Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Dr. in Oswald als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Herrmann Preschnofsky, über die Revision des M A, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Goldschmiedgasse 6/6 8, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 14. Oktober 2022, W108 2239247 2/11E, betreffend Anerkennung als Flüchtling nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Der Revisionswerber, ein syrischer Staatsangehöriger, stellte am 17. Juni 2020 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005. Als Fluchtgrund brachte er im Wesentlichen vor, er habe seinen Herkunftsstaat vor Ablauf eines ihm gewährten Militärdienstaufschubes verlassen und er wolle den Militärdienst nicht ableisten.
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 21. Dezember 2020 hinsichtlich des Begehrens auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte dem Revisionswerber jedoch den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung mit der Gültigkeit für ein Jahr.
3 Zur Begründung führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, der Revisionswerber habe nicht glaubhaft machen können, dass ihm in seinem Herkunftsstaat eine zwangsweise Einziehung zum Militärdienst drohe oder er wegen Wehrdienstverweigerung gesucht werde. Der Revisionswerber laufe auch sonst nicht Gefahr, von der syrischen Regierung als politischer Gegner angesehen zu werden.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers ohne Durchführung der in der Beschwerde beantragten Verhandlung ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage derselben und der Verfahrensakten durch das Bundesverwaltungsgericht sowie nach Einleitung des Vorverfahrens es wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
6 Der Revisionswerber macht zur Zulässigkeit der Revision mit näherer Begründung geltend, dass das Bundesverwaltungsgericht die angefochtene Entscheidung nicht ohne Durchführung der beantragten Verhandlung hätte erlassen dürfen.
7 Die Revision ist vor dem Hintergrund dieses Vorbringens zulässig. Sie ist auch begründet.
8 Gemäß dem hier maßgeblichen § 21 Abs. 7 BFA Verfahrensgesetz (BFA VG) kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.
9 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind zur Beurteilung, ob im Sinn des § 21 Abs. 7 erster Satz BFA VG „der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint“ und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach dieser Bestimmung unterbleiben kann, folgende Kriterien beachtlich:
10 Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, 0018, sowie aus der jüngeren Rechtsprechung etwa VwGH 11.10.2021, Ra 2021/20/0021 bis 0022, mwN).
11 Diesen Grundsätzen hat das Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Fall was in der Revision zutreffend aufgezeigt wird nicht entsprochen:
12 Das Bundesverwaltungsgericht hat sich mit dem in der Beschwerde erstatteten ergänzenden Vorbringen, wonach dem Revisionswerber auch wegen seiner Herkunft aus einem ehemals oppositionellen Gebiet sowie wegen der Asylantragstellung im Ausland eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werde und er deswegen (asylrechtlich relevante) Verfolgung befürchte, des Näheren befasst, ohne dieses Vorbringen als dem Neuerungsverbot gemäß § 20 BFA VG unterworfen anzusehen. So stützte das Bundesverwaltungsgericht seine beweiswürdigenden Erwägungen etwa darauf, der Revisionswerber habe sich schon durch seinen Wegzug aus seinem Herkunftsgebiet im Jahr 2015 erkennbar von der Opposition distanziert und es sei im speziellen Fall des Revisionswerbers, bei dem davon auszugehen sei, dass er sich mit der syrischen Regierung „arrangiert“ habe, die Asylantragstellung für die Annahme einer hinreichend wahrscheinlichen Verfolgung durch die syrische Regierung nicht ausreichend.
13 Das Bundesverwaltungsgericht hat mit diesen Überlegungen eine zusätzliche Würdigung der vorliegenden Beweise vorgenommen, die dazu führt, dass die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung nicht bloß unmaßgeblich ergänzt wurden. Infolgedessen lagen schon aus diesem Grund die Voraussetzungen des § 21 Abs. 7 BFA VG für eine Abstandnahme von der Verhandlung nicht vor (vgl. etwa VwGH 28.3.2023, Ra 2023/20/0005, mwN).
14 Die Missachtung der Verhandlungspflicht führt im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK und wie hier des Art. 47 GRC zur Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, ohne dass im Revisionsverfahren die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsste (vgl. erneut VwGH 28.3.2023, Ra 2023/20/0005, mwN).
15 Sohin war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Auf das übrige Vorbringen in der Revision war daher nicht weiter einzugehen.
16 Von der in der Revision beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.
17 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 7. September 2023
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