Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Novak, den Hofrat Dr. Sutter, die Hofrätinnen Dr. in Lachmayer und Dr. in Wiesinger sowie den Hofrat Dr. Hammerl als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des Finanzamtes Österreich gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 19. Februar 2024, Zl. RV/1100571/2016, betreffend Haftung für Lohnsteuer 2010 bis 2014 (mitbeteiligte Partei: Dr. A V T, vertreten durch die Dr. Achleitner Steuerberatungsgesellschaft m.b.H. in Hohenems), zu Recht erkannt:
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
1 Der Mitbeteiligte war nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts (BFG) im Streitzeitraum Betreiber einer Kinderarztpraxis mit Kassenvertrag und darin vereinbarten Öffnungszeiten von mindestens 20 Wochenstunden. Bei ihm waren in den Streitjahren zwei Ordinationshilfen in Vollzeit und eine Ordinationshilfe zu 20 Wochenstunden angestellt, an die er jeweils eine „Infektionszulage“ in kollektivvertraglicher Höhe steuerfrei ausbezahlte. Die Angestellten waren wechselweise für die Anmeldung der Patienten, Telefonate, sonstige Verwaltungstätigkeiten sowie ärztliche Assistenzleistung tätig, wobei sie vorwiegend in Kontakt mit den Patienten standen. Sie hatten jeweils alle Aufgaben zu erledigen und kamen mit infektiösem Material in Verbindung.
2 Mit Haftungsbescheiden vom 15. Februar 2016 wurde der Mitbeteiligte als Arbeitgeber für die Einbehaltung und Abfuhr der vom Arbeitslohn zu entrichtenden Lohnsteuer in Anspruch genommen. Begründend führte das Finanzamt aus, die Gefahrenzulage sei zu Unrecht steuerfrei abgerechnet worden, weil die Angestellten keine dementsprechenden Tätigkeiten zu verrichten gehabt hätten.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Finanzamt mit Beschwerdevorentscheidung ab und führte begründend aus, der Mitbeteiligte habe keine Nachweise vorlegen können, dass seine Angestellten überwiegend den für Gefahrenzulagen notwendigen besonderen Arbeitsbedingungen ausgesetzt seien, woraufhin der Mitbeteiligte einen Vorlageantrag stellte.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis, in dem eine Revision für nicht zulässig erklärt wurde, gab das BFG der Beschwerde statt und änderte die angefochtenen Bescheideunter Berücksichtigung der Steuerfreiheit der Gefahrenzulagen gemäß § 68 Abs. 5 EStG 1988 ab. Begründend führte es aus, die Mitarbeiterinnen seien unbestritten mit infektiösem Material wie Blut, Stuhl, Harn usw. in Kontakt gekommen, auch wenn sich aus den vom Mitbeteiligten diesbezüglich vorgelegten Tabellen noch kein Nachweis betreffend eine diesbezüglich überwiegende zeitliche Inanspruchnahme ergebe. Allerdings seien die Mitarbeiterinnen schon alleine wegen der kassenvertraglich festgelegten Öffnungszeiten der Ordination (mindestens 20 Stunden pro Woche verpflichtend, jedoch insgesamt weitaus mehr laut Angaben des Mitbeteiligten und des Beschwerdevorbringens) während mehr als 50 % ihrer tatsächlichen Arbeitszeit in direktem Patientenkontakt gestanden. Die Patientenbetreuung habe sich dabei regelmäßig nicht auf die offiziellen Öffnungszeiten beschränkt, weil die Ordination vor allem auch in den Wintermonaten von früh morgens bis spät abends jedenfalls bis alle Patienten behandelt hätten werden können geöffnet gewesen sei. Hilfstätigkeiten, wie Anmeldungen oder notwendige Verwaltungstätigkeiten, seien bei der Prüfung des zeitlichen Überwiegens nicht zu berücksichtigen. Von einer Vorlage detaillierter Aufzeichnungen betreffend einzelner Arbeiten pro Mitarbeiterin könne daher für den Streitzeitraum abgesehen werden.
5Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die außerordentliche Amtsrevision. Zu deren Zulässigkeit bringt das Finanzamt vor, das BFG habe die Rechtslage verkannt, wenn es Tätigkeiten wie Anmeldungen, Telefonate oder das Erledigen sonstiger notwendiger Verwaltungstätigkeiten bei der Prüfung des zeitlichen Überwiegens ausklammere. Weiters weiche das BFG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, wenn es von der Vorlage detaillierter Aufzeichnungen betreffend einzelner Arbeiten pro Mitarbeiterin abgesehen und somit ohne entsprechende Nachweise die Steuerfreiheit der Infektionszulage anerkannt habe, ohne dass ein entsprechender Nachweis in anderer Weise erbracht worden sei. Zudem habe das BFG jegliche Tätigkeiten mit Patientenkontakt undifferenziert unter jene zu leistenden Arbeiten iSd § 68 Abs. 5 EStG 1988 subsumiert, die zwangsläufig eine Gefährdung von Leben, Gesundheit oder körperlicher Sicherheit mit sich brächten.
6 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
7 Die Revision ist zulässig und begründet.
8§ 68 EStG 1988 lautete in der für das Streitjahr maßgeblichen Fassung auszugsweise:
„§ 68. (1) Schmutz , Erschwernis und Gefahrenzulagen sowie Zuschläge für Sonntags , Feiertags und Nachtarbeit und mit diesen Arbeiten zusammenhängende Überstundenzuschläge sind insgesamt bis 360 Euro monatlich steuerfrei. (...)
(5) Unter Schmutz-, Erschwernis- und Gefahrenzulagen sind jene Teile des Arbeitslohnes zu verstehen, die dem Arbeitnehmer deshalb gewährt werden, weil die von ihm zu leistenden Arbeiten überwiegend unter Umständen erfolgen, die
- in erheblichem Maß zwangsläufig eine Verschmutzung des Arbeitnehmers und seiner Kleidung bewirken,
- im Vergleich zu den allgemein üblichen Arbeitsbedingungen eine außerordentliche Erschwernis darstellen, oder
- infolge der schädlichen Einwirkungen von gesundheitsgefährdenden Stoffen oder Strahlen, von Hitze, Kälte oder Nässe, von Gasen, Dämpfen, Säuren, Laugen, Staub oder Erschütterungen oder infolge einer Sturz- oder anderen Gefahr zwangsläufig eine Gefährdung von Leben, Gesundheit oder körperlicher Sicherheit des Arbeitnehmers mit sich bringen.“
9 Gemäß § 68 Abs. 1 und 5 EStG 1988 sind aufgrund lohngestaltender Vorschriften (etwa kollektivvertraglich) gewährte Schmutz-, Erschwernis- und Gefahrenzulagen (SEG Zulagen) unter bestimmten Voraussetzungen bis zu dem gesetzlich festgelegten Höchstbetrag steuerfrei. Als solche Zulagen sind jene Teile des Arbeitslohnes zu verstehen, die Arbeitnehmenden deshalb gewährt werden, weil die von ihnen zu leistenden Arbeiten überwiegend unter Umständen erfolgen, die im Vergleich zu den allgemein üblichen Arbeitsbedingungen eine außerordentliche Erschwernis darstellen oder infolge der schädlichen Einwirkungen von gesundheitsgefährdenden Stoffen oder Strahlen, von Hitze, Kälte oder Nässe, von Gasen, Dämpfen, Säuren, Laugen, Staub oder Erschütterungen oder infolge einer Sturz oder anderen Gefahr zwangsläufig eine Gefährdung von Leben, Gesundheit oder körperlicher Sicherheit der Arbeitnehmenden mit sich bringen.
10Die Begünstigung des § 68 Abs. 1 EStG 1988 setzt u.a. voraus, dass die Arbeitnehmenden tatsächlich Arbeiten verrichten, die überwiegend unter Umständen erfolgen, welche die eben angeführten Voraussetzungen erfüllen. Die Arbeitnehmenden müssen also während der Arbeitszeit überwiegend mit Arbeiten betraut sein, die eine außerordentliche Erschwernis oder zwangsläufig eine Gefahr darstellen. Dies erfordert nach Rechtsprechung und Lehre, dass der Behörde nachgewiesen wird, um welche Arbeiten es sich im Einzelnen gehandelt hat und wann sie geleistet wurden (vgl. dazu z.B. VwGH 25.5.2004, 2000/15/0052). Von Arbeiten unter außerordentlicher Erschwernis kann dann gesprochen werden, wenn sie sich entweder selbst als außerordentlich schwierig erweisen oder unter außerordentlich schwierigen Bedingungen auszuführen sind (vgl. z.B. VwGH 28.9.2011, 2007/13/0138, mwN).
11 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes reicht es zudem für die Steuerfreiheit der SEGZulagen nicht aus, wenn die in den drei Teilstrichen des § 68 Abs. 5 EStG 1988 genannten Umstände vorliegen, sondern die Arbeitnehmenden müssen vielmehr während der gesamten Arbeitszeit überwiegend (dh. mit mehr als 50% ihrer Arbeitszeit) mit Arbeiten betraut sein, die eine erhebliche Verschmutzung zwangsläufig bewirken (vgl. VwGH 22.11.2018, Ra 2017/15/0025), eine außerordentliche Erschwernis darstellen (vgl. VwGH 22.4.1998, 97/13/0163) oder zwangsläufig eine Gefährdung von Leben, Gesundheit oder körperlicher Sicherheit der Arbeitnehmenden mit sich bringen (vgl. VwGH 20.10.2022, Ra 2021/13/0121; 17.2.1988, 85/13/0177).
12Zur Beurteilung des zeitlichen Überwiegens sind grundsätzlich alle Arbeiten der Arbeitnehmenden zu berücksichtigen, wobei Arbeitspausen sowie mit den qualifizierten Tätigkeiten in unmittelbarem Zusammenhang stehende Hilfstätigkeiten, wie die notwendigen Fahrten zu bzw. zwischen verschiedenen Tätigkeitsorten, die Zuordnung der Tätigkeit insgesamt zu den begünstigten Arbeiten nach § 68 Abs. 5 EStG 1988 nicht hindern (vgl. VwGH 22.4.1998, 97/13/0163, mwN).
13Der Nachweis oder die Glaubhaftmachung eines Sachverhaltes, der unter die Befreiungsbestimmung des § 68 Abs. 1 iVm Abs. 5 EStG 1988 fällt, kann nicht nur durch nachprüfbare Grundaufzeichnungen, sondern auch in anderer Weise erbracht werden (vgl. VwGH 20.9.2006, 2006/14/0028, mwN).
14 Hinsichtlich der Gewährung von Gefahrenzulagen im medizinischen Bereich geht der Verwaltungsgerichtshof grundsätzlich davon aus, dass nicht bereits der Umstand des täglichen Umgangs mit Patienten für sich genommen eine zwangsläufige Gefährdung von Leben, Gesundheit oder körperlicher Sicherheit bedeutet. Ob aus einem überwiegenden Patientenumgang eine anspruchsbegründende Gesundheitsgefährdung resultiert, hängt daher von dem im jeweiligen Einzelfall bestehenden spezifischen Risikoprofil der konkreten Tätigkeit ab, wozu vom BFG in jedem Einzelfall nähere Feststellungen zu treffen sind.
15 So hat der Verwaltungsgerichtshof bereits zu einem Stationsarzt eines orthopädischen Spitals festgehalten, dass sich im damaligen Verfahren keine Anhaltspunkte für eine überwiegende qualifizierte Gesundheitsgefährdung weder im Hinblick auf den täglichen Patientenkontakt noch auf die Keimbelastung in einem orthopädischen Spital ergeben haben (vgl. VwGH 21.10.2015, 2012/13/0084).
16 Der Verwaltungsgerichtshof teilt jedoch die der revisionsgegenständlichen Entscheidung des BFG zu Grunde liegende Auffassung, dass Ordinationshilfen in Arztpraxen von Allgemeinmediziner/inne/n oder Kinderärzt/inn/en, die gerade als Erstanlaufstelle von akut kranken Patienten laufend mit (etwa über die Atemwege leicht übertragbaren) Infektionskrankheiten konfrontiert sind und die beim Patientenkontakt (wie etwa schon bei der Anmeldung) über keine räumliche Abschirmung odgl zu ihrem Schutz verfügen, bei nachweislicher auch zeitlich überwiegender Patientenexposition grundsätzlich eine steuerfreie „Infektionszulage“ erhalten können. Dass im Revisionsfall das erhöhte Risiko der Arbeitnehmenden des Mitbeteiligten durch zumutbare Maßnahmen auf ein nur geringes Restrisiko reduziert werden könnte, wird in der Amtsrevision nicht vorgebracht.
17 Ist eine Ordinationshilfe daher wie im Revisionsfall in einer Kinderarztpraxis einer großen Anzahl von Patientenkontakten auf engem Raum ausgesetzt, ist dem BFG nicht entgegenzutreten, wenn es fallbezogen eine erhöhte Infektionsgefahr der Angestellten angenommen hat.
18 Zwar weist die Amtsrevision zu Recht daraufhin, dass das BFG bei der anzustellenden zeitlichen Überwiegensprüfung von einem falschen Rechtsverständnis ausgegangen ist und nicht alle Tätigkeiten der Angestellten in seine Beurteilung einbezogen hat. So klammerte das BFG im angefochtenen Erkenntnis unter Verweis auf das hg. Erkenntnis vom 22. April 1998, 97/13/0163, Zeiten, in welchen in der Arztpraxis Telefonate geführt oder Verwaltungstätigkeiten erledigt wurden, als Hilfstätigkeiten bei der Zeitprüfung von vornherein aus. Dabei verkannte es, dass der Verwaltungsgerichtshof in der zitierten Entscheidung lediglich ausgesprochen hatte, dass mit den qualifizierten Tätigkeiten in unmittelbarem Zusammenhang stehende Hilfstätigkeiten wie die notwendigen Fahrten zu bzw. zwischen verschiedenen Tätigkeitsorteneiner Zuordnung der Tätigkeit insgesamt zu den begünstigten Arbeiten nach § 68 Abs. 5 EStG 1988 nicht schaden. Hingegen sind nicht in unmittelbarem Zusammenhang damit stehende (Hilfs )Tätigkeiten wie Telefonate und Verwaltungstätigkeiten sehr wohl gesondert in die Beurteilung des Überwiegens miteinzubeziehen.
19 Allerdings hat das BFG festgestellt, dass die betroffenen Angestellten des Mitbeteiligten auch unter Einbeziehung dieser Arbeiten aufgrund der kassenvertraglich vereinbarten Mindestöffnungszeiten der Arztpraxis von 20 Wochenstunden und unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Ordination darüber hinaus so lange offen gehalten wurde, bis alle wartenden Personen behandelt worden seien, „bereits während mehr als 50% ihrer täglichen Arbeitszeit im direkten Patientenkontakt“ gestanden seien. Würden „zudem noch jene Zeiten herausgerechnet, die für Telefonate oder sonstige Hilfs- und Verwaltungstätigkeiten aufgewendet“ würden, so seien die für die Inanspruchnahme der Infektionszulage relevanten Zeiten „weit mehr als 50%“.
20 Dem ist das Finanzamt nicht substantiiert entgegen getreten. Damit waren die gerügten Feststellungsmängel hinsichtlich der Verwaltungstätigkeiten aber nicht mehr entscheidungswesentlich. Im Übrigen würden die Verwaltungstätigkeiten im Revisionsfall nur dann zu nicht zulagefähigen Zeitanteilen führen, wenn sie ihrerseits ohne Patientenkontakt, also beispielsweise in einem separaten Raum ohne erhöhte Infektionsgefahr oder außerhalb der Öffnungszeiten der Arztpraxis durchgeführt worden wären.
21 Der Angemessenheit der kollektivvertraglich gewährten Infektionszulagen ist das Finanzamt in der Amtsrevision nicht substantiiert entgegen getreten.
22Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Wien, am 26. November 2025
Rückverweise