Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Lehofer und die Hofrätinnen Mag. a Merl und Mag. Liebhart Mutzl als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, in der Revisionssache der Umweltorganisation V in W, vertreten durch Mag. Wolfram Schachinger, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Hafengasse 16/4 5, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. März 2023, W270 2204219-5/10E, betreffend Wiederaufnahme eines Verfahrens (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Wiener Landesregierung; mitbeteiligte Partei: Stadt Wien, Straßenverwaltung und Straßenbau in Wien, vertreten durch die Jarolim Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Volksgartenstraße 3/2), den Beschluss gefasst:
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B VG).
2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
4 Die Revisionswerberin, eine gemäß § 19 Abs. 7 Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz 2000 (UVP G 2000) anerkannte Umweltorganisation, beantragte mit ihrer Eingabe vom 22. August 2022 die Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) vom 22. Juli 2020 rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens betreffend die Genehmigung der Vorhaben „Stadtstraße A“ und „Anschlussstelle S“ nach dem UVP G 2000 und begründete dies im Wesentlichen damit, dass ihr anonym Unterlagen übermittelt worden seien, aus denen sich ergebe, dass im Verfahren falsche Zeugnisse i.S.d. § 32 Abs. 1 Z 1 VwGVG vorgelegen seien beziehungsweise dass neu hervorgekommene Tatsachen und Beweismittel i.S.d. § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG belegten, dass die Antragstellerin (Stadt Wien) bereits während des anhängigen Genehmigungsverfahrens beabsichtigt habe, die Anschlussstelle L-Straße und die Maßnahme S-Straße zu verwirklichen. Diese seien somit wissentlich dem Genehmigungsverfahren entzogen worden.
5 Mit dem angefochtenen Beschluss wies das BVwG den Wiederaufnahmeantrag der Revisionswerberin ab und erklärte eine ordentliche Revision für nicht zulässig.
Begründend führte das BVwG zusammengefasst aus, die von der Revisionswerberin vorgelegten Unterlagen böten keinen Anhaltspunkt dafür, dass es zu einer Falschaussage eines Zeugen oder einer Auskunftsperson oder der Erstattung eines falschen Befundes oder Gutachtens durch einen Sachverständigen gemäß § 32 Abs. 1 Z 1 VwGVG gekommen wäre. Es sei auch nicht ersichtlich, dass die Entscheidung durch eine verpönte Einflussnahme auf die Entscheidungsfindung erschlichen worden wäre. Auch wenn es während des anhängigen Genehmigungsverfahrens betreffend die „Stadtstraße A“ und die „Anschlussstelle S“ bereits Überlegungen (aber noch keine konkreten Planungen zur Verwirklichung) der Anschlussstelle L-Straße und der Maßnahme S-Straße gegeben habe, ergebe sich aus der Antragsbegründung des Wiedereinsetzungsantrages nicht, dass objektiv unrichtige Angaben gemacht oder der Entscheidungswille der Behörde beeinflusst worden wären.
Der Wiederaufnahmegrund gemäß § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG („nova reperta“) liege ebenfalls nicht vor, weil die Antragsbegründung und die vorgelegten Unterlagen nicht geeignet seien, voraussichtlich einen anders lautenden Spruch des Erkenntnisses vom 22. Juli 2020 herbeizuführen. Der Verfahrensgegenstand werde durch den Antrag des Projektwerbers definiert; sowohl die Behörde als auch das BVwG seien an diese Abgrenzung gebunden. Selbst wenn der Antragsgegenstand zu eng abgegrenzt worden wäre, seien die Ausführungen in den vorgelegten Unterlagen nicht geeignet, ein anders lautendes Ergebnis herbeizuführen. Den Angaben der Behörde zufolge seien die Maßnahmen als Teil des Beurteilungsgegenstandes im UVP-Verfahren ohnehin behandelt worden. Es sei auch nicht unsachlich, insbesondere Linienvorhaben stückweise zur Genehmigung einzureichen, sofern die Abgrenzung der jeweiligen Teilstücke sachlich erfolge und dadurch nicht eine UVP Pflicht umgangen werde (Hinweis auf VwGH 20.12.2016, Ro 2014/03/0035).
6 Die Revision rügt in ihrer Zulässigkeitsbegründung zunächst die mangelhafte Begründung des Zulässigkeitsausspruches. Dem ist zu entgegnen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch eine fehlende Begründung des Ausspruches über die Zulässigkeit der Revision nicht dazu führt, dass die Revision im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG zulässig wäre. Die Zulässigkeitsbegründung der außerordentlichen Revision muss vielmehr Gründe anführen, aufgrund derer anzunehmen wäre, dass die Lösung des Revisionsfalles von einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung abhinge (vgl. etwa VwGH 30.9.2020, Ra 2020/11/0085, Rn. 6, mwN).
7 Ein Abweichen des angefochtenen Beschlusses von der hg. Rechtsprechung meint die Revisionswerberin darin zu erkennen, dass das BVwG ihre Stellungnahme vom 1. März 2023, die noch vor dem Ausfertigungsdatum (2. März 2023) und somit auch vor dem Zustellungsdatum (7. März 2023) des angefochtenen Beschlusses per E-Mail übermittelt worden sei, nicht berücksichtigt habe. Dabei übersieht sie jedoch, dass es bei Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes durch Senatsbeschluss wie im vorliegenden Fall die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Beschlussfassung maßgeblich ist (vgl. zur Übertragbarkeit der ständigen hg. Rechtsprechung zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach und Rechtslage bei Bescheiden von Verwaltungsbehörden auf Entscheidungen der Verwaltungsgerichte VwGH 27.4.2016, Ra 2015/05/0069, Rn. 22, mwN). Dem vorgelegten Beschlussprotokoll des BVwG zufolge erfolgte diese am 1. März 2023 und somit noch vor der Übermittlung der Stellungnahme der Revisionswerberin am 2. März 2023 per E-Mail.
8 Wenn die Revision zur Begründung ihrer Zulässigkeit ein Abweichen des angefochtenen Erkenntnisses von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes etwa zur Gewährung des Parteiengehörs, der Verhandlungspflicht oder zur „Erschleichung“ geltend macht, ohne konkret bezogen auf den Sachverhalt unter Angabe zumindest einer nach Datum und Geschäftszahl bezeichneten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes darzutun, von welcher hg. Rechtsprechung ihrer Ansicht nach das Verwaltungsgericht in welchen Punkten abgewichen sein soll, wird damit den an die gesetzmäßige Ausführung der Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gestellten Anforderungen nicht entsprochen (vgl. etwa VwGH 17.11.2022, Ra 2022/06/0245, Rn. 10, mwN); soweit Verfahrensfehler geltend gemacht werden, hätte in den Zulässigkeitsgründen überdies die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels dargetan werden müssen (vgl. VwGH 31.1.2023, Ra 2022/06/0263, Rn. 8, mwN).
9 Die Revisionswerberin bringt weiter vor, es gebe keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage der Parteistellung in Wiederaufnahmeverfahren, ob bereits zum Zeitpunkt des Genehmigungsverfahrens geplante Vorhabensänderungen in einem Abnahmeverfahren genehmigt werden dürften und zur „Erschleichung unter Mitwirkung der Behörde“.
Zunächst wird auf § 32 Abs. 4 VwGVG hingewiesen, wonach das Verwaltungsgericht die Parteien des abgeschlossenen Verfahrens von der Wiederaufnahme des Verfahrens unverzüglich in Kenntnis zu setzen hat. Das BVwG hat, unter Berufung auf Müller in Köhler/Brandtner/Schmelz , VwGVG, „§28“ [richtig: § 32], Rn. 48, (nur) die Projektwerberin als Partei beigezogen. Es kann dahingestellt bleiben, ob gegebenenfalls weitere Parteien beizuziehen gewesen wären, da die Revisionswerberin durch die (Nicht )Beiziehung weiterer Parteien des wiederaufzunehmenden Verfahrens jedenfalls nicht in den ihr gemäß § 19 Abs. 10 UVP G 2000 eingeräumten Rechten, nämlich die Einhaltung von Umweltschutzvorschriften im Verfahren geltend zu machen, beeinträchtigt sein kann. Dass die Rechtsposition der Revisionswerberin dadurch, dass allenfalls eine andere Partei im Wiederaufnahmeverfahren übergangen worden sei, betroffen sei oder sie deshalb daran gehindert wäre, die Einhaltung von Umweltschutzvorschriften geltend zu machen, wird in der Zulässigkeitsbegründung nicht vorgebracht und ist auch nicht zu erkennen.
Die Frage, ob bereits zum Zeitpunkt des Genehmigungsverfahrens geplante Vorhabensänderungen in einem Abnahmeverfahren genehmigt werden dürften, war nicht Gegenstand des Wiederaufnahmeverfahrens, sodass damit keine Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG aufgezeigt werden kann.
Ein „Erschleichen“, das zur Wiederaufnahme eines Verfahrens führen kann, liegt - wie das BVwG zutreffend ausführte - dann vor, wenn die betreffende Entscheidung in einer Art zustande kam, dass die Partei gegenüber der Behörde oder dem Gericht objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung mit Irreführungsabsicht machte und die Angaben dann der Entscheidung zugrunde gelegt wurden, wobei die Verschweigung maßgeblicher Umstände dem Vorbringen unrichtiger Angaben gleichzusetzen ist (vgl. etwa VwGH 14.10.2022, Ra 2018/22/0227, Rn. 6.3, mwN). Vor diesem Hintergrund wurde nicht dargelegt, wie dieser Tatbestand „unter Mitwirkung der Behörde“ überhaupt erfüllt werden könnte. Eine grundsätzliche Rechtsfrage wurde mit diesem abstrakten Vorbringen jedenfalls nicht aufgezeigt.
10 In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme; sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 12. Juni 2023
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