Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger sowie die Hofräte Mag. Samm und Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision des Bürgermeisters der Stadt Wiener Neustadt gegen die Erkenntnisse des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 21. Februar 2022, Zlen. 1. LVwG S 2646/001 2021, 2. LVwG S 2647/001 2021, 3. LVwG S 2648/001 2021, 4. LVwG S 2649/001 2021, 5. LVwG S 2650/001 2021, 6. LVwG S 2651/001 2021, 7. LVwG S 2652/001 2021, 8. LVwG S 2653/001 2021 und 9. LVwG S 2655/001 2021, betreffend Zurückweisung von Einsprüchen gegen Strafverfügungen nach dem COVID 19 Maßnahmengesetz (mitbeteiligte Parteien: 1. J B, 2. M H, 3. P J, 4. S K, 5. D L, 6. D L, 7. H M, 8. H N und 9. P P, alle vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Goldschmiedgasse 6/6), den Beschluss gefasst:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Den mitbeteiligten Parteien wird kein Aufwandersatz zuerkannt.
1 Mit Strafverfügungen jeweils vom 15. April 2021 legte die belangte Behörde (der nunmehrige Amtsrevisionswerber) den mitbeteiligten Parteien jeweils eine näher dargestellte Übertretung des COVID 19 Maßnahmengesetzes zur Last und verhängte über sie jeweils eine Geldstrafe.
2 Aufgrund einer Mahnung betreffend die nicht entrichtete Geldstrafe teilte die fünftmitbeteiligte Partei der belangten Behörde mit Schreiben vom 2. Juli 2021 mit, dass ihr Rechtsvertreter rechtzeitig per E Mail Einspruch erhoben habe und übermittelte diesen Einspruch in Kopie. In der Folge übermittelte der Rechtsvertreter der mitbeteiligten Parteien der belangten Behörde am 14. Oktober 2021 die Quelldaten seiner E Mails vom 22. und 23. April 2021, mit denen er seinem Vorbringen nach für die mitbeteiligten Parteien jeweils Einsprüche gegen die Strafverfügungen eingebracht habe, und schloss diesem Schreiben die betreffenden Einsprüche an.
3 Mit Bescheiden der belangten Behörde vom 27. Oktober 2021 wies die belangte Behörde diese Einsprüche jeweils gemäß § 49 Abs. 3 VStG als verspätet zurück.
4 Sie begründet dies im Wesentlichen damit, dass die Einsprüche am 22. bzw. 23. April 2021 nicht „in der Mailadresse der Behörde, Fachabteilung Verwaltungsstrafrecht“ eingelangt seien. Der Mailprovider des Vertreters der mitbeteiligten Parteien befinde sich auf der Spamliste des dreistufigen Sicherheitssystems des Magistrats, sodass die Firewall des Magistratsservers die E Mails nicht als sicher einstufen habe können. Sie seien somit nicht in die Sphäre der Verwaltungsstrafbehörde gelangt. Die damit erst am 2. Juli 2021 bzw. 14. Oktober 2021 eingelangten Einsprüche seien außerhalb der Frist des § 49 VStG eingelangt und daher verspätet.
5 Mit den angefochtenen Erkenntnissen gab das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich den gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden der mitbeteiligten Parteien jeweils Folge und hob die angefochtenen Bescheide vom 27. Oktober 2021 auf. Es sprach weiters aus, dass die Revision nicht zulässig sei.
6 Begründend stellte es insbesondere fest, dass der Vertreter der mitbeteiligten Parteien die Einsprüche am 22. und 23. April 2021 per E Mail an die dafür in den Strafverfügungen angeführte E Mail Adresse der belangten Behörde gesendet habe und die Einsprüche am jeweils gleichen Tag in den Spam Quarantäne Ordner der belangten Behörde eingelangt seien.
7 In rechtlicher Hinsicht kam das Verwaltungsgericht zum Ergebnis, dass die Einsprüche mit dem Einlangen im Spam Quarantäne Ordner in den elektronischen Verfügungsbereich der belangten Behörde gelangt und damit wirksam eingebracht worden seien. Es spiele weder eine Rolle, in welchem E Mail Postfach bzw. Ordner der belangten Behörde (Spam Quarantäne Ordner oder regulärer Posteingang) die jeweiligen Einsprüche eingelangt seien, noch, wann und ob die belangte Behörde diese E Mails gelesen bzw. zur Kenntnis genommen habe. Es sei rechtlich auch nicht von Bedeutung, wer oder welche Organisationseinheit der belangten Behörde sei es nun ein Sachbearbeiter oder die IT Abteilung oder eine andere Organisationseinheit die Berechtigung besitze, auf den entsprechenden Ordner zugreifen zu können.
8 Weil damit die Einsprüche gegen die jeweiligen Strafverfügungen der belangten Behörde vom 15. April 2021 rechtzeitig bei der belangten Behörde eingelangt und damit erhoben worden seien, seien die Zurückweisungsbescheide aufzuheben.
9 Gegen diese Erkenntnisse richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision der belangten Behörde.
10 Die mitbeteiligten Parteien haben unaufgefordert eine Revisionsbeantwortung erstattet und dafür Aufwandersatz beantragt.
11 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
12 Hat das Verwaltungsgericht wie im vorliegenden Fall im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig ist, muss die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichts die Revision für zulässig erachtet wird.
13 Die gegenständliche Revision enthält neben Ausführungen zum „Gegenstand der Revision“ und zum „Sachverhalt“ eine „Erklärung über den Umfang der Anfechtung“ sowie Ausführungen zur „Rechtswidrigkeit des Inhaltes“ und zur „Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften“ sowie verschiedene Anträge. Sie enthält abweichend von § 28 Abs. 3 VwGG aber keine gesonderte Darstellung jener Gründe, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichts die Revision im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG für zulässig erachtet wird.
14 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Revision daher mit einem der Verbesserung nicht zugänglichen Mangel behaftet und nicht zulässig (vgl. etwa VwGH 20.12.2022, Ra 2022/03/0228, mwN).
15 Die Revision bringt zwar (im Abschnitt „Rechtswidrigkeit des Inhaltes“) vor, es bestehe keine Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, welche zum Beschwerdethema „Einlangen eines Einspruchs im elektronischen Verfügungsbereich der Verwaltungsstrafbehörde“ und „Quarantäneordner“ Bezug nehme und dabei auf die Besonderheit einer Statutarstadt eingehe. Aber auch daraus ergibt sich nicht, dass die Revision von der Lösung einer Rechtsfrage abhinge, der grundsätzliche Bedeutung zukäme:
16 Diesbezüglich macht der Revisionswerber im Wesentlichen geltend, dass die Einsprüche nicht in der für die Führung von Verwaltungsstrafsachen zuständigen Dienststelle seines Magistrats eingelangt, sondern vorab gefiltert, für 30 Tage in einem Quarantäneordner, der von der Stabstelle „Organisationsentwicklung IT“ betrieben werde, verblieben und danach gelöscht worden seien. Der Grund dafür sei gewesen, dass der Vertreter der mitbeteiligten Parteien sich eines Mailproviders bedient habe, welcher immer wieder von Cyberkriminellen missbraucht werde, sodass seine Nachrichten vom eingesetzten Filter als Spam qualifiziert worden seien.
Die Stabstelle sei zentral bei der Magistratsdirektion angesiedelt und nicht ausschließlich für die Bezirksverwaltungsbehörde tätig, sondern nehme auch viele andere Agenden der Informationstechnik der Statutarstadt (etwa in den Bereichen Pflichtschulen, Kindergärten, Musikschule, Privatwirtschaftsverwaltung, Tochtergesellschaften) wahr. Der Magistrat sei neben seiner Funktion als Hilfsorgan der belangten Behörde auch selbst behördlich tätig. Die Stabstelle betreue die gesamte Stadtverwaltung, sei es für die Privatwirtschafts- oder Hoheitsverwaltung, in den Vollzugsbereichen des Bundes und des Landes, sowohl im übertragenen als auch im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde. Die für die Verwaltungsstrafrechtspflege zuständige Dienststelle (Gruppe im Magistrat) habe weder innerhalb der Rechtsmittelfrist noch innerhalb der 30 tägigen Frist, in der Mails im Spam Quarantäne Ordner verbleiben (danach sei nur mehr eine aufwändigere Prüfung anhand von Backups möglich), die Möglichkeit oder Veranlassung gehabt, auf diesen Quarantäneordner unmittelbar zuzugreifen.
17 Nach § 13 Abs. 2 AVG (hier: iVm §§ 24 und 49 Abs. 1 VStG) können schriftliche Anbringen der Behörde in jeder technisch möglichen Form übermittelt werden, mit E Mail jedoch nur insoweit, als für den elektronischen Verkehr zwischen der Behörde und den Beteiligten nicht besondere Übermittlungsformen vorgesehen sind. Etwaige technische Voraussetzungen oder organisatorische Beschränkungen des elektronischen Verkehrs zwischen der Behörde und den Beteiligten sind im Internet bekanntzumachen.
18 Ausgehend vom Revisionsvorbringen wurden die Einsprüche an jene E Mail Adresse gesendet, die dafür von der belangten Behörde im Internet bekannt gemacht wurde. Dafür, dass darüberhinausgehende, im Sinne des § 13 Abs. 2 AVG vorab bekannt gemachte technische Voraussetzungen nicht eingehalten oder solche organisatorische Beschränkungen missachtet worden wären, gibt es keinen Hinweis.
19 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine E Mail Sendung dann bei der Behörde eingelangt, wenn sie von einem Server, den die Behörde für die Empfangnahme von an sie gerichteten E Mail Sendungen gewählt hat, empfangen wurde und sich damit im „elektronischen Verfügungsbereich“ der Behörde befindet (vgl. VwGH 22.4.2009, 2008/04/0089, 29.1.2010, 2008/10/0251, und 18.4.2012, 2010/10/0258).
20 Es entspricht weiters der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass die funktionelle Zuständigkeit einer einzelnen Abteilung des Magistrats der Stadt Wien bloß Sache der inneren organisatorischen Gliederung ist, der nach außen keine rechtliche Bedeutung zukommt (vgl. VwGH 13.9.2016, Ra 2015/03/0038, Rn 37, mwN, und 26.3.2021, Ra 2019/03/0128). Diese Rechtsprechung ist auch für den hier betroffenen, nach den §§ 46, 47, 49 NÖ Stadtrechtsorganisationsgesetz (ebenso einheitlich) eingerichteten Magistrat maßgebend, wobei diese Bestimmungen mit den korrespondierenden Regelungen der §§ 67, 105 bis 107 Wiener Stadtverfassung im Wesentlichen vergleichbar sind.
21 Schon daraus ergibt sich, dass der wirksamen Einbringung einer Eingabe per E Mail nicht entgegen steht, dass die Bediensteten der zuständigen Untergliederung des der belangten Behörde beigegebenen Magistrats darauf nicht unmittelbar zugreifen können und auch sonst keine Kenntnis davon erlangen, sofern der Absender die nach § 13 Abs. 2 AVG kundgemachten technischen Voraussetzungen und organisatorischen Beschränkungen (hier: die Nutzung einer bestimmten Empfänger E Mail Adresse) eingehalten hat und das E-Mail im elektronischen Verfügungsbereich einer anderen Untergliederung dieses Magistrats (hier: in dem im Bereich der Stabstelle Organisationsentwicklung IT eingerichteten Spam Quarantäne Order) eingelangt ist.
22 Weiterer Leitlinien des Verwaltungsgerichtshofes zur Lösung dieses Falles bedürfte es daher nicht.
23 Die Revision war somit ohne weiteres Verfahren gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
24 Nach § 30a Abs. 7 in Verbindung mit § 36 Abs. 1 VwGG hat im Falle einer außerordentlichen Revision der Verwaltungsgerichtshof das Vorverfahren zu führen und die Parteien zur Einbringung einer Revisionsbeantwortung aufzufordern. Eine solche Aufforderung ist seitens des Verwaltungsgerichtshofes nicht ergangen. Der Ersatz der Kosten für die seitens der mitbeteiligten Parteien erstattete Revisionsbeantwortung konnte daher nicht zugesprochen werden (vgl. VwGH 2.12.2021, Ra 2021/03/0091, mwN).
Wien, am 20. Juni 2023
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