Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger, den Hofrat Dr. Mayr, die Hofrätin Mag. Hainz Sator sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des Mag. S B in W, vertreten durch die RIHS Rechtsanwalt GmbH in 1010 Wien, Kramergasse 9/3/13, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. November 2019, Zlen. 1.) W134 2222370 2/40E und 2.) W134 2222370 3/2E, betreffend vergaberechtliches Nachprüfungs- und Feststellungsverfahren (mitbeteiligte Partei: Monopolverwaltung GmbH in 1090 Wien, vertreten durch die Finanzprokuratur in 1011 Wien, Singerstraße 17 19),
I. den Beschluss gefasst:
Die Revision wird, soweit sie sich gegen Spruchpunkt 1) A) I. des angefochtenen Erkenntnisses richtet, zurückgewiesen.
II. zu Recht erkannt:
Im übrigen Umfang, sohin im Umfang seiner Spruchpunkte 1) A) II. und 2) A), wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 1. Laut Akteninhalt liegen dem Revisionsfall folgende unstrittige Tatsachen zugrunde:
2 Die mitbeteiligte Partei (im Folgenden: Auftraggeberin) schrieb mit Kundmachung vom 22. Juli 2019 die Tabaktrafik am Standort 1100 Wien, Gudrunstraße 166/4, Standortnummer 1100 0035, im Wege der öffentlichen Ausschreibung gemäß § 25 Tabakmonopolgesetz 1996 (TabMG 1996) als Tabakfachgeschäft mit einem geschätzten erzielbaren Tabakwarenjahresumsatz von € 966.000 aus. Den allgemeinen Ausschreibungsbedingungen war als Fristende für die schriftliche Einreichung von Anträgen auf Verleihung dieser Tabaktrafik der 21. August 2019, die Erforderlichkeit der Erbringung eines näher aufgeschlüsselten Kapitalnachweises sowie ein Hinweis auf das Vorzugsrecht des § 29 TabMG 1996 zu entnehmen.
3 Mit Schriftsatz vom 2. August 2019 bewarb sich der Revisionswerber (im Folgenden auch Antragsteller) um die ausgeschriebene Tabaktrafik. Neben diesem stellten vier weitere Personen Ansuchen um die Bestellung als Tabaktrafikant für die ausgeschriebene Tabaktrafik.
4 2. Mit Schreiben an das Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: Verwaltungsgericht) vom 13. August 2019 begehrte der Antragsteller die Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens hinsichtlich der am 22. Juli 2019 von der Auftraggeberin kundgemachten Ausschreibung sowie die Aussprüche gemäß § 91 Abs. 1 Z 1 und 2 BVergGKonz 2018, dass die Ausschreibung aus mehreren Gründen, insbesondere infolge mangelnder vorheriger Bekanntmachung, rechtswidrig sei und die vorgebrachten Rechtswidrigkeiten für den Ausgang des Konzessionsvergabeverfahrens von wesentlichem Einfluss seien. Ferner beantragte er, die Auftraggeberin zum Ersatz der entrichteten Pauschalgebühren zu verpflichten.
5 Mit Schreiben vom 2. Oktober 2019 teilte die Auftraggeberin dem Antragsteller den Widerruf der gegenständlichen Ausschreibung mit. Begründend wies sie darauf hin, dass für das zu besetzende Tabakfachgeschäft nach Ablauf der Angebotsfrist kein Angebot eines nach § 29 Abs. 3 TabMG 1996 vorzugsberechtigten Bewerbers vorgelegen habe.
6 Mit Eingabe vom 9. Oktober 2019 begehrte der Antragsteller die Fortführung des Nachprüfungsverfahrens als Feststellungsverfahren sowie die Feststellungen gemäß § 97 Abs. 1 Z 2 und 4 BVergGKonz 2018, dass die Durchführung des Konzessionsvergabeverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung und der Widerruf des Konzessionsvergabeverfahrens rechtswidrig gewesen seien.
7 Zur Begründung der Rechtswidrigkeit des Widerrufs führte der Antragsteller aus, die Ausschreibung sei bestandfest geworden, das Vergabeverfahren und die sachliche Begründung eines Widerrufs seien daher an der Ausschreibung zu messen. Die gegenständliche Ausschreibung habe keinerlei Hinweis auf den Tatbestand des § 25 Abs. 9 oder des § 29 Abs. 3 TabMG 1996 enthalten. Der geltend gemachte Widerrufsgrund treffe nicht zu und sei im Übrigen unsachlich. Ein Widerruf sei insbesondere dann unsachlich, wenn der mit der Ausschreibung angestrebte Wettbewerb tatsächlich stattgefunden habe und die eingelangten Angebote es dem Auftraggeber ermöglicht hätten, sie miteinander zu vergleichen und das günstigste Angebot auszuwählen. Im Verfahren sei hervorgekommen, dass sich neben dem Antragsteller vier weitere Personen um die Vergabe der ausgeschriebenen Konzession beworben hätten. Der Widerruf sei zudem verspätet erfolgt, weil er nach Abgabe und Öffnung von vier Angeboten erfolgt sei und daher ein Leistungswettbewerb bereits stattgefunden habe. Die Auftraggeberin hätte bereits in der Ausschreibung darauf hinweisen müssen, dass bzw. unter welchen Voraussetzungen sie die gegenständliche Konzession ausschließlich an einen vorzugsberechtigten Bewerber zu vergeben beabsichtige. Die nachträgliche Berufung auf § 25 Abs. 9 TabMG 1996 sei willkürlich und mit den Grundsätzen eines fairen, transparenten Vergabeverfahrens nicht vereinbar.
8 In ihren Stellungnahmen vom 16. und 23. Oktober 2019 hielt die Auftraggeberin dem entgegen, den Grund für den Widerruf des Verfahrens bilde die Tatsache, dass nach erfolgter Angebotsprüfung kein Angebot eines nach § 29 Abs. 3 TabMG 1996 vorzugsberechtigten Bewerbers vorgelegen habe, da alle Angebote bis auf jenes des Antragstellers mangels Erbringung des geforderten Kapitalnachweises auszuscheiden gewesen seien. Rechtsgrundlage für den Widerruf bilde § 25 Abs. 9 TabMG 1996. Diese Bestimmung verfolge das Ziel, für möglichst viele vorzugsberechtigten Menschen durch Verleihung eines Tabakfachgeschäfts eine wirtschaftliche Existenzgrundlage zu schaffen. Entgegen den Ausführungen des Antragstellers liege es im Ermessen der Auftraggeberin einen Widerruf gemäß § 25 Abs. 9 iVm. § 29 Abs. 3 TabMG 1996 vorzunehmen. Diese Normen bildeten einen sachlichen Widerrufsgrund, weil der wesentliche Existenzzweck des Tabakmonopols in der genannten sozialpolitischen Zielsetzung liege. Ferner wäre der Widerrufsgrund des § 25 Abs. 9 TabMG 1996 auch bei Anwendbarkeit des BVergGKonz 2018 ein im Sinne dessen § 75 Abs. 1 zulässiger sachlicher Widerrufsgrund. Gemäß § 149 Abs. 2 Z 2 BVergG 2018 liege ein sachlicher Widerrufsgrund nämlich dann vor, wenn nach dem Ausscheiden von Angeboten nur ein Angebot verbleibe.
9 In seiner Stellungnahme vom 12. November 2019 führte der Antragsteller dagegen ins Treffen, im TabMG 1996 selbst sei vorgesehen, dass Trafiken sogar unter ausschließlich nicht vorzugsberechtigten Bewerbern vergeben werden könnten. In diesem Fall sei nicht die Vorzugsberechtigung ausschlaggebend, sondern es seien die Bewerber gemäß § 29 Abs. 4 TabMG 1996 nach kaufmännischen Grundsätzen zu bewerten.
10 Mit Schreiben vom 18. November 2019 zog der Antragsteller seinen Antrag auf Feststellung gemäß § 97 Abs. 1 Z 2 BVergGKonz 2018, dass die Durchführung des Konzessionsvergabeverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung rechtswidrig gewesen sei, zurück.
11 3. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung den Nachprüfungsantrag gemäß § 91 Abs. 1 Z 1 und 2 BVergGKonz 2018 als unzulässig zurück (Spruchpunkt 1) A) I).
12 Den Antrag, das Nachprüfungsverfahren als Feststellungsverfahren fortzuführen und festzustellen, dass der Widerruf des Konzessionsvergabeverfahrens rechtswidrig gewesen sei, wies es als unbegründet ab (Spruchpunkt 1) A) II.). Ebenso wurde der Antrag auf Ersatz der entrichteten Pauschalgebühren abgewiesen (Spruchpunkt 2) A).
13 Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht jeweils für zulässig, weil Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage fehle, ob der Abschluss eines Vertrages über den Betrieb einer Tabaktrafik in den Anwendungsbereich des BVergGKonz 2018 falle und insbesondere ob der Betrieb einer Tabaktrafik eine Dienstleistung sei, die in den Anwendungsbereich des Vergaberechts falle. Die Lösung dieser Frage ergebe sich auch nicht unmittelbar aus dem BVergGKonz 2018 oder der RL 2014/23/EU, sodass nicht von einer eindeutigen Rechtslage auszugehen sei, die keiner weiteren höchstgerichtlichen Klärung bedürfte.
14 2.2. Das Verwaltungsgericht traf in seiner Begründung zusammengefasst folgende Feststellungen: Die Auftraggeberin habe mittels Kundmachung vom 22. Juli 2019 im Wege einer öffentlichen Ausschreibung das Verfahren der Besetzung einer Trafik/Bestellung zum Tabaktrafikanten für die Trafik mit der Standortnummer 1100 0035, Standort 1100 Wien, Gudrunstraße 166/4, eingeleitet. Die Bekanntmachung sei in Österreich auf der Website, www.bmvg.at, der Auftraggeberin erfolgt. In den Ausschreibungsunterlagen sei ein Kapitalnachweis mit einer Gesamtsumme von € 200.160,00 gefordert worden. Insgesamt hätten fünf Bewerber, darunter der Antragsteller, ein Angebot abgegeben. Mit Schreiben der Auftraggeberin an den Antragsteller vom 2. Oktober 2019 sei der Widerruf des Konzessionsvergabeverfahrens erklärt worden.
15 2.3. In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, dass es sich bei der gegenständlichen Ausschreibung des Konzessionsvergabeverfahrens „Besetzung einer Tabaktrafik/Bestellung zum Tabaktrafikanten Standort 1100 Wien, Gudrunstraße 166/4; Standort Nr. 1100 0035“ um die Ausschreibung einer Dienstleistungskonzession im Sinne des § 6 BVergGKonz 2018 im Oberschwellenbereich handle und sich seine Zuständigkeit mithin aus § 76 BVergGKonz 2018 iVm. § 327 BVergG 2018 ergebe.
16 Der Nachprüfungsantrag des Antragstellers sei gemäß § 78 Abs. 2 BVergGKonz 2018 zurückzuweisen gewesen, weil das Vergabeverfahren widerrufen worden sei. Als Begründung für den Widerruf des Verfahrens habe die Auftraggeberin angegeben, dass nach erfolgter Angebotsprüfung kein Angebot eines nach § 29 Abs. 3 TabMG 1996 vorzugsberechtigten Bewerbers vorgelegen habe. Alle Bewerbungen bzw. Angebote bis auf jenes des Antragstellers seien auszuscheiden bzw. nicht länger zu berücksichtigen gewesen, weil jeweils der geforderte Kapitalnachweis nicht erbracht worden sei. Da der Antragsteller, wie vom Antragstellervertreter in der mündlichen Verhandlung vom 15. November 2019 zugestanden, nicht vorzugsberechtigt im Sinne des § 29 TabMG 1996 sei, habe im gegenständlichen Fall der Widerrufsgrund des § 25 Abs. 9 TabMG 1996 und somit ein sachlicher Grund im Sinne des § 75 Abs. 1 BVergGKonz 2018 für den Widerruf vorgelegen. Der Widerruf sei somit rechtmäßig erfolgt.
17 Da der Antragsteller nicht obsiegt habe, habe er gemäß § 85 BVergGKonz 2018 keinen Anspruch auf Gebührenersatz durch die Auftraggeberin.
18 4. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Revision des Antragstellers mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichts aufzuheben.
19 Die Auftraggeberin erstattete eine Revisionsbeantwortung.
20 5. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
21 Die Frage der Anwendbarkeit des BVergGKonz 2018 auf das Verfahren zur Bestellung von Tabaktrafikanten nach dem TabMG 1996 hat der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 20. Juli 2021, Ro 2019/04/0231, beantwortet. Diese Rechtsfrage kann somit die Zulässigkeit der Revision nicht mehr begründen, zumal das Verwaltungsgericht seine Zuständigkeit für den Nachprüfungsantrag im Sinne der genannten Entscheidung ohnehin bejaht hat. Es obliegt sohin der Revision, in ihrer Zulässigkeitsbegründung darzulegen, dass die Entscheidung über die Revision von der Beantwortung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung abhängt (vgl. dazu etwa VwGH 8.8.2019, Ro 2019/04/0020). Dabei ist die Zulässigkeit der Revision hinsichtlich der beiden trennbaren Spruchpunkte 1) A) I. und 1) A) II. gesondert zu beurteilen.
22 5.1. Ad Spruchpunkt 1) A) I.:
23 5.1.1. Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
24 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
25 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
26 Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit hinsichtlich Spruchpunkt 1) A) I. vor, der Antragsteller habe seinen Antrag auf Feststellung gemäß § 97 Abs. 1 Z 2 BVergGKonz 2018, dass die Durchführung des Konzessionsvergabeverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung rechtswidrig gewesen sei, förmlich zurückgezogen. Das Verwaltungsgericht setze sich in Widerspruch zur Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, weil es ungeachtet der Zurückziehung des Antrags über diesen abgesprochen habe.
27 Dieses Vorbringen erweist sich insofern als unzutreffend, als das Verwaltungsgericht über den vom Antragsteller zurückgezogenen Feststellungsantrag gemäß § 97 Abs. 1 Z 2 BVergGKonz 2018 nicht inhaltlich abgesprochen, sondern die Nachprüfungsanträge gemäß § 91 Abs. 1 Z 1 und 2 BVergGKonz 2018 zurückgewiesen hat, sodass die vorgebrachte Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur förmlichen Beendigung eines Verfahrens über einen zurückgezogenen Feststellungsantrag nicht vorliegt. Dass keine beschlussmäßige Einstellung des Verfahrens über den Feststellungsantrag, sondern eine Zurückweisung der Nachprüfungsanträge erfolgte, konnte den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzen (zum umgekehrten Verhältnis einer erfolgten Einstellung anstatt einer Zurückweisung im Falle einer unzulässigen Säumnisbeschwerde vgl. VwGH 19.12.2018, Ra 2016/06/0109).
28 5.2. Ad Spruchpunkt 1) A) II.:
29 5.2.1. Zu ihrer Zulässigkeit hinsichtlich Spruchpunkt 1) A) II. macht die Revision unter anderem geltend, es liege keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Begründetheit des Widerrufs eines Konzessionsvergabeverfahrens im Sinne des § 75 Abs. 1 BVergGKonz 2018 vor. Das Verwaltungsgericht habe die Rechtmäßigkeit des Widerrufs darauf gestützt, dass § 25 Abs. 9 TabMG 1996 einen sachlichen Grund im Sinne des § 75 Abs. 1 BVergGKonz 2018 darstelle. Auch zur Auslegung des § 25 Abs. 9 TabMG 1996 gebe es keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Die richtige Auslegung dieser Bestimmung ergebe, dass ein Widerruf (nur) möglich sein solle, wenn kein Angebot eines nach § 29 Abs. 3 TabMG 1996 vorzugsberechtigten Bewerbers vorliege. Im vorliegenden Fall seien allerdings zunächst sehr wohl Angebote vorzugsberechtigter Bewerber vorgelegen. Es sei zu klären, ob § 25 Abs. 9 TabMG 1996 in einem Fall wie dem vorliegenden eine sachliche Rechtfertigung für den Widerruf eines Konzessionsvergabeverfahrens im Sinne des BVergGKonz 2018 begründen könne.
30 Die Revision erweist sich in Hinblick auf dieses Vorbringen als zulässig und auch begründet.
31 5.2.4. Die im Revisionsfall maßgeblichen Bestimmungen des BVergGKonz 2018 idF BGBl. I Nr. 65/2018 lauten auszugsweise:
„ Grundsätze des Konzessionsvergabeverfahrens
§ 14. (1) Konzessionsvergabeverfahren sind unter Beachtung der unionsrechtlichen Grundsätze wie insbesondere der Gleichbehandlung aller Bewerber und Bieter, der Nichtdiskriminierung, der Verhältnismäßigkeit, der Transparenz sowie des freien und lauteren Wettbewerbes und unter Wahrung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit durchzuführen. Die Vergabe hat an befugte, leistungsfähige und zuverlässige (geeignete) Unternehmer zu angemessenen Bedingungen zu erfolgen.
...
(4) Konzessionsvergabeverfahren sind nur dann durchzuführen, wenn die Absicht besteht, die Leistung auch tatsächlich zu vergeben. Der Auftraggeber ist jedoch nicht verpflichtet, ein Konzessionsvergabeverfahren durch Zuschlag zu beenden.
...
(6) Im Konzessionsvergabeverfahren kann auf die Beschäftigung von Frauen, von Personen im Ausbildungsverhältnis, von Langzeitarbeitslosen, von Menschen mit Behinderung und älteren Arbeitnehmern sowie auf Maßnahmen zur Umsetzung sonstiger sozialpolitischer Belange Bedacht genommen werden. Dies kann insbesondere durch die Berücksichtigung derartiger Aspekte bei der Beschreibung der Leistung, bei der Festlegung der technischen Spezifikationen, durch die Festlegung konkreter Zuschlagskriterien oder durch die Festlegung von Bedingungen im Leistungsvertrag erfolgen.
...
Beendigung des Konzessionsvergabeverfahrens
Allgemeine Bestimmungen
§ 70. Das Konzessionsvergabeverfahren endet mit dem Zustandekommen des Leistungsvertrages oder mit dem Widerruf des Konzessionsvergabeverfahrens.
Widerruf eines Konzessionsvergabeverfahrens
§ 75. (1) Der Auftraggeber kann ein Konzessionsvergabeverfahren widerrufen, wenn dafür sachliche Gründe bestehen.
(2) ... Erklärt der Auftraggeber den Widerruf nach Ablauf der Angebotsfrist, sind die Gründe für den Widerruf den im Konzessionsvergabeverfahren verbliebenen Bietern mitzuteilen.
... “
32 Die im Revisionsfall maßgeblichen Bestimmungen des TabMG 1996 idF BGBl. I Nr. 104/2019 lauten auszugsweise:
„ Ausschreibung von Tabaktrafiken
§ 25. (1) ...
...
(9) Liegt für ein zu besetzendes Tabakfachgeschäft nach Ablauf der Anbotsfrist kein Anbot eines nach § 29 Abs. 3 vorzugsberechtigten Bewerbers vor, kann die Monopolverwaltung GmbH die erfolgte Ausschreibung widerrufen.
Ausschließungsgründe
§ 27. (1) Das Anbot eines Bewerbers um eine Tabaktrafik ist nicht zu berücksichtigen:
1. ...
...
10. wenn die Bewerbung von den Ausschreibungsbedingungen abweicht.
Vorzugsrechte
§ 29. (1) Bei der Auswahl unter mehreren Bewerbern sind die im Abs. 3 genannten Personen bevorzugt zu berücksichtigen.
(2) ...
(3) Vorzugsberechtigt sind:
1. Inhaber einer Amtsbescheinigung oder eines Opferausweises nach § 4 des Opferfürsorgegesetzes, BGBl. Nr. 183/1947;
2. Empfänger einer Beschädigtenrente nach dem Kriegsopferversorgungsgesetz 1957, BGBl. Nr. 152, oder dem Heeresversorgungsgesetz, BGBl. Nr. 27/1964, wenn ihre Erwerbsfähigkeit um mindestens 50 vH gemindert ist;
3. Empfänger einer Witwen- oder Witwerrente oder Witwen- oder Witwerbeihilfe nach dem Opferfürsorgegesetz, dem Kriegsopferversorgungsgesetz 1957 oder dem Heeresversorgungsgesetz;
4. begünstigte Behinderte im Sinne des § 2 des Behinderteneinstellungsgesetzes 1969, BGBl. Nr. 22/1970.“
33 5.2.5. Gemäß § 14 Abs. 4 BVergGKonz 2018 ist der Auftraggeber nicht verpflichtet, ein Konzessionsvergabeverfahren durch Zuschlag zu beenden. Einzige Alternative zur Beendigung durch Zuschlag ist gemäß § 70 BVergGKonz 2018 die Beendigung durch Widerruf. Dieser verlangt gemäß § 75 Abs. 1 BVergGKonz 2018 das Vorliegen sachlicher Gründe.
34 Laut den Bezug habenden Materialien (ErlRV 69 BlgNR 24. GP, 237 und 244 iVm. 53) berücksichtigt diese Bestimmung die ständige Judikatur des EuGH (Rs C 27/98, Metalmeccanica , C 92/00, Hospital Ingenieure , C 244/02, Kauppatalo Hansel Oy , und C 440/13, Croce Amica One ), wonach sich aus den Vergaberichtlinien nicht ableiten lässt, dass die in diesen Richtlinien implizit anerkannte Befugnis des öffentlichen Auftraggebers, auf die Vergabe eines öffentlichen Auftrags, für den eine Ausschreibung stattgefunden hat, zu verzichten, „auf Ausnahmefälle begrenzt sei oder in jedem Fall voraussetze, dass schwerwiegende Gründe angeführt würden.“ In Hinblick auf die Rechtsprechung des EuGH ist kein strenger Maßstab bei der Beurteilung der Begründetheit eines Widerrufs anzulegen. Der EuGH hat diesbezüglich ausgeführt, „dass ein Auftraggeber, der beschließe, die Ausschreibung eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags zu widerrufen, den Bewerbern und Bietern zwar die Gründe für seine Entscheidung mitteilen müsse, dass er danach aber nicht verpflichtet sei, das Vergabeverfahren zu Ende zu führen.“ (vgl. ErlRV 69 BlgNR 24. GP, 237 und 252 iVm. 160).
35 Dem Wortlaut des § 25 Abs. 9 TabMG 1996 zufolge kann die Auftraggeberin die erfolgte Ausschreibung widerrufen, wenn für ein zu besetzendes Tabakfachgeschäft nach Ablauf der Anbotsfrist kein Anbot eines im Sinne des § 29 Abs. 3 TabMG 1996 vorzugsberechtigten Bewerbers vorliegt.
36 5.2.6. Laut dem angefochtenen Erkenntnis bildete den Grund für den Widerruf des hier zugrundeliegenden Bestellverfahrens die Tatsache, dass nach erfolgter Angebotsprüfung alle Bewerbungen bzw. Angebote bis auf jenes des Antragstellers auszuscheiden bzw. nicht länger zu berücksichtigen gewesen seien, da sämtliche Bewerber bis auf den Antragsteller den geforderten Kapitalnachweis nicht erbracht und daher jeweils die in der Ausschreibung geforderten Bedingungen nicht erfüllt hätten. Da der Antragsteller nicht vorzugsberechtigt im Sinne des § 29 TabMG 1996 sei, sei nach Auffassung des Verwaltungsgerichts im gegenständlichen Fall der Widerrufsgrund des § 25 Abs. 9 TabMG 1996 vorgelegen, der einen sachlichen Grund im Sinne des § 75 Abs. 1 BVergGKonz 2018 darstelle.
37 Es ist nun grundsätzlich nicht von der Hand zu weisen, dass das Anliegen der Einbeziehung vorzugsberechtigter Personen im Sinne des Tabakmonopolgesetzes in das Vergabeverfahren betreffend die Bestellung eines Trafikanten, das sich in der gesetzlichen Bestimmung des § 25 Abs. 9 TabMG 1996 widerspiegelt, eine sachliche Rechtfertigung für einen Widerruf darstellen kann. Dieser Widerrufsgrund kann jedoch dann nicht mehr zum Tragen kommen, wenn Bewerbungen vorzugsberechtigter Personen zwar erfolgten, diese jedoch mangels Erfüllung der Ausschreibungsbedingungen gemäß § 27 Abs. 1 Z 10 TabMG 1996 auszuscheiden waren oder aus sonstigen Gründen in der Folge nicht zum Zug kommen können. § 25 Abs. 9 TabMG 1996 bezieht sich nämlich explizit auf das Ende der Angebotsfrist, welches mit dem Zeitpunkt nach Prüfung der eingelangten Angebote und dem allfälligen Ausscheiden eines oder mehrerer derselben nicht gleichgesetzt werden kann. Das Ausscheiden bestimmter Bewerber setzt im Gegenteil den Ablauf der Angebotsfrist und die Öffnung der Angebote voraus.
38 5.2.7. Die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass die Auftraggeberin fallgegenständlich alle Bewerber bis auf den Antragsteller gemäß § 27 Abs. 1 Z 10 TabMG 1996 ausschied, weil die übrigen Angebote jeweils nicht den Ausschreibungsbedingungen entsprachen, sagt nichts darüber aus, ob zum Zeitpunkt des Endes der Angebotsfrist Anbote vorzugsberechtigter Bewerber vorlagen.
39 Das Verwaltungsgericht ging offenbar in rechtlicher Hinsicht zu Unrecht davon aus, dass gegenständlich die Tatbestandsvoraussetzung des § 25 Abs. 9 TabMG 1996 schon deshalb erfüllt gewesen wäre, weil der nach Ausscheiden aller übrigen Anbote im Vergabeverfahren verbliebene Bieter nicht dem Kreis der vorzugsberechtigten Personen angehörte. Vielmehr wäre aber im Zusammenhang mit dem angezogenen Widerrufsgrund zu prüfen gewesen, ob mit Ende der Angebotsfrist Bewerber aus dem Kreis vorzugsberechtigter Personen im Sinne des § 25 Abs. 9 TabMG 1996 vorlagen, wozu das Verwaltungsgericht wegen Verkennens der Rechtslage keine Feststellungen getroffen hat.
40 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG im Umfang seiner Spruchpunkte 1) A) II. und demzufolge auch 2) A) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
41 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 21. Juli 2022
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