Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kleiser sowie die Hofräte Mag. Brandl und Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Karger, LL.M., über die Revision der Wiener Landesregierung gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 17. Juli 2023, Zl. VGW 152/088/6248/2022 66, betreffend Staatsbürgerschaft (mitbeteiligte Partei: J O C in W, vertreten durch die Armin Windhager Rechtsanwalts GmbH in 1010 Wien, Franz Josefs Kai 5/9), den Beschluss gefasst:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Das Land Wien hat der Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1Mit Schreiben vom 21. September 2021 brachte die mitbeteiligte Partei bei der Wiener Landesregierung (Amtsrevisionswerberin) eine Anzeige nach § 57 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) (überschrieben als „ANTRAG auf Feststellung der österreichischen Staatsbürgerschaft kraft Anzeige gem. § 57 Abs. 1 StbG“) ein.
2 Da die Amtsrevisionswerberin eine Entscheidung darüber nicht innerhalb von sechs Monaten erlassen hatte, erhob die Mitbeteiligte mit Schreiben vom 20. April 2022 eine Säumnisbeschwerde, die von der Behörde dem Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) vorgelegt wurde.
3 Mit dem angefochtenen Spruchpunkt (II.) des Erkenntnisses wies das Verwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 8. November 2022, 30. März 2023 und 3. Mai 2023„gemäß § 57 Abs. 1 erster Satz iVm § 42 Abs. 3 StbG [...] die auf § 57 StbG gestützte Anzeige“ der Mitbeteiligten, „wonach sie aufgrund fälschlicher verwaltungsbehördlicher Behandlung als österreichische Staatsbürgerin rückwirkend die österreichische Staatsbürgerschaft erworben habe, aufgrund des seit 11.1.2001 bei ihr bestehenden Vorliegens der österreichischen Staatsbürgerschaft“ ab. Die Revision wurde für zulässig erklärt (III.).
4 Begründend führte das Verwaltungsgericht soweit für den Revisionsfall von Bedeutungauf das Wesentliche zusammengefasst aus, im gegenständlichen Fall richte sich die Säumnisbeschwerde ausschließlich auf die verfahrensleitende Anzeige der Mitbeteiligten vom 21. September 2021 gemäß § 57 StbG. Da im Zeitpunkt der Einbringung der Säumnisbeschwerde die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 VwGVG vorgelegen seien, sei die Zuständigkeit zur Entscheidung auf das Verwaltungsgericht übergegangen.
5Erfolgsvoraussetzung für eine Anzeige nach § 57 StbG sei zunächst, dass die Anzeigende nicht ohnehin über die österreichische Staatsbürgerschaft verfüge. Anknüpfungspunkt für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft der Mitbeteiligten durch Legitimation nach § 7a StbG sei im Kern die österreichische Staatsbürgerschaft ihres Vaters gewesen. Da sein staatsbürgerschaftsrechtliches Verfahren gemäß § 69 AVG mit Wirkung ex tunc von Amts wegen wiederaufgenommen und sein Antrag in weiterer Folge abgewiesen worden sei, habe er rechtlich gesehen nie über die österreichische Staatsbürgerschaft verfügt. Somit stelle sich die Frage, ob auch die Mitbeteiligte gleichzeitig mit ihrem Vater, sohin in Anknüpfung an die Wiederaufnahme seines Staatsbürgerschaftsverleihungsverfahrens, die österreichische Staatsbürgerschaft und damit auch ihren Unionsbürgerstatus rückwirkend verloren habe.
6Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts sei auch in einem Fall wie dem vorliegenden, in welchem der Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft auf Seiten der Mitbeteiligten nicht in der Anwendung des § 29 StbG, sondern als Ausfluss der Anwendung des § 69 AVG in Bezug auf ihren Vater gründen würde, die Durchführung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung (im Sinne der Entscheidungen EuGH 12.3.2019, C 221/17, Tjebbes u.a. , sowie EuGH 2.3.2010, C 135/08, Rottmann ) unionsrechtlich geboten. Diese Verhältnismäßigkeitsprüfung könne der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes folgend auch nur im gegenständlichen Verfahren betreffend die Mitbeteiligte vorgenommen werden, zumal eine Mitberücksichtigung dieses Aspekts im Rahmen der vormaligen Wiederaufnahme des staatsbürgerschaftsrechtlichen Verfahrens ihres Vaters von vornherein ausgeschieden wäre.
7 Die unionsrechtlich gebotene Verhältnismäßigkeitsprüfung, die eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls durchgeführte Gesamtbetrachtung erfordere, falle im Hinblick auf die im Einzelnen näher dargelegten Umständezugunsten der Mitbeteiligten aus. Sie habe somit die österreichische Staatsbürgerschaft durch den Wegfall der Staatsbürgerschaft auf Seiten ihres Vaters nicht ex lege verloren. Ein sonstiger Verlusttatbestand liege nicht vor. Die Mitbeteiligte sei daher seit 11. Jänner 2001 und nach wie vor österreichische Staatsbürgerin. Sie habe die österreichische Staatsbürgerschaft sohin nicht durch Anzeige nach § 57 StbG erwerben können, weshalb diese abzuweisen gewesen sei.
8Die Zulässigkeit der Revision begründete das Verwaltungsgericht damit, dass keine Rechtsprechung zur Frage bestehe, ob in Fällen wie dem vorliegenden aus unionsrechtlichen Gründen eine Verhältnismäßigkeitsprüfung zu erfolgen habe. Anders als bei den §§ 27 und 29 StbG stehe gegenständlich mit § 69 AVG kein Wegfall der vormals zumindest für einige Zeit bestandenen Staatsbürgerschaft, sondern vielmehr ein ex tunc erfolgender Wegfall der Staatsbürgerschaft im Fokus. In weiterer Folge stelle sich auch die Frage, nach welchem Maßstab die Verhältnismäßigkeitsprüfung in einem solchen Fall durchzuführen sei.
9 Dagegen richtet sich die vorliegende ordentliche Amtsrevision.
10 Die Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die kostenpflichtige Zurück , in eventu Abweisung der Revision beantragt.
11Gemäß § 59 Abs. 1 AVG, der nach § 17 VwGVG im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten sinngemäß anzuwenden ist, hat der Spruch (eines Erkenntnisses) die in Verhandlung stehende Angelegenheit in möglichst gedrängter deutlicher Fassung zu erledigen. Die Entscheidung muss dem Gebot der hinreichenden Bestimmtheit entsprechen. Die Anforderungen an die Bestimmtheit des Spruchs dürfen aber nicht überspannt werden. So darf etwa neben dem in erster Linie maßgeblichen Wortlaut des Spruchs auch die Begründung der Entscheidung als Auslegungshilfe herangezogen werden, wenn der Spruch als individuelle Norm einer Auslegung bedarf. Dabei genügt es, wenn sich aus der Einbeziehung der Begründung in die Auslegung des Spruchs der Inhalt der Entscheidung mit ausreichender Deutlichkeit ergibt. Nicht zuletzt hängen die Anforderungen an das Maß der Bestimmtheit stets von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl. VwGH 12.3.2020, Ra 2019/01/0484, mwN).
12 Was den Inhalt des angefochtenen Spruchpunktes betrifft, so wurde damit im Hinblick auf seinen insoweit klaren Wortlautdie auf § 57 StbG gestützte Anzeige der Mitbeteiligten abgewiesen (arg.: „wird die auf § 57 StbG gestützte Anzeige ... abgewiesen“). Das Verwaltungsgericht erwähnt im Spruch zwar auch § 42 Abs. 3 StbG, dies alleine ist jedoch wie sich aus der zur Auslegung des Spruchs heranzuziehenden Begründung ergibtinhaltlich nicht als Feststellung zu erachten. Denn dem angefochtenen Erkenntnis lassen sich weder Hinweise entnehmen, dass das Verwaltungsgericht infolge der Anzeige der Mitbeteiligten ein amtswegiges Feststellungsverfahren nach § 42 Abs. 3 StbG geführt hätte, noch enthält die Begründung der gegenständlichen Entscheidung eine auf diese Bestimmung gestützte Feststellung hinsichtlich des Bestehens der österreichischen Staatsbürgerschaft der Mitbeteiligten.
13Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes lässt sich § 33 Abs. 1 VwGG entnehmen, dass der Gesetzgeber das Rechtsschutzbedürfnis (Rechtsschutzinteresse) als Prozessvoraussetzung für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof versteht. Liegt diese Voraussetzung schon bei Einbringung einer Revision nicht vor, ist diese unzulässig. Fällt diese Voraussetzung erst nach Einbringung einer zulässigen Revision weg, so führt dies zu einer Einstellung des Verfahrens. Das Rechtsschutzinteresse ist auch im Hinblick auf Amtsrevisionenimmer dann zu verneinen, wenn es (auf Grund der geänderten Umstände) für die Rechtsstellung des Revisionswerbers keinen Unterschied mehr macht, ob die angefochtene Entscheidung aufrecht bleibt oder aufgehoben wird bzw. wenn die Erreichung des Verfahrenszieles für ihn keinen objektiven Nutzen hat, die in der Revision aufgeworfenen Rechtsfragen somit insoweit nur (mehr) theoretische Bedeutung haben. Dies gilt auch für Amtsrevisionen (vgl. VwGH 2.5.2019, Ra 2018/05/0231, mwN).
14Ein solcher Fall liegt hier vor: Die Amtsrevision richtet sich nur insoweit gegen Spruchpunkt II., als nach ihrer Rechtsansicht darin gemäß § 42 Abs. 3 StbG festgestellt wird, dass die Mitbeteiligte österreichische Staatsbürgerin ist. Wie oben aufgezeigt, enthält Spruchpunkt II. jedoch eine solche Feststellung der Staatsbürgerschaft nach § 42 Abs. 3 StbG nicht. Vielmehr wird mit diesem Spruchpunkt lediglich die Anzeige der Mitbeteiligten nach § 57 StbG abgewiesen. Dagegen wendet sich die Amtsrevision jedoch nicht.
15 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mangels Berechtigung zu ihrer Erhebung zurückzuweisen.
16Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere auf § 51 VwGG iVm der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 29. Oktober 2024
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