Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Salama, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Jänner 2023, W198 2260213 1/11E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 (mitbeteiligte Partei: A A), zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
1 Der Mitbeteiligte, ein syrischer Staatsangehöriger, stellte am 16. November 2021 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er mit dem Krieg in Syrien und überdies damit begründete, von der syrischen und von der kurdischen Armee einberufen worden zu sein, aber nicht kämpfen zu wollen.
2 Diesen Antrag wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheid vom 23. August 2022 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erkannte dem Mitbeteiligten jedoch gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt III.).
3 Der gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheids erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis statt, erkannte dem Mitbeteiligten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 den Status des Asylberechtigten zu und stellte gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 fest, dass ihm damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Ferner sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
4 In seiner Begründung stellte das BVwG fest, dass der Herkunftsort des Mitbeteiligten unter kurdischer Kontrolle stehe. Der wehrpflichtige Mitbeteiligte sei vom Wehrdienst nicht befreit, habe ihn auch nicht abgeleistet und lehne es ab, im Bürgerkrieg zu kämpfen. Bei einer Rückkehr nach Syrien drohe ihm die reale Gefahr einer Zwangsrekrutierung durch die kurdischen Streitkräfte zum Militärdienst, den der Mitbeteiligte verweigern würde. Seine Furcht vor einer solchen Rekrutierung stehe im Einklang mit den Länderinformationen, zumal Zwangsrekrutierungen in Syrien durch kurdische Kräfte dokumentiert seien und grundsätzlich von jeder Familie ein „Freiwilliger“ für die kurdischen Streitkräfte beansprucht werde. Wehrdienstverweigerung im Nordosten Syriens könne „laut UNHCR“ auch schwerwiegende Konsequenzen, wie Entführung, Inhaftierung oder Misshandlung, nach sich ziehen, weil die Verweigerung des Kampfes als Ausdruck der Unterstützung des Islamischen Staates oder der Gegnerschaft zur kurdischen Partei PYD oder zur kurdischen Miliz YPG interpretiert werden könne. Rechtlich ging das BVwG davon aus, dass dem Mitbeteiligten im Falle der Rückkehr nach Syrien eine „Verfolgung aufgrund oppositioneller politischer Gesinnung“ drohe.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattete, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
6 Zu ihrer Zulässigkeit bringt die Revision die Unschlüssigkeit der Beweiswürdigung des BVwG und ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Begründungspflicht vor. Bei seiner Feststellung, dass die Verweigerung des Militärdienstes als Ausdruck der Unterstützung des Islamischen Staates oder der Opposition zur PYD oder YPG gewertet werden und deshalb gravierende Sanktionen nach sich ziehen könne, habe das BVwG unter anderem nicht näher zitierte Informationen von UNHCR herangezogen. Es habe sich jedoch nicht mit der dazu inhaltlich entgegenstehenden und in den Länderfeststellungen wiedergegebenen Aussage auseinandergesetzt, dass die Autonomiebehörden eine Verweigerung des Militärdienstes nicht als Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung sehen dürften.
7 Die Revision erweist sich aus diesem Grund als zulässig; sie ist auch berechtigt.
8 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw. der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung im Allgemeinen keine asylrechtlich relevante Verfolgung dar, sondern könnte nur bei Vorliegen eines Konventionsgrundes Asyl rechtfertigen. Wie der Verwaltungsgerichtshof zur möglichen Asylrelevanz von Wehrdienstverweigerung näher ausgeführt hat, kann auch der Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen wie etwa der Anwendung von Folter jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen kann auch eine „bloße“ Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein. Fehlt ein kausaler Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen, kommt die Asylgewährung nicht in Betracht (vgl. zu alldem zuletzt VwGH 31.10.2023, Ro 2023/19/0002, mwN).
9 Der Verwaltungsgerichtshof judiziert zu § 29 VwGVG, dass die Begründung der Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte jenen Anforderungen zu entsprechen hat, die in der Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Dies erfordert in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidung tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung selbst ergeben (vgl. VwGH 29.8.2023, Ra 2021/19/0229, mwN).
10 Den Anforderungen an die Begründungspflicht wird das angefochtene Erkenntnis nicht gerecht. Im vorliegenden Fall ging das BVwG offenkundig davon aus, dass dem Mitbeteiligten bei einer Rückkehr nach Syrien die Rekrutierung durch kurdische Streitkräfte und im Weigerungsfall die Verfolgung aus Gründen einer oppositionellen politischen Gesinnung drohe, die ihm aufgrund seiner ablehnenden Haltung, im Bürgerkrieg zu kämpfen, unterstellt werde. Bei der in dieser Hinsicht maßgeblichen Feststellung des BVwG, dass die Verweigerung des Kampfes als Ausdruck der Gegnerschaft zur PYD oder zur YPG interpretiert werden könne, stützte sich das BVwG auf nicht näher zitierte Aussagen von UNHCR. Abgesehen davon, dass die nachprüfende Kontrolle von Schlussfolgerungen auf ihre Richtigkeit die nachvollziehbare Bezeichnung der herangezogenen Beweismittel voraussetzt, hätte das BVwG auch auf die von ihm selbst den Feststellungen zugrunde gelegten Länderinformationen der Staatendokumentation in der Version 8 vom 29. Dezember 2022 Bedacht zu nehmen gehabt, in denen die Aussage getroffen wird, es
„dürften die Autonomiebehörden eine Verweigerung nicht als Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung sehen.“
11 Diese Information stimmt mit der vom BVwG wiedergegebenen Aussage von UNHCR inhaltlich nicht überein, weshalb es angesichts der Entscheidungsrelevanz dieses Aspekts jedenfalls einer eingehenden beweiswürdigenden Auseinandersetzung bedurft hätte, um nachvollziehbar zu machen, aus welchen Gründen das BVwG in Anbetracht der erwähnten Berichtslage annahm, dass dem Mitbeteiligten bei einer Weigerung, sich den kurdischen Kräften anzuschließen, eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und deshalb schwerwiegende Sanktionen drohen. Da dies vom BVwG unterlassen wurde, erweist sich seine Beweiswürdigung als unschlüssig, woran auch die in der Revisionsbeantwortung ins Treffen geführte Rechtsprechung zur „Indizwirkung“ von Richtlinien des UNHCR nichts zu ändern vermag (vgl. zu dieser Judikatur etwa VwGH 24.8.2022, Ra 2022/19/0018, mwN).
12 Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das BVwG bei Vermeidung des aufgezeigten Verfahrensmangels zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war das angefochtene Erkenntnis schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Wien, am 19. Dezember 2023
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