Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Samm sowie die Hofräte Mag. Berger und Mag. Marzi als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Zettl, über die Revision 1. der R A, und 2. des D U, beide vertreten durch Mag. a Doris Einwallner, Rechtsanwältin in 1050 Wien, Schönbrunner Straße 26/3, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 19. Mai 2021, VGW 151/006/15005/2020 23 und VGW 151/006/15006/2020, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird in seinem bekämpften Spruchpunkt A. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Erstrevisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Ersatzbegehren des Zweitrevisionswerbers wird abgewiesen.
1.1. Die Erstrevisionswerberin ist die obsorgeberechtigte Mutter des im Februar 2017 geborenen Zweitrevisionswerbers. Ihre Ehe mit dem Vater des Zweitrevisionswerbers, S U, wurde im November 2019 geschieden. Alle drei Genannten sind usbekische Staatsangehörige.
1.2. Die Erstrevisionswerberin verfügte zuletzt über ein ab 20. Dezember 2019 gültiges Visum C, das sie zum Aufenthalt in Österreich für (insgesamt) 90 Tage bei zulässiger mehrfacher Ein und Ausreise berechtigte; ob auch der Zweitrevisionswerber über ein derartiges Visum verfügte, war nicht feststellbar. Die Revisionswerber reisten mit dem besagten Visum am 21. Dezember 2019 in Österreich ein und kehrten am 21. Februar 2020 vorübergehend in ihren Heimatstaat zurück. Am 10. März 2020 reisten sie neuerlich in das Bundesgebiet ein und blieben über den Ablauf des erlaubten sichtvermerkpflichtigen Aufenthalts am 5. April 2020 hinaus in Österreich.
1.3. Am 14. März 2020 ging die Erstrevisionswerberin die Ehe mit einem österreichischen Staatsbürger (im Folgenden: Zusammenführender) ein. Im Hinblick darauf stellten die Revisionswerber am 27. März 2020 beim Landeshauptmann von Wien (im Folgenden: Behörde) jeweils einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ gemäß § 47 Abs. 2 NAG sowie in der Folge auch einen Zusatzantrag gemäß § 21 Abs. 3 NAG.
2.1. Die Behörde wies diese Anträge mit Bescheiden vom 21. September 2020 ab, wobei sie (unter anderem) vom Vorliegen des Erteilungshindernisses gemäß § 11 Abs. 1 Z 5 NAG ausging. Sie führte dazu im Wesentlichen aus, die Revisionswerber seien über den Ablauf des sichtvermerkpflichtigen Aufenthalts am 5. April 2020 hinaus unrechtmäßig in Österreich geblieben. Entgegen dem Vorbringen sei ihnen trotz der Covid 19 Pandemie eine rechtzeitige Rückkehr nach Usbekistan möglich (gewesen). Auch der Behauptung, sie hätten wegen des im Heimatstaat lebenden, psychisch erkrankten und sie bedrohenden S U berechtigte Furcht vor der Rückkehr, sei nicht zu folgen. Die Ehe der Erstrevisionswerberin mit S U sei nämlich bereits im November 2019 geschieden worden, zudem seien die Revisionswerber von 21. Februar bis 10. März 2020 freiwillig nach Usbekistan zurückgekehrt, sodass sie dort offenbar keiner akuten Gefahr ausgesetzt seien. Ferner bestünden auch keine Anhaltspunkte, dass der Zusammenführende bei Versagung der Aufenthaltstitel de facto gezwungen wäre, das Unionsgebiet zu verlassen. Die (näher erörterte) Interessenabwägung gemäß § 11 Abs. 3 NAG iVm Art. 8 EMRK lasse die Erteilung der beantragten Aufenthaltstitel ebenso nicht geboten erscheinen.
2.2. Gegen diese Bescheide erhoben die Revisionswerber Beschwerde. Sie führten darin und im weiteren Verfahren (unter anderem) aus, die Ausreise und das Abwarten der Entscheidung in Usbekistan sei ihnen nicht möglich bzw. zumutbar (gewesen). S U sei psychisch erkrankt und in seinem Verhalten völlig unberechenbar, die Erstrevisionswerberin habe immer wieder Gewalt durch ihn erfahren und sei weiterhin seinen Drohungen im Heimatstaat ausgesetzt, sodass ein dortiger Aufenthalt nicht möglich sei. Aufgrund der Gewalterfahrung sei die Erstrevisionswerberin psychisch erkrankt und stehe in fachärztlicher Behandlung, sie sei zwar derzeit aufgrund der sicheren Umstände in Österreich „stabil“, eine Rückkehr nach Usbekistan würde jedoch zur erneuten Verschlechterung ihres Gesundheitszustands führen (unter einem wurde ein fachärztlicher Befundbericht der Dr. U V vom 10. März 2021 vorgelegt und deren zeugenschaftliche Vernehmung beantragt). Soweit sich die Revisionswerber im Februar/März 2020 vorübergehend im Heimatstaat aufgehalten hätten, sei dies im Beisein der Eltern der Erstrevisionswerberin und nur unter größter Vorsicht geschehen. Eine dauerhafte Rückkehr nach Usbekistan sei auch wegen der dortigen sehr hohen Covid 19 Infektionszahlen und der schlechten medizinischen Versorgung sowie der begrenzten Reisemöglichkeiten nicht zumutbar. Die Revisionswerber könnten weiters nicht vom Zusammenführenden, der wegen mehrerer Erkrankungen in Österreich behandelt werden müsse, in den Heimatstaat begleitet oder dort besucht werden. Zudem habe der Zweitrevisionswerber im Zusammenführenden mittlerweile einen Vaterersatz und im Bundesgebiet die für seine gesunde Entwicklung erforderliche Stabilität gefunden. Ein Familienleben sei daher nur in Österreich möglich. Ferner hätten die Revisionswerber in Usbekistan keine nahen Verwandten mehr, da die Eltern und Geschwister der Erstrevisionswerberin auf Dauer rechtmäßig in Österreich lebten. Die Erstrevisionswerberin, die jahrelang in den USA und in der Folge mit S U vorwiegend in der Türkei gelebt habe, weise ebenso keine nennenswerten Bindungen mehr zum Heimatstaat auf. Insgesamt komme daher der Überschreitung des rechtmäßigen Aufenthalts kein solches Gewicht zu, um die beantragten Aufenthaltstitel versagen zu können.
3.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 19. Mai 2021 wies das Verwaltungsgericht Wien (im Folgenden: Verwaltungsgericht) die Beschwerde der Revisionswerber nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und erklärte die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig (Spruchpunkt A.). Weiters verpflichtete es die Revisionswerber zum Ersatz näher genannter Barauslagen (Spruchpunkt B.).
3.2. Das Verwaltungsgericht stellte zu Spruchpunkt A. (über oben Punkt 1.1. bis 1.3. hinaus) im Wesentlichen fest, die Erstrevisionswerberin habe Usbekistan bereits im Alter von 17 Jahren verlassen und sei nach Amerika gezogen, wobei sie im Jahr 2009 auch ein Semester in Österreich studiert habe. Von 2015 bis 2017 habe sie über Aufenthaltstitel für Studierende in Österreich verfügt, im Zuge dessen habe sie von 2015 bis Frühling 2017 im Bundesgebiet und auch in der Türkei gelebt, in der Folge sei sie (mit dem Zweitrevisionswerber) zur Gänze in die Türkei und 2019 nach Usbekistan zurückgekehrt. In diesen Zeiten sei sie auch immer wieder in Österreich mit Wohnsitz gemeldet gewesen; wo sie sich tatsächlich aufgehalten habe, sei nicht feststellbar. Während ihrer Ehe mit S U habe sie (wie auch der Zweitrevisionswerber seit seiner Geburt) mit diesem in Wien und (sodann) in Istanbul gelebt. Der derzeitige Aufenthaltsort des S U sei nicht bekannt.
Die Revisionswerber seien über den 5. April 2020 hinaus im Bundesgebiet verblieben, obwohl ihre Ausreise möglich gewesen wäre. Zwar habe es aufgrund der Covid 19 Pandemie ab März 2020 diverse Einschränkungen (auch im Flugverkehr mit Usbekistan) gegeben, usbekischen Staatsangehörigen sei aber weiterhin die Ausreise aus Österreich und die Einreise in ihren Heimatstaat möglich gewesen. Die Revisionswerber hätten weder nachgewiesen, dass sie tatsächlich ausgereist seien, noch dass eine fristgerechte Ausreise zumindest geplant gewesen sei.
Die Eltern und eine Schwester der Erstrevisionswerberin verfügten über Aufenthaltstitel im Bundesgebiet. Dass die Erstrevisionswerberin einen Kreis von Bekannten bzw. Freunden in Österreich habe, sei nicht feststellbar gewesen.
3.3. Rechtlich folgerte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen, auf Basis des festgestellten Sachverhalts liege das Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs. 1 Z 5 NAG vor. Die Revisionswerber seien nur zur sichtvermerkpflichtigen Einreise berechtigt (gewesen). Die Erstrevisionswerberin habe über ein Visum C verfügt, wobei die erlaubte sichtvermerkpflichtige Aufenthaltsdauer am 5. April 2020 geendet habe. Dessen ungeachtet seien sie und der Zweitrevisionswerber nicht ausgereist, sondern in Österreich verblieben, obwohl die rechtzeitige Rückkehr nach Usbekistan trotz einiger Beschränkungen aufgrund der Covid 19 Pandemie möglich gewesen wäre. Der Erstrevisionswerberin sei dabei bewusst gewesen, dass sie (mit dem Zweitrevisionswerber) Österreich wieder verlassen und die Entscheidung im Ausland abwarten müsse. Sie habe dem jedoch wider besseres Wissen nicht entsprochen.
Die Erteilung der beantragten Aufenthaltstitel sei auch nicht zur Aufrechterhaltung des Privat und Familienlebens gemäß § 11 Abs. 3 NAG iVm Art. 8 EMRK geboten. Zwar komme der Ehe der Erstrevisionswerberin mit dem Zusammenführenden und der Bindung des Zweitrevisionswerbers an diesen ein besonderes Gewicht zu. Dem stehe jedoch entgegen, dass die Ehe erst kurz vor der Antragstellung geschlossen worden sei und die familiären und sozialen Bindungen in einer Zeit entstanden seien, in der sich die Revisionswerber ihres unsicheren Aufenthalts hätten bewusst sein müssen. Die Beschränkungen und die Unsicherheit aufgrund der Covid 19 Pandemie könnten das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen ebenso nicht überwiegen. Die Erstrevisionswerberin verfüge ferner über keine weiteren Bekannten oder Freunde im Bundesgebiet, indes lägen noch enge Bindungen zum Heimatstaat vor und bestehe dort auch eine Wohnmöglichkeit. Eine tiefgreifende sprachliche Integration in Österreich sei ebenso nicht gegeben. Weiters sei auch nicht davon auszugehen, dass bei Versagung der Aufenthaltstitel der Zusammenführende im Kernbestand seiner Unionsbürgerrechte beeinträchtigt und de facto gezwungen wäre, das Unionsgebiet zu verlassen. Was die behauptete Bedrohung durch S U betreffe, so sei eine den Aufenthalt der Revisionswerber im Heimatstaat unmöglich machende aktuelle Gefährdung nicht zu erkennen, zumal der genaue Aufenthaltsort des S U (in der Türkei oder in Usbekistan) nicht bekannt sei. Da insofern auch die behandelnde Fachärztin Dr. U V keine Angaben machen könnte, habe ihre zeugenschaftliche Vernehmung unterbleiben können. Insgesamt seien somit überwiegende private und familiäre Interessen im Sinn des § 11 Abs. 3 NAG iVm Art. 8 EMRK nicht gegeben bzw. hätten diese hinter das gewichtige öffentliche Interesse an der Einhaltung der fremdenrechtlichen Bestimmungen zurückzutreten.
4.1. Gegen dieses Erkenntnis erhoben die Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 30. November 2021, E 2684 2685/2021 5, ablehnte und sie über nachträglichen Antrag dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
4.2. Daraufhin erhoben die Revisionswerber die hier gegenständliche (inhaltlich nur gegen Spruchpunkt A. des angefochtenen Erkenntnisses gerichtete) Revision, in deren Zulässigkeitsbegründung unter dem Aspekt eines Abweichens von näher genannter Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs unter anderem Verfahrensmängel geltend gemacht werden. Die Revisionswerber monieren dabei im Wesentlichen, sie hätten die zeugenschaftliche Vernehmung der Dr. U V zum Beweis dafür beantragt, dass aufgrund der psychischen Erkrankung der Erstrevisionswerberin (infolge der Gewalterfahrung von Seiten des S U) eine Rückkehr nach Usbekistan nicht möglich sei; das Verwaltungsgericht habe die beantragte zeugenschaftliche Vernehmung jedoch zu Unrecht unterlassen.
Weiters habe das Verwaltungsgericht festgestellt, dass der Zusammenführende im Fall der Versagung der beantragten Aufenthaltstitel nicht de facto zum Verlassen des Unionsgebiets gezwungen sei. Es habe dazu jedoch keinerlei Ermittlungen insbesondere durch amtswegige zeugenschaftliche Vernehmung (auch) des Zusammenführenden durchgeführt.
4.3. Die Behörde nahm von der Erstattung einer Revisionsbeantwortung Abstand.
5. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die Revision ist aufgrund der geltend gemachten Ermittlungsmängel (vgl. oben Pkt. 4.2.) zulässig und auch begründet.
6. Rechtsfragen des Verfahrensrechts sind von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG, wenn tragende Regeln des Verfahrensrechts auf dem Spiel stehen bzw. wenn die in der angefochtenen Entscheidung getroffene Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt ist und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Ergebnis geführt hat (vgl. etwa VwGH 20.10.2020, Ra 2019/22/0135, Pkt. 5.1., mwN).
Eine solche Rechtswidrigkeit ist dem Verwaltungsgericht hier unterlaufen, indem es die beantragte zeugenschaftliche Vernehmung der Dr. U V (vgl. dazu näher Pkt. 7.) sowie die amtswegige zeugenschaftliche Vernehmung des Zusammenführenden (vgl. dazu näher Pkt. 8.) unterlassen hat.
7.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist Beweisanträgen grundsätzlich zu entsprechen, wenn die Aufnahme des darin begehrten Beweises im Interesse der Wahrheitsfindung notwendig erscheint. Beweisanträge dürfen nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel an sich ungeeignet ist, über den betreffenden Gegenstand einen Beweis zu liefern und folglich zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts beizutragen (vgl. etwa VwGH 24.7.2017, Ro 2014/08/0043, Pkt. 6.2., mwN).
7.2. Vorliegend brachten die Revisionswerber vor, S U sei psychisch erkrankt und in seinem Verhalten völlig unberechenbar, die Erstrevisionswerberin habe immer wieder Gewalt durch ihn erfahren und sei weiterhin seinen Drohungen im Heimatstaat ausgesetzt, sodass den Revisionswerbern ein dortiger Aufenthalt nicht möglich sei. Aufgrund der Gewalterfahrung sei die Erstrevisionswerberin psychisch erkrankt und stehe in fachärztlicher Behandlung; zwar sei sie derzeit aufgrund der sicheren Umstände in Österreich „stabil“, eine Rückkehr nach Usbekistan würde jedoch zur erneuten Verschlechterung ihres Gesundheitszustands führen.
Zum Beweis für dieses Vorbringen legten die Revisionswerber einen Befundbericht der behandelnden Fachärztin Dr. U V vom 10. März 2021 vor und beantragten insbesondere auch deren zeugenschaftliche Vernehmung.
Das Verwaltungsgericht unterließ die beantragte Vernehmung (allein) mit der Begründung, dass eine aktuelle Gefährdung, die den Aufenthalt der Revisionswerber im Heimatstaat unmöglich mache, nicht zu erkennen sei, da der genaue Aufenthaltsort des S U (insbesondere ob er sich derzeit in der Türkei oder in Usbekistan aufhalte) nicht bekannt sei und insoweit auch Dr. U V keine Angaben machen könne.
7.3. Dieser Würdigung kann aus den nachstehenden Erwägungen nicht gefolgt werden:
Wie bereits gesagt, ist Beweisanträgen, die im Interesse der Wahrheitsfindung notwendig erscheinen, grundsätzlich zu entsprechen. Vorliegend erscheint die Beweisaufnahme durch zeugenschaftliche Vernehmung der Dr. U V zur Wahrheitsfindung erforderlich, da der aufgeworfenen Frage, ob den Revisionswerbern eine Rückkehr in ihren Heimatstaat im Hinblick auf die psychische Erkrankung der Erstrevisionswerberin (deren Ursache die Übergriffe von Seiten des S U in der Vergangenheit seien) möglich sei, wesentliche Bedeutung zukommt.
Wie ebenso schon festgehalten wurde, dürfen Beweisanträge nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel an sich ungeeignet ist, über den betreffenden Gegenstand einen Beweis zu liefern. Vorliegend ging das Verwaltungsgericht offenbar vom zweitgenannten Tatbestand aus, wonach es auf die Beweistatsachen nicht ankomme, weil der konkrete Aufenthaltsort des S U (in der Türkei oder in Usbekistan) nicht bekannt sei und folglich eine aktuelle Gefährdungslage durch ihn nicht bestehe.
Das Verwaltungsgericht übersieht dabei jedoch, dass im gegebenen Zusammenhang eine aktuelle Gefährdungslage der Revisionswerber ohne dass es dabei auf den derzeitigen Aufenthaltsort des S U (in der Türkei oder in Usbekistan) ankäme nicht ohne Weiteres von der Hand zu weisen ist. Die Unbekanntheit des derzeitigen Aufenthaltsorts des S U schließt nämlich schon nach der allgemeinen Lebenserfahrung keineswegs aus, dass dieser im Fall der Rückkehr der Revisionswerber nach Usbekistan neuerlich mit diesen in Kontakt treten könnte und es dabei wie bereits in der Vergangenheit aufgrund seiner psychischen Erkrankung und seines damit einhergehenden unberechenbaren Verhaltens zu erneuten Übergriffen (Gewaltanwendung und Drohungen) kommen könnte.
Selbst wenn sich S U derzeit nicht (bereits) in Usbekistan, sondern (noch) in der Türkei aufhalten sollte, wäre es ihm als usbekischem Staatsangehörigen, der nach den vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen auch bereits in der Vergangenheit in seinem Heimatstaat gelebt hat durchaus möglich, im Fall der Rückkehr der Revisionswerber nach Usbekistan ebenfalls dorthin zurückzukehren. Dass ihm eine solche Rückkehr und eine Wiederaufnahme der Kontakte mit den sobald dort verweilenden Revisionswerbern etwa behördlich bzw. gerichtlich untersagt worden wäre oder dass derartige Kontakte aus sonstigen Gründen in Hinkunft ausgeschlossen wären, wurde vom Verwaltungsgericht nicht festgestellt und ist auch nicht zu sehen.
7.4. Nach dem Vorgesagten schließt somit der bloße Umstand, dass der derzeitige konkrete Aufenthaltsort des S U (in der Türkei oder in Usbekistan) unbekannt ist, die von den Revisionswerbern behauptete mögliche erneute Gefährdung (insbesondere) der Erstrevisionswerberin durch S U im Fall der Rückkehr der Revisionswerber in den Heimatstaat nicht aus.
Ist aber eine solche Gefährdung nicht auszuschließen, so kann auch dem Antrag auf zeugenschaftliche Vernehmung der Dr. U V zum Beweis dafür, dass den Revisionswerbern aufgrund der behaupteten psychischen Erkrankung der Erstrevisionswerberin (infolge der Übergriffe des S U bereits in der Vergangenheit) eine Rückkehr nach Usbekistan nicht möglich sei, eine erhebliche Bedeutung nicht von vorneherein abgesprochen werden.
Das Verwaltungsgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren die zu Unrecht unterlassene beantragte zeugenschaftliche Vernehmung der Dr. U V zum angeführten Beweisthema nachzuholen haben.
8.1. In Verfahren vor den Verwaltungsgerichten gelten die Grundsätze der Amtswegigkeit und der Erforschung der materiellen Wahrheit (siehe die §§ 39 Abs. 2, 37 AVG iVm § 17 VwGVG). Das Verwaltungsgericht hat daher unabhängig vom Vorbringen und von den Anträgen der Parteien die Pflicht, von Amts wegen für die Durchführung aller zur Klarstellung des maßgeblichen (wahren) Sachverhalts erforderlichen Beweise zu sorgen (vgl. etwa VwGH 26.7.2021, Ra 2019/22/0121, Pkt. 10.1., mwN).
8.2. Vorliegend ging das Verwaltungsgericht davon aus, dass im Fall der Versagung der beantragten Aufenthaltstitel der Zusammenführende nicht im Kernbestand seiner Unionsbürgerrechte beeinträchtigt und nicht de facto gezwungen sei, Österreich und das Unionsgebiet zu verlassen. Wie die Revisionswerber zutreffend rügen, hat das Verwaltungsgericht dazu jedoch keine hinreichenden Ermittlungen durchgeführt.
Das Verwaltungsgericht hob im angefochtenen Erkenntnis selbst ausdrücklich hervor, dass der zwar erst kurz vor der Antragstellung geschlossenen Ehe der Erstrevisionswerberin mit dem Zusammenführenden sowie auch der Bindung des Zweitrevisionswerbers an den Zusammenführenden ein besonderes Gewicht im Rahmen der Interessenabwägung gemäß § 11 Abs. 3 NAG iVm Art. 8 EMRK zukomme.
Im Hinblick darauf hätte das Verwaltungsgericht jedoch weitergehende diesbezügliche Ermittlungen insbesondere auch durch amtswegige zeugenschaftliche Vernehmung des Zusammenführenden durchführen müssen, um beurteilen zu können, ob im Fall der Versagung der Aufenthaltstitel eine Trennung von den Revisionswerbern zu keiner Beeinträchtigung des Zusammenführenden im Kernbestand seiner Unionsbürgerrechte führen und ihn insbesondere nicht de facto zwingen würde, Österreich und das Unionsgebiet zu verlassen.
Das Verwaltungsgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren auch die zu Unrecht unterlassene amtswegige zeugenschaftliche Vernehmung des Zusammenführenden nachzuholen haben.
9. Insgesamt ist daher das angefochtene Erkenntnis mit den oben erörterten Verfahrensmängeln belastet und schon deshalb (auf die behaupteten inhaltlichen Fehler braucht nicht mehr eingegangen zu werden) im Umfang der Anfechtung (Spruchpunkt A.) gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
10. Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere auf § 53 Abs. 1 VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014. Demnach ist bei Anfechtung durch mehrere Revisionswerber in einer Revision die Frage des Aufwandersatzes so zu beurteilen, als ob die Revision nur vom erstangeführten Revisionswerber eingebracht worden wäre; der Ersatz ist dann (nur) an diesen zu zahlen (vgl. etwa VwGH 9.5.2022, Ra 2021/01/0184, Rn. 27, mwN).
Vorliegend war der beantragte Schriftsatzaufwand für die von den Revisionswerbern gemeinsam erhobene Revision daher nur einmal der Erstrevisionswerberin zuzusprechen. Das Ersatzbegehren (auch) des Zweitrevisionswerbers war abzuweisen (vgl. etwa VwGH 4.3.2024, Ra 2023/06/0232, Rn. 19).
Wien, am 23. Juli 2024
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