Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl, Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Revision des R H in W, vertreten durch Mag. Helmut Kunz, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Dinghoferstraße 5, gegen den Bescheid der Bundesberufungskommission für Sozialentschädigungs- und Behindertenangelegenheiten beim Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz vom 11. Dezember 2013, Zl. 41.550/974-9/12, betreffend Entschädigung nach dem Verbrechensopfergesetz, zu Recht erkannt:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
1.1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 12. Juli 2012 auf Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz - VOG in Form der Pauschalentschädigung für Schmerzengeld gemäß § 1 Abs. 1 und § 6a VOG abgewiesen.
In der Begründung stellte die belangte Behörde nach Wiedergabe des Verfahrensgeschehens und der - von ihr als schlüssig bezeichneten Stellungnahmen von mehreren (zahn-)medizinischen Sachverständigen - fest, es könne mit Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass der Revisionswerber am 28. August 2010 von unbekannten Tätern durch einen Faustschlag ins Gesicht eine Verletzung im Mundbereich erlitten habe. Ein Ausschlussgrund (gemeint: für die Gewährung der Hilfeleistung nach dem VOG) sei nicht gegeben.
Der Revisionswerber habe in der Berufung zur Erfüllung des strittigen, in § 6a VOG normierten, Tatbestandselementes einer schweren Körperverletzung iSd § 84 Abs. 1 StGB vorgebracht, nach den von ihm vorgelegten Unterlagen sei Folge des gegenständlichen Verbrechens eine Elongation der Zähne 21 und 22 mit deutlicher Luxation nach palatinal gewesen sei, sodass eine Kreuzbiss-Situation entstanden sei, welche die Zahnstellung und die Kaufunktion beeinträchtigt hätten. Der Zustand der Zähne, wie er vor der Tat gewesen sei, sei nicht wieder herstellbar, zur Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit des Gebisses bedürfe es eines kieferorthopädischen Eingriffes.
Gemäß § 84 Abs. 1 StGB liege eine schwere Körperverletzung vor, wenn die Tat eine länger als vierundzwanzig Tage dauernde Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit zur Folge habe oder die Verletzung oder Gesundheitsschädigung an sich schwer sei.
Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur letztgenannten Bestimmung komme es, was die genannte Dauer der Gesundheitsschädigung betrifft, nicht auf die Heilungsdauer, sondern auf den Fortbestand der pathologischen Veränderung des Körpers an, sodass die Gesundheitsschädigung auch über die eigentliche Heilungsdauer hinaus andauern könne.
Eine an sich schwere Verletzung sei zu bejahen, wenn wichtige Organe oder Körperteile in einer Weise beeinträchtigt werden, dass damit wesentliche Funktionseinbußen verbunden sind. Ob eine bestimmte Verletzung bzw. Gesundheitsschädigung als "an sich schwer" einzustufen sei, entscheide sich jeweils durch eine wertende Zusammenschau mehrerer Kriterien. Dazu zählten die Wichtigkeit des von der Verletzung betroffenen Organs oder Körperteils, die Intensität und das Ausmaß der Krankheitserscheinungen (Schmerzen, Funktionseinschränkungen etc.), der Gefährlichkeitsgrad der Verletzung bzw. der Gesundheitsschädigung, die Chancen des Heilungsverlaufes und die konkrete Situation des Opfers (Alter, gesundheitlicher Gesamtzustand usw.).
Die genannten Kriterien einer schweren Körperverletzung seien beim Revisionswerber nicht erfüllt, weil - so die belangte Behörde - der Vorfall vom 28. August 2010 beim Revisionswerber weder zu einem Zahnverlust noch zu einer Beeinträchtigung seiner Kaufunktion oder zu einer Sprachbehinderung geführt habe. Auch bestehe bei ihm keine medizinische Notwendigkeit einer "festsitzenden KFO". Die "Schienenentfernung - Fixierung der Zähne mittels Drahtbogenschiene von 13 bis 23 - erfolgte nach zehn Tagen".
Da der Revisionswerber somit keine schwere Körperverletzung erlitten habe, sei spruchgemäß zu entscheiden gewesen.
1.2. Gegen diesen (nach der Aktenlage am 13. Dezember 2013 erlassenen) Bescheid richtet sich die vorliegende Revision, zu der das Bundesverwaltungsgericht die Akten des Verwaltungsverfahrens vorlegte.
2. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
2.1. Die vorliegende Revision ist gemäß § 4 Abs. 1 erster Satz VwGbk-ÜG zulässig, weil der angefochtene Bescheid noch vor dem 31. Dezember 2013 zugestellt wurde und die Beschwerdefrist zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgelaufen war. Für die Behandlung der Revision gelten gemäß § 4 Abs. 5 VwGbk-ÜG die Bestimmungen des VwGG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung sinngemäß.
2.2. Das Verbrechensopfergesetz - VOG, BGBl. Nr. 288/1972 in der hier maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 59/2013 (§ 6a in der zufolge § 16 Abs. 13 VOG maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 40/2009), lautet auszugsweise:
"Kreis der Anspruchsberechtigten
§ 1. (1) Anspruch auf Hilfe haben österreichische Staatsbürger, wenn mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sie
1. durch eine zum Entscheidungszeitpunkt mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten haben oder
...
und ihnen dadurch Heilungskosten erwachsen sind oder ihre
Erwerbsfähigkeit gemindert ist. ...
(2) Hilfe ist auch dann zu leisten, wenn
...
3. der Täter nicht bekannt ist oder wegen seiner Abwesenheit nicht verfolgt werden kann.
...
Hilfeleistungen
§ 2. Als Hilfeleistungen sind vorgesehen:
...
10. Pauschalentschädigung für Schmerzengeld
...
Pauschalentschädigung für Schmerzengeld
§ 6a. Hilfe nach § 2 Z 10 ist für eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB) infolge einer Handlung im Sinne des § 1 Abs. 1 als einmalige Geldleistung im Betrag von 1 000 EUR zu leisten. Zieht die Handlung eine Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen (§ 85 StGB) nach sich, gebührt ein einmaliger Betrag von 5 000 EUR."
2.3. Das StGB lautet auszugsweise:
"Körperverletzung
§ 83. (1) Wer einen anderen am Körper verletzt oder an der Gesundheit schädigt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.
(2) Ebenso ist zu bestrafen, wer einen anderen am Körper mißhandelt und dadurch fahrlässig verletzt oder an der Gesundheit schädigt.
Schwere Körperverletzung
§ 84. (1) Hat die Tat eine länger als vierundzwanzig Tage dauernde Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit zur Folge oder ist die Verletzung oder Gesundheitsschädigung an sich schwer, so ist der Täter mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen.
(2) Ebenso ist der Täter zu bestrafen, wenn die Tat begangen worden ist
1. mit einem solchen Mittel und auf solche Weise, womit in der Regel Lebensgefahr verbunden ist,
(3) Ebenso ist der Täter zu bestrafen, wenn er mindestens drei selbständige Taten ohne begreiflichen Anlaß und unter Anwendung erheblicher Gewalt begangen hat."
2.4. Strittig ist im vorliegenden Fall ausschließlich, ob es sich bei der Körperverletzung des Revisionswerbers um eine schwere Körperverletzung gemäß § 84 Abs. 1 StGB handelt, die in § 6a VOG Tatbestandsvoraussetzung ist.
2.5. Dazu führt die Revision zusammengefasst ins Treffen, dass der Revisionswerber durch die Körperverletzung vom 28. August 2010 an zwei Zähnen neben einer Elongation und einer Luxation eine Fraktur des Alveolarfortsatzes mit einer Beeinträchtigung der Zahnstellung und Kaufunktion erlitten habe und sein vorheriger Zustand nicht wiederherstellbar sei. Um die Funktionsfähigkeit des Gebisses wieder herzustellen, sei eine kieferorthopädische Behandlung mittels Multiband mit einer voraussichtlichen Dauer von ca. 3 Jahren erforderlich. Dazu verwies der Revisionswerber auf die aktenkundigen medizinischen Stellungnahmen. Vor diesem Hintergrund sei in rechtlicher Hinsicht davon auszugehen, dass es sich dabei um eine schwere Körperverletzung handle, weil eine solche nach gefestigter Judikatur auch dann vorliege, wenn eine medizinische Behandlung - hier mit einer voraussichtlichen Dauer von 3 Jahren - eine berechtigte Vorsichtsmaßnahme darstelle.
3. Dieses Vorbringen ist aus folgenden Gründen zielführend:
3.1. Der angefochtene Bescheid ist zunächst mit einem Verfahrensmangel behaftet, weil die hier (zufolge § 6a VOG) entscheidungswesentliche Frage, ob der Revisionswerber durch den Vorfall vom 28. August 2010 eine schwere Körperverletzung § 84 Abs. 1 StGB erlitten hat, klare Feststellungen voraussetzt, welcher Art und Intensität die vom Betreffenden erlittenen Verletzungen waren.
Solche Feststellungen hat die belangte Behörde nicht getroffen, sondern lediglich mehrere (zahn-)ärztliche Stellungnahmen mit unterschiedlichen Befunden betreffend die Verletzungen des Revisionswerbers (darunter die Diagnose "Kieferbruch") wiedergegeben und in diesem Zusammenhang lediglich ausgeführt, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen beim Revisionswerber - nicht - bestehen.
3.2. Laut dem im angefochtenen Bescheid erwähnten Heilkostenplan der Dr. P. vom 30. November 2012 habe der Revisionswerber aufgrund der erlittenen Elongation und Luxation einen Kreuzbiss-Zustand entwickelt, wodurch die Kaufunktion beeinträchtigt und die Zahnstellung mit ästhetischen Folgen verändert worden sei. Ohne kieferorthopädische Behandlung könne der primäre Zustand nicht mehr erreicht werden.
Die belangte Behörde hat offensichtlich auch diese Angaben als schlüssig gewertet und dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegt, dabei aber nicht erwähnt, dass im genannten Heilkostenplan vom 30. November 2012 als voraussichtliche Behandlungsdauer "ca. 3 Jahre" genannt werden.
Vor diesem Hintergrund ist der angefochtene Bescheid auch mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet. Was nämlich die länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung (erster Fall des § 84 Abs. 1 StGB) betrifft, so kommt es nicht nur auf die Heilungsdauer an, sondern auf den Fortbestand einer pathologischen Veränderung des Körpers, sodass die Gesundheitsschädigung auch über die eigentliche Heilungsdauer hinaus andauern kann. So reichen beispielsweise auch Kopfschmerzen, die nach dem 24. Tag nur mehr zeitweise auftreten, aber durch Verrichtungen des täglichen Lebens begründet sind, für die Annahme des ersten Falles des § 84 Abs. 1 StGB aus (vgl. Burgstaller/Fabrizy in Höpfel/Ratz , Wiener Kommentar2 Strafgesetzbuch (2015) § 84 Rz 7).
Damit hat sich die belangte Behörde in offensichtlicher Verkennung der Rechtslage fallbezogen (voraussichtliche Behandlungsdauer von etwa 3 Jahren) nicht auseinander gesetzt.
Es kann bei diesem Ergebnis dahingestellt bleiben, ob die Körperverletzung des Revisionswerbers (insbesondere der von der belangten Behörde nicht bewertete Kieferbruch) nicht auch eine "an sich schwere" Körperverletzung darstellt und damit den dritten Fall des § 84 Abs. 1 StGB verwirklicht (vgl. zu Knochenbrüchen Burgstaller/Fabrizy in Höpfel/Ratz , aaO, § 84 Rz 21).
4. Der angefochtene Bescheid war nach dem Gesagten wegen vorrangig wahrzunehmender inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm § 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Das Kostenmehrbegehren war gemäß § 48 Abs. 1 Z 1 VwGG abzuweisen, weil die vom Revisionswerber begehrte Eingabegebühr (§ 24 VwGG in der hier anzuwendenden Fassung) gemäß § 11 Abs. 2 VOG nicht zu entrichten war.
Wien, am 14. Dezember 2015
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