Rückverweise
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Amesberger, über die Revision des M A, vertreten durch Dr. Stefan Wurst, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Mahlerstraße 5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. März 2023, W158 2261902 1/12E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Der Revisionswerber, ein syrischer Staatsangehöriger, beantragte am 8. September 2021 internationalen Schutz in Österreich. Seine Flucht begründete er in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) damit, dass er aufgrund des Krieges gemeinsam mit seiner Familie Syrien verlassen habe. Damals habe es viele Bombardierungen auf seine Herkunftsregion durch das Assad-Regime gegeben, weshalb er mit seiner Familie geflohen sei. Im Falle einer Rückkehr habe er Angst, zum Militärdienst eingezogen zu werden.
2 Mit Bescheid vom 14. Oktober 2022 wies das BFA den Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab. Gleichzeitig gewährte es dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung.
3 Gegen die Abweisung des Asylbegehrens erhob der Revisionswerber Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) und brachte vor, er befürchte, bei Rückkehr in den Heimatstaat von der syrischen Armee eingezogen zu werden. Er könne nur über die von der Regierung kontrollierten Flughäfen einreisen. Dabei würde er zwangsweise zum Reservedienst eingezogen oder unter unmenschlichen Bedingungen bestraft werden. Aufgrund seiner Wehrdienstverweigerung würde ihm auch durch das syrische Regime eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werden. Eine Rückkehr in seine Herkunftsregion sei nur nach eingehender Kontrolle durch das syrische Regime möglich.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG die Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.
5 Begründend führte das BVwG aus, die Heimatstadt des Revisionswerbers sei nicht unter Kontrolle des syrischen Regimes. Es sei dem syrischen Regime nicht möglich, den Revisionswerber in seiner Herkunftsregion zu rekrutieren oder festzunehmen. Auch drohe ihm keine (Zwangs-)Rekrutierung durch oppositionelle Gruppierungen oder eine asylrelevante Verfolgung aus anderen Gründen. Lediglich für bestimmte „Sicherheitsdistrikte“ im Zentrum würden die Länderinformationen auf eine Rekrutierungsmöglichkeit hinweisen. Im Übrigen habe der Revisionswerber selbst angegeben, dass die syrische Regierung in seinem Herkunftsort „keine Kontrolle“ habe. Soweit der Revisionswerber vorgebracht habe, dass er nicht ohne Kontrolle durch das syrische Regime in seinen Herkunftsort zurückkehren könne, sei festzuhalten, dass es auf die Sicherheitslage, die Rückkehrsituation und Erreichbarkeit der Herkunftsregion für die Klärung des Sachverhalts im Hinblick auf den Asylstatus nicht ankomme (mit Verweis auf VwGH 3.1.2023, Ra 2022/01/0328; 27.5.2015, Ra 2015/18/0041).
6 Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zur Zulässigkeit und in der Sache zusammengefasst geltend macht, das BVwG weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, indem es vermeint, das Vorbringen des Revisionswerbers sei in seiner Gesamtheit nicht dazu geeignet gewesen, eine asylrelevante Verfolgung in Syrien darzutun. Entgegen der Ansicht des BVwG sei auch entscheidend, welche Gefahr dem Revisionswerber bei Rückkehr in seinen Herkunftsstaat drohe, wobei nicht nur die Gefahr in seiner Heimatregion, sondern auch jene auf dem Weg dorthin relevant sei. Für den Revisionswerber bestehe keine Möglichkeit, sicher und legal in seine Heimat zurückzukehren, ohne über Gebiete zu reisen, die vom Assad-Regime kontrolliert würden.
7 Das BFA hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
8 Die Revision ist schon im Hinblick auf die Frage der Prüfung einer asylrelevanten Verfolgung (nur) in der Herkunftsregion oder im Herkunftsstaat zulässig. Sie ist auch begründet.
9 Das BVwG lehnte die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten mit der tragenden Begründung ab, dem Revisionswerber drohe in seiner Herkunftsregion keine Einberufung durch die syrische Armee, weil der Staatsapparat keinen Zugriff auf ihn habe. Dem Vorbringen des Revisionswerbers, er würde schon bei der Einreise nach Syrien von den Militärbehörden wegen seiner Wehrdienstverweigerung verhaftet oder getötet werden, begegnete das BVwG mit einem Hinweis auf vermeintliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 3.1.2023, Ra 2022/01/0328; 27.5.2015, Ra 2015/18/0041), wonach es auf die Sicherheitslage, die Rückkehrsituation und Erreichbarkeit der Herkunftsregion für die Klärung des Sachverhalts in Hinblick auf den Asylstatus nicht ankomme.
10 Diesen vom BVwG gezogenen Schlüssen aus der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes tritt die Revision zu Recht entgegen.
11 Der gegenständliche Fall gleicht insofern in sachverhaltsmäßiger und rechtlicher Hinsicht jenem, den der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 4. Juli 2023, Ra 2023/18/0108, entschieden hat. Auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen. Darin wird auch auf die vom BVwG hier begründend herangezogenen Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Jänner 2023, Ra 2022/01/0328, und 27. Mai 2015, Ra 2015/18/0041, Bezug genommen und festgehalten, dass in diesem Fall der Revisionswerber keine ihn konkret betreffende asylrelevante Verfolgung dargelegt habe. Weder diesen noch nachfolgenden höchstgerichtlichen Entscheidungen lasse sich die Aussage entnehmen, dass eine (asylrelevante) Verfolgungsbehauptung im Herkunftsstaat, wonach der Revisionswerber beim Grenzübertritt Verfolgung durch die syrischen Behörden zu erwarten hätte, ehe er überhaupt in seine Herkunftsregion gelangen werde, ungeprüft bleiben dürfe.
12 Entsprechend dem hg. Erkenntnis vom 4. Juli 2023, Ra 2023/18/0108, wird daher auch hier im fortgesetzten Verfahren näher zu prüfen sein, ob die Behauptung des Revisionswerbers zutrifft, bei Einreise in den Herkunftsstaat wegen seiner Wehrdienstverweigerung asylrelevante Verfolgung zu erfahren. Wie in der genannten Entscheidung näher ausgeführt, ist es dabei in jedem Fall für die Asylgewährung wegen behaupteter Wehrdienstverweigerung erforderlich, die drohenden Verfolgungshandlungen wegen dieses Verhaltens im Herkunftsstaat zu ermitteln und bejahendenfalls eine Verknüpfung zu einem der Verfolgungsgründe des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention bzw. Art. 10 der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie) herzustellen.
13 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen (prävalierender) Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
14 Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.
15 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 11. Dezember 2023