Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsidenten Dr. Höslinger und die Räte Dr. Hrdlitzka, Dr. Krzizek, Dr. Lehne und Dr. Striebl als Richter, im Beisein des Sektionsrates Dr. Dolp und des Magistratskommissärs Dr. Liska als Schriftführer, über die Beschwerde der AG und der MK, beide in W, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 17. Juli 1955, Zl. M.Abt. 64/B XXII/13/54, betreffend Vollstreckungsverfügung in einer Bausache, nach der am 8. Juli 1958 durchgeführten Verhandlung, und zwar nach Anhörung des Vortrages des Berichters sowie der Ausführungen des Vertreters der Beschwerde, Rechtsanwalt Dr. Josef Majneri, und des Vertreters der belangten Behörde, Magistratsrat Dr. HS, zu Recht erkannt:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Beschwerdeführerinnen AG und MK sind grundbücherliche Eigentümer der Liegenschaft, EZ. 85 Kat.Gem. X, Grundbuch des Bezirksgerichtes Floridsdorf. Zu dieser Einlagezahl gehörten mit Stand vom Jahre 1952 die Parzellen 823/2, 823/3 und 823/23. Dieser Grundbuchskörper wurde 1873 von dem Ehepaar LB und TB je zur Hälfte erworben, am 7. Mai 1895 an LM und MG lastenfrei veräußert und ging am 16. April 1903 auf Grund einer Einantwortungsurkunde an die beiden Töchter dieses Ehepaares, AG und MK, je zur Hälfte ins Eigentum über. Im Jahre 1877 hatte der damalige Eigentümer der Nebengrundstücke (827/2 und 827/1) JB um eine Baubewilligung bezüglich seiner Grundstücke angesucht. Am 15. August 1877 fand an Ort und Stelle eine Kommissionierung statt, zu der unter anderem auch LB als Nachbar zugezogen wurde. Das betreffende Kommissionsprotokoll des Gemeindevorstandes X vom 15.August 1877 hat folgenden Wortlaut:
„... Bezüglich der Baulinie wird folgendes bestimmt:
1.) Kommt dieser Bau, welcher ein Eckhaus bildet, nach dem vom Gemeindeausschuß in der Sitzung vom 20.August 1877 beschlossenen und der k.k. Bezirkshauptmannschaft Groß-Enzersdorf bereits zur Zustimmung vorgelegten Abteilungsplan in der geraden Richtung mit der Mauer des LB gegen die Reichsstraße zu stehen, damit die Gassenfront desselben nicht verbaut werde.
2.) Der Herr Bauwerber verpflichtet sich, den vor seinem Hause gegen den Ort erübrigenden Grund an LB gegen dem abzutreten, daß derselbe den von der Gemeinde vorbeiführenden Weg längst seiner Parzelle in. der Länge von 20° von der Gemeinde einlöse und in sein Eigentum übergehe, daß jedoch der abgetretene Grund vor dem Hause des LB bis zur Reichsstraße ein freier Platz bleibe, der ins Eigentum der Gemeinde übergeht, aber niemals verbaut werden darf.
3.) Herr LB verpflichtet sich, vor erwähnten Grund einzulösen und den hiefür entfallenden Betrag binnen vier Wochen an die Gemeinde zu bezahlen.
4.) Von Seiten der Gemeinde wird die Einhaltung der Freilassung des Platzes gegen Erfüllung obiger Bedingungen zugesichert:
5.) Der Herr Bauwerber macht sich verbindlich, bei der gänzlichen Verbauung nach dem Abteilungsplan den zur Ergänzung der Baustelle erforderlichen Grund einzulösen, und Herr LB erklärt sieh zur nötigen Abtretung bereit.“
Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 15. November 1954, Zl. M.Abt.6 440/54, erging an die Beschwerdeführerinnen eine Vollstreckungsverfügung folgenden Inhaltes: Auf Grund des mündlich verkündeten Bescheides des Gemeindevorstandes X vom 15. August 1877, enthalten in dem am 15. August 1877 vom Gemeindevorstand X aufgenommenen Kommissionsprotokoll, seien die Eigentümer der Liegenschaft EZ. 85 des Grundbuches der Kat.Gem. X verpflichtet, das Grundstück 823/23 an die Stadt Wien abzutreten. Da dieser Verpflichtung bisher nicht entsprochen worden sei, werde zur Herstellung des dem erwähnten Bescheide entsprechenden Zustandes den Beschwerdeführerinnen gemäß § 5 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes unter Androhung einer Geldstrafe als Zwangsmittel aufgetragen, das Grundstück 823/23 bis zum 4. Dezember 1954 an die Stadt Wien abzutreten. Die dagegen von den Beschwerdeführerinnen fristgerecht erhobene Berufung wurde vom Amte der Wiener Landesregierung im selbständigen Wirkungsbereich des Landes mit Bescheid vom 17. Juli 1955, Zl. M.Abt.64 B XXII 13/54, gemäß § 66 Abs. 4 AVG und § 10 Abs. 3 VVG als unbegründet abgewiesen. In der Begründung dieses Bescheides wurde im wesentlichen ausgeführt, daß zwar in dem Kommissionsprotokoll des Gemeindevorstandes X vom 15. August 1877 die Verkündung eines Bescheides nicht ausdrücklich festgehalten sei, daß aber aus den damaligen Umständen angenommen werden könne, daß ein mündlicher Bescheid erlassen worden sei. Die Vollstreckbarkeit dieses Bescheides sei auch vom Magistrat der Stadt Wien als Rechtsnachfolger des Gemeindeamtes X am 19. Oktober 1954 bestätigt worden.
Gegen diesen Bescheid brachten die Beschwerdeführerinnen am 11. Oktober 1955 eine auf Artikel 144 B VG gestützte Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof ein. Mit Erkenntnis vom 13. März 1956, Zl. B 212/55, sprach der Verfassungsgerichtshof aus, daß die Beschwerdeführerinnen durch den angefochtenen Bescheid in keinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden seien. Die Beschwerde wurde als unbegründet abgewiesen und antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abgetreten, ob die Beschwerdeführerinnen durch den angefochtenen Bescheid in einem sonstigen Recht verletzt wurden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
In der wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobenen Beschwerde machen die Beschwerdeführerinnen zunächst geltend: Der dem Vollstreckungsverfahren zugrunde liegende Bescheid vom 15. August 1877 sei niemals ordnungsgemäß erlassen, verkündet oder zugestellt worden. Schon das Kommissionsprotokoll vom 15. August 1877 lasse in keiner Weise erkennen, daß ein mündlicher Bescheid erlassen worden sei. Dagegen spreche der Aktenvermerk vom 18. August 1877, daß der Bescheid an den Bauwerber B abgefertigt worden sei, was sich erübrigt hätte, wenn ein ordnungsgemäßer mündlicher Bescheid am 15. August 1877 verkündet worden wäre. Mit diesem Vorbringen bestreiten die Beschwerdeführerinnen das Vorliegen eines Vollstreckungstitels im Sinne des § 1 VVG. Die Annahme, daß ein die Grundabtretungsverpflichtung enthaltender Baubewilligungsbescheid vorgelegen sei, der auch gegenüber den Rechtsvorgängern der Beschwerdeführerinnen rechtswirksam geworden sei, hatte die belangte Behörde nach der Begründung ihres Bescheides u.a. auf den Umstand gestützt, daß der Bauwerber am 5. November 1877 für das beantragte Bauvorhaben die Benützungsbewilligung erhalten habe und daß sich in den Verwaltungsakten ein Aktenvermerk finde, daß „im Sinne des Instehenden“ der Baukonsens erteilt und ein Plan zugestellt wurde. Ob diese Annahme der belangten Behörde zutreffend ist, ob also ein rechtskräftig gewordener Baubewilligungsbescheid im Jahre 1877 an den damaligen Bauwerber ergangen ist, oder ob dieser Bescheid etwa aus dem Grunde rechtsunwirksam geblieben ist, weil er entgegen der Vorschrift des § 11 der für dieses Gebiet damals geltenden Bauordnung für Niederösterreich (LGBl. Nr. 14/1866) nicht in Schriftform ergangen ist, kann tu vorliegenden Fall aus folgenden Erwägungen dahingestellt bleiben:
Wie im Sachverhalt dargestellt, war Gegenstand des Ortsaugenscheines vom 15. August 1877 das Ansuchen des Josef Benedikt um Erteilung einer Baubewilligung. Dieser Verhandlung war auch der Nachbar LB, der Rechtsvorgänger der Beschwerdeführerinnen, beigezogen worden. Nach dem Inhalt der über diese Verhandlung aufgenommenen Niederschrift war es damals zu einem Übereinkommen hinsichtlich der Abtretung von Straßengrund gekommen. Dieses Übereinkommen muß nach der Lage der Dinge als ein privatrechtlicher Vertrag gewertet werden, Jedenfalls konnte dem LB, da er nicht Bauwerber war, durch das Bauansuchen des B unmittelbar eine öffentlich rechtliche Verpflichtung zur Straßengrundabtretung nicht erwachsen. Nun kann zwar eine auf einem privatrechtlichen Vertrag beruhende Verpflichtung zu einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung werden, wenn sie durch einen entsprechenden verpflichtenden Ausspruch in einen Bescheid aufgenommen wird und dieser Bescheid den betreffenden Personen gegenüber, in Rechtskraft erwachsen ist. Eine solche Verpflichtung kann dann auch mit den Mitteln des Verwaltungszwanges durchgesetzt werden. Für die Annahme, daß im vorliegenden Falle ein privatrechtlicher Vertrag in eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung umgewandelt worden ist, fehlen aber die dargelegten Voraussetzungen. Auch die belangte Behörde hat ihrer Entscheidung einen solchen Sachverhalt nicht zugrunde gelegt. Sie ist vielmehr davon ausgegangen, daß die Baubewilligung an sich in Rechtskraft erwachsen ist. Dies allein ist aber zur Begründung einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung des Nachbarn des Bauwerbers nicht ausreichend.
Die belangte Behörde ist sohin in einem wesentlichen Punkte von einer unrichtigen Rechtsansicht ausgegangen. Der angefochtene Bescheid war gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1952 aufzuheben. Hiedurch erübrigt es sich, auf das sonstige Vorbringen der Parteien einzugehen.
Wien, am 21. Jänner 1959
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