Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Seiler, über die Revision des M H, vertreten durch Mag. a Ingeborg Haller, Rechtsanwältin in 5020 Salzburg, Markus Sittikus Straße 9/2/7, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Dezember 2021, L529 2200212 1/29E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der Revisionswerber, ein irakischer Staatsangehöriger, stellte am 21. Juni 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen mit Rekrutierungsversuchen schiitischer Milizen begründete. Überdies sei er wegen seiner beruflichen Tätigkeit bedroht worden.
2 Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 14. Oktober 2015 wurde der Revisionswerber wegen des Verbrechens der versuchten absichtlich schweren Körperverletzung gemäß § 15 und § 87 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten (davon 12 Monate unter einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen) verurteilt.
3 Mit Bescheid vom 14. Mai 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
5 Mit Beschluss vom 1. März 2022, E 230/2022 7, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis gerichteten Beschwerde ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
In der Folge erhob der Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Dazu bringt die Revision zunächst vor, das BVwG habe seinen Ausspruch, wonach eine Revision gegen das Erkenntnis nicht zulässig sei, ausschließlich mit der sinngemäßen Wiedergabe des Wortlautes des Art. 133 Abs. 4 B VG begründet.
10 Damit wird schon deshalb keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt, weil selbst das Fehlen einer näheren Begründung des Ausspruches nach § 25a Abs. 1 VwGG für sich betrachtet nicht dazu führt, dass die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG gegeben wären. Der Revisionswerber war auch an der gesonderten Darlegung der Gründe, derentwegen die Revision entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes für zulässig erachtet wird, nicht gehindert (vgl. VwGH 1.9.2021, Ra 2021/19/0304, mwN).
11 Des Weiteren macht die Revision geltend, das BVwG habe eine unvertretbare Beweiswürdigung vorgenommen.
12 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 8.11.2021, Ra 2021/19/0390, mwN).
13 Das BVwG gelangte nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in welcher es sich einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber verschaffte im Rahmen einer umfangreichen Beweiswürdigung zum Ergebnis, dass das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers nicht glaubwürdig sei. Dabei stützte es sich beweiswürdigend auf die in den verschiedenen Verfahrensstadien gemachten Aussagen des Revisionswerbers, die das BVwG als widersprüchlich, unsubstantiiert und unplausibel wertete. Die Revision, die sich in ihrer Zulässigkeitsbegründung nur pauschal gegen diese Beweiswürdigung wendet, legt nicht dar, dass diese insgesamt unvertretbar wäre.
14 Schließlich wendet sich die Revision in der Zulässigkeitsbegründung gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und die in diesem Rahmen vorgenommene Interessenabwägung nach § 9 BFA VG. Dazu bringt der Revisionswerber zusammengefasst vor, dass er seit Juni 2015 in Österreich lebe und selbsterhaltungsfähig sei. Zudem sei er mittlerweile mit einer slowakischen Staatsangehörigen verheiratet und demnach begünstigter Drittstaatsangehöriger.
15 Die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des BVwG ist gemäß § 41 VwGG auf der Grundlage der Sach und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses zu prüfen. Dementsprechend entziehen sich Änderungen der Sach und Rechtslage, die sich nach Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses ereignet haben, einer Prüfung im gegenständlichen Revisionsverfahren (vgl. etwa VwGH 1.9.2021, Ra 2021/19/0245, mwN). Ausgehend davon vermag die Revision mit dem Hinweis, der Revisionswerber habe nach Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses seine Lebensgefährtin geheiratet, nicht darzutun, dass die Beurteilung des BVwG, beim Revisionswerber handle es sich um keinen begünstigten Drittstaatsangehörigen, nicht rechtmäßig wäre.
16 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen wenn kein revisibler Verfahrensmangel aufgezeigt wird und sie in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel (vgl. VwGH 21.2.2022, Ra 2021/19/0119, mwN).
17 Das BVwG berücksichtigte im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK die maßgeblichen Umstände insbesondere den etwa fünf Jahre dauernden Aufenthalt des Revisionswerbers sowie die von ihm gesetzten integrativen Schritte, wie seine Selbsterhaltungsfähigkeit, seinen Freundeskreis, seine Deutschkenntnisse zumindest auf A2 Niveau, seine ehrenamtliche Tätigkeit und seine Lebensgemeinschaft mit einer slowakischen Staatsangehörigen. Das BVwG ging aber zutreffend davon aus, dass es bei der Beurteilung des Privat und Familienlebens des Fremden im Sinn des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA VG maßgeblich relativierend ist, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste. Diese Überlegungen gelten insbesondere auch für eine Eheschließung mit einer in Österreich aufenthaltsberechtigten Person, wenn dem Fremden zum Zeitpunkt des Eingehens der Ehe die Unsicherheit eines gemeinsamen Familienlebens in Österreich in evidenter Weise klar sein musste, und daher umso mehr für eine in einer solchen Situation begründete Lebensgemeinschaft (vgl. VwGH 10.3.2021, Ra 2021/19/0060, mwN). Schließlich berücksichtigte das BVwG auch die Straffälligkeit des Revisionswerbers, wobei es miteinbezog, dass der Revisionswerber dieses Fehlverhalten gleich zu Beginn seines Aufenthalts in Österreich gesetzt habe.
18 Die Revision vermag nicht aufzuzeigen, dass die vom BVwG im Einzelfall vorgenommene Gewichtung der festgestellten Umstände, auch unter Bedachtnahme auf das in Österreich bestehende Familienleben des Revisionswerbers, insbesondere vor dem Hintergrund seiner Straffälligkeit unvertretbar wäre.
19 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 9. Juni 2022
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