Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel sowie den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Karger, LL.M., in der Rechtssache der Revision des I A H, vertreten durch Mag. Carolin Seifriedsberger, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Walfischgasse 3/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. April 2023, W232 2264986 1/5E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Somalia, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 14. August 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl richtete am 7. Oktober 2022 ein auf Art. 18 Abs. 1 lit. b der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (im Folgenden: Dublin III VO) gestütztes Wiederaufnahmegesuch an Litauen. Mangels fristgerechter Antwort seitens der litauischen Behörden teilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen mit Schreiben vom 24. Oktober 2022 mit, dass davon ausgegangen werde, Litauen sei zur Durchführung des Verfahrens zuständig.
3 Mit Bescheid vom 19. Dezember 2022 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurück, stellte die Zuständigkeit Litauens gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b der Dublin III VO fest, ordnete die Außerlandesbringung des Revisionswerbers gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 an und stellte die Zulässigkeit der Abschiebung nach Litauen fest.
4 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht ohne Durchführung einer Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 Der Revisionswerber wendet sich in der Begründung zur Zulässigkeit der Revision gegen die Annahme des Bundesverwaltungsgerichtes, Litauen sei nach der Dublin III VO zur Prüfung des Antrages des Revisionswerbers auf internationalen Schutz zuständig. Er habe dort weder einen Asylantrag gestellt, noch habe es einen EURODAC Treffer gegeben. Abgesehen davon wäre die Zuständigkeit Litauens gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin III VO infolge des Ablaufs der darin festgelegten zwölfmonatigen Frist ohnehin bereits erloschen. Das Bundesverwaltungsgericht habe auch keine Ermittlungen zur Inhaftierung des Revisionswerbers in Litauen und den dort erlittenen Misshandlungen sowie zur dortigen Unterbringungssituation getätigt. Das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht von einem geklärten Sachverhalt ausgegangen und hätte eine mündliche Verhandlung durchführen müssen.
9 Bei der Bejahung der Zuständigkeit Litauens zur Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz hat das Bundesverwaltungsgericht seinen Erwägungen zu Grunde gelegt, dass der Revisionswerber illegal in Litauen eingereist war und dort einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte.
10 Die in diesem Zusammenhang erhobene Rüge in der Revision, die Feststellung der Einbringung eines Asylantrages des Revisionswerbers in Litauen sei aktenwidrig, verfängt nicht, weil eine solche nur vorläge, wenn der Akteninhalt unrichtig wiedergegeben worden wäre bzw. wenn sich das Verwaltungsgericht bei der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts mit dem Akteninhalt hinsichtlich der dort festgehaltenen Tatsachen in Widerspruch gesetzt hätte, nicht aber, wenn Feststellungen getroffen werden, die auf Grund der Beweiswürdigung oder einer anders lautenden rechtlichen Beurteilung mit den Behauptungen einer Partei nicht übereinstimmen (vgl. VwGH 29.11.2022, Ra 2022/20/0340 bis 0341, mwN). Derartiges wird von der Revision, die sich mit ihren diesbezüglichen Ausführungen der Sache nach gegen die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes wendet, nicht dargelegt.
11 Dass die Schlussfolgerungen des Verwaltungsgerichtes, weshalb es von einer Asylantragstellung des Revisionswerbers in Litauen ausgegangen ist, unvertretbar wären, behauptet der Revisionswerber nicht.
12 Unter Zugrundelegung dieser Feststellungen erweist sich daher auch die Annahme des Bundesverwaltungsgerichtes, die Zuständigkeit Litauens sei gegeben, als nicht zu beanstanden.
13 Soweit sich der Revisionswerber darauf beruft, die Zuständigkeit Litauens sei jedenfalls aufgrund seines zwölfmonatigen Aufenthaltes in Litauen gemäß Art. 13 Abs. 1 zweiter Satz Dublin III VO abgelaufen, ist darauf zu verweisen, dass nach Art. 7 Abs. 2 Dublin III VO bei der Prüfung der Zuständigkeitskriterien jener Sachverhalt beachtlich ist, der zum Zeitpunkt der Stellung des ersten Antrages auf internationalen Schutz vorgelegen ist.
14 Ausgehend von den Feststellungen zur illegalen Einreise des Revisionswerbers in Litauen und der dortigen Einbringung eines Antrages auf internationalen Schutz ist die Zuständigkeit Litauens daher im vorliegenden Fall nicht erloschen (vgl. zur Anwendung des Zuständigkeitskriteriums des Art. 13 Abs. 1 Dublin III VO auch unter dem Aspekt des „Erlöschenstatbestandes“ im zweiten Satz des Abs. 1, ausführlich VwGH 5.4.2018, Ra 2017/19/0169, mwN).
15 Weiters richtet sich der Revisionswerber in seinem Zulässigkeitsvorbringen unter mehreren Aspekten gegen die Annahme des Bundesverwaltungsgerichtes, wonach nicht damit zu rechnen sei, dass er in Litauen eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung zu gewärtigen hätte.
16 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes haben die Asylbehörden bei Entscheidungen nach § 5 AsylG 2005 auch die Bestimmungen der EMRK und der GRC, insbesondere Art. 3 EMRK und Art. 4 GRC, zu berücksichtigen und bei einer drohenden Verletzung derselben das im „Dublin System“ vorgesehene Selbsteintrittsrecht auszuüben. Weiters wurde in der Judikatur festgehalten, dass die Sicherheitsvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 widerlegbar ist. Dabei ist die Frage, ob ein Staat als „sicher“ angesehen werden kann, vorrangig eine Tatsachenfrage, die nicht vom Verwaltungsgerichtshof zu lösen ist. Die Beurteilung, ob die festgestellten Mängel im Zielstaat die Sicherheitsvermutung widerlegen und einer Überstellung des Asylwerbers unter Bedachtnahme auf die EMRK und die GRC entgegenstehen, ist hingegen eine unter den Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG revisible Rechtsfrage (vgl. etwa VwGH 6.5.2022, Ra 2022/20/0075, mwN).
17 Nach § 5 Abs. 3 AsylG 2005 ist davon auszugehen, dass ein Asylwerber in einem Staat, der auf Grund der Dublin III Verordnung zur Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist, Schutz vor Verfolgung findet, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen.
18 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung wiederholt darauf verwiesen, dass die Sicherheitsvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 nur durch eine schwerwiegende, etwa die hohe Schwelle des Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRC übersteigende allgemeine Änderung der Rechts und Sachlage im zuständigen Mitgliedstaat widerlegt werden kann (vgl. erneut VwGH 6.5.2022, Ra 2022/20/0075, mwN).
19 Im vorliegenden Fall hat das Bundesverwaltungsgericht auf der Grundlage von aktuellen Länderberichten mit näherer Begründung ausgeführt, dass aufgrund der Rechtslage und der Vollzugspraxis in Litauen systematische Verletzungen der EMRK nicht erkannt werden könnten. Dabei hat es auch die „notorischen Vorkommnisse im Sommer 2021“ (Situation an der Grenze zu Belarus) nicht unerwähnt gelassen und bezugnehmend darauf festgehalten, dass sich die Situation für Asylwerber wieder wie früher darstelle und es keine Hinweise auf grobe Mängel im litauischen Asylsystem gebe. Zu den behaupteten Misshandlungen des Revisionswerbers führte es aus, dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass ihm derartiges mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit erneut drohen könnte.
20 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 11.5.2023, Ra 2023/20/0168, mwN). Der zur Rechtskontrolle berufene Verwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 26.1.2023, Ra 2022/20/0410, mwN).
21 Die Revision begegnet in ihrem Zulässigkeitsvorbringen den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes in erster Linie damit, ihre eigene Beurteilung in mehreren Aspekten an die Stelle jener des Verwaltungsgerichtes zu setzen. Im Gesamten zeigt sie damit nicht auf, dass die beweiswürdigenden Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichtes mit einem vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangel behaftet wären.
22 Der Verwaltungsgerichtshof hat was in der Revision in diesem Zusammenhang ausgeblendet wird und was dem Vorbringen entgegenzuhalten ist in seiner Rechtsprechung bereits festgehalten, dass negative Erlebnisse einer asylwerbenden Partei in einem anderen Mitgliedstaat zwar eines von vielen Indizien für die Behandlung von Asylwerbern in diesem Staat sein können, sie aber keinen (alleinigen) Rückschluss darauf zulassen, dass einer asylwerbenden Partei bei Rücküberstellung in diesen Staat Gleiches widerfahren werde. Entscheidend ist vielmehr eine prognostische Beurteilung der Verhältnisse im Aufnahmestaat, die auf der Grundlage einer Gesamtbeurteilung der vorliegenden aktuellen Berichtslage unter Bedachtnahme auf die individuelle Lage des betroffenen Asylwerbers zu erfolgen hat (vgl. VwGH 20.2.2018, Ra 2018/20/0020, mwN).
23 Wenn die Revision in diesem Zusammenhang Verfahrensmängel wie hier Ermittlungs- und Begründungsmängel als Zulassungsgründe ins Treffen führt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass auf das Wesentliche zusammengefasst jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise darzulegen (vgl. VwGH 28.3.2023, Ra 2022/20/0305, mwN).
24 Diesen Erfordernissen wird die vorliegende Revision nicht gerecht. Denn es wird nicht hinreichend konkret dargelegt, welcher Sachverhalt bei Vermeidung der behaupteten Fehler hätte festgestellt werden können und inwiefern in rechtlicher Hinsicht für die revisionswerbenden Parteien ein günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können. Die Zulässigkeitsbegründung der Revision enthält auch keine Darlegung, weshalb das Verwaltungsgericht von der Notwendigkeit weiterer von Amts wegen vorzunehmender Erhebungen hätte ausgehen müssen.
25 Mit dem sich ausschließlich auf die Vorgaben des § 21 Abs. 7 BFA VG beziehenden Revisionsvorbringen gelingt es dem Revisionswerber nicht aufzuzeigen, dass eine Verletzung der in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien zur Verhandlungspflicht im Fall von Beschwerden gegen im Zulassungsverfahren getroffene zurückweisende Entscheidungen nach der Sonderbestimmung des § 21 Abs. 6a BFA VG, wonach das Bundesverwaltungsgericht unter anderem über Beschwerden gegen zurückweisende Entscheidungen im Zulassungsverfahren ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung entscheiden kann, vorgelegen wäre (vgl. VwGH 17.11.2022, Ra 2022/14/0305, mwN; grundlegend VwGH 30.6.2016, Ra 2016/19/0072).
26 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 21. Juni 2023
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