Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofräte Dr. Chvosta und Mag. Schartner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Wagner, über die Revision des E D, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Oktober 2023, W288 2273029 7/5E, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Mit Mandatsbescheid vom 23. Mai 2023 verhängte das BFA gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG über den Revisionswerber die Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung.
2 Die gegen diesen Schubhaftbescheid und die darauf gegründete Anhaltung in Schubhaft erhobene Beschwerde vom 5. Juni 2023 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 9. Juni 2023 als unbegründet ab. Zwei weitere, am 23. Juni 2023 und 26. Juli 2023 erhobene Schubhaftbeschwerden des Revisionswerbers wies es mit Erkenntnissen vom 27. Juni 2023 bzw. 2. August 2023 ebenfalls als unbegründet ab. Das BVwG stellte in den Entscheidungen zudem jeweils gemäß § 22a Abs. 3 BFA VG iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Entscheidung weiterhin vorlägen.
3 Mit Erkenntnis vom 21. September 2023 stellte des BVwG im Rahmen der gemäß § 22a Abs. 4 BFA VG von Amts wegen vorzunehmenden Überprüfung der Verhältnismäßigkeit der Schubhaft fest, dass zum Zeitpunkt dieser Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen, und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig sei.
4 Am 11. Oktober 2023 um 14:40 Uhr wurde der Revisionswerber aus der Schubhaft entlassen. Noch am selben Tag brachte der im Kopf des vorliegenden Erkenntnisses genannte Rechtsanwalt im Elektronischen Rechtsverkehr (ERV) eine von ihm verfasste Beschwerde gegen die Anhaltung des Revisionswerbers in Schubhaft ab dem 21. September 2023 beim BVwG ein. Er trat in der Beschwerde als Vertreter des Revisionswerbers auf und berief sich darauf, dass die „Vollmacht erteilt“ worden sei.
5 Nachdem das BVwG Zweifel am Inhalt, Umfang und insbesondere Bestand der Vertretungsbefugnis des Rechtsanwaltes zur Erhebung der Beschwerde vom 11. Oktober 2023 hatte, forderte es ihn mit Mängelbehebungsauftrag vom 13. Oktober 2023 auf, „die vom Beschwerdeführer unterfertigte Vertretungsvollmacht bis längstens Dienstag 17.10.2023, 14:00 Uhr, hg. einlangend, vorzulegen.“
6 Mit hierauf im ERV eingebrachten Schriftsatz vom 16. Oktober 2023 gab der Rechtsanwalt bekannt, dass er am 11. Oktober 2023 durch einen Mitarbeiter der Bundesagentur für Betreuungs und Unterstützungsleistungen (BBU) auftrags des Revisionswerbers kontaktiert und um Intervention ersucht worden sei. Im Rahmen einer mündlichen Verhandlung könne das BVwG den Revisionswerber zum Umfang der Vollmacht persönlich befragen. Gemeinsam mit dem Schriftsatz legte er in Form einer PDF Datei eine mit 14. Juni 2023 datierte, auf den Namen des Revisionswerbers lautende Vollmachtsurkunde vor, laut welcher dem Rechtsanwalt bis auf Widerruf eine umfangreiche Vertretungsvollmacht erteilt wurde und auf welcher sich auch die Unterschrift des Revisionswerbers befand.
7 Mit dem angefochtenen Beschluss vom 27. Oktober 2023 wies das BVwG ohne Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung die Beschwerde vom 11. Oktober 2023 „gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG iVm § 17 VwGVG und §§ 10 Abs. 4, 13 Abs. 3 AVG mangels Parteistellung des einschreitenden Rechtsanwaltes“ zurück. Unter einem sprach es gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei. Der Beschluss wurde, entsprechend der Zustellverfügung des BVwG, sowohl dem einschreitenden Rechtsanwalt als auch dem Revisionswerber persönlich zugestellt.
8 In der rechtlichen Begründung des Beschlusses führte das BVwG aus, dass es aufgrund des Bestehens von Zweifeln an der Bevollmächtigung des einschreitenden Rechtsanwalts unter sinngemäßer Anwendung des in § 10 Abs. 2 AVG vorgezeichneten Verfahrens für den Fall einer mängelbehafteten Vollmacht gemäß § 10 Abs. 4 AVG den einschreitenden Rechtsanwalt mit Mängelbehebungsauftrag vom 13. Oktober 2023 zur Vorlage der schriftlichen Vollmachtsurkunde aufgefordert habe. Die vom einschreitenden Rechtsanwalt am 17. Oktober 2023 im Wege des ERV vorgelegte Vollmachtsurkunde sei ausschließlich in digitaler Form als PDF Beilage übermittelt worden. Nach den getroffenen Feststellungen trage diese (digitale) Urkunde nicht die handschriftliche Unterschrift des Revisionswerbers, sondern sei dessen Unterschrift mittels grafischer Verfahren lediglich in das dem Gericht übermittelte Dokument hineinkopiert worden. Diese vom einschreitenden Rechtsanwalt vorgelegte falsifizierte Vollmachtsurkunde von wem diese auch immer hergestellt worden sein möge entspreche bereits aus diesem Grund nicht dem Schriftlichkeitserfordernis des § 1005 iVm § 886 ABGB, woraus folge, dass diese Urkunde nicht als Nachweis seiner rechtswirksamen Bevollmächtigung dienen könne. Auch sei seitens des einschreitenden Rechtsanwalts zu keinem Zeitpunkt eine Vorlage des Originals der Vollmacht an das erkennende Gericht erfolgt, wodurch allenfalls bestehende Zweifel unter Umständen hätten beseitigt werden können. Dies obwohl der erleichterte Nachweis der Vollmacht iSd § 10 Abs. 1 letzter Satz AVG den berufsmäßigen Parteienvertreter standesrechtlich zu besonderer Sorgfalt zwinge. Dem einschreitenden Rechtsanwalt sei es daher entgegen § 10 Abs. 1, 2 und 4 AVG iVm § 13 Abs. 3 AVG trotz Ergehens eines Mängelbehebungsauftrages nicht gelungen, das Bestehen einer den Kriterien der § 10 Abs. 1 AVG iVm §§ 1005, 886 ABGB entsprechenden Vollmachtsurkunde nachzuweisen. In sinngemäßer Anwendung von § 13 Abs. 3 AVG iVm § 17 VwGVG sei daher die am 11. Oktober 2023 eingebrachte Beschwerde des einschreitenden Rechtsanwalts aufgrund der erfolglosen Mängelbehebung gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG mit Beschluss zurückzuweisen.
9 Das Absehen von einer mündlichen Verhandlung stützte das BVwG auf § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG und führte dazu aus, dass sich bereits aufgrund der Aktenlage ergeben habe, dass die Beschwerde zurückzuweisen sei, weshalb die Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe entfallen können.
10 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die gegenständliche außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung des Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Dreiersenat erwogen hat:
11 Die Revision erweist sich entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG aus folgenden in der Revision aufgezeigten Gründen als zulässig und auch als berechtigt.
12 § 10 Abs. 1 letzter Satz AVG eröffnet einer zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugten Person die Möglichkeit, sich anstelle des urkundlichen Nachweises lediglich auf die erteilte Vollmacht zu berufen. Das bedeutet nicht, dass die Berufung auf die erteilte Vollmacht nach § 10 Abs. 1 AVG das Vorliegen einer auch im Innenverhältnis wirksam zustande gekommenen Vollmacht ersetzen kann; es entfällt lediglich die Pflicht des urkundlichen Nachweises eines zustande gekommenen Bevollmächtigungsverhältnisses. Treten Zweifel über den Inhalt und Umfang sowie über den Bestand einer Vertretungsbefugnis auf, so ist die Behörde (bzw. das Verwaltungsgericht) nach § 10 Abs. 2 AVG (in Verbindung mit § 17 VwGVG) befugt, sich Klarheit darüber zu verschaffen und die Vollmacht nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes zu beurteilen. Bestehen konkrete Zweifel, ob der betreffende Parteienvertreter tatsächlich bevollmächtigt war, so hat die Behörde von Amts wegen entsprechende Ermittlungen vorzunehmen; nichts anderes gilt für das Verwaltungsgericht (vgl. VwGH 7.8.2023, Ra 2023/03/0144, Rn. 11, mwN).
13 Der Verpflichtung, sich über den Bestand der Vollmacht Klarheit zu verschaffen, hat das BVwG im vorliegenden Fall nur mangelhaft entsprochen. Wenn das BVwG nach der Vorlage der Vollmachtsurkunde in elektronischer Form an deren Echtheit zweifelt, wäre es schon vor dem Hintergrund der amtswegigen Ermittlungspflicht gehalten gewesen, weitere naheliegende Ermittlungsschritte zu setzen, wie etwa dem Rechtsanwalt die Vorlage der Originalurkunde aufzutragen. Dies umso mehr, wenn es wie vorliegend selbst davon ausgeht, dass dadurch „allenfalls bestehende Zweifel unter Umständen hätten beseitigt werden können“. Anstatt die Vorlage der Originalurkunde aufzutragen dies hätte im Übrigen auch die Gelegenheit geboten, den Rechtsanwalt mit dem Verdacht, dass die Unterschrift des Revisionswerbers mittels grafischer Verfahren in die Vollmachtsurkunde hineinkopiert worden sei, zu konfrontieren und ihm diesbezüglich eine Äußerungsmöglichkeit einzuräumen , beurteilte das BVwG jedoch die lediglich in Form einer PDF Datei vorgelegte Vollmachtsurkunde und schloss aus dieser, dass sie „falsifiziert“ wäre.
14 Dass nicht bereits aufgrund des Mängelbehebungsauftrages vom 13. Oktober 2023 das Original der Vollmacht vorgelegt wurde, kann dem Rechtsanwalt schon deshalb nicht zum Vorwurf gemacht werden, da Rechtsanwälte nach den Vorgaben der Verordnung über den elektronischen Verkehr zwischen Bundesverwaltungsgericht und Beteiligten (BVwG EVV) grundsätzlich verpflichtet sind, Schriftsätze und Beilagen im elektronischen Rechtsverkehr einzubringen.
15 Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass das BVwG mit der gewählten Vorgangsweise das Parteiengehör und auch das damit in Zusammenhang stehende Überraschungsverbot verletzte, indem es im angefochtenen Beschluss die Zurückweisung der Beschwerde auf die als entscheidungswesentlich beurteilte Tatsachenannahme stützte, dass die vom Rechtsanwalt vorgelegte Vollmachtsurkunde falsifiziert sei, ohne diese Annahme sowie die ihr zugrundeliegenden Ermittlungsergebnisse dem Revisionswerber vorweg zur Kenntnis zu bringen und ihm Gelegenheit zu geben, dazu Stellung zu nehmen (vgl. zum „Überraschungsverbot“ näher etwa VwGH 24.8.2023, Ra 2021/22/0012, Rn. 15, mwN). Hätte das BVwG diese Umstände dem Rechtsanwalt vor Fällung des angefochtenen Beschlusses zur Kenntnis gebracht und die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt, kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieser allenfalls was die Revision geltend macht die vom BVwG hervorgehobenen Zweifel an der Vollmacht entsprechend hätte aufklären können.
16 Ausgehend davon hätte das BVwG auch nicht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung absehen dürfen, sondern es wäre in deren Rahmen zu prüfen gewesen, ob der Revisionswerber entsprechend dem Vorbringen in der Beschwerde bzw. der Äußerung zum Mängelbehebungsauftrag dem einschreitenden Rechtsanwalt zur Erhebung der Beschwerde eine Vollmacht erteilt hatte. Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG kann zwar die Verhandlung unter anderem dann entfallen, wenn die Beschwerde zurückzuweisen ist. Dabei übersieht das BVwG jedoch, dass trotz Erfüllung des genannten Tatbestandes die Durchführung einer Verhandlung in Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens des Verwaltungsgerichts geboten sein kann, etwa wenn für die Zulässigkeit oder Rechtzeitigkeit der Beschwerde relevante Sachverhaltsfragen durch die strittige Auslegung von Urkunden und die beantragte Einvernahme von Personen zu klären sind (vgl. VwGH 27.4.2023, Ra 2023/21/0049, Rn. 14, mwN).
17 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
18 Von der in der Revision beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte in diesem Fall gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und 5 VwGG abgesehen werden.
19 Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 17. September 2025
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