Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Seiler, in der Revisionssache des C E, vertreten durch die Önal Rechtsanwalt GmbH in 8020 Graz, Kärntner Straße 7b, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Juli 2022, L502 2214791 1/13E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der Revisionswerber, ein türkischer Staatsangehöriger, stellte am 17. September 2018 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, in der Türkei von der Gülen-Bewegung bei der Absolvierung seines Studiums unterstützt worden zu sein. Nachdem zwei Freunde aufgrund ihrer Nähe zur Gülen Bewegung verhaftet worden seien, befürchte er das gleiche Schicksal.
2 Mit Bescheid vom 15. Jänner 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in die Türkei zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
4 Mit Beschluss vom 4. Oktober 2022, E 2413/2022 9, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis gerichteten Beschwerde ab und trat die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
5 Schließlich erhob der Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Zur Begründung ihrer Zulässigkeit rügt die Revision zunächst die Unvertretbarkeit der Beweiswürdigung, weil das BVwG zu Unrecht von der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens zur Verfolgung des Revisionswerbers aufgrund seiner Nähe zur Gülen-Bewegung ausgegangen sei. Das BVwG übersehe, dass der Revisionswerber bei seiner universitären Ausbildung von Einrichtungen der Gülen-Bewegung unterstützt worden sei und an diversen Veranstaltungen der Gülen-Bewegung teilgenommen habe. Mit der Festnahme der Freunde des Revisionswerbers habe sich das BVwG überhaupt nicht auseinandergesetzt. Alleine daraus, dass der Revisionswerber legal aus der Türkei ausgereist sei, könne nicht geschlossen werden, dass dem Revisionswerber keine Verfolgung drohe.
10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen. In Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 21.9.2022, Ra 2022/19/0021, mwN).
11 Das BVwG hat sich nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung umfassend mit dem gesamten Fluchtvorbringen des Revisionswerbers auseinandergesetzt und dabei auch entgegen dem Revisionsvorbringen die behauptete Festnahme zweier Freunde des Revisionswerbers miteinbezogen. Seine Annahme, dass die behauptete Verfolgung des Revisionswerbers aufgrund der Nähe zur Gülen Bewegung unglaubwürdig sei, begründete das BVwG insbesondere damit, dass den vom Revisionswerber vorgelegten Unterlagen kein direkter Bezug zur Gülen-Bewegung zu entnehmen sei, seine Ausführungen vage gewesen seien und die Angaben (im Einzelnen näher dargelegte) Widersprüche und Unstimmigkeiten enthielten. Auch das erst in der Beschwerdeverhandlung (ohne nachvollziehbaren Grund) erstmals erstattete Vorbringen bezüglich seiner Aktivitäten während des Studiums für die Gülen Bewegung habe die Glaubwürdigkeit der Fluchtgründe belastet.
12 Dass die beweiswürdigenden Überlegungen des BVwG mit einem vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangel behaftet wären, vermag die Revision nicht aufzuzeigen. Angesichts der ausführlichen und auf unterschiedliche Aspekte des individuellen Vorbringens gestützten Beweiswürdigung ist auch aus dem Hinweis auf die Länderfeststellungen, denen zufolge die Gefahr einer Verfolgung schon dann bestehe, wenn eine Person der Gülen-Bewegung angehöre oder ihr nahestehe, nichts gewonnen.
13 Soweit die Revision überdies geltend macht, das BVwG hätte den Revisionswerber näher zu seiner durch die Gülen Bewegung finanzierten Unterkunft, seiner Rolle innerhalb der Gülen Struktur und den absolvierten Vorbereitungskursen für die Universität an einem gülenistischen Bildungsinstitut befragen müssen, wird ebenfalls keine Rechtswidrigkeit aufgezeigt: Die Frage, ob auf Basis eines konkret vorliegenden Standes eines Ermittlungsverfahrens ein ausreichend ermittelter Sachverhalt vorliegt oder ob weitere amtswegige Erhebungen erforderlich sind, stellt regelmäßig keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, sondern eine jeweils einzelfallbezogen vorzunehmende Beurteilung dar (vgl. VwGH 1.8.2022, Ra 2022/19/0178, mwN). Das BVwG befragte den Revisionswerber in der mündlichen Verhandlung eingehend zu seinen Fluchtgründen. Dass im vorliegenden Fall ein krasser, die Rechtssicherheit beeinträchtigender und daher eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufwerfender Verfahrensfehler vorliegt, ist nicht ersichtlich.
14 Schließlich rügt die Revision im Hinblick auf die Rückkehrentscheidung, dass das BVwG auf die Beziehung des Revisionswerbers zu einer rumänischen Staatsangehörigen, eine vorgelegte Einstellungszusage sowie auf die ausgezeichneten Deutschkenntnisse des Revisionswerbers nicht Bedacht genommen habe. Der Revisionswerber habe zahlreiche Freunde in Österreich und gehe mittlerweile einer unselbständigen Erwerbstätigkeit nach. Das BVwG habe zudem außer Acht gelassen, dass der Revisionswerber von seinen Brüdern finanziell abhängig sei.
15 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen wenn kein revisibler Verfahrensmangel aufgezeigt wird und sie in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel (vgl. VwGH 21.9.2022, Ra 2022/19/0225, mwN).
16 Das BVwG berücksichtigte im Rahmen seiner Interessenabwägung auch die zugunsten des Revisionswerbers sprechenden Umstände, wie etwa seine Beziehung zu seinen Brüdern und zu einer rumänischen Staatsangehörigen, seine guten Deutschkenntnisse und die vorgelegte Einstellungszusage. Es gelangte aber zum Ergebnis, dass die näher dargestellten öffentlichen Interessen an einer Außerlandesbringung die privaten Interessen des Revisionswerbers am Verbleib im Bundesgebiet überwiegen würden. Dass sich das BVwG bei der Gewichtung dieser Umstände von den in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien entfernt oder diese in unvertretbarer Weise zur Anwendung gebracht hätte, ist auch in Anbetracht der Dauer des weniger als vierjährigen Aufenthaltes nicht zu sehen (zur Interessenabwägung bei einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren vgl. etwa VwGH 19.1.2022, Ra 2021/19/0436, mwN).
17 Was die behauptete finanzielle Abhängigkeit des Revisionswerbers zu seinen Brüdern im Hinblick auf den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK anbelangt, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach familiäre Beziehungen unter Erwachsenen nur dann unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK fallen, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (vgl. VwGH 17.12.2019, Ro 2019/18/0006, mwN).
18 Das BVwG berücksichtigte zwar die finanzielle Unterstützung des Revisionswerbers durch seine Brüder, ging aber vertretbar davon aus, dass ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis, das über eine herkömmliche Beziehung zwischen erwachsenen Geschwistern hinausgehe, aufgrund der Volljährigkeit und Arbeitsfähigkeit des Revisionswerbers nicht bestehe. Dieser Annahme setzt die Revision nichts Stichhaltiges entgegen. In Fällen wie dem vorliegenden ist aber letztlich auch nur von untergeordneter Bedeutung, ob die genannte Beziehung als „Familienleben“ oder als „Privatleben“ zu qualifizieren ist, weil bei der vorzunehmenden Gesamtabwägung im Ergebnis die tatsächlich bestehenden Verhältnisse maßgebend sind (vgl. VwGH 3.2.2022, Ra 2021/19/0405, mwN).
19 Im Übrigen unterliegt das erstmals in der Revision erstattete Vorbringen zur unselbständigen Erwerbstätigkeit des Revisionswerbers dem aus § 41 VwGG abgeleiteten Neuerungsverbot (vgl. beispielsweise VwGH 31.8.2022, Ra 2022/19/0185, mwN).
20 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 9. Dezember 2022
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