Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. in Sporrer sowie die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Dr. in Sembacher als Richterinnen, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Amesberger, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 31. Oktober 2023, L507 2229464 3/5E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (mitbeteiligte Partei: W A, vertreten durch Mag. Dr. Ralf Heinrich Höfler, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Dominikanerbastei 6/1), zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
1 Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger des Irak, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 4. September 2015 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23. Mai 2016 wurde dem Mitbeteiligten der Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG 2005 zuerkannt und festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.
2 Der Mitbeteiligte wurde in der Folge in Österreich straffällig und strafgerichtlich verurteilt.
3 Mit Bescheid vom 29. Jänner 2020 sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass dem Mitbeteiligten der Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aberkannt und gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 festgestellt werde, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme. Unter einem wurde dem Mitbeteiligten der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 nicht zuerkannt, ihm kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt, gegen ihn gegründet auf § 52 Abs. 2 Z 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 und § 9 BFA Verfahrensgesetz (BFA VG) eine Rückkehrentscheidung erlassen, gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei, sowie eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.
4 Aufgrund einer dagegen erhobenen Beschwerde wurde dieser Bescheid mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22. April 2020 gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Verwaltungsbehörde zurückverwiesen.
5 Mit Bescheid vom 6. September 2021 sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl neuerlich die Aberkennung des Status des Asylberechtigten und Feststellung aus, dass dem Mitbeteiligten die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme. Unter einem wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 nicht zuerkannt, ihm kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt, gegen ihn gegründet auf § 52 Abs. 2 Z 3 FPG, § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 und § 9 BFA VG eine Rückkehrentscheidung erlassen, gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei, sowie eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den Mitbeteiligten ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Die Verwaltungsbehörde begründete die Aberkennung des Status des Asylberechtigten mit dem Vorliegen einer rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung des Mitbeteiligten wegen des Verbrechens der Vergewaltigung.
6 Die dagegen gerichtete Beschwerde des Mitbeteiligten blieb erfolglos.
7 Am 23. Jänner 2023 stellte der Mitbeteiligte den zweiten, nun gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen mit den dem ersten Asylverfahren zugrundeliegenden Fluchtgründen begründete und des Weiteren vorbrachte, er habe von seiner im Irak lebenden Mutter erfahren, er werde von einer Miliz im Irak bedroht und gesucht.
8 Mit Bescheid vom 24. Mai 2023 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Folgeantrag gemäß § 68 AVG wegen entschiedener Sache zurück.
9 Mit dem angefochtenen Erkenntnis sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass „der Beschwerde gemäß § 21 Abs. 3 BFA VG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben“ werde.
10 In der Begründung hielt das Verwaltungsgericht fest, dass die Behörde im angefochtenen Bescheid festgestellt habe, dass sich die maßgebliche und den Mitbeteiligten betreffende allgemeine Lage im Herkunftsland seit dem rechtskräftigen Abschluss des Erstverfahrens nicht geändert habe. Bei einer vergleichenden Betrachtung der Berichtslagen falle auf, dass sich seit der Entscheidung der Behörde im Jahr 2016 im Hinblick auf die politische Situation bzw. die allgemeine Versorgungs- und Sicherheitslage im Irak jedenfalls Änderungen ergeben hätten, die nicht berücksichtigt worden seien. Es lägen somit Anhaltspunkte für eine Änderung des Sachverhaltes im Hinblick auf allgemein bekannte Tatsachen vor, die allenfalls von der Behörde von Amts wegen zu berücksichtigen gewesen wären. Da die Behörde im gegenständlich angefochtenen Bescheid zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass der Behandlung des neuerlichen Antrages auf internationalen Schutz das Prozesshindernis der rechtskräftig entschiedenen Sache entgegenstehe, sei der angefochtene Bescheid ersatzlos zu beheben. Da die Zurückweisung des Folgeantrages auf internationalen Schutz durch die Behörde nicht zu Recht erfolgte, „sei gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA VG vorzugehen und der Bescheid zu beheben“.
11 Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde. Zu ihrer Zulässigkeit bringt sie zusammengefasst vor, aus dem angefochtenen Erkenntnis gehe nicht eindeutig hervor, auf welche Bestimmung des § 21 Abs. 3 BFA VG das Bundesverwaltungsgericht die Aufhebung des Bescheides gestützt habe. Im Fall der beabsichtigten Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA VG weiche das Bundesverwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen für eine Aufhebung nach § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA VG ab, weil es weder dargelegt habe, welche konkreten Ermittlungsmängel der Behörde im Verfahren unterlaufen wären noch warum es die allenfalls fehlenden Erhebungen in der gebotenen Eile nicht selbst durchführen hätte können. Im Fall der Aufhebung des Bescheides gemäß § 21 Abs. 3 erster Satz BFA VG bringt die Amtsrevision unter anderem vor, dass dem Verwaltungsgericht ein Begründungsmangel unterlaufen sei, weil es nicht darlegt, welche Lageveränderungen im Irak seit der Entscheidung 2016 eingetreten seien. Der angefochtenen Entscheidung sei nicht zu entnehmen, aus welchen Gründen das Verwaltungsgericht zur Auffassung gelangt sei, dass aufgrund allfälliger Veränderungen der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat von einem neuen, entscheidungsrelevanten Sachverhalt auszugehen sei.
12 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
13 Die Amtsrevision ist aufgrund des im Zulässigkeitsvorbringen aufgezeigten Begründungsmangels zulässig; sie ist auch begründet.
14 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Prüfung des Vorliegens der entschiedenen Sache von der rechtskräftigen Vorentscheidung auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit derselben nochmals zu überprüfen. Identität der Sache liegt dann vor, wenn sich gegenüber der früheren Entscheidung weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (vgl. aus vielen VwGH 21.11.2022, Ra 2022/14/0285, mwN).
15 Im Hinblick auf wiederholte Anträge auf internationalen Schutz entspricht es der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen berechtigen und verpflichten kann, der rechtlich für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen Relevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen „glaubhaften Kern“ aufweisen, dem Relevanz zukommt (vgl. VwGH 19.1.2022, Ra 2020/20/0100, mwN).
16 In jenem Fall, in dem das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den verfahrenseinleitenden Antrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hat, ist insoweit „Sache des Beschwerdeverfahrens“ vor dem Bundesverwaltungsgericht die Frage, ob diese Zurückweisung zu Recht erfolgt ist (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in diesem Zusammenhang auch VwGH 25.4.2022, Ra 2022/20/0074; VwGH 19.10.2021, Ro 2019/14/0006; u.a.).
17 Die „Sache“ des Beschwerdeverfahrens ist nämlich nach der ständigen, auch über den Bereich des Asylrechts hinausgehenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur jene Angelegenheit, die den Inhalt des Spruchs des Bescheides der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde gebildet hat. Dieser stellt den äußersten Rahmen dar, durch den die Angelegenheit begrenzt wird. Hat die belangte Behörde einen Antrag zurückgewiesen und wird dagegen Beschwerde erhoben, ist „Sache“ des Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht lediglich die Frage der Rechtmäßigkeit dieser Zurückweisung. Das Verwaltungsgericht hat allein zu prüfen, ob die inhaltliche Behandlung des Antrags zu Recht verweigert worden ist. Mit einer meritorischen Entscheidung über den Antrag überschreitet das Verwaltungsgericht hingegen die „Sache“ des Beschwerdeverfahrens (vgl. VwGH 3.10.2023, Ra 2023/14/0178, mwN).
18 Der Verwaltungsgerichtshof judiziert zu § 29 VwGVG, dass die Begründung der Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte jenen Anforderungen zu entsprechen hat, die in der Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Dies erfordert in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidung tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung selbst ergeben (vgl. VwGH 29.11.2022, Ra 2022/14/0247 bis 0250, mwN).
19 Sind die einen tragenden Teil der Begründung darstellenden Ausführungen für den Verwaltungsgerichtshof nicht nachvollziehbar und somit nicht überprüfbar, so liegt ein wesentlicher Verfahrensfehler vor, der zur Aufhebung der Entscheidung führt (vgl. VwGH 23.6.2020, Ra 2020/20/0143, mwN).
20 Die revisionswerbende Behörde macht zu Recht geltend, dass es dem angefochtenen Erkenntnis an einer nachvollziehbaren Begründung mangelt.
21 Im vorliegenden Fall traf das Bundesverwaltungsgericht nach Wiedergabe des Verfahrensganges Feststellungen ausschließlich zu den ohnehin im Verfahrensgang bereits enthaltenen Vorverfahren.
22 In der rechtlichen Beurteilung verweist das Bundesverwaltungsgericht darauf, dass als Vergleichsentscheidung im gegenständlichen Fall der rechtskräftige Bescheid des Bundesamtes vom 23. Mai 2016 heranzuziehen sei, mit dem dem ersten Antrag des Mitbeteiligten auf internationalen Schutz stattgegeben und dem Mitbeteiligten gemäß § 3 AsylG der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde sowie gemäß § 3 Abs. 5 AsylG festgestellt wurde, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. In der nun angefochtenen zurückweisenden Entscheidung habe sich das Bundesamt einerseits auf den Bescheid 23. Mai 2016, und andererseits auf den Bescheid vom 29. Jänner 2020, bezogen, wobei dieser Bescheid nicht in Rechtskraft erwachsen sei, zumal er mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22. April 2020 gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG behoben und der Angelegenheit zu Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen worden sei.
23 Ohne nähere Begründung führt das Bundesverwaltungsgericht in der Folge tragend aus, dass „bei einer vergleichenden Betrachtung der Berichtslagen“ auffalle, dass sich seit der Entscheidung der Behörde im Jahr 2016 im Hinblick auf die politische Situation bzw. die allgemeine Versorgungs- und Sicherheitslage im Irak jedenfalls Änderungen ergeben hätten, die nicht berücksichtigt worden seien. Es lägen somit Anhaltspunkte für eine Änderung des Sachverhaltes im Hinblick auf allgemein bekannte Tatsachen vor, die allenfalls von der Behörde von Amts wegen zu berücksichtigen gewesen wären. Die revisionswerbende Partei habe zu Unrecht das Prozesshindernis der entschiedenen Sache herangezogen, der Bescheid sei daher ersatzlos zu beheben. Die Behörde habe sich vor dem Hintergrund der sich im Irak geänderten Lage mit dem vom Mitbeteiligten vorgebrachten Sachverhalt ausführlich auseinanderzusetzen.
24 Das Bundesverwaltungsgericht geht damit offenkundig davon aus, dass ein neuer Sachverhalt vorläge, der eine Behebung des Bescheides nach § 21 Abs. 3 erster Satz BFA VG nach sich ziehe.
25 Feststellungen, aus denen sich eine solche Beurteilung ableiten ließe, hat das Bundesverwaltungsgericht jedoch nicht getroffen. Es bringt hier pauschal und ohne jegliche Länderfeststellungen zum Ausdruck, dass eine „Änderung der politischen Situation bez. die allgemeine Versorgungslage- und Sicherheitslage im Irak“ von der revisionsführenden Behörde hätte berücksichtigt werden müssen. Damit ist es dem Verwaltungsgerichtshof mangels konkreter Feststellungen jedoch nicht möglich, nachzuvollziehen, ob die vom Verwaltungsgericht herangezogene Beurteilung, es läge eine Sachverhaltsänderung vor und die revisionswerbende Behörde habe zu Unrecht das Prozesshindernis der entschiedenen Sache herangezogen, zutreffend ist. Letztlich lässt sich aus den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes auch nicht ableiten, ob sich die „Anhaltspunkte für eine Änderung des Sachverhaltes“ auf den gesamten Antrag auf internationalen Schutz beziehen.
26 Da dem angefochtenen Erkenntnis Begründungsmängel anhaften, war dieses daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Bei diesem Ergebnis war auf das weitere Revisionsvorbringen nicht mehr einzugehen.
Wien, am 7. März 2024
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