Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher und den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision der M U, vertreten durch Mag. Michael Nierla, Rechtsanwalt in Wien, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 1. März 2022, Zl. RV/7100340/2022, betreffend Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Finanzamt Österreich, Dienststelle Wien 8/16/17), zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Mit Bescheid vom 26. März 2020 forderte das Finanzamt Wien 8/16/17 (nunmehr: Finanzamt Österreich) von der Revisionswerberin Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge für ihre Tochter für den Zeitraum Oktober 2017 bis Februar 2020 iHvinsgesamt 6.472,20 € zurück. Begründend führte das Finanzamt aus, die Tochter der Revisionswerberin habe ihr Studium im Oktober 2017 zum dritten Mal gewechselt, sodass die Familienbeihilfe ab diesem Zeitpunkt zurückzufordern sei.
2 Gegen diesen Bescheid erhob die Revisionswerberin Beschwerde, in der sie zusammengefasst vorbrachte, ihre Tochter habe am 1. Oktober 2015 das Lehramtsstudium Geschichte und PP (Psychologie und Philosophie) begonnen. Am 1. März 2016 habe sie das Lehramtsstudium Geschichte und Biologie und am 1. Oktober 2017 das Lehramtsstudium Geschichte und Inklusive Pädagogik begonnen. Ihre Tochter habe ein Fach zweimal gewechselt, weil es im Fach Biologie aufgrund von Beschränkungen der Teilnehmerzahl sehr schwierig gewesen sei, Vorlesungen und Seminare zu besuchen und somit eine lange Studiendauer das Ergebnis gewesen wäre. Weiters sei das Wunschfach der Tochter „Inklusive Pädagogik“ erst ab dem Wintersemester 2016/2017 von der Universität angeboten worden.
3 Mit Beschwerdevorentscheidung vom 2. Juni 2021 wies das Finanzamt die Beschwerde der Revisionswerberin als unbegründet ab. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stelle jede Änderung einer der kombinationspflichtigen Studienrichtungen einen Studienwechsel dar. „Das neue Modell“ sehe ein formell nicht kombinationspflichtiges Studium vor, wobei allerdings generell die Ausbildung in zwei Unterrichtsfächern zu absolvieren sei. Das Lehramtsstudium diene der fachlichen, der fachdidaktischen und der pädagogischen, wissenschaftlichen oder wissenschaftlich-künstlerischen Berufsvorbildung unter Einschluss einer schulpraktischen Ausbildung in jeweils zwei Unterrichtsfächern für das Lehramt an höheren Schulen. Die zwei gewählten Unterrichtsfächer hätten die Studierenden anlässlich der Zulassung zum Lehramtsstudium bekanntzugeben. Für alle Fächer gelte, dass für die pädagogische und fachdidaktische Ausbildung unbeschadet der schulpraktischen Ausbildung im Studienplan 20 bis 25 % der festzulegenden Gesamtstundenzahl des Lehramtsstudiums für das jeweilige Unterrichtsfach vorzusehen sei. Daraus ergebe sich, dass die von den Studierenden zu wählenden Unterrichtsfächer in quantitativer und qualitativer Hinsicht im Vergleich zur pädagogischen und fachdidaktischen Ausbildung nicht etwa von untergeordneter Bedeutung, sondern im Gegenteil für die Identität des gewählten Lehramtsstudiums von ausschlaggebender Bedeutung seien. Da die beiden gewählten Unterrichtsfächer nach dem UniStG grundsätzlich gleichwertig seien, sei davon auszugehen, dass nach einem Wechsel auch nur eines der beiden Unterrichtsfächer von einer Fortführung desselben (Lehramts)Studiums nicht mehr gesprochen werden könne (Verweis auf VwGH 27.2.2006, 2005/10/0069).
4 Die Tochter der Revisionswerberin habe von Oktober 2015 bis Februar 2016 das Lehramtsstudium Bachelor (UA 193 050 060 Unterrichtsfach Geschichte, Sozialkunde, Politische Bildung; Unterrichtsfach Psychologie und Philosophie) angemeldet. Im März 2016 sei ein erster Studienwechsel iSd § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 erfolgt: Die Tochter der Revisionswerberin habe von März 2016 bis September 2016 das Lehramtsstudium Bachelor (UA 193 041 050 Unterrichtsfach Biologie und Umweltkunde; Unterrichtsfach Geschichte, Sozialkunde und Poltische Bildung UG 2002) angemeldet. Ein zweiter Studienwechsel iSd § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 habe im Oktober 2016 stattgefunden: Die Tochter der Revisionswerberin habe von Oktober 2016 bis September 2017 das Bachelorstudium Lehramt Sek (AB) (UA 198 402 411 02 Unterrichtsfach Biologie und Umweltkunde; Unterrichtsfach Geschichte, Sozialkunde, Politische Bildung) angemeldet. Ein dritter Studienwechsel sei im Oktober 2017 erfolgt: Die Tochter der Revisionswerberin habe ab diesem Zeitpunkt das Bachelorstudium Lehramt Sek (AB) (UA 198 411 499 02 Unterrichtsfach Geschichte, Sozialkunde, Politische Bildung; Spezialisierung Inklusive Pädagogik Lehrverbund) angemeldet. Da die Tochter der Revisionswerberin ihr Studium öfter als zweimal gewechselt habe, sei mit Oktober 2017 ein für die Gewährung der Familienbeihilfe schädlicher Studienwechsel iSd § 17 Abs. 1 Z 1 StudFG vorgelegen.
5 Die Revisionswerberin beantragte die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht. Im Vorlageantrag brachte die Revisionswerberin vor, ihre Tochter habe lediglich zweimal ihr Studium gewechselt. Zwischen September 2016 und Oktober 2016 habe kein Studienwechsel stattgefunden. Beim Lehramtsstudium Bachelor (UA 193 041 050 Unterrichtsfach Biologie und Umweltkunde; Unterrichtsfach Geschichte, Sozialkunde und Poltische Bildung UG 2002) und dem Bachelorstudium Lehramt Sek (AB) (UA 198 402 411 02 Unterrichtsfach Biologie und Umweltkunde; Unterrichtsfach Geschichte, Sozialkunde, Politische Bildung) handle es sich um dasselbe Studium. Offenbar habe sich im Zuge einer organisatorischen Neuausrichtung die Bezeichnung der Studienrichtung sowie die UA Zahl geändert.
6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde der Revisionswerberin als unbegründet ab; eine Revision erklärte es für nicht zulässig.
7 Das Bundesfinanzgericht folgte zunächst dem Vorbringen der Revisionswerberin im Vorlageantrag, wonach ihre Tochter zwischen September 2016 und Oktober 2016 keinen Studienwechsel vorgenommen habe, sodass der vom Finanzamt für die Rechtmäßigkeit der Rückforderung herangezogene Tatbestand des § 17 Abs. 1 Z 1 StudFG, der „mehr als zweimalige Wechsel des Studiums“, nicht bewirkt worden sei. Es liege jedoch ein beihilfenschädlicher Studienwechsel iSd § 17 Abs. 1 Z 2 StudFG im Oktober 2017 vor, weil die Tochter der Revisionswerberin im Zeitraum vom 1. März 2016 bis zum 30. September 2017 (Sommersemester 2016, Wintersemester 2016/2017, Sommersemester 2017) in dem als einheitliches Studium anzusehenden Lehramtsstudium Bachelor (UA 193 041 050 Unterrichtsfach Biologie und Umweltkunde; Unterrichtsfach Geschichte, Sozialkunde und Poltische Bildung UG 2002) bzw. Bachelorstudium Lehramt Sek (AB) (UA 198 402 411 02 Unterrichtsfach Biologie und Umweltkunde; Unterrichtsfach Geschichte, Sozialkunde, Politische Bildung) inskribiert gewesen sei und nach dem dritten inskribierten Semester das Studium gewechselt habe. Ab dem 1. Oktober 2017 habe daher nach § 17 Abs. 1 Z 2 StudFG ein günstiger Studienerfolg nicht mehr vorgelegen. Die Tochter der Revisionswerberin habe sich somit seit dem 1. Oktober 2017 nicht mehr in Berufsausbildung iSd § 2 Abs. 1 lit. b 10. Satz FLAG befunden, weswegen die für den Zeitraum vom 1. Oktober 2017 bis zum 29. Februar 2020 verfügte Rückforderung der Familienbeihilfe und der Kinderabsetzbeträge zu Recht erfolgt sei.
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, zu deren Zulässigkeit vorgebracht wird, das Bundesfinanzgericht sei von der geltenden Rechtslage und der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, indem es § 17 Abs. 3 StudFG gänzlich unbeachtet gelassen habe. Die Tochter der Revisionswerberin habe nur drei Semester im „zu spät gewechselten Studium“ verbracht, sodass ihr unter Berücksichtigung der durch § 17 Abs. 3 StudFG angeordneten „Wartezeit“ von drei Semestern jedenfalls ab 1. März 2019 die Familienbeihilfe sowie der Kinderabsetzbetrag wieder zuerkannt hätten werden müssen. Da sich durch den zweiten Studienwechsel nur eines der beiden Unterrichtsfächer geändert habe, seien die zuvor absolvierten Prüfungen angerechnet worden, sodass sich nach § 17 Abs. 3 zweiter Satz StudFG sogar eine Verkürzung der Wartezeit „auf Null“ ergebe.
9 Der Verwaltungsgerichtshof leitete das Vorverfahren ein.
10 Das Finanzamt erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der im Wesentlichen vorgebracht wird, ein Studienwechsel nach § 17 Abs. 1 Z 2 StudFG sei gemäß § 17 Abs. 3 StudFG dann nicht mehr zu beachten, wenn der Studierende in dem nunmehr gewählten Studium so viele Semester zurückgelegt habe wie in den vor dem Studienwechsel betriebenen Studien. Die Wartezeit betrage im revisionsgegenständlichen Fall daher vier Semester. Anerkannte Prüfungen aus dem Vorstudium würden diese Wartezeiten verkürzen, wobei auf ganze Semester aufzurunden sei. Im vorliegenden Fall liege unzweifelhaft ein Studienwechsel vor. Eine Verkürzung der Wartezeit auf „null Semester“ sei nicht möglich, weil lediglich Prüfungen aus dem Fach Geschichte, Sozialkunde und Politische Bildung angerechnet worden seien. Vorliegend habe es eine Anrechnung aus dem Vorstudium der Tochter der Revisionswerberin von 70 ECTS Punkten gegeben. Dies entspreche (aufgerundet) drei Semestern, weil 30 ECTS Punkte der Leistung eines Semesters entsprechen würden. Dadurch verringere sich die Wartezeit von vier auf ein Semester. Der Revisionswerberin stehe daher ab März 2018 ein Anspruch auf Familienbeihilfe für ihre Tochter zu, sodass eine Rückforderung ab März 2018 nicht hätte erfolgen dürfen.
11 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem nach § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
12 Die Revision ist zulässig und begründet.
13 Gemäß § 2 Abs. 1 lit. b 10. Satz des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 (FLAG) gelten bei einem Studienwechsel die in § 17 des Studienförderungsgesetzes 1992 (StudFG) angeführten Regelungen auch für den Anspruch auf Familienbeihilfe.
14 § 17 des Studienförderungsgesetzes 1992, BGBl. Nr. 305/1992 idF BGBl. I Nr. 54/2016, lautete auszugsweise wie folgt:
„Studienwechsel
(1) Ein günstiger Studienerfolg liegt nicht vor, wenn der Studierende
1. das Studium öfter als zweimal gewechselt hat oder
2. das Studium nach dem jeweils dritten inskribierten Semester (nach dem zweiten Ausbildungsjahr) gewechselt hat oder
[...]
(3) Ein Studienwechsel im Sinne des Abs. 1 Z 2 ist nicht mehr zu beachten, wenn die Studierenden danach so viele Semester zurückgelegt haben, wie sie in dem gemäß Abs. 1 Z 2 zu spät gewechselten Studium verbracht haben. Anerkannte Prüfungen aus dem verspätet gewechselten Vorstudium verkürzen diese Wartezeiten; dabei ist auf ganze Semester aufzurunden.“
15 Das Bundesfinanzgericht hat im angefochtenen Erkenntnis die Ansicht vertreten, dass der Revisionswerberin für den Zeitraum von Oktober 2017 bis Februar 2020 kein Anspruch auf Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge mehr zustehe, weil ihre Tochter das als einheitliches Studium anzusehende Lehramtsstudium Bachelor (UA 193 041 050 Unterrichtsfach Biologie und Umweltkunde; Unterrichtsfach Geschichte, Sozialkunde und Poltische Bildung UG 2002) bzw. Bachelorstudium Lehramt Sek (AB) (UA 198 402 411 02 Unterrichtsfach Biologie und Umweltkunde; Unterrichtsfach Geschichte, Sozialkunde, Politische Bildung) nach dem dritten inskribierten Semester gewechselt habe, sodass ein günstiger Studienerfolg nach § 17 Abs. 1 Z 2 StudFG nicht mehr vorliege.
16 Zwar folgt aus § 17 Abs. 1 Z 2 StudFG, dass ein (im revisionsgegenständlichen Fall von den Verfahrensparteien übereinstimmend angenommener) Studienwechsel nach dem dritten inskribierten Semester zu einem Verlust des Anspruchs auf Familienbeihilfe führt, jedoch ist dieser Verlust nicht endgültig, da aus § 17 Abs. 3 StudFG folgt, dass ein solcher Anspruch (bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen) nach Ablauf der Wartezeit, die sich nach der Anzahl der Semester bestimmt, die im „zu spät“ gewechselten Studium zurückgelegten wurden, wieder besteht.
17 Im revisionsgegenständlichen Fall hat die Tochter der Revisionswerberin nach den unbestrittenen Feststellungen des Bundesfinanzgerichts drei Semester im „zu spät“ gewechselten Studium verbracht, sodass die sich aus § 17 Abs. 3 erster Satz StudFG ergebende Wartezeit grundsätzlich drei Semester beträgt.
18 Soweit das Finanzamt in seiner Revisionsbeantwortung die Ansicht vertritt, dass in die Berechnung der Wartezeit auch das von der Tochter der Revisionswerberin im ersten Studium zurückgelegte Semester einzubeziehen sei, ist dem der klare Wortlaut des § 17 Abs. 3 StudFG entgegen zu halten, wonach es auf die Anzahl der Semester „in dem gemäß Abs. 1 Z 2 zu spät gewechselten Studium“ ankommt (vgl. auch ErlRV 1122 BlgNR 25. GP 3, wonach Studienzeiten aus allfälligen Vorstudien, die nicht zu spät gewechselt wurden, die Wartezeit nicht verlängern). Da die Tochter der Revisionswerberin das erste Studium rechtzeitig, nämlich nach Ablauf eines Semesters gewechselt hat, ist dieses somit nicht in die Berechnung der Wartezeit einzubeziehen.
19 Darüber hinaus kommt es nach § 17 Abs. 3 zweiter Satz StudFG zu einer Verkürzung der Wartezeit, wenn Prüfungen aus dem verspätet gewechselten Vorstudium anerkannt werden, wobei auf ganze Semester aufzurunden ist.
20 Da das Bundesfinanzgericht § 17 Abs. 3 StudFG gänzlich unberücksichtigt gelassen und insbesondere keine Feststellungen zu den der Tochter der Revisionswerberin angerechneten Prüfungen aus dem verspätet gewechselten Vorstudium getroffen hat, war das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
21 Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 9. September 2025
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