Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Lechner, in der Revisionssache des M K in K, vertreten durch Dr. Michael Drexler, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hörlgasse 4/5, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 17. Februar 2017, LVwG-AV-1162/001-2015, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Niederösterreich), den Beschluss gefasst:
Die Revision wird zurückgewiesen.
1.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis bestätigte das Verwaltungsgericht die Abweisung des im Inland gestellten Antrags des Revisionswerbers, eines türkischen Staatsangehörigen, vom 13. Jänner 2015 auf erstmalige Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" zum Zweck der Familiengemeinschaft mit seiner Ehefrau, ebenfalls einer türkischen Staatsangehörigen, die über ein befristetes Aufenthaltsrecht in Österreich bis zum 24. November 2017 verfügt und mit der er eine im Juli 2015 geborene Tochter hat, aus den Gründen des § 11 Abs. 1 Z 5 sowie § 11 Abs. 2 Z 1 in Verbindung mit § 11 Abs. 4 Z 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG).
1.2. Das Verwaltungsgericht begründete die Abweisung im Wesentlichen damit, dass der Revisionswerber auf Grund einer Aufenthaltsberechtigung in Italien zur visumfreien Einreise und zum visumfreien Aufenthalt in Österreich berechtigt gewesen sei, die Antragstellung im Inland sei daher zulässig. Allerdings sei der Revisionswerber über den nach Art. 21 des Schengener Durchführungsübereinkommens erlaubten Zeitraum (bis zu 90 Tage in einem Zeitraum von 180 Tagen) in Österreich verblieben, sodass er die Dauer des erlaubten visumfreien Aufenthalts überschritten und den Versagungsgrund des § 11 Abs. 1 Z 5 NAG im Zusammenhang mit § 21 Abs. 6 NAG verwirklicht habe. Der Aufenthalt des Revisionswerbers in Österreich über den erlaubten Zeitraum hinaus widerstreite öffentlichen Interessen auf Grund der dadurch bewirkten Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit im Sinn des § 11 Abs. 2 Z 1 in Verbindung mit § 11 Abs. 4 Z 1 NAG, habe doch der Revisionswerber durch sein Verhalten - nämlich die Nichtbeendigung des gesetzwidrigen Aufenthalts trotz rechtskräftiger behördlicher Bestrafung und den fehlenden Willen zur Ausreise - gezeigt, dass er zur Einhaltung der in Österreich geltenden Rechtsordnung nicht gewillt sei. Die Erteilung des Aufenthaltstitels trotz Vorliegen des Erteilungshindernisses nach § 11 Abs. 1 Z 5 NAG sowie trotz Ermangelung der Voraussetzung nach § 11 Abs. 2 Z 1 NAG sei auch nicht gemäß § 11 Abs. 3 NAG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK geboten. Der Revisionswerber habe zwar ein Interesse an einem weiteren Aufenthalt in Österreich, um mit seiner Ehefrau und seiner Tochter zusammenleben zu können; auch sei er bisher strafgerichtlich unbescholten. Dem stehe jedoch entgegen, dass er erst seit dem Jahr 2015 überwiegend im Inland aufhältig sei, wobei dieser Aufenthalt nicht von einer solchen Dauer sei, um daraus einen Anspruch auf Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels ableiten zu können. Der Revisionswerber habe - abgesehen von seiner Ehefrau und seiner Tochter - auch keine weiteren Familienangehörigen, sondern nur entfernte Verwandte in Österreich. Er weise keinen besonderen Grad an Integration auf, zumal er über keine Deutschkenntnisse verfüge und am Arbeitsmarkt nicht integriert sei. Da er sich seines unsicheren bzw. unrechtmäßigen Aufenthaltsstatus bewusst sein musste, habe er nicht begründet darauf hoffen können, bei einem Verbleib in Österreich seinen Aufenthalt legal fortsetzen zu können. Er habe im Verfahren zudem selbst angegeben, dass er auch in Italien oder in der Türkei leben könne; es sei nicht zu erkennen, warum er nicht dorthin von seiner Ehefrau und seiner Tochter - sei es auch nur für die Dauer des Verfahrens - begleitet werden könnte. Den aufgezeigten Interessen des Revisionswerbers an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stünden jedenfalls die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen entgegen, denen ein hoher Stellenwert zukomme. Eine Gesamtbeurteilung aller fallbezogenen Kriterien ergebe daher, dass die Erteilung des Aufenthaltstitels nicht aus § 11 Abs. 3 NAG abgeleitet werden könne.
1.3. Das Verwaltungsgericht führte ferner aus, dass die Revision gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht zulässig sei.
2. Dagegen wendet sich die außerordentliche Revision, in der jedoch keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufzeigt wird.
3. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nicht einheitlich beantwortet wird.
Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ist eine Revision, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignet, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
4.1. Der Revisionswerber macht geltend, das Verwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abgewichen, indem es das hg. Erkenntnis vom 27. Jänner 2015, Ro 2014/22/0045, nicht berücksichtigt habe.
Der Revisionswerber zeigt damit jedoch nicht konkret - bezogen auf die vorliegende Revisionssache - auf, welche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung der Verwaltungsgerichtshof im Hinblick auf das zitierte Erkenntnis in einer Entscheidung über die gegenständliche Revision zu lösen hätte (vgl. den hg. Beschluss vom 10. September 2014, Ra 2014/20/0007). Davon abgesehen betraf das genannte Erkenntnis eine andere Konstellation und lag der dort durchgeführten Interessenabwägung ein anderer Sachverhalt zugrunde, sodass ein Widerspruch zur hier angefochtenen Entscheidung nicht zu erkennen ist.
4.2. Der Revisionswerber führt aus, das Verwaltungsgericht habe im Rahmen der Abwägung nach Art. 8 EMRK die persönlichen Interessen des Revisionswerbers an einem Verbleib in Österreich gegenüber dem öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen unrichtig gewichtet. Es hätte insbesondere aus der unterbliebenen Ausreise nicht auf eine mangelnde Bereitschaft zur Einhaltung der Gesetze schließen und daraus eine negative Zukunftsprognose erstellen dürfen.
Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertritt, stellt die einzelfallbezogene Beurteilung der Zulässigkeit eines Eingriffs in das Privat- und/oder Familienleben nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen, wenn sie - wie hier - auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde, keine grundsätzliche Rechtsfrage dar (vgl. etwa den hg. Beschluss vom 17. März 2016, Ra 2016/22/0014, mwN).
Das Verwaltungsgericht berücksichtigte - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK fallbezogen alle wesentlichen Kriterien und gelangte dabei zu einer - auf einer nachvollziehbaren und sachgerechten Gewichtung beruhenden - Beurteilung, die auf der Grundlage der Rechtsprechung jedenfalls nicht unvertretbar ist und gegen die daher keine Bedenken bestehen.
Es begegnet insbesondere auch keinen Bedenken, dass das Verwaltungsgericht unter den gegebenen Umständen (Verbleib im Inland trotz gesetzwidrigem Aufenthalt und behördlicher Bestrafung) auf einen fehlenden Willen des Revisionswerbers zur Ausreise und folglich auf seine mangelnde Bereitschaft zur Einhaltung der österreichischen Rechtsordnung schloss.
4.3. Der Revisionswerber argumentiert, eine Ausreise auch seiner Ehefrau und seiner Tochter komme nicht in Betracht, weil die beiden in Österreich aufenthaltsberechtigt und bereits integriert seien.
Dem ist vorweg entgegenzuhalten, dass die Ehefrau bloß über ein befristetes Aufenthaltsrecht verfügt, sodass ihr weiterer Verbleib in Österreich ungewiss und eine spätere Ausreise durchaus in Betracht zu ziehen ist. Zudem sind keine Umstände ersichtlich, die einem gemeinsamen Familienleben in der Türkei entgegenstünden.
4.4. Soweit der Revisionswerber erstmals in der Revision behauptet, die Ehefrau sei seit sechs Wochen neuerlich schwanger, und zum Beweis für dieses Vorbringen eine ärztliche Bestätigung vom 15. März 2017 anschließt, liegt eine unbeachtliche Neuerung vor (§ 41 VwGG).
4.5. Der Revisionswerber argumentiert, es fehle Judikatur zum Spannungsverhältnis zwischen § 21 Abs. 6 NAG und einer bereits gegebenen Integration - hier für die Dauer von mehr als zwei Jahren - sowie zum Umstand, dass das Risiko der langen Verfahrensdauer den Antragsteller treffe.
Das vom Revisionswerber behauptete Spannungsverhältnis ist nicht zu sehen, zumal § 11 Abs. 3 NAG die Erteilung eines Titels trotz des Vorliegens eines Hindernisses nach § 11 Abs. 1 Z 5 NAG ermöglicht. Die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthalts in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist, stellt ein gesetzliches Kriterium dar, das in der Abwägung nach § 11 Abs. 3 NAG zu berücksichtigen ist. Der Verwaltungsgerichtshof vertritt dazu in ständiger Rechtsprechung, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 10. Mai 2016, Ra 2015/22/0158; siehe weiters zu einer - wie vorliegend - rund zweieinhalbjährigen Aufenthaltsdauer das hg. Erkenntnis vom 21. Jänner 2016, Ra 2015/22/0119, mwN).
4.6. Der Revisionswerber releviert, eine Ausreise während des laufenden Verfahrens könnte sein Parteiengehör beeinträchtigen. Er übersieht dabei jedoch, dass ihm selbstverständlich auch nach der gebotenen Ausreise aus Österreich - soweit erforderlich - Parteiengehör zu gewähren ist. Inwiefern dies fallbezogen nicht möglich wäre, wird nicht näher aufgezeigt und ist auch nicht ersichtlich.
5. Insgesamt wird daher in den für die Zulässigkeit der Revision vorgebrachten Gründen keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war deshalb zurückzuweisen.
Wien, am 20. Juni 2017