Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Samm sowie Hofrat Dr. Mayr und Hofrätin Dr. Holzinger als Richter und Richterin, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Zettl, über die Revision der B S M, vertreten durch Dr. Gabriele Brand Ogris, LL.M., Rechtsanwalt in 1020 Wien, Schüttelstraße 55, diese vertreten durch die Brand Rechtsanwälte GmbH in 1020 Wien, Schüttelstraße 55, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 23. April 2020, VGW 151/014/10417/2019 10, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:
I. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.
II. Die Revision wird als verspätet zurückgewiesen.
1 Die Revisionswerberin, eine afghanische Staatsangehörige, ist die Mutter des am 3. Oktober 1999 geborenen S. Dieser hatte am 26. November 2014 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Im Rechtsmittelweg war ihm mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17. Mai 2017 der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden.
2 Unter Berufung darauf stellte die Revisionswerberin am 29. August 2017 bei der Österreichischen Botschaft Islamabad einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 35 AsylG 2005. Nach Abweisung dieses Antrages stellte sie in der Folge am 11. Juli 2018 im Wege der Österreichischen Botschaft Islamabad einen Antrag auf Erteilung einer „Rot Weiß Rot Karte plus“ gemäß § 46 NAG.
3 Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 12. Juli 2019 gemäß § 2 Abs. 1 Z 9 iVm § 46 Abs. 1 Z 2 NAG abgewiesen. Eine gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht Wien mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 23. April 2020 als unbegründet ab. Die Revision erklärte es gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für zulässig.
4 Mit Schriftsatz vom 14. Mai 2020 (eingelangt beim Verwaltungsgericht Wien am 12. Juni 2020) beantragte die Revisionswerberin die Gewährung der Verfahrenshilfe zur Einbringung einer ordentlichen Revision gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 23. April 2020. Das Verwaltungsgericht Wien, bei dem der Antrag eingebracht worden war, übermittelte diesen in der Folge an den Verwaltungsgerichtshof, wobei in einem Begleitschreiben vom 2. Juli 2020 ausgeführt wurde, dass gemäß § 30a Abs. 7 VwGG „die außerordentliche Revision“, die am 12. Juni 2020 eingebracht worden sei, vorgelegt werde.
5 Mit verfahrensleitender Anordnung vom 13. August 2020 übermittelte der Verwaltungsgerichtshof den ihm zugekommenen Antrag auf Verfahrenshilfe unter Hinweis darauf, dass bislang keine ordentliche Revision vorliege zuständigkeitshalber gemäß § 61 Abs. 2 VwGG an das Verwaltungsgericht Wien.
6 Mit Beschluss vom 28. August 2020 gab das Verwaltungsgericht Wien dem Antrag der Revisionswerberin auf Gewährung der Verfahrenshilfe statt und bewilligte diese in vollem Umfang. In der Folge bestellte die Rechtsanwaltskammer Wien mit Bescheid vom 24. September 2020 die einschreitende Rechtsanwältin zur Verfahrenshelferin der Revisionswerberin. Dieser Beschluss wurde der Verfahrenshelferin am 2. Oktober 2020 zugestellt.
7 In der Folge wurde die vorliegende ordentliche Revision am 20. November 2020 beim Verwaltungsgericht Wien eingebracht und sodann dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt. Zur Rechtzeitigkeit der Revision wird ausgeführt, das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 23. April 2020 sei der Verfahrenshelferin am 19. Oktober 2020 „zugestellt“ worden, „indem ihr im Rahmen der Akteneinsicht am 19.10.2020 das angefochtene Erkenntnis tatsächlich zugekommen ist“.
8 Mit verfahrensleitender Anordnung vom 4. März 2024 forderte der Verwaltungsgerichtshof die Verfahrenshelferin unter Hinweis darauf, dass gemäß § 26 Abs. 3 VwGG die Revisionsfrist für den Fall, dass die Partei innerhalb der Revisionsfrist die Bewilligung der Verfahrenshilfe beantragt hat, mit der Zustellung des Bescheides über die Bestellung des Rechtsanwaltes an diesen beginnt auf, darzulegen, weshalb sie in dem Revisionsschriftsatz davon ausgehe, die Revisionsfrist habe erst zu laufen begonnen, als ihr das angefochtene Erkenntnis im Rahmen einer Akteneinsicht am 19. Oktober 2020 zur Kenntnis gelangt sei.
9 Darauf hin erstattete die Revisionswerberin die Stellungnahme vom 8. März 2024, in der sie unter Berufung auf das Schreiben des Verwaltungsgerichtes Wien vom 2. Juli 2020 ins Treffen führt, dass bereits mit Eingabe vom 14. Mai 2020 eine Revision erhoben worden sei, die inhaltlich allen Anforderungen des VwGG an eine Revision entsprochen habe und lediglich mit einem Formmangel behaftet gewesen sei, da sie nicht durch einen befugten Parteienvertreter unterfertigt gewesen war. Zu diesem Mangel sei zu keinem Zeitpunkt ein Verbesserungsauftrag ergangen. Das Verwaltungsgericht Wien habe diese Eingabe vom 14. Mai 2020 als „Revision“ bezeichnet und dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt; eine solche Vorlage setze eine mängelfreie Revision voraus. Die Revision sei mit einem Antrag auf Verfahrenshilfe verbunden gewesen. Der Bescheid der Rechtsanwaltskammer Wien über die Bestellung zur Verfahrenshelferin sei dieser am 2. Oktober 2020 zugestellt worden; noch am selben Tag sei beim Verwaltungsgericht Wien um eine Zusendung des Aktes ersucht worden. Diesem Ansuchen sei nicht entsprochen worden, sodass der „Akteninhalt samt Erkenntnis“ erst im Rahmen einer persönlichen Akteneinsicht am 19. Oktober 2020 habe beigeschafft werden können.
10 Unter einem stellte die Revisionswerberin mit Eingabe vom 8. März 2024 für den Fall, dass die am 20. Oktober 2020 eingebrachte Revision verspätet sein sollte, einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Begründend legte sie dar, dass aufgrund personeller Ausfälle im Zusammenhang mit der COVID 19 Pandemie unvorhersehbare und insbesondere unabwendbare Umstände vorgelegen seien, die den geordneten Betrieb in der gesamten Wirtschaft und im öffentlichen Leben sowie dem sonst üblichen Kanzleibetrieb der Verfahrenshelferin „für nahezu zwei Jahre massivst beeinträchtigt“ hätten. Es sei aufgrund dieser Umstände auch zu massiven personellen Einschränkungen hinsichtlich der bislang immer fehlerfreien Abwicklung von Fristen innerhalb des Kanzleibetriebes der Verfahrenshelferin gekommen. Der kanzleiintern mit der Abarbeitung der Angelegenheit betraute Rechtsanwalt sei seit nahezu zehn Jahren bei der Verfahrenshelferin tätig. Er sei ordentlich, sorgfältig, pflichtbewusst und termintreu, und er habe bislang in keinem einzigen Verfahren eine Prozesshandlung versäumt; Gleiches gelte auch für den ebenfalls mit der Angelegenheit befassten Rechtsanwaltsanwärter. Es sei kein oder wenn überhaupt lediglich ein „Verschulden im unterst möglichen Bereich“ anzulasten. Sollte sich die Ansicht, dass es sich bei der Eingabe vom 14. Mai 2020 nicht um eine Revision gehandelt habe, als unrichtig herausstellen, so liege diesbezüglich ein „entschuldbarer Rechtsirrtum“ vor.
Zur Rechtzeitigkeit der Revision :
11 Gemäß § 26 Abs. 1 VwGG beträgt die Frist zur Erhebung einer Revision gegen ein Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes sechs Wochen. Hat die Partei innerhalb der Revisionsfrist die Bewilligung der Verfahrenshilfe beantragt, so beginnt für sie gemäß § 26 Abs. 3 VwGG die Revisionsfrist mit der Zustellung des Bescheides über die Bestellung des Rechtsanwaltes an diesen.
12 Fallbezogen wurde der Bescheid über die Bestellung zur Verfahrenshelferin dieser am 2. Oktober 2020 zugestellt. Folglich endete die Revisionsfrist gemäß § 26 Abs. 3 VwGG mit Ablauf des 13. November 2020. Am 20. November 2020, als die vorliegende Revision beim Verwaltungsgericht Wien eingebracht wurde, war die Revisionsfrist bereits abgelaufen.
13 Entgegen der von der Revisionswerberin in ihrer Stellungnahme vom 8. März 2024 vertretenen Ansicht war auch nicht bereits zuvor mit der Eingabe vom 14. Mai 2020 eine Revision gegen das angefochtene Erkenntnis eingebracht worden. Bei der Bezeichnung des Verfahrenshilfeantrages vom 14. Mai 2020 durch das Verwaltungsgericht Wien als „Revision“ handelte es sich offenkundig um ein Versehen. Der in Rede stehende Antrag war ausdrücklich als „Antrag auf Verfahrenshilfe zu LVwG Wien 23.04.2020, VGW 151/2014/10417/2019 10“ bezeichnet und es wurde auch inhaltlich von einem „Antrag auf Verfahrenshilfe zur Erhebung einer ordentlichen Revision“ sowie davon gesprochen, dass gegen dieses Erkenntnis eine ordentliche Revision erhoben werden „soll“. Gleichzeitig wurde in dem Antrag an keiner Stelle die Aufhebung des genannten Erkenntnisses beantragt.
14 Demgemäß hat auch der Verwaltungsgerichtshof mit seiner verfahrensleitenden Anordnung vom 13. August 2020 zum Ausdruck gebracht, dass seiner Ansicht nach bislang keine Revision vorliegt und damit deutlich gemacht, dass die Eingabe vom 14. Mai 2020 als Antrag auf Gewährung von Verfahrenshilfe und nicht als Revision zu verstehen ist. Kein anderes Verständnis liegt auch der von der Revisionswerberin in der Folge am 20. November 2020 beim Verwaltungsgericht Wien eingebrachten Revision zugrunde. In diesem Schriftsatz wird gerade nicht davon ausgegangen, dass bereits zu einem früheren Zeitpunkt eine (allenfalls mangelhafte) Revision eingebracht worden sei, die nunmehr verbessert bzw. ergänzt werde, sondern es wird vielmehr ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die sechswöchige Revisionsfrist mit jenem Zeitpunkt zu laufen begonnen habe, als die Verfahrenshelferin im Wege einer Akteneinsicht Kenntnis von dem angefochtenen Erkenntnis erlangt habe.
15 Damit ist aufgrund des Inhaltes des in Rede stehenden Schriftsatzes vom 14. Mai 2020, den der Verwaltungsgerichtshof selbst schon als Antrag auf Gewährung von Verfahrenshilfe qualifiziert hatte, eindeutig, dass es sich dabei nicht um eine Revision handelt. Somit begann gemäß § 26 Abs. 3 VwGG die sechswöchige Frist zur Einbringung der Revision gegen das anzufechtende Erkenntnis mit der Zustellung des Bestellungsbescheides durch die Rechtsanwaltskammer Wien an die Verfahrenshelferin.
16 Die am 20. November 2020 eingebrachte Revision erweist sich daher als verspätet.
Zum Wiedereinsetzungsantrag :
17 Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
18 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann ein Rechtsirrtum ein Ereignis darstellen, das einen Antragsteller daran hindert, eine Frist zu wahren. Demnach kann ein Rechtsirrtum einen Wiedereinsetzungsgrund bilden, wenn die weiteren Voraussetzungen, insbesondere mangelndes oder leichtes Verschulden, vorliegen (vgl. etwa VwGH 26.7.2021, Ra 2018/04/0147 bis 0150, Rn. 12, mwN).
19 Nach ebenso ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der Begriff des minderen Grades des Versehens als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber oder sein Vertreter darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben; dabei ist an berufliche und rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige und bisher noch nie an einem gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen; die Einhaltung der Rechtsmittelfristen erfordert von der Partei bzw. ihrem Vertreter größtmögliche Sorgfalt. Das Verschulden des Parteienvertreters trifft die von diesem vertretene Partei (vgl. zu alldem etwa VwGH 27.4.2023, Ra 2021/01/0032, Rn. 16 und 17, mwN).
20 Die Revisionswerberin sieht das die Einhaltung der Revisionsfrist hindernde Ereignis zusammengefasst darin, dass im Hinblick darauf, dass das Verwaltungsgericht Wien den Antrag auf Gewährung von Verfahrenshilfe vom 14. Mai 2020 im Rahmen der Übermittlung an den Verwaltungsgerichtshof als „Revision“ bezeichnet habe, davon ausgegangen habe werden dürfen, dass ungeachtet § 26 Abs. 3 VwGG mit der Zustellung des Beschlusses der Rechtanwaltskammer Wien über die Bestellung der Verfahrenshelferin die Revisionsfrist nicht zu laufen begonnen habe. Es liege ein „entschuldbarer Rechtsirrtum“ vor.
21 Wie bereits dargetan, war es fallbezogen jedoch eindeutig, dass es sich - ungeachtet der irrtümlichen Bezeichnung durch das Verwaltungsgericht Wien als „Revision“ bei dem Schriftsatz vom 14. Mai 2020 um einen Verfahrenshilfeantrag gehandelt hat. Dass gemäß dem Vorbringen im Antrag auf Wiedereinsetzung bei Zustellung des Bestellungsbescheides am 2. Oktober 2020 dessen ungeachtet davon ausgegangen wurde, es sei bereits eine Revision eingebracht worden, weshalb mit der Zustellung dieses Bescheides nicht gemäß § 26 Abs. 3 VwGG die Frist zur Einbringung einer Revision gegen das anzufechtende Erkenntnis zu laufen beginne, kann vor diesem Hintergrund nicht als nur ein Versehen minderen Grades qualifiziert werden.
22 Da die Revisionsfrist fallbezogen ohne Vorliegen eines bloß als Versehen minderen Grades zu qualifizierenden Irrtums unrichtig eingetragen und deshalb versäumt wurde, ist das in Rede stehende Fristversäumnis auch entgegen dem diesbezüglichen Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag nicht auf eine durch die konkreten Umstände bedingte entschuldbare Fehlleistung des kanzleiintern mit der Angelegenheit betrauten Rechtsanwaltes, die trotz Einhaltung der berufsgebotenen Sorgfaltspflicht der zur Verfahrenshelferin bestellten Anwältin bei der Kontrolle ihres Kanzleiapparates und trotz bisheriger objektiver Eignung und Bewährung des befassten Rechtsanwaltes unterlaufen ist, zurückzuführen.
23 Im Ergebnis ist der rechtskundigen Parteienvertreterin der Revisionswerberin an der Versäumung der Revisionsfrist ein Verschulden von nicht bloß minderem Grad im Sinne des § 46 Abs. 1 zweiter Satz VwGG anzulasten. Deshalb war der Antrag auf Wiedereinsetzung abzuweisen und die am 20. November 2020 eingebrachte Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG wegen Versäumung der Einbringungsfrist zurückzuweisen.
Wien, am 26. März 2024
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