Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Sasshofer, über die Revision des Dr. J B in V, vertreten durch Sallinger Rampl Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Sillgasse 21/III, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. November 2021, I412 2238785 1/8E, betreffend Vorschreibung von Beitragszuschlägen nach § 113 ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Österreichische Gesundheitskasse), zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Österreichische Gesundheitskasse hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis schrieb das Bundesverwaltungsgericht der Revisionswerberin ohne Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung im Beschwerdeverfahren gegen einen Bescheid der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) einen Beitragszuschlag in der Höhe von € 1.400, vor. Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.
2 Das Bundesverwaltungsgericht stellte aufgrund des Akteninhalts fest, dass Organe der Finanzpolizei am 12. Mai 2020 um 11:40 Uhr eine Kontrolle auf einer Baustelle des Revisionswerbers durchgeführt hätten, wo sie zwei Personen (nämlich MR und AT) bei der Arbeit angetroffen hätten, welche vom 12. bis zum 13. (MR) beziehungsweise bis zum 19. Mai 2020 (AT) für den Revisionswerber tätig und geringfügig beschäftigt gewesen seien. Eine Meldung zur Sozialversicherung sei erst nach der Kontrolle durch die Finanzpolizei am 12. Mai 2020, um 13:12 Uhr verspätet erstattet worden. Es habe sich um den ersten Meldeverstoß des Revisionswerbers gemäß § 113 Abs. 1 ASVG gehandelt.
3 Das Bundesverwaltungsgericht begründete diese Feststellungen näher in einer Beweiswürdigung, in der es sich unter anderem mit dem Beschwerdevorbringen des Revisionswerbers auseinandersetzte, wonach der Revisionswerber davon ausgegangen sei, dass AT „als selbstständiges Unternehmen“ beauftragt worden sei und zur Tatzeit um 08:00 Uhr niemand auf der Baustelle gearbeitet habe.
4 In seiner rechtlichen Würdigung führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass „unstrittig“ sei, dass die genannten Personen „für“ den Revisionswerber „tätig“ gewesen seien. Der Revisionswerber sei somit Dienstgeber im Sinne des § 35 Abs. 1 ASVG und als solcher verpflichtet gewesen, die Anmeldung zur Pflichtversicherung rechtzeitig und auf die richtige Weise vorzunehmen. Auf ein Verschulden des Dienstgebers komme es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die Frage, ob ein Beitragszuschlag verhängt wird, nicht an. Im vorliegenden Fall habe der Revisionswerber die angeführten Dienstnehmer entgegen der sich aus § 33 ASVG ergebenden Verpflichtung nicht vor Arbeitsantritt zur Sozialversicherung gemeldet. Es liege das typische Bild eines Meldeverstoßes im Sinn des § 113 Abs. 1 ASVG vor. Die Höhe des Beitragszuschlages setze sich im Fall der nicht rechtzeitig erstatteten Anmeldung zur Pflichtversicherung gemäß § 113 Abs. 2 ASVG aus zwei Teilbeträgen zusammen, mit denen die Kosten für die gesonderte Bearbeitung und für den Prüfeinsatz pauschal abgegolten würden. Der Teilbetrag für die gesonderte Bearbeitung belaufe sich auf € 400, je nicht vor Arbeitsantritt angemeldeter Person; der Teilbetrag für den Prüfeinsatz auf € 600, . Bei erstmaliger verspäteter Anmeldung mit unbedeutenden Folgen könne der Teilbetrag für die gesonderte Bearbeitung entfallen und der Teilbetrag für den Prüfeinsatz bis auf € 300, herabgesetzt werden. In besonders berücksichtigungswürdigen Fällen könne auch der Teilbetrag für den Prüfeinsatz entfallen.
5 Unbedeutende Folgen seien nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs etwa dann gegeben, wenn sie hinter dem typischen Bild eines Meldeverstoßes zurückblieben, beispielsweise wenn die Anmeldung zwar verspätet erfolgt, im Zeitpunkt der Durchführung der Kontrolle aber bereits vollzogen gewesen sei (also entgegen dem typischen Regelfall feststehe, dass Schwarzarbeit nicht intendiert gewesen sei; Hinweis auf VwGH 26.05.2014, 2012/08/0228). Da im vorliegenden Fall im Rahmen der Kontrolle der Finanzpolizei zwei Personen angetroffen worden seien, für die noch keine Anmeldung zur Pflichtversicherung erfolgt sei, könne nicht von unbedeutenden Folgen gesprochen werden, vielmehr sei das typische Bild eines Meldeverstoßes gegeben. Ebenso liege kein besonders berücksichtigungswürdiger Fall vor, der den Entfall des Teilbetrages für den Prüfeinsatz rechtfertige.
6 Den Entfall der mündlichen Verhandlung begründete das Verwaltungsgericht damit, dass „der entscheidungsrelevante Sachverhalt aufgrund der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde sowie dem weiteren Vorbringen“ erwiesen erscheine und sich die Entscheidung ergänzend auch auf die Ergebnisse einer Verhandlung vor dem Landesverwaltungsgericht im Verwaltungsstrafverfahren nach dem ASVG stützen könne.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Einleitung eines Vorverfahrens, in dem keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
8 Zur Zulässigkeit der Revision macht der Revisionswerber unter anderem die Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verhandlungspflicht geltend. Die Revision erweist sich aus dem genannten Grund als zulässig und berechtigt.
9 Aufgrund des in der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht gestellten Antrags auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung durfte das Bundesverwaltungsgericht nach § 24 Abs. 4 VwGVG von der Verhandlung nur dann absehen, wenn die Akten hätten erkennen lassen, dass durch die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht zu erwarten war, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstanden (vgl. VwGH 30.4.2021, Ra 2020/08/0043, 0071).
10 Der dem angefochtenen Bescheid der ÖGK zugrunde gelegten Sachverhaltsannahme, dass (unter anderem) die Personen MR und AT bei der Kontrolle „bei der Arbeit angetroffen“ worden seien und es sich dabei um „Dienstnehmer“ gehandelt habe, ist der Revisionswerber in der Beschwerde mit dem Vorbringen entgegengetreten, dass Herr AT „als selbständiges Unternehmen damit beauftragt“ worden sei, „die Bodenlegerarbeiten auszuführen“, so jedenfalls sei es „die Annahme“ des Revisionswerbers gewesen. Er sei dann „am 12.5.2020 um ca. 08 Uhr auf der Baustelle“ gewesen, „um zu besprechen“. Es habe zu den im angefochtenen Bescheid angeführten Zeiten „niemand gearbeitet“, es habe auch keine Leistungen gegeben und „keine Arbeit, bei der man jemand betreten konnte“. Damit ist der Revisionswerber den für die rechtliche Beurteilung hinsichtlich des Vorliegens einer Pflichtversicherung des MR und des AT (und deren „unmittelbarer Betretung“ iSd. § 113 Abs. 2 ASVG) maßgeblichen Sachverhaltsannahmen substantiiert entgegengetreten. Vor diesem Hintergrund lagen im vorliegenden Verfahren die Voraussetzungen für das Absehen von einer mündlichen Verhandlung nicht vor. Es gehört gerade im Fall zu klärender bzw. widersprechender prozessrelevanter Behauptungen wie hier vorliegend zu den grundlegenden Pflichten des Verwaltungsgerichtes, dem auch im § 24 VwGVG verankerten Unmittelbarkeitsprinzip Rechnung zu tragen, um sich als Gericht einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen bzw. Parteien zu verschaffen und insbesondere darauf seine Beweiswürdigung zu gründen (vgl. zB VwGH 3.12.2021, Ra 2020/08/0182, mwN). Im Hinblick auf das Unmittelbarkeitsprinzip durfte das Bundesverwaltungsgericht auch nicht auf die Ergebnisse der im Verwaltungsstrafverfahren durchgeführten Verhandlung zurückgreifen. Im Übrigen trifft es anders als der Revisionswerber zu meinen scheint nicht zu, dass die Beurteilung im Verwaltungsstrafverfahren nach § 111 ASVG für das Beitragszuschlagsverfahren Bindungswirkung entfalten könnte; vielmehr ist in beiden Verfahren unabhängig voneinander die Vorfrage des Vorliegens einer gemäß § 33 ASVG meldepflichtigen Beschäftigung zu klären (vgl. idS etwa VwGH 24.4.2014, 2012/08/0177, mwN).
11 Da die Unterlassung der Durchführung einer mündlichen Verhandlung auf einer Verkennung der Vorgaben des § 24 VwGVG beruhte, war das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.
12 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Der Ersatz einer Eingabengebühr kommt im Hinblick auf die sachliche Abgabenfreiheit gemäß § 110 ASVG nicht in Betracht.
Wien, am 18. August 2022
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