Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und die Hofräte Mag. Brandl sowie Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Rieder, über die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. November 2023, Zl. W271 2268752 1/13E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (mitbeteiligte Partei: H M in W), zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
1 Mit Bescheid vom 9. Februar 2023 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Mitbeteiligten, eines syrischen Staatsangehörigen, auf internationalen Schutz vom 13. Mai 2022 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab (Spruchpunkt I.), erkannte dem Mitbeteiligten jedoch gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt III.).
2 Der gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten gab das Bundesverwaltungsgericht (Verwaltungsgericht) mit dem angefochtenen Erkenntnis statt, erkannte dem Mitbeteiligten gemäß § 3 AsylG 2005 den Status des Asylberechtigten zu, stellte gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 fest, dass dem Mitbeteiligten kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt, und sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei.
3 Das Verwaltungsgericht stellte soweit im Revisionsverfahren wesentlich fest, der Mitbeteiligte sei in As Suwar, Gouvernement Deir ez Zor, geboren. Er habe dort bis zu seiner Ausreise nach Europa gelebt. Der Mitbeteiligte habe in Syrien keinen Militärdienst abgeleistet. Er wolle diesen aufgrund seiner ablehnenden Haltung gegenüber dem syrischen Regime nicht leisten. Die Herkunftsregion des Mitbeteiligten stehe unter kurdischer Kontrolle. Das syrische Regime sei jedoch in einigen Gebieten präsent. Wo es „über eine Präsenz im Sicherheitsdistrikt oder muraba´a amni im Zentrum der Gouvernorate verfügt, wie in Deir ez Zor“, könne das syrische Regime Rekrutierungen vornehmen. Nachdem die Herkunftsregion des Mitbeteiligten sich im Gouvernement Deir ez Zor befinde, bestehe die Möglichkeit seiner Zwangsrekrutierung durch das syrische Regime. Im kurdisch kontrollierten Gebiet, wie der Herkunftsregion des Mitbeteiligten, existiere eine „Wehrpflicht“ („Pflicht zur Selbstverteidigung“) für alle Männer von 18 bis 24 Jahren. Der Mitbeteiligte habe dieses Alter bereits überschritten. Für den Mitbeteiligten bestehe keine Möglichkeit, seine Herkunftsregion zu erreichen, ohne in Kontakt mit dem syrischen Regime zu geraten.
Zur „Situation im Herkunftsstaat“ stellte das Verwaltungsgericht betreffend die „Rekrutierung von Personen aus Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle“ zusammengefasst fest, dass das syrische Regime über mehrere kleine Gebiete im Selbstverwaltungsgebiet verfüge. In Qamishli und al Hassakah würden diese die Bezeichnung „Sicherheitsquadrate“ (Al Morabat Al Amniya) tragen. Dort befänden sich verschiedene staatliche Behörden, darunter auch solche mit der Zuständigkeit für die Rekrutierung. Während die syrischen Behörden im Allgemeinen keine Rekrutierungen im Selbstverwaltungsgebiet durchführen könnten, gingen die Aussagen über das Rekrutierungsverhalten in den Regimeenklaven bzw. „Sicherheitsquadraten“ auseinander. Ein befragter Experte der österreichischen Botschaft in Damaskus berichte, dass die syrische Regierung in den Gebieten unter Kontrolle der Selbstverwaltung dort rekrutieren könne, wo sie im „Sicherheitsquadrat“ im Zentrum der Gouvernements präsent sei, wie etwa in Deir ez Zor. Ein befragter Militärexperte habe dagegen angegeben, dass die syrische Regierung grundsätzlich Zugriff auf die Wehrpflichtigen in den Gebieten unter der Kontrolle der PYD (Partiya Yekitiya Demokrat) habe, diese aber als illoyal ansehe und daher gar nicht versuche, sie zu rekrutieren.
In seiner Beweiswürdigung legte das Verwaltungsgericht dar, dass sich die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat, wie etwa zur Rekrutierungspraxis unterschiedlicher Akteure, insbesondere zur Rekrutierungsmöglichkeit des syrischen Regimes in Deir ez Zor, und zur fehlenden Möglichkeit eines Grenzübertritts des Mitbeteiligten ohne Kontaktaufnahme mit dem syrischen Regime auf die ins Verfahren eingebrachten Länderberichte gründen würden.
Rechtlich beurteilte das Verwaltungsgericht den festgestellten Sachverhalt dahin, dass für den Mitbeteiligten, der sich mit seinen 26 Jahren im wehrfähigen Alter befinde, eine konkrete begründete Furcht vor Verfolgung aufgrund einer Wehrdienstverweigerung und seiner ablehnenden Haltung gegenüber dem syrischen Regime sowie einer damit verbundenen zumindest unterstellten politischen Gesinnung bestehe, weil das syrische Regime in Zentren der Gouvernements, wie in Deir ez Zor, wo es präsent sei, rekrutieren könne. Ebenso gebe es für den Mitbeteiligten keine Möglichkeit eines Grenzübertritts, ohne in Kontakt mit dem syrischen Regime zu kommen, weshalb die reale Gefahr bestehe, dass der Mitbeteiligte seine Herkunftsregion nicht ohne der Befürchtung einer Zwangsrekrutierung durch das syrische Regime im Rahmen von Straßenkontrollen oder an Checkpoints erreichen könne.
4 Den Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision begründete das Verwaltungsgericht pauschal mit dem mangelnden Vorliegen einer Rechtsfrage iSd Art. 133 Abs. 4 B VG.
5 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision.
Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens und Einbringung einer Revisionsbeantwortung durch den Mitbeteiligten in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
6 Die Amtsrevision bringt zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vor, entgegen der Begründung des Verwaltungsgerichts ergebe sich aus den vom Verwaltungsgericht herangezogenen Länderberichten keine Rekrutierungsmöglichkeit der syrischen Regierung im Heimatort des Mitbeteiligten, As Suwar. Ebenso sei aus den vom Verwaltungsgericht herangezogenen Länderberichten nicht ersichtlich, wie es zur Auffassung gelange, dass es im konkreten Fall keine Möglichkeit eines Grenzübertritts des Mitbeteiligten gebe, ohne in Kontakt mit dem syrischen Regime zu treten. Die Amtsrevision ist im Hinblick auf die in diesem Zusammenhang geltend gemachten Verletzungen der Begründungspflicht zulässig; sie ist auch berechtigt.
7 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw. der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung im Allgemeinen keine asylrechtlich relevante Verfolgung dar, sondern könnte nur bei Vorliegen eines Konventionsgrundes Asyl rechtfertigen. Wie der Verwaltungsgerichtshof zur möglichen Asylrelevanz von Wehrdienstverweigerung näher ausgeführt hat, kann auch der Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen wie etwa der Anwendung von Folter jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen kann auch eine „bloße“ Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein. Fehlt ein kausaler Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen, kommt die Asylgewährung nicht in Betracht (vgl. etwa VwGH 19.12.2023, Ra 2023/19/0073, Rn. 8, mwN).
8 Demnach sind vorliegend zur Beurteilung des Antrags des Revisionswerbers auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 unter anderem Feststellungen dazu rechtlich wesentlich, ob der Mitbeteiligte die Möglichkeit hat, ohne Gefahr asylrelevanter Verfolgung durch das syrische Regime wegen Wehrdienstverweigerung in seine Herkunftsregion zu gelangen, und ob er in seiner Herkunftsregion der Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung durch das syrische Regime wegen Wehrdienstverweigerung ausgesetzt ist.
9 Gemäß § 60 AVG iVm § 17 VwGVG hat das Verwaltungsgericht in der Begründung seiner Entscheidung (unter anderem) die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen klar und übersichtlich zusammenzufassen. Dies erfordert die eindeutige Angabe jener Gründe, die das Verwaltungsgericht bei Vorliegen widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, einen bestimmten Sachverhalt festzustellen. Die Begründungspflicht stellt dabei keinen Selbstzweck dar, ein Begründungsmangel führt vielmehr nur dann zur Aufhebung der Entscheidung, wenn dadurch die Rechtsverfolgung durch die Parteien bzw. die nachprüfende Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts maßgeblich beeinträchtigt wird (vgl. etwa VwGH 24.8.2023, Ra 2020/22/0128, mwN).
10 Die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung durch das syrische Regime wegen Wehrdienstverweigerung begründete das Verwaltungsgericht mit der Präsenz des syrischen Regimes in sogenannten „Sicherheitsquadraten“ im Zentrum der Gouvernements, wie etwa auch jenem im Gouvernement Deir ez Zor. Demnach beschränkt sich die Möglichkeit der Rekrutierung durch das syrische Regime in den von Kurden kontrollierten Gebieten Syriens nicht auf ganze Gouvernements, somit auch nicht auf das ganze Gouvernement Deir ez Zor, sondern nur auf die Gebiete im Zentrum der Gouvernements. Ob auch die Heimatstadt des Mitbeteiligten, As Suwar, zu jenem Gebiet im Zentrum des Gouvernements Deir ez Zor gehört, wo das syrische Regime präsent ist und dem Mitbeteiligten daher die asylrelevante Gefahr der Zwangsrekrutierung droht, hat das Verwaltungsgericht nicht festgestellt. Dies ergibt sich auch sonst nicht aus der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses. Insofern mangelt es an einer hinreichenden und nachvollziehbaren Begründung für die vom Verwaltungsgericht angenommene Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung des Mitbeteiligten durch das syrische Regime wegen Zwangsrekrutierung in seiner Herkunftsregion.
11 Die Amtsrevision zeigt überdies nachvollziehbar auf, dass das Verwaltungsgericht die rechtlich relevante Feststellung, wonach der Mitbeteiligte nicht die Möglichkeit habe, seine Herkunftsregion zu erreichen, ohne in Kontakt mit dem syrischen Regime zu gelangen bzw. einer asylrelevanten Verfolgung durch Zwangsrekrutierung ausgesetzt zu sein, nicht hinreichend begründet hat. Das Verwaltungsgericht verweist dazu lediglich pauschal „auf die ins Verfahren eingeführten Länderberichte“, ohne näher darzulegen, aus welchen konkreten aktuellen Länderberichten es diese Feststellung ableitet. Insofern wird das angefochtene Erkenntnis den Anforderungen der Begründungspflicht bezogen auf die Beweiswürdigung betreffend die entscheidungswesentliche Feststellung über die Möglichkeit des Mitbeteiligten, seine Herkunftsregion ohne Gefahr seitens des syrischen Regimes zu erreichen, nicht gerecht.
12 Das angefochtene Erkenntnis war somit aufgrund dieser Feststellungs und Begründungsmängel gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Wien, am 8. März 2024
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