Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kleiser und die Hofrätinnen Mag. a Merl und Mag. Liebhart Mutzl als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des Stadtsenates der Landeshauptstadt Graz gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 6. Juni 2023, LVwG 50.40 1415/2023 11, betreffend eine baurechtliche Angelegenheit (mitbeteiligte Parteien: 1. DI G K, 2. Mag. Dr. B K, 3. R M L, 4. Dr. M P, 5. E K P, alle vertreten durch Mag. Rainer Frank, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Joanneumring 6/1; weitere Partei: Steiermärkische Landesregierung), den Beschluss gefasst:
Die Revision wird als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt.
Der Antrag der mitbeteiligten Parteien auf Kostenersatz wird abgewiesen.
1 Mit Eingabe vom 11. Jänner 2023 brachten die erst- bis fünftmitbeteiligten Parteien (im Folgenden: bauwerbenden Parteien) beim Stadtsenat der Landeshauptstadt G. (belangte Behörde und Revisionswerber) einen Antrag auf Erteilung einer Baubewilligung gemäß § 19 Steiermärkisches Baugesetz (Stmk. BauG) und einer Bewilligung nach den §§ 7 und 10 Grazer Altstadterhaltungsgesetz 2008 betreffend den Zubau von zwei Balkonen im ersten Obergeschoß und einem Balkon im zweiten Obergeschoß zu einem näher genannten Gebäude in G. ein.
2 Mit Bescheid der belangten Behörde (Amtsrevisionswerber) vom 15. März 2023 wurden den bauwerbenden Parteien die beantragten Bewilligungen erteilt.
3 S.K. ist Miteigentümer der Bauliegenschaft und erhob mit E Mail vom 30. März 2023 (die einzige) Beschwerde gegen die oben angeführten Bewilligungen. Darin führte er unter anderem aus, er halte den Bescheid für rechtswidrig; laut Auskunft der Hausverwaltung müssten 100% der Eigentümer zustimmen, dies sei nicht der Fall.
4 Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Landesverwaltungsgericht Steiermark (LVwG) die Beschwerde des S.K. mangels Parteistellung zurück und erklärte eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof für unzulässig.
5 Die vorliegende Amtsrevision richtet sich nach ihrer Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 28 Abs. 2 VwGG) gegen die Zurückweisung der Parteistellung des (Wohnungs )Miteigentümers im Baubewilligungsverfahren und verweist auf die eingeschränkte Parteistellung eines Miteigentümers hinsichtlich der Frage, ob die liquid erforderliche, als Beleg dem Ansuchen anzuschließende Zustimmung der Grundeigentümer (der Miteigentümer) vorliegt oder nicht (Hinweis unter anderem auf VwGH 3.10.2022, Ra 2022/06/0008).
6 Die bauwerbenden Parteien beantragten in ihrer Revisionsbeantwortung die Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Revision. Darüber hinaus gaben sie bekannt, dass S.K. am 25. Juli 2023 seine Einwendungen und seine Beschwerde an das LVwG zurückgezogen habe, und stellten den Antrag, der Verwaltungsgerichtshof „möge die Revision mit Beschluss als gegenstandslos erklären und das Verfahren einstellen.“
7 Dem Amtsrevisionswerber wurde zur Kenntnis gebracht, dass S.K. am 25. Juli 2023 seine Einwendungen und seine Beschwerde an das LVwG zurückgezogen hatte. In seiner Stellungnahme vom 28. November 2023 sprach sich der Revisionswerber gegen eine Einstellung des Verfahrens wegen Gegenstandslosigkeit aus, verwies auf die Wirkungslosigkeit der Zurückziehung der Beschwerde nach Eintritt der Rechtskraft des angefochtenen Beschlusses, dessen (behauptete) grobe objektive Rechtswidrigkeit und den Einfluss auf die Vollzugspraxis. Es komme ihm besonders darauf an, dass „eklatant“ rechtswidrige Entscheidungen aus dem Rechtsbestand beseitigt würden und rechtliche Klarheit geschaffen werde.
8 Gemäß § 33 Abs. 1 erster Satz VwGG ist eine Revision nach Anhörung des Revisionswerbers mit Beschluss als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen, wenn in irgendeiner Lage des Verfahrens offenbar wird, dass der Revisionswerber klaglos gestellt wurde.
9 Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertritt, ist bei einer Revision nach Art. 133 Abs. 1 Z 1 B VG unter einer Klaglosstellung gemäß § 33 Abs. 1 VwGG nicht nur eine solche zu verstehen, die durch eine formelle Aufhebung des beim Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Erkenntnisses oder Beschlusses eingetreten ist. Vielmehr liegt ein Einstellungsfall wegen Gegenstandslosigkeit insbesondere auch dann vor, wenn der Revisionswerber infolge Änderung maßgeblicher Umstände zeitlicher, sachlicher oder prozessualer Art kein rechtliches Interesse mehr an einer Sachentscheidung hat und somit materiell klaglos gestellt wurde. Diese Judikatur gilt auch für Fälle einer Amtsrevision (vgl. etwa VwGH 6.12.2023, Ra 2022/22/0066, Rn. 7, mwN).
10 Der Verwaltungsgerichtshof ist nicht zu einer abstrakten Prüfung der Rechtmäßigkeit einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung berufen. Ein Rechtsschutzbedürfnis liegt dann nicht vor, wenn eine Entscheidung lediglich über abstrakt-theoretische Rechtsfragen herbeigeführt werden soll, denen keine praktische Relevanz mehr zukommen kann. Das Rechtsschutzinteresse ist immer dann zu verneinen, wenn es (auf Grund der geänderten Umstände) für die Rechtsstellung des Revisionswerbers keinen Unterschied mehr macht, ob die angefochtene Entscheidung aufrecht bleibt oder aufgehoben wird bzw. wenn die Erreichung des Verfahrenszieles für ihn keinen objektiven Nutzen hat, die in der Revision aufgeworfenen Rechtsfragen somit insoweit nur (mehr) theoretische Bedeutung haben. Diese Rechtsprechung hat ebenso auch für eine Amtsrevision Gültigkeit (vgl. nochmals VwGH 6.12.2023, Ra 2022/22/0066, Rn. 8, mwN).
11 Im vorliegenden Fall zog S.K. die (einzige) Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 15. März 2023 zurück. Daraus folgt, dass bei einer Aufhebung des angefochtenen Beschlusses durch den Verwaltungsgerichtshof das LVwG das Beschwerdeverfahren mangels einer anhängigen Beschwerde einzustellen hätte (vgl. § 42 Abs. 3 VwGG). Im Hinblick darauf ist nicht ersichtlich, dass einer meritorischen Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes im vorliegenden Fall noch praktische Bedeutung zukäme (vgl. VwGH 23.6.2022, Ra 2021/09/0254 und 0255, Rn. 13, mwN).
12 Damit hätte die in der Revision aufgeworfene Frage der Parteistellung eines Miteigentümers hinsichtlich der Frage, ob die dem Ansuchen anzuschließende Zustimmung der Grundeigentümer (der Miteigentümer) vorliegt oder nicht, für den gegenständlichen Fall nur mehr theoretische Bedeutung. Zur Klärung von bloß theoretischen Rechtsfragen ist der Verwaltungsgerichtshof aber nicht berufen. Dies gilt auch dann, wenn die einem Revisionsfall zugrundeliegende Rechtsfrage für künftige Verwaltungsverfahren oder verwaltungsgerichtliche Verfahren von Interesse ist (vgl. nochmals VwGH 23.6.2022, Ra 2021/09/0254 und 0255, Rn. 14, mwN).
13 Die vorliegende Amtsrevision war daher wegen des nachträglichen Wegfalls des Rechtsschutzinteresses in sinngemäßer Anwendung des § 33 Abs. 1 VwGG als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen.
14 Die Kostenentscheidung gründet auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere auf § 47 Abs. 3 und § 58 Abs. 2 leg. cit. Fällt bei einer Revision oder einem Fristsetzungsantrag das Rechtsschutzinteresse nachträglich weg, so ist dies nach der zuletzt genannten gesetzlichen Bestimmung bei der Entscheidung über die Kosten nicht zu berücksichtigen; würde hiebei die Entscheidung über die Kosten einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern, so ist darüber nach freier Überzeugung zu entscheiden. Die in § 47 Abs. 3 VwGG getroffene Regelung, wonach Mitbeteiligte „einen Anspruch auf Aufwandersatz“ nur „im Fall der Abweisung der Revision“ haben, führt daher nicht dazu, dass den mitbeteiligten Parteien ein Kostenersatz schon deshalb nicht zustehe, weil vorliegend kein Fall der Revisionsabweisung gegeben ist (vgl. VwGH 9.9.2015, Ro 2015/03/0028, Rn. 7).
Dennoch ist ihr Kostenersatzbegehren nicht zielführend:
Der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zufolge umfasst die taxative Aufzählung der Nachbarrechte in § 26 Stmk. BauG nicht die Frage, ob dem Bauansuchen auch die erforderliche Zustimmungserklärung der Miteigentümer beiliegt. Dem Miteigentümer [fallbezogen: S.K.] kommt jedoch im Hinblick darauf, ob eine liquide Zustimmung der Grundeigentümer vorliegt, [...] Parteistellung zu (vgl. etwa VwGH 3.10.2022, Ra 2022/06/0008, Rn. 9; in diesem Sinn auch VwGH 14.4.2016, Ra 2015/06/0038, Rn. 15, mwN, sowie grundlegend dazu VwGH 6.10.2011, 2010/06/0008, mwN).
Von daher wäre die Revision, wäre sie nicht gegenstandslos geworden, nicht abzuweisen gewesen und das Kostenbegehren der mitbeteiligten Partei damit erfolglos geblieben.
Wien, am 26. Februar 2024
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