Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und die Hofräte Dr. Fasching und Dr. Horvath als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Karger, LL.M., über die Revision des T S A B in W, vertreten durch Dr. Alexander Raidl, BA, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Pramergasse 21, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 16. Oktober 2023, Zl. VGW 152/V/019/10591/2023 50, betreffend Staatsbürgerschaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Wiener Landesregierung), den Beschluss gefasst:
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Mit dem angefochtenen, im Säumnisbeschwerdeweg ergangenen Erkenntnis wurde - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - der Antrag des Revisionswerbers, eines syrischen Staatsangehörigen, auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 Z 6 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) abgewiesen und eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B VG für unzulässig erklärt.
2 Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, der Revisionswerber habe sich am 23. Juni 2018 bei einem Konzert im Rahmen des Donauinselfests in Wien einer Gruppe von Frauen angenähert, onaniert und sodann auf den Pullover der ihm fremden E.I. ejakuliert. Der Revisionswerber habe somit den Tatbestand des § 218 Abs. 2 Strafgesetzbuch (StGB) (Vornahme einer öffentlichen geschlechtlichen Handlung) und damit ein Delikt verwirklicht, das dem Schutz der sexuellen Integrität und Selbstbestimmung diene. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass das gegen den Revisionswerber geführte Strafverfahren mit einer Diversion erledigt worden sei, zumal es bei der Beurteilung, ob das Verleihungshindernis des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG vorliege, auf das Gesamtverhalten des Einbürgerungswerbers und nicht auf das Vorliegen einer gerichtlichen Verurteilung ankomme.
3 Der Verwaltungsgerichtshof habe in seiner Judikatur betont, dass gerade bei gerichtlich strafbaren Handlungen nach dem zehnten Abschnitt des Besonderen Teils des StGB für eine positive Prognosebeurteilung ein langer Zeitraum des Wohlverhaltens erforderlich sei (Hinweis auf VwGH 6.7.2020, Ra 2019/01/0426). Im Rahmen der mündlichen Verhandlung habe der Revisionswerber seine Handlungen vom Juni 2018 (neuerlich) zu rechtfertigen versucht bzw. diese bagatellisiert. Insbesondere unter Berücksichtigung der Verantwortung des Revisionswerbers und des sohin gewonnenen persönlichen Eindrucks komme das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis, dass der Revisionswerber keine Gewähr dafür biete, keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darzustellen oder nicht andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen zu gefährden, auch wenn seit dem gegenständlichen Vorfall mehr als fünf Jahre vergangen seien.
4 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
7 Die vorliegende Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit insbesondere vor, das Verwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, indem es die vom Revisionswerber begangene strafbare Handlung „völlig undifferenziert“ [im Hinblick auf den Unrechtsgehalt] der negativen Zukunftsprognose zugrunde gelegt habe. Es fehle Rechtsprechung zu der Frage, inwieweit eine mehr als fünf Jahre zurückliegende „geringfügige“ strafbare Handlung gegen die sexuelle Integrität ein Fehlverhalten im Sinne des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG begründen könne.
8 Damit wirft die Revision keine Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung auf.
9 So hat der Verwaltungsgerichtshof wiederholt festgehalten, dass bei der Prüfung des Verleihungshindernisses nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG eine Prognose über das zukünftige Wohlverhalten des Verleihungswerbers zu treffen ist und im Hinblick auf das Ziel des österreichischen Staatsbürgerschaftsrechts, die Verleihung der Staatsbürgerschaft als Abschluss einer erfolgreichen Integration des Fremden in Österreich zu sehen, bei der Prüfung nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG ein strenger Maßstab anzulegen ist (vgl. etwa VwGH 18.3.2022, Ra 2022/01/0056; 2.6.2022, Ra 2022/01/0034, jeweils mwN).
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat eine negative Prognose nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG als rechtmäßig beurteilt, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht von längerem Wohlverhalten des Antragstellers seit dem zuletzt von ihm begangenen und für die negative Prognose als tragend angesehenen Fehlverhalten ausgegangen werden konnte (vgl. etwa VwGH 6.7.2020, Ra 2019/01/0426; 8.11.2023, Ra 2023/01/0292, jeweils mwN).
11 Wesentlicher Ausgangspunkt für die Beurteilung des, einer negativen Prognose nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG entgegenstehenden, längeren Wohlverhaltens des Antragstellers ist das für die negative Prognose als tragend angesehene Fehlverhalten. Dabei fallen nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit besonders ins Gewicht. Im Allgemeinen ist nach derartigen Taten ein ausreichend langer Zeitraum des Wohlverhaltens erforderlich, um eine positive Prognose gerechtfertigt erscheinen zu lassen. Dies gilt umso mehr für strafbare Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung (vgl. abermals VwGH Ra 2019/01/0426, mwN), womit wie das Verwaltungsgericht zutreffend annimmt die im zehnten Abschnitt („Strafbare Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung“) des Besonderen Teils des StGB geregelten Delikte erfasst sind.
12 Der Verwaltungsgerichtshof hat auch betont, dass für die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, ob im Zeitpunkt der Entscheidung von einem längeren Wohlverhalten des Verleihungswerbers seit dem zuletzt von ihm begangenen und für die negative Prognose als tragend angesehenen Fehlverhalten ausgegangen werden könne, auch der vom Verwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung gewonnene persönliche Eindruck von Bedeutung ist (vgl. etwa VwGH 17.12.2021, Ra 2021/01/0392, mwN).
13 Die Frage, ob der Zeitraum des Wohlverhaltens eines Verleihungswerbers für eine positive Prognose im Sinne des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG hinreichend ist, obliegt demnach der einzelfallbezogenen Beurteilung durch das Verwaltungsgericht. Diese Beurteilung ist im Revisionsmodell vom Verwaltungsgerichtshof nur aufzugreifen, wenn sie in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre.
14 Darüber hinaus kommt der Frage, ob die besonderen Umstände des Einzelfalles auch eine andere Entscheidung gerechtfertigt hätten, in der Regel keine grundsätzliche Bedeutung zu (vgl. auch dazu VwGH Ra 2022/01/0056, mwN).
15 Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht - entgegen dem Zulässigkeitsvorbringen der Revision - die vom Revisionswerber begangene strafbare Handlung (gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung) nicht „völlig undifferenziert“ seiner negativen Verhaltensprognose zugrunde gelegt. Es hat vielmehr eine fallbezogene Prognosebeurteilung angestellt und dabei auch den längeren Zeitraum des Wohlverhaltens des Revisionswerbers ins Kalkül gezogen.
16 Die einzelfallbezogene Einschätzung des Verwaltungsgerichts, wonach hinsichtlich des Revisionswerbers aber trotz dessen mehr als fünfjährigen Wohlverhaltens keine positive Verhaltensprognose anzustellen sei, begegnet insbesondere vor dem Hintergrund des bei der Prüfung des Verleihungshindernisses nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG allgemein gebotenen strengen Maßstabs, des besonderen Gewichts der vom Revisionswerber begangenen Straftat gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung sowie des von ihm in der mündlichen Verhandlung hinterlassenen Eindrucks keinen vom Verwaltungsgerichtshof im Revisionsmodell aufzugreifenden Bedenken.
17 Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 19. Jänner 2024
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