innerhalb dieser Sache hier Haftung nach § 100 Abs. 2 EStG 1988 sei daher das BFG dazu verpflichtet, den Spruch des Bescheides, was die unrichtige Bezeichnung der Abgabe betreffe, zu ändern, weshalb es die Haftungsbescheide nicht aufheben hätte dürfen. Auch sei eine Fehlbezeichnung der festgesetzten Steuer sanierbar, wenn sich aus dem gesamten Bescheid ergebe, dass sich die Abgabenbehörde lediglich bei der Bezeichnung der Abgabe vergriffen habe und der tatsächliche Bescheidwille und seine formelle Erklärung auseinanderklafften.
6 Darüber hinaus habe die Mitbeteiligte im Vorlageantrag die Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Senat beantragt. Das angefochtene Erkenntnis sei hingegen durch einen Einzelrichter ohne Durchführung einer Verhandlung erlassen worden. Der Amtspartei sei keine Mitteilung zugekommen, ob und auf welche Weise der Antrag auf mündliche Verhandlung und der Antrag auf Entscheidung durch einen Senat zurückgezogen worden seien. Eine entsprechende Information der Amtspartei sei nicht erfolgt. Damit habe das BFG gegen das Überraschungsverbot verstoßen und der Amtspartei die Möglichkeit genommen, weiteres Vorbringen zu erstatten. Zudem könne mangels Information über die Art und Weise der Zurückziehung der beantragten Entscheidung durch einen Senat die Abgabenbehörde auch nicht prüfen, ob das Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit behaftet sei.
7 Die Mitbeteiligte erstattete nach Einleitung des Vorverfahrens eine Revisionsbeantwortung, in der sie dem Vorbringen der Amtspartei entgegentrat.
8 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
9 Die Revision ist zulässig und begründet.
10 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Geltendmachung der Haftung für einen bestimmten Abgabenbetrag einer bestimmten Abgabe Spruch des Haftungsbescheides (§ 224 BAO; vgl. VwGH 17.8.2020, Ra 2020/13/0056, mwN). Damit wird die Sache des konkreten Haftungsverfahrens und auch der Rahmen für die Abänderungsbefugnis im Rechtsmittelverfahren festgelegt (vgl. VwGH 26.5.2021, Ra 2020/13/0073, mwN).
11 In Haftungsbescheiden ist gemäß § 224 Abs. 1 BAO auf die maßgebende Haftungsvorschrift hinzuweisen. Aus einem solchen Hinweis ergibt sich in Bezug auf den Haftungstatbestand auch die Festlegung der „Sache“ des Verfahrens. Zur Festlegung der Sache bedarf es allerdings nicht zwingend der Anführung einer Gesetzesstelle; es reicht vielmehr hin, wenn nach dem Gesamtbild der Umstände des Einzelfalles kein Zweifel darüber besteht, welche Haftungsbestimmung zur Anwendung gebracht worden ist. Erschließt sich die konkrete Haftungsnorm bloß auf diese Weise, ist ein solcher Mangel im Rechtsmittelverfahren durch die exakte Benennung der Gesetzesstelle zu sanieren (vgl. VwGH 21.4.2016, 2013/15/0290, mwN).
12 Dass ein Verweis auf die Niederschrift bzw. den Prüfungsbericht im Bescheid zulässig ist, wenn diese den Abgabepflichtigen gesondert zugehen, entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa VwGH 22.2.2024, Ra 2020/13/0009, mwN). (Allfällige) Mängel einer Begründung eines Haftungsbescheides können auch (wirksam) im Rechtsmittelweg saniert werden (vgl. VwGH 21.4.2016, 2013/15/0290, mwN).
13 Im Revisionsfall hat das Finanzamt die Mitbeteiligte bescheidmäßig „als Haftungspflichtiger gemäß § 100 Abs. 2 EStG 1988 für die aushaftenden Abgabenschuldigkeiten der [D] GmbH im Ausmaß von [...] € in Anspruch genommen.“ Daran schloss sich eine tabellarische Übersicht an, in der als Abgabenart „Einkommensteuer“, als „Zeitraum“ das jeweilige Jahr und als „Höhe“ der Abgabenbetrag genannt waren. Als Begründung wurde angeführt: „Die Festsetzung war auf Grund der Feststellung der Betriebsprüfung im Bericht vom 17.01.2011 erforderlich.“
14 In dem verwiesenen Bericht über die Außenprüfung vom 17. Jänner 2011 wird unter Tz 7 „Beratungsleistungen“ ausführlich begründet, warum von der Mitbeteiligten nach Ansicht der Prüferin für die erhaltenen Beratungsleistungen nach § 99 EStG 1988 Steuer im Abzugswege einzubehalten gewesen wäre. Am Ende wird tabellarisch für die Jahre 2006 bis 2008 der „Beratungsaufwand“ und die daraus resultierende „Abzugsteuer“ ausgewiesen, die den vorgeschriebenen Haftungsbeträgen entspricht.
15 Als Haftungsgrundlage wird in den revisionsgegenständlichen Bescheiden ausdrücklich § 100 Abs. 2 EStG 1988 genannt, womit auch die Sache des gegenständlichen Verfahrens definiert wird. Nach § 100 Abs. 2 EStG 1988 haftet der Schuldner der Einkünfte gemäß § 99 Abs. 1 EStG 1988 „für die Einbehaltung und Abfuhr der Steuerabzugsbeträge im Sinne des § 99“. Wie die Amtsrevision zutreffend ausführt, stellt die Abzugsteuer nach § 99 EStG 1988, gleich wie die Lohnsteuer oder die Kapitalertragsteuer, eine besondere Erhebungsform der Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer dar. Welche der beiden Steuern zur Anwendung kommt, bestimmt sich dabei nach der Rechtsform des Primärschuldners (vgl. § 24 Abs. 2 und 3 KStG 1988).
16 Entgegen der Annahme des BFG führt die offensichtliche Fehlbezeichnung „Einkommensteuer“ die D GmbH ist eine Körperschaft iSd KStG 1988 vor diesem Hintergrund daher fallbezogen nicht dazu, dass das BFG im Revisionsfall nur eine Haftung der Mitbeteiligten für „Einkommensteuer“ zu prüfen hatte, ergibt sich doch aus der verwiesenen Begründung des Haftungsbescheides klar, dass dieser die Abzugsteuer der D GmbH betrifft.
17 Im Übrigen zeigt sich - auch aus der Revisionsbeantwortung - nicht, dass im bisherigen Verfahren jemals unklar gewesen wäre, welche steuerauslösenden Sachverhalte und sohin welche Steuer verfahrensgegenständlich waren.
18 Es oblag daher dem BFG innerhalb der Sache des Haftungsbescheides, hier der Haftungsinanspruchnahme nach § 100 Abs. 2 EStG 1988 iVm dem Prüfbericht der Außenprüfung, die unrichtige Bezeichnung der Abgabe zu berichtigen und die Haftungsvoraussetzungen zu prüfen.
19 Da das BFG demgegenüber nur eine Haftung für Einkommensteuer geprüft hat, hat es die Rechtslage verkannt.
20 Darüber hinaus moniert die Amtsrevision zu Recht, dass das BFG das Finanzamt als Verfahrenspartei nicht in angemessener Weise darüber informiert hat, dass die Mitbeteiligte mit gesonderter Eingabe ihre Anträge auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung sowie auf Entscheidung durch den Senat zurückgezogen hat. Diese Anträge lösen nämlich prozessuale Verpflichtungen des BFG aus, die auch für die gegenbeteiligte Partei, hier das Finanzamt, von Bedeutung sind. So könnte das Finanzamt etwa ergänzendes Vorbringen zum Verfahrensgegenstand angesichts eines offenen Verhandlungsantrags ohne entsprechende Information von dessen Zurückziehung unterlassen und diesbezüglich (vergeblich) die Durchführung der mündlichen Verhandlung abwarten, woraus im Einzelfall ein relevanter Verfahrensfehler resultieren könnte. Ob dies im Revisionsfall gegeben war, ist gegenständlich freilich nicht weiter zu prüfen.
21 Das angefochtene Erkenntnis erweist sich nach dem Gesagten nämlich bereits als mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
Wien, am 21. Oktober 2025
Rückverweise