Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer sowie die Hofräte Mag. Berger und Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision der Landespolizeidirektion Tirol gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 20. Mai 2020, Zl. LVwG 2019/17/2518 1, betreffend Bestrafung wegen Übertretung des FPG (mitbeteiligte Partei: L S, vertreten durch Dr. Max Kapferer, Dr. Thomas Lechner und Dr. Martin Dellasega, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2), zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Antrag der Revisionswerberin auf Zuspruch von Aufwandersatz wird abgewiesen.
1 Mit Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Tirol (Revisionswerberin) vom 31. Oktober 2019 wurde der Mitbeteiligte wegen eines Verstoßes gegen § 120 Abs. 1b FPG schuldig erkannt und über ihn eine Geldstrafe von € 5.000, (Ersatzfreiheitsstrafe 14 Tage) verhängt. Er sei am „06.10.2018, 21:25 Uhr“ an einem näher genannten Ort als Fremder (§ 2 Abs. 4 Z 1 FPG) nach der Erlassung einer Rückkehrentscheidung nach Eintritt der Durchsetzbarkeit nicht rechtzeitig aus dem Bundesgebiet ausgereist, und er habe sich am 10. Oktober 2019 noch unerlaubt im Bundesgebiet aufgehalten, obwohl die Frist zur freiwilligen Ausreise (§ 55 FPG) bereits verstrichen gewesen sei. Dies sei „anlässlich einer Kontrolle im ZMR ([...] seit 8.10.2018) festgestellt“ worden.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis hob das Landesverwaltungsgericht Tirol (Verwaltungsgericht) aufgrund einer Beschwerde des Mitbeteiligten das Straferkenntnis der Revisionswerberin vom 31. Oktober 2019 auf und stellte das Strafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 3 VStG ein. Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte es gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.
3 Begründend führte das Verwaltungsgericht soweit für den Revisionsfall wesentlich u.a. aus, dass die Verfolgung einer Person unzulässig sei, wenn gegen sie binnen einer Frist von einem Jahr keine Verfolgungshandlung vorgenommen worden sei. Die Frist sei von dem Zeitpunkt an zu berechnen, in dem die strafbare Handlung abgeschlossen worden sei. Es gehe aus dem erstinstanzlichen Straferkenntnis nicht hervor, welcher Tatzeitpunkt bzw. Tatzeitraum dem Mitbeteiligten zur Last gelegt worden sei. „Aus all diesen Gründen und auch weil zwischenzeitlich Verfolgungsverjährung im Sinne des § 31 Abs. 1 VStG eingetreten [sei], [sei] das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 3 VStG wegen zur Einstellung zu bringen [gewesen].“
4 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die außerordentliche (Amts )Revision, die zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, das Verwaltungsgericht habe „[...] trotz vorliegendem Dauerdelikt (arg.: Tatbestand § 120 Abs. 1b FPG) die rechtswidrige Ansicht [vertreten], dass im vorliegenden Sachverhalt eine Verfolgungsverjährung gemäß § 31 Abs. 1 [gemeint: VStG] eingetreten sei.“
Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens und Erstattung einer Revisionsbeantwortung durch den Mitbeteiligten erwogen:
5 Mit diesem Zulässigkeitsvorbringen erweist sich die Revision als zulässig; sie ist auch begründet.
6 1. § 120 Fremdenpolizeigesetz 2005 FPG, BGBl. I Nr. 100/2005, lautet in der hier anzuwendenden Fassung, BGBl. I Nr. 56/2018, unter der Überschrift „Rechtswidrige Einreise und rechtswidriger Aufenthalt“ auszugsweise wie folgt:
„ § 120. (1) Wer als Fremder nicht rechtmäßig in das Bundesgebiet einreist, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe von 100 Euro bis zu 1 000 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Wochen, zu bestrafen. Wer wegen einer solchen Tat bereits einmal rechtskräftig bestraft wurde, ist mit Geldstrafe von 1 000 Euro bis zu 5 000 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu drei Wochen, zu bestrafen. Als Tatort gilt der Ort der Betretung; bei Betretung in einem öffentlichen Beförderungsmittel die nächstgelegene Ausstiegsstelle, an der das Verlassen des öffentlichen Beförderungsmittels gemäß dem Fahrplan des Beförderungsunternehmers möglich ist. Die Verwaltungsübertretung gemäß erster Satz kann durch Organstrafverfügung gemäß § 50 VStG in der Höhe von bis zu 200 Euro geahndet werden.
[...]
(1b) Wer als Fremder aus von ihm zu vertretenden Gründen nicht unverzüglich seiner Pflicht zur Ausreise aus dem Bundesgebiet nachkommt, nachdem eine gegen ihn erlassene Rückkehrentscheidung rechtskräftig und durchsetzbar geworden ist, und ein Rückkehrberatungsgespräch gemäß § 52a Abs. 2 BFA VG in Anspruch genommen oder bis zum Eintritt der Rechtskraft und Durchsetzbarkeit der Rückkehrentscheidung aus von ihm zu vertretenden Gründen nicht in Anspruch genommen hat, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe von 5 000 bis 15 000 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Wochen zu bestrafen. Als Tatort gilt der Ort der Betretung oder des letzten bekannten Aufenthaltes, bei Betretung in einem öffentlichen Beförderungsmittel die nächstgelegene Ausstiegsstelle, an der das Verlassen des öffentlichen Beförderungsmittels gemäß dem Fahrplan des Beförderungsunternehmens möglich ist.
[...].“
7 2.1. Gemäß § 44a Z 1 VStG hat der Spruch eines Straferkenntnisses, wenn er nicht auf Einstellung lautet, die als erwiesen angenommene Tat zu enthalten (sog. Bestimmtheitsgebot; vgl. etwa VwGH 27.4.2020, Ra 2018/17/0206).
8 2.2. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichthofes sind maßgebliche Gesichtspunkte bei der Konkretisierung der Tat und der Frage, ob eine taugliche Verfolgungshandlung gesetzt wurde die Wahrung der Verteidigungsrechte des Beschuldigten und die Vermeidung der Gefahr einer Doppelbestrafung. § 44a Z 1 VStG ist unter Rechtsschutzüberlegungen dann entsprochen, wenn im Spruch des Strafbescheides dem Beschuldigten die Tat in so konkretisierter Umschreibung vorgeworfen ist, dass er (im ordentlichen Verwaltungsstrafverfahren, gegebenenfalls auch in einem Wiederaufnahmeverfahren) in die Lage versetzt wird, auf den konkreten Tatvorwurf bezogene Beweise anzubieten, um eben diesen Tatvorwurf zu widerlegen, und der Spruch geeignet ist, den Beschuldigten (Bestraften) rechtlich davor zu schützen, wegen desselben Verhaltens nochmals zur Verantwortung gezogen zu werden (vgl. VwGH 20.8.2021, Ra 2020/10/0068, mwN).
9 Es bedarf daher im Bescheidspruch der Anführung aller wesentlichen Tatbestandsmerkmale, die zur Individualisierung und Konkretisierung des inkriminierten Verhaltens und damit für die Subsumtion der als erwiesen angenommenen Tat unter die dadurch verletzten Verwaltungsvorschriften erforderlich sind. Wesentlich für die Bezeichnung der Tat ist der Ausspruch über Zeit und Ort der Begehung (vgl. VwGH 15.10.2021, Ra 2021/02/0158, mwN).
10 2.2. Eine Aufforderung zur Rechtfertigung gilt als Verfolgungshandlung gemäß § 32 Abs. 2 VStG. Dabei ist es zur Wahrung der Verfolgungsverjährung ausreichend, wenn die Behörde eine solche Verfolgungshandlung innerhalb der Verjährungsfrist abfertigt (vgl. VwGH 11.5.2021, Ra 2020/02/0024, mwN).
11 2.3. Das Verwaltungsgericht ist nicht nur berechtigt, sondern vielmehr verpflichtet, einen allenfalls fehlerhaften Spruch im behördlichen Straferkenntnis richtigzustellen oder zu ergänzen. Dies gilt allerdings nur dann, wenn innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist rechtzeitig eine alle der Bestrafung zugrunde liegenden Sachverhaltselemente enthaltende Verfolgungshandlung durch die Behörde gesetzt wurde (vgl. wiederum VwGH 15.10.2021, Ra 2021/02/0158, mwN).
12 3.1. Nach den Verfahrensakten liegen gegen den Mitbeteiligten zwei Rückkehrentscheidungen vor: Die erste ist seit dem 29. Juni 2017 rechtskräftig und die zweite seit dem 12. August 2019.
13 Die Nichtbefolgung der ersten Rückkehrentscheidung wurde bei einer polizeilichen Kontrolle am 6. Oktober 2018 festgestellt, woraufhin eine Strafanzeige gemäß § 120 Abs. 1b FPG erstattet wurde. Aufgrund dieser Anzeige ergingen am 17. und am 28. Mai 2019 Aufforderungen zur Rechtfertigung in Bezug auf den in der Anzeige genannten Tatvorwurf, sodass eine wirksame Verfolgungshandlung innerhalb der einjährigen Verjährungsfrist des § 31 Abs. 1 VStG vorgenommen wurde.
14 Der Mitbeteiligte bestritt in seiner Rechtfertigung gegenüber der Revisionswerberin vom 3. Juni 2019 in Reaktion auf die Aufforderungen zur Rechtfertigung nicht, die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretungen begangen zu haben.
15 3.2. Die Nichtbefolgung der zweiten Rückkehrentscheidung wurde ausweislich der Akten der Revisionswerberin bei einer (weiteren) polizeilichen Erhebung am 10. Oktober 2019 festgestellt, woraufhin insoweit am folgenden Tag eine (weitere) Aufforderung zur Rechtfertigung in Bezug auf den Vorwurf, entgegen dieser Rückkehrentscheidung nicht rechtzeitig aus dem Bundesgebiet ausgereist zu sein, erging, sodass auch hier insofern eine wirksame Verfolgungshandlung innerhalb der einjährigen Verjährungsfrist des § 31 Abs. 1 VStG gesetzt wurde.
16 Der Mitbeteiligte bestritt in seiner weiteren (mittels Email vom selben Tag berichtigten) Rechtfertigung gegenüber der Revisionswerberin vom 29. Oktober 2019 neuerlich nicht, die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung (in objektiver Hinsicht) begangen zu haben, sondern er verwies lediglich darauf, dass er vergeblich versucht habe, „Reisedokumente bei der indischen Botschaft zu erlangen“. Der weitere illegale Verbleib könne ihm nicht zum Vorwurf gemacht werden.
17 3.3. Im Zuge der Abfassung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses wurden diese beiden oben aufgezeigten Sachverhalte nicht mehr auseinandergehalten, vielmehr wurde offenbar von einem einzigen Tatsachenkomplex ausgegangen und zusätzlich die Datenlage miteinander vermengt.
18 3.4. Angesichts dieser das Bestimmtheitsgebot des § 44a VStG verletzenden Widersprüchlichkeiten, insbesondere der ins Auge fallenden Vermengung der Daten, wäre das Verwaltungsgericht fallbezogen verhalten gewesen, den Spruch des behördlichen Straferkenntnisses entsprechend richtigzustellen bzw. zu ergänzen.
19 3.5. Eine Einstellung des Verfahrens wegen Verjährung gemäß § 45 Abs. 1 Z 3 VStG kam ausgehend vom geschilderten Verfahrensgang nicht in Betracht, was die Revision im Ergebnis zutreffend geltend macht.
20 4. Das angefochtene Erkenntnis war demnach wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben, ohne dass auf das weitere Revisionsvorbringen einzugehen war.
21 5. Gemäß § 47 Abs. 4 VwGG hat die revisionswerbende Partei in dem hier vorliegenden Fall einer Amtsrevision gemäß Art. 133 Abs. 6 Z 2 B VG keinen Anspruch auf Aufwandersatz, weshalb der diesbezügliche Antrag abzuweisen war.
Wien, am 6. April 2023
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