Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Mag. Bayer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Prendinger, über die Revisionen 1. des A S, 2. der S Y, 3. der J A und 4. der E S, alle vertreten durch Mag. Katrin Blecha Ehrbar, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Dorotheergasse 6-8, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Oktober 2022, 1. L519 2210155 1/38E, 2. L519 2210156 1/38E, 3. L519 2210154 1/34E und 4. L519 2238409 1/34E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Die Revisionen werden zurückgewiesen.
1 Die Revisionswerber sind eine Familie, Staatsangehörige des Irak, Zugehörige der Volksgruppe der Kurden und sunnitischen Glaubens. Der Erstrevisionswerber ist mit der Zweitrevisionswerberin verheiratet. Beide sind Eltern der minderjährigen Drittrevisionswerberin und der minderjährigen Viertrevisionswerberin.
2 Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin stellten am 12. Mai 2018 bzw. am 16. Mai 2018 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Der Erstrevisionswerber begründete diesen damit, dass er bei der Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ gearbeitet habe und sein Vertrag ausgelaufen sei. Es habe sodann keine Arbeit für ihn gegeben. Die Zweitrevisionswerberin brachte vor, im Irak herrsche Krieg. Die Kurden seien von Saddam Hussain getötet und jetzt von den IS Kämpfern ermordet worden.
3 Am 24. August 2018 wurde für die Drittrevisionswerberin und am 5. September 2020 für die Viertrevisionswerberin jeweils ein Antrag auf internationalen Schutz nach dem AsylG 2005 gestellt. Die Zweitrevisionswerberin als deren gesetzliche Vertreterin gab an, dass die Dritt- und die Viertrevisionswerberin keine eigenen Fluchtgründe hätten, sondern die Fluchtgründe der Eltern für sie gelten würden.
4 Mit den Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16. Oktober 2018 betreffend den Erstrevisionswerber, die Zweit- und Drittrevisionswerberin sowie vom 30. November 2020 betreffend die Viertrevisionswerberin wurden jeweils die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen, keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, jeweils eine Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt, dass die Abschiebung in den Irak zulässig sei und eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.
5 Die dagegen von den Revisionswerbern erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht mit den am 8. März 2021 mündlich verkündeten und am 5. Mai 2021 schriftlich ausgefertigten Erkenntnissen nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
6 Gegen diese Erkenntnisse erhoben die Revisionswerber Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof sowie außerordentliche Revisionen an den Verwaltungsgerichtshof.
7 Der Verfassungsgerichtshof hob die angefochtenen Entscheidungen mit Erkenntnis vom 27. September 2021, E 1270 1273/2021 21, soweit sie die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten, die Nichterteilung von Aufenthaltstiteln sowie die Rückkehrentscheidungen und den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Irak unter Setzung einer 14 tägigen Frist für die freiwillige Ausreise betraf, wegen Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf.
8 Im Übrigen sohin hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerden ab.
9 Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. Dezember 2021, Ra 2021/01/0123 0126, wies dieser die Revisionen hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten zurück, erklärte die Revisionen im Übrigen als gegenstandslos geworden und stellte das Verfahren ein.
10 In der an das Bundesverwaltungsgericht gerichteten Stellungnahme vom 6. September 2022 gaben die Revisionswerber unter anderem bekannt, dass am 19. Oktober 2021 ihre dritte Tochter geboren wurde.
11 Mit den nunmehr angefochtenen Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts wies dieses die Beschwerden der Revisionswerber gemäß §§ 8, 57 und 10 AsylG 2005 iVm § 9 BFA VG sowie §§ 46, 52 und 55 FPG als unbegründet ab und erachtete die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.
12 Dagegen erhoben die Revisionswerber die gegenständlichen außerordentlichen Revisionen.
13 Der Verwaltungsgerichtshof leitete nach Vorlage der Revisionen sowie der Verfahrensakten das Vorverfahren ein. Es wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet.
14 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B VG).
15 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
16 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
17 Zu ihrer Zulässigkeit bringen die Revisionen zunächst vor, das Bundesverwaltungsgericht sei vom Erfordernis der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgewichen (Hinweis auf VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018), weil aufgrund der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde nicht davon auszugehen sei, dass der Sachverhalt vollständig ermittelt worden sei. Bei der Verletzung der Verhandlungspflicht handle es sich um einen absoluten Verfahrensmangel, weshalb eine Relevanzdarstellung unterbleiben könne.
18 Diesem Vorbringen ist entgegenzuhalten, dass das Bundesverwaltungsgericht am 8. März 2021 eine mündliche Verhandlung durchgeführt hat, sodass die Argumentation, das Bundesverwaltungsgericht habe keine mündliche Verhandlung durchgeführt, ins Leere geht.
19 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass das Erfordernis der Darlegung der Relevanz nach bereits erfolgter Verhandlung auch in jenem Fall gilt, in dem geltend gemacht wird, das Verwaltungsgericht hätte nach bereits erfolgter Verhandlung eine weitere Tagsatzung anberaumen müssen (vgl. VwGH 26.4.2021, Ra 2021/20/0006, mwN).
20 Die Revisionen vertreten erkennbar die Ansicht, es hätte zur Klärung der Sachlage, insbesondere im Hinblick auf den Gesundheitszustand der Dritt- und Viertrevisionswerberin, die Situation der Familie im Herkunftsstaat, die von den Revisionswerbern vorgelegten neuen Beweismittel und die Verwendung aktualisierter Länderberichte im angefochtenen Erkenntnis, einer fortgesetzten Verhandlung bedurft. Ausführungen dazu, was die Revisionswerber im Rahmen einer weiteren Verhandlungstagsatzung konkret vorgebracht hätten, das zu einem anderen Verfahrensergebnis hätte führen können, sind den Revisionen nicht zu entnehmen. Insoweit wird die Relevanz dieses behaupteten Verfahrensmangels für den Verfahrensausgang nicht ausreichend dargetan (vgl. zum Erfordernis der Relevanz bei Behauptung eines derartigen Mangels auch im Anwendungsbereich von Art. 47 GRC bzw. Art. 6 EMRK VwGH 3.12.2021, Ra 2021/19/0186 bis 0187, mwN).
21 Den Revisionen gelingt es dazu auch nicht mit dem Verweis auf die behauptete Verletzung des Parteiengehörs, die Relevanz dieses Mangels darzulegen (vgl. etwa jüngst zum Erfordernis einer Relevanzdarstellung bei behaupteter Verletzung des Parteiengehörs VwGH 24.04.2023, Ra 2023/14/0119 bis 0122, mwN). Im Übrigen ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass den Revisionswerbern die Möglichkeit einer schriftlichen Stellungnahme eingeräumt wurde.
22 Zur in den Revisionen erhobenen Rüge der Verletzung der amtswegigen Ermittlungspflicht ist festzuhalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Frage, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Ermittlungspflicht von Amts wegen weitere Ermittlungsschritte setzen muss, einer einzelfallbezogenen Beurteilung unterliegt. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge insoweit nur dann vor, wenn die Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre (vgl. VwGH 7.3.2022, Ra 2022/14/0036, mwN). Derartiges zeigen die Revisionen mit ihren allgemein gehaltenen Vorwürfen, es sei nicht bzw. nicht ausreichend geprüft worden, ob die medizinische Behandlung der „Hauterkrankungen und rezidivierenden Infekte“ der Dritt und Viertrevisionswerberin sowie die im Zulässigkeitsvorbringen der Revision nicht näher beschriebenen „Krankheit“ der Viertrevisionswerberin gewährleistet und tatsächlich leistbar seien, nicht auf.
23 Werden Verfahrensmängel wie hier die Nichtberücksichtigung der UNHCR Richtlinien und der „Country Guidance“ des EASO als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt (in Bezug auf Feststellungsmängel) voraus, dass auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 2.8.2018, Ra 2018/19/0225, mwN).
24 In den Revisionen wird nicht aufgezeigt, welche für die Entscheidung über den Status der subsidiär Schutzberechtigten relevanten Tatsachen sich bei der Berücksichtigung der genannten UNHCR-Richtlinien und bei eingehender Auseinandersetzung mit dem EASO-Bericht ergeben hätten. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung wird daher nicht aufgezeigt. Auch zeigt die Revision nicht auf, dass die beweiswürdigenden Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts mit einem vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangel behaftet wären (zum diesbezüglichen Prüfmaßstab vgl. VwGH 7.6.2023, Ra 2023/14/0167, mwN).
25 Die Revisionswerber wenden sich schließlich gegen die im Rahmen der bei Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorzunehmende Interessensabwägung nach § 9 BFA-VG und bringen vor, im angefochtenen Erkenntnis habe keine ausreichende Berücksichtigung des Kindeswohls der nachgeborenen Tochter stattgefunden und keine Auseinandersetzung mit den Konsequenzen einer Trennung von dieser Tochter, deren Asylverfahren noch beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl anhängig sei.
26 Den Revisionswerbern ist zuzugestehen, dass die im Jahr 2021 geborene Tochter in der Interessensabwägung vom Bundesverwaltungsgericht nicht berücksichtigt wurde. Sie zeigen mit ihrem Vorbringen diesen Verfahrensmangel zwar auf, ohne sich dabei aber mit den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts zu den anderen Familienmitgliedern auseinanderzusetzen und ohne darzustellen, welche Aspekte noch berücksichtigt hätten werden müssen und welche konkreten Feststellungen noch zu treffen gewesen wären. Gleiches gilt für das Vorbringen hinsichtlich eines im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht entschiedenen Asylverfahrens der nachgeborenen Tochter, das ebenfalls jegliche Relevanzdarstellung vermissen lässt (vgl. zu den Erfordernissen einer Relevanzdarstellung VwGH 5.1.2022, Ra 2021/20/0451, mwN).
27 Im Übrigen wird im Hinblick auf die nachgeborene Tochter auf den rechtskräftigen, den Antrag auf internationalen Schutz abweisenden Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 3. November 2022 verwiesen.
28 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 30. Juni 2023
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