Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und den Hofrat Dr. Strohmayer als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Gruber, über die Revision des Arbeitsmarktservice Gänserndorf gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Jänner 2016, Zlen. W229 2113838- 1/9E und W229 2119679-1/3E, betreffend Verlust des Anspruches auf Arbeitslosengeld und Notstandshilfe (mitbeteiligte Partei: R B in G), zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Mit dem angefochtenen Erkenntnis hat das Bundesverwaltungsgericht den vom revisionswerbenden Arbeitsmarktservice (im Folgenden: AMS) ausgesprochenen Verlust des Anspruchs des Mitbeteiligten auf Arbeitslosengeld vom 10. bis 29. März 2015 bzw. auf Notstandshilfe vom 30. März bis 20. April 2015 verneint. Dieser habe mit Unterstützung des AMS eine Beschäftigung als Elektroenergietechniker bzw. Elektrowarenverkäufer gesucht. Ihm sei am 18. Februar 2015 ein Stellenangebot eines Servicetechnikers für Windkraftanlagen bei der S. GmbH übermittelt worden. Der Mitbeteiligte habe sich für die Stelle jedoch erst am 27. März 2015 (erfolglos) beworben, weil er - nach eigenem Bekunden - von der S. GmbH einst (nach Abschluss seiner Lehre) gekündigt worden sei und er in der Vergangenheit von diesem Unternehmen bereits Absagen erhalten habe. In seiner Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Ausspruch des Verlusts von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung habe der Mitbeteiligte erstmals angegeben, dass er im fraglichen Zeitraum an Depressionen gelitten habe und deswegen in Behandlung gestanden sei. Seinem Vorlageantrag habe er eine ärztliche Bestätigung mit der Diagnose "rezidivierende depressive Störung" beigelegt. Vom Jänner bis März 2015 sei er deswegen in psychotherapeutischer Behandlung gestanden. Er habe dem AMS diese Erkrankung nicht mitgeteilt und keinen Krankenstand in Anspruch genommen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht habe er den Eindruck erweckt, sich auf Grund seiner Erfahrungen als Lehrling bzw. insbesondere auf Grund der Kündigung nach Beendigung der Lehrzeit nicht bei der S. GmbH beworben zu haben. Aus einem Spitalsbrief vom 17. Dezember 2015 gehe hervor, dass der Mitbeteiligte an einer "depressiven Episode" leide. Der Mitbeteiligte habe dem AMS seine Krankheit nicht zur Kenntnis gebracht, weil er "geglaubt hat, es zu schaffen".
In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, die dem Mitbeteiligten zugewiesene Beschäftigungsmöglichkeit habe den Anforderungen an die Zumutbarkeit iSd § 9 Abs. 2 AlVG entsprochen, zumal er im Jahr 2009 nicht von der S. GmbH gekündigt worden sei. Seine gesundheitlichen Probleme habe er nicht im Hinblick auf die Zumutbarkeit der zugewiesenen Stelle dargelegt. Er habe vielmehr darauf verwiesen, dass er sich trotz seiner Depression bemüht habe, Bewerbungen nachzukommen. Er habe sich zunächst nicht um die am 18. Februar 2015 zugewiesene Stelle bei der S. GmbH beworben, sondern die Bewerbung erst am 27. März 2015 - dem Tag nach der Niederschrift beim AMS - abgesendet. Dies könne nicht als unverzügliche Handlung zur Erlangung eines Arbeitsplatzes qualifiziert werden. Er habe eine Vereitelungshandlung iSd § 10 Abs. 1 Z 1 AlVG gesetzt, die für die Nichterlangung des Arbeitsplatzes kausal gewesen sei. Er habe es in Kauf genommen, die zugewiesene Stelle nicht zu erhalten, und damit mit bedingtem Vorsatz gehandelt. Der vom AMS ausgesprochene Anspruchsverlust sei iSd § 10 Abs. 1 AlVG zulässig.
Nach § 10 Abs. 3 AlVG sei der Verlust des Anspruchs allerdings in berücksichtigungswürdigen Fällen ganz oder teilweise nachzusehen. Dabei komme es darauf an, ob dem Mitbeteiligten die verspätete nachträgliche Bewerbung aus besonderen (jedenfalls nicht auf Dauer vorliegenden und auch die Verfügbarkeit oder die Arbeitsfähigkeit nicht ausschließenden) Gründen im Einzelfall nicht vorgeworfen werden könne. Er habe bereits in seiner Beschwerde auf (vorübergehende) gesundheitliche Beeinträchtigungen - nämlich eine Depression - hingewiesen, unter denen er im maßgeblichen Zeitraum gelitten habe. Er habe diese im Zuge des Vorlageantrages "entsprechend belegt". Zwar habe der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26. Jänner 2010, 2008/08/0018, festgehalten, dass
"der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden (kann), wenn sie angesichts der Unmöglichkeit, die Depression im Nachhinein festzustellen, auf der Grundlage des von der Beschwerdeführerin vorgelegten ärztlichen Attestes, das nur auf den Angaben der Beschwerdeführerin gegenüber ihrem Hausarzt beruht und in dem nicht einmal dieser selbst aus medizinischer Sicht das Vorliegen der Erkrankung bestätigt, sondern nur die Erzählung der Beschwerdeführerin wiedergibt und bewertet, zu dem Ergebnis gelangt ist, dass der Tatbestand des § 10 Abs. 3 AlVG nicht erfüllt ist".
Der gegenständliche Fall unterscheide sich von diesem jedoch dadurch, dass "vorliegend hinreichend dokumentiert sei", dass der Mitbeteiligte auch im Februar 2015 an einer Depression erkrankt gewesen sei. Daher sei ihm sein Verhalten nicht vorwerfbar. Es liege ein berücksichtigungswürdiger Fall iSd § 10 Abs. 3 AlVG vor. Der Verlust des Anspruches werde gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AlVG zur Gänze nachgesehen.
Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Revision. Der Mitbeteiligte hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in der er die Abweisung der Revision beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Das AMS bringt zur Zulässigkeit der Revision vor, Umstände, die schon im Zusammenhang mit der Zumutbarkeit der Beschäftigung iSd § 9 Abs. 2 und 3 AlVG von Bedeutung seien und deren Prüfung ergeben habe, dass sie diese Zumutbarkeit nicht ausschließen würden, könnten nicht zur Annahme eines berücksichtigungswürdigen Falls iSd § 10 Abs. 3 AlVG führen. Der Mitbeteiligte habe dem AMS zum Zeitpunkt der Zuweisung keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen bekannt gegeben. Er habe vorgebracht, sich nicht bei der S. GmbH beworben zu haben, weil er durch zahlreiche Eigenbewerbungen und Vorstellungsgespräche die Frist für die Bewerbung übersehen habe. Das Bundesverwaltungsgericht habe bei einer Ermessensentscheidung iSd § 10 Abs. 3 AlVG eine Abwägung aller für die Nachsichtsentscheidung maßgebende Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Eine solche Abwägung lasse sich nicht erkennen. Das Verwaltungsgericht habe lediglich festgestellt, dass dem Mitbeteiligten sein Verhalten auf Grund der Depression nicht vorwerfbar gewesen sei. Eine Auseinandersetzung mit den sonstigen Umständen des Falles (wie z.B. das Unterlassen einer vorgängigen Information des AMS über etwaige Einschränkungen, die trotz Depression durchgeführten Eigenbewerbungen und Vorstellungsgespräche bei anderen Dienstgebern, das Übersehen der Frist für die Bewerbung, der Unwille, für die S. GmbH zu arbeiten, das Fehlen einer Krankschreibung im maßgeblichen Zeitraum, das erstmalige Erwähnen von Behandlungen wegen Depression und Befundvorlage im Rahmen des Vorlageantrages) sei unterblieben. Mit der Unterlassung einer Abwägung weiche das Bundesverwaltungsgericht von der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ab.
Mit diesem Vorbringen ist das AMS im Ergebnis im Recht. Die Revision ist zulässig und - wie im Folgenden auszuführen sein wird - berechtigt.
Gemäß § 10 Abs. 3 AlVG ist der Verlust des Anspruches gemäß Abs. 1 in berücksichtigungswürdigen Fällen, wie z.B. bei Aufnahme einer anderen Beschäftigung, nach Anhörung des Regionalbeirats ganz oder teilweise nachzusehen. Berücksichtigungswürdig iSd Bestimmung sind Gründe, die dazu führen, dass der Ausschluss vom Bezug der Leistung den Arbeitslosen aus bestimmten Gründen unverhältnismäßig härter trifft, als dies sonst ganz allgemein der Fall ist. Berücksichtigt man den Zweck des § 10 AlVG, den zeitlich befristeten Ausschluss vom Leistungsbezug als Sanktion für jene Arbeitslosen vorzusehen, die es zumindest in Kauf nehmen, dass die Versichertengemeinschaft durch eine Verletzung der ihnen bei der Arbeitssuche durch das Gesetz auferlegten Pflichten über Gebühr belastet wird, dann kann ein berücksichtigungswürdiger Fall iSd § 10 Abs. 3 AlVG nur dann vorliegen, wenn der Arbeitslose in der Folge entweder selbst ein Verhalten gesetzt hat, welches den potenziellen Schaden ganz oder teilweise wieder beseitigt (also insbesondere durch alsbaldige tatsächliche Aufnahme einer anderen Beschäftigung), oder wenn ihm sein Verhalten ausnahmsweise aus besonderen (jedenfalls nicht auf Dauer vorliegenden und die Verfügbarkeit oder die Arbeitsfähigkeit nicht ausschließenden) Gründen im Einzelfall nicht vorgeworfen werden kann. Es kommt dabei nicht auf persönliche finanzielle Umstände an; ebensowenig können auf Grund der Systematik des Gesetzes jene Umstände zur Annahme eines berücksichtigungswürdigen Falles iSd § 10 Abs. 3 AlVG führen, die schon im Zusammenhang mit der Zumutbarkeit der Beschäftigung iSd § 9 Abs. 2 und 3 AlVG von Bedeutung sind und deren Prüfung ergeben hat, dass sie diese nicht ausschließen.
Die Erteilung der Nachsicht kann auch durch das Verwaltungsgericht im Rahmen einer Sachentscheidung über die Beschwerde erfolgen. Dabei hat es - wenn die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG vorliegen und die Angelegenheit daher nicht gemäß § 28 Abs. 4 VwGVG zurückverwiesen wird - auf das bei der Festlegung des Umfangs der Nachsicht eingeräumte Ermessen zu üben. Die Erteilung der Nachsicht durch das Verwaltungsgericht setzt aber nicht die Anhörung des Regionalbeirats iSd § 10 Abs. 3 AlVG voraus (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Februar 2016, Ra 2016/08/0001, mwN).
Die bloße Feststellung eines - behaupteten - abstrakten Krankheitsbildes sagt nichts darüber aus, zu welchen konkreten Bewerbungshandlungen der von dem Krankheitsbild Betroffene tatsächlich noch in der Lage war oder welche Schwierigkeiten sich ihm dabei entgegen stellten, bzw. in weiterer Folge auch nicht, inwieweit diese Beeinträchtigungen auf Dauer vorlagen bzw. die Arbeitsfähigkeit ausgeschlossen haben. In dem bereits vom Verwaltungsgericht zitierten hg. Erkenntnis 2008/08/0018 hat der Verwaltungsgerichtshof auf die Problematik einer Feststellung derartiger Umstände im Nachhinein hingewiesen. Auf Basis der vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellung über das Vorliegen einer ärztlichen Diagnose - die nicht durch ein Sachverständigengutachten untermauert war - ist daher nicht nur davon auszugehen, dass der Mitbeteiligte die Annahme einer ihm zugewiesenen zumutbaren Beschäftigung vereitelt hat (wie das das Verwaltungsgericht ebenfalls angenommen hat), sondern darüber hinaus auch davon, dass ein Grund für eine - sei es auch nur teilweise - Nachsicht nicht vorliegt, zumal in Anbetracht anderweitiger Bewerbungen des Mitbeteiligten, seiner Vorbehalte gegen die S. GmbH und seiner Erstverantwortung kein fassbarer Anhaltspunkt dafür besteht, dass ihn die Auswirkungen des der Diagnose zu Grunde liegenden Krankheitsbildes an der rechtzeitigen Bewerbung bei der S. GmbH gehindert haben könnten.
Das angefochtene Erkenntnis war gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 2. Mai 2016
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