Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. in Sporrer sowie die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Mag. I. Zehetner als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Kreil, über die Revision der H N, vertreten durch Mag. Helmut Hohl, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Kegelgasse 1/46, gegen die Beschlüsse des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Juni 2022, W227 2247151 1/6E und W227 2247151 2/2E, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde und Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand jeweils in einer Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),
I. zu Recht erkannt:
Die angefochtene Entscheidung wird in ihrem Spruchpunkt A) II. (Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages) wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
II. den Beschluss gefasst:
Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Die Revisionswerberin, eine Staatsangehörige Syriens, stellte am 28. Juni 2021 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies diesen Antrag mit Bescheid vom 26. August 2021 hinsichtlich der Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten ab, erkannte ihr den Status einer subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr.
3 Mit der angefochtenen Entscheidung wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die von der Revisionswerberin dagegen erhobene Beschwerde als verspätet zurück (Spruchpunkt A) I.); den ebenfalls erhobenen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wies es ab (Spruchpunkt A) II.).
4 Das BVwG traf folgende Feststellungen:
„Mit dem angefochtenen Bescheid wies das BFA den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz vom 28. Juni 2021 hinsichtlich der Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten ab, erkannte ihr den Status einer subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr.
In der Rechtsmittelbelehrung wird festgehalten, dass gegen diesen Bescheid innerhalb von vier Wochen ab Zustellung Beschwerde erhoben werden kann.
Der Bescheid wurde der Beschwerdeführerin am 2. September 2021 (einem Donnerstag) persönlich ausgefolgt.
Am 1. Oktober 2021 brachte der Beschwerdeführer per E Mail die gegenständliche Beschwerde ein.
Am 3. November 2021 hielt das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerdeführerin die Verspätung ihrer Beschwerde vor.
Am 17. November 2021 stellte die Beschwerdeführerin einen Wiedereinsetzungsantrag.“
5 Beweiswürdigend hielt das BVwG fest, die Feststellungen ergäben sich aus dem unstrittigen Akteninhalt.
6 In der rechtlichen Beurteilung führte das BVwG im Wesentlichen aus, aus dem gegenständlichen Rückschein ergebe sich klar, dass die Revisionswerberin den Bescheid am 2. September 2021 bestätigt durch ihre Unterschrift persönlich übernommen habe. Der Vermerk „ausgefolgt vor Beginn der Abholfrist“ unterstreiche die erfolgte Zustellung. Folglich habe die Frist zur Erhebung einer Beschwerde mit Ablauf des 30. September 2021 geendet; die Beschwerde sei jedoch (unstrittig) erst am 1. Oktober 2021 und damit verspätet erhoben worden.
7 Der in der Folge erhobene Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei am 17. November 2021 und somit innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 33 Abs. 3 VwGVG beim BVwG eingelangt.
8 Begründend habe die Revisionswerberin darin angegeben, die zuständige Rechtsberaterin habe nicht miteinberechnet, dass der Bescheid entgegen den Angaben zum Beginn der Abholfrist auf dem „Briefkuvert“ bereits am 2. September 2021 zugestellt worden sei. Es handle sich dabei jedoch lediglich um eine leichte Fahrlässigkeit, da es gelegentlich auch einem sorgfältigen Menschen bzw. einer Rechtsberaterin passieren könne, sich ohne genauere Nachfrage bei der zuständigen Behörde auf das auf dem Kuvert angegebene Datum zum Beginn der Abholfrist zu verlassen.
9 Das BVwG führte aus, da die Rechtsberaterin der Revisionswerberin als rechtskundige Person bereits aufgrund des Vermerks „ausgefolgt vor Beginn der Abholfrist“ am Rückschein hätte hinterfragen müssen, wann der Revisionswerberin der Bescheid eigenhändig zugestellt worden sei, habe sie die ihr zumutbare Sorgfalt grob schuldhaft außer Acht gelassen. Folglich sei das Vorliegen eines minderen Grades des Versehens der Rechtsberaterin zu verneinen, weshalb der Wiedereinsetzungsantrag nach § 33 Abs. 1 VwGVG abzuweisen sei.
10 In der Folge wurde die gegenständliche außerordentliche Revision eingebracht.
11 Im vom Verwaltungsgericht durchgeführten Vorverfahren wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
12 Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit hinsichtlich der Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages im Wesentlichen vor, dass die Revisionswerberin keinen Rückschein unterschrieben habe, sondern mit der Benachrichtigung („gelber Zettel“) auf das Postamt gegangen sei und dort auf dem Dokument „Verständigung über die Hinterlegung eines behördlichen Dokuments RSa“ unterschrieben habe, welches im Postamt verblieben und der Behörde rückübersendet worden sei. Der Revisionswerberin sei lediglich das RSa Briefumschlagkuvert mit dem Bescheid ausgehändigt worden, auf dem sich der Vermerk des Beginns der Abholfrist mit 3. September 2021 befinde. Ausschließlich das RSa Briefumschlagkuvert mit dem falsch dokumentierten Beginn der Abholfrist samt Bescheid sei der Rechtsberaterin am 13. September 2021 (von der Revisionswerberin) übergeben worden. Man müsse nicht damit rechnen, dass die Revisionswerberin den Bescheid offenbar vor Beginn der Abholfrist abgeholt habe und dies zwar bei der Verständigung über die Hinterlegung eines behördlichen Dokuments („gelber Zettel“) dokumentiert worden sei, während das Briefumschlagkuvert wobei nur dieses der Revisionswerberin ausgehändigt worden sei nicht berichtigt auf den 2. September 2021 ausgefolgt worden sei. Die Rechtsberaterin habe daher den angesprochenen Vermerk „ausgefolgt vor Beginn der Abholfrist“ am Rückschein weder kennen, noch hinterfragen können, da dieser der Revisionswerberin nicht ausgehändigt worden sei. In Anbetracht der Umstände und der Konstellation treffe die Revisionswerberin oder ihre Vertreterin kein grobes Verschulden.
13 Die Revision erweist sich bereits aus diesem Grund hinsichtlich der Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages als zulässig und auch berechtigt.
14 Gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat eine Frist oder eine mündliche Verhandlung versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
15 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der Begriff des minderen Grades des Versehens als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf daher nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht in besonders nachlässiger Weise außer Acht gelassen haben. An berufliche rechtskundige Parteienvertreter ist dabei ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige Personen. Die Einhaltung der Rechtsmittelfristen erfordert von der Partei oder ihrem Vertreter größtmögliche Sorgfalt. Das Verschulden des die Partei vertretenden Rechtsanwaltes ist der Partei zuzurechnen (vgl. VwGH 22.2.2024, Ra 2024/20/0079, mwN).
16 Die Frage, ob ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne grobes Verschulden der Partei zur Fristversäumung geführt hat oder ob ein Wiedereinsetzungsgrund ausreichend bescheinigt ist, unterliegt grundsätzlich der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichtes und stellt daher regelmäßig keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dar. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge nur dann vor, wenn die Beurteilung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise erfolgt wäre (vgl. VwGH 9.1.2024, Ra 2021/13/0091, mwN).
17 Das BVwG verneinte das Vorliegen eines minderen Grades des Versehens der Rechtsberaterin, da die Rechtsberaterin der Revisionswerberin als rechtskundige Person bereits aufgrund des Vermerks „ausgefolgt vor Beginn der Abholfrist“ am Rückschein hätte hinterfragen müssen, wann der Revisionswerberin der Bescheid eigenhändig zugestellt worden sei.
18 Mit dieser Argumentation übersieht das BVwG, dass sich die Revisionswerberin in ihrem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erkennbar darauf stützte, dass sie der Rechtsberaterin lediglich das Briefkuvert gezeigt habe, in dem der Bescheid hinterlegt worden und auf dem der Beginn der Abholfrist mit 3. September 2021 angegeben gewesen sei; dass der Rechtsberaterin auch der Rückschein mit dem Vermerk „ausgefolgt vor Beginn der Abholfrist“ vorgelegen wäre, behauptete die Revisionswerberin in ihrem Antrag nicht.
19 Wenn das BVwG nun ohne nähere Begründung die Ansicht vertritt, die Rechtsberaterin hätte aufgrund des Rückscheins mit dem genannten Vermerk das Datum der eigenhändigen Zustellung an die Revisionswerberin hinterfragen müssen und aus der Unterlassung solcher Erhebungen eine grob schuldhafte Außerachtlassung der zumutbaren Sorgfalt der Rechtsberaterin ableitet, ist diese rechtliche Beurteilung in Ermangelung einer nachvollziehbaren Beweiswürdigung und darauf aufbauenden Feststellungen einer Überprüfung nicht zugänglich (vgl. zu den Anforderungen an die Begründung verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen etwa VwGH 3.7.2020, Ra 2020/14/0006, mwN; Entsprechendes gilt nach § 31 Abs. 3 VwGVG für verfahrensbeendende Beschlüsse, vgl. VwGH 9.9.2020, Ra 2020/07/0063, mwN).
20 Die angefochtene Entscheidung war daher in ihrem Spruchpunkt A) II. somit hinsichtlich der Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
21 Soweit sich die Revision gegen die Zurückweisung der Beschwerde wegen Verspätung richtet, erstattet sie in der Zulässigkeitsbegründung im Wesentlichen dasselbe Vorbringen wie hinsichtlich der Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages. Aus diesen Gründen liege ein Zustellmangel vor, wozu es keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gebe.
22 Inwieweit im vorliegenden Fall, in dem das Dokument der Revisionswerberin als Empfängerin unstrittig tatsächlich zugekommen ist, ein Zustellmangel vorliegen sollte, erschließt sich nicht. Die Revision war daher, soweit sie sich gegen die Zurückweisung der Beschwerde wegen Verspätung richtet, gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
23 Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 und 5 VwGG abgesehen werden.
24 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm. der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 14. Mai 2024
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